Seit langem ist bekannt, dass die kulturelle und politische Prägung eines Menschen starken Einfluss auf seine Wahrnehmung des Klimawandels hat. Vor allem aus den USA gibt es zahlreiche Untersuchungen, die beispielsweise einen Zusammenhang zwischen einem konservativem Weltbild und Zweifeln am Klimawandel zeigen. Hingegen ist für Europa und insbesondere Deutschland die Forschungslage bislang eher dünn; eine Dissertation des Soziologen Thorsten Heimann will diese Lücke schließen helfen. "Wer die unterschiedlichen Vorstellungen über den Klimawandel kennt, wird besseres gegenseitiges Verständnis erzielen", erklärt er den Sinn der Untersuchung - und geht man besser auf Unterschiede ein, wird man letztlich auch mehr Zustimmung zu Klimaschutz erreichen können.

Heimann forscht seit 2010 am Leibniz-Institut für Raumbezogene Sozialforschung (IRS) in Erkner nahe Berlin. Für seine gerade erschienene Arbeit befragte er in Deutschland, Polen, den Niederlanden und Dänemark mehr als 800 Personen in Küstenstädten und -gemeinden an Nord- und Ostsee. Er wählte Menschen aus, die sich professionell mit dem Thema Klimawandel beschäftigen: nämlich Akteure im Bereich Raumplanung und Regionalentwicklung aus Politik, Verwaltung, Wirtschaft und Zivilgesellschaft. Konkret waren dies beispielsweise Mitglieder von Umweltausschüssen, Mitarbeiter von Küsten- und Naturschutzbehörden, Industrie- und Handelskammern oder großen Umweltverbänden.

Große Unterschiede: In Dänemark sahen 86 Prozent der Befragten den Klimawandel als großes Problem - in Polen nur 49 Prozent

Zwischen Januar und April 2012 wurden sie per Online-Fragebogen befragt. Darin wurden zum einen Werteinstellungen erhoben, also beispielsweise wie konservativ jemand ist, welche Einstellung zur Umwelt er allgemein hat und so weiter. Zum anderen gab es Fragen zum Klimawandel, etwa ob man meine, dass er bereits heute stattfinde, ob man seine Folgen vor Ort erwarte oder eher anderswo auf der Welt, welche Gegenmaßnahmen man für nötig halte, ob beispielsweise der Hochwasserschutz verstärkt werden solle und falls ja, wie.

Die Antworten offenbarten teils drastische Unterschiede - sowohl zwischen den einzelnen Akteursgruppen, als auch zwischen den verschiedenen Ländern. So bezeichneten in Dänemark 86 Prozent der Befragten den Klimawandel als "ernstes Problem", in den Niederlanden waren es 74 Prozent und in Deutschland 68 Prozent - Polen lag mit 49 Prozent weit dahinter.

52 Prozent der Wirtschaftsvertreter rechnen mit ernsten Folgen des Klimawandels auch vor Ort - in Behörden sind es lediglich 40 Prozent

Je nach der Gesamtheit ihren Antworten teilte Heimann die Befragten in vier Grundtypen ein: Mit 45 Prozent waren die sogenannten "glokal Überzeugten" die größte Gruppe; damit sind Menschen gemeint, die den Klimawandel und den menschlichen Einfluss als Realität akzeptieren und die Erderwärmung sowohl lokal als auch global als deutliches Problem ansehen. Weitere 18 Prozent gehören zu einer Gruppe der "global Überzeugten", die eher weltweite als lokale Probleme sehen. Daneben macht die Studie noch "Anthropogene Skeptiker" aus (15 Prozent), die den Klimawandel eher als natürliches Phänomen ansehen, der auch nur anderswo Probleme verursache. Weitere 15 Prozent ("Klimaskeptiker") bezweifeln bereits die Existenz der Erderwärmung (und damit auch jegliche Folgen). Dies ist insofern bemerkenswert, als eben nicht die Bevölkerung allgemein befragt wurde, sondern Personen, die professionell mit dem Thema zu tun haben.

Kategorisierung der Befragten nach Wahrnehmung des Klimawandels: Die sogenannten "Klimaskeptiker" sind weder überzeugt, dass ein Klimawandel stattfindet, noch dass er menschengemacht ist oder irgendwo größere Probleme verursachen könnte. Unter "Anthropogenen Skeptikern" werden Personen verstanden, die den Klimawandel akzeptieren und globale Probleme erwarten, aber am menschlichen Einfluss sowie an lokalen Auswirkungen zweifeln. "Global Überzeugte" akzeptieren den Klimawandel und den menschlichen Einfluss, sehen aber vor allem weltweite Probleme. Die "glokal Überzeugten" hingegen erwarten daneben auch, dass der Klimawandel bei ihnen vor Ort größere Probleme bereiten wird. Die Grafik zeigt ganz links die Gesamtverteilung unter den 830 Studienteilnehmern, daneben die Verteilung in den Befragtengruppen (Mitarbeiter von Behörden, Politiker, Vertreter von Wirtschaft sowie Umweltverbänden). Die vier rechten Balken zeigen die Verteilung in Deutschland, den Niederlanden, Dänemark und Polen; Quelle: Heimann 2017

Die Größe dieser Gruppen variiert innerhalb der verschiedenen Staaten und natürlich auch in den unterschiedlichen Bereichen. Wiederum war es Polen (Balken ganz rechts in der obenstehenden Grafik), das mit Abstand die schwächste Problemwahrnehmung zeigte. Eher überraschend dürfte hingegen sein, dass in der Wirtschaft (vierter Balken von links) ein offenbar deutlich stärkeres Bewusstsein (52 Prozent) als in der Verwaltung (40 Prozent) dafür herrscht, dass der Klimawandel nicht nur weltweit für Probleme sorgen dürfte, sondern auch ganz konkret vor der eigenen Haustür.

Wer konservativ ist oder Machtstreben positiv bewertet, äußert häufiger Zweifel am menschengemachten Klimawandel

Die Arbeit erkundet aber nicht nur verschiedene Einstellungen zum Klimawandel, sondern auch die Einflussfaktoren. Wie etliche Studien vor ihr (vor allem aus dem angelsächsischen Raum) bestätigt sie den starken Einfluss von Wertvorstellungen und politischen Identitäten: Konservativer zu sein, führt demnach "zu größeren Ressentiments gegenüber dem Klimawandel und, damit verbunden, zu geringer wahrgenommenen Problemen", schreibt Heimann. Auch seien Personen, die "Macht- und Hedonismusstreben als positiv bewerten, seltener überzeugt, dass menschliche Aktivitäten zu Klimawandel beitragen".

Nicht nur die Akzeptanz des Klimawandels an sich wird durch die Weltanschuung beeinflusst, auch bei den Einstellungen zur Klimaschutzpolitik fand die Studie deutliche Unterschiede (der Autor spricht hier von unterschiedlichen "Klimaschutzkulturen"). Rund ein Drittel der befragten Personen sind demnach "klassische" oder "universalistische" Klimaschützer, die weitreichende Maßnahmen für notwendig halten (lediglich die CCS-Technologie der Abscheidung und unterirdischen Lagerung von CO2 fand sehr wenige Anhänger). Doch selbst die anderen Gruppen ("Moderate" und "Minimalisten") seien Klimaschutz gegenüber nicht vollkommen abgeneigt. Einzelne Strategien zum Klimaschutz, etwa das Energiesparen, die Wärmedämmung oder eine Förderung Erneuerbarer Energien, fanden auch bei ihnen eine gewisse Zustimmung. "Klimaschutz stößt damit zwar ... nicht grundsätzlich auf Begeisterung", fasst Heimann zusammen, "es kann aber durchaus von größerem Konsens über die Notwendigkeit ... ausgegangen werden."

Die IPCC-Berichte werden am stärksten in Umweltverbänden gelesen, am schwächsten in Politik und Behörden

Auf den mehr als 400 Seiten der Dissertation, die an der Freien Universität Berlin mit der Summa cum laude benotet wurde, finden sich zahlreiche bemerkenswerte Befunde. So sind die Kanäle, aus denen sich die Befragten über den Klimawandel informieren, sehr unterschiedlich. Überregionale Medien werden demnach am häufigsten von den politischen Akteuren genutzt. Generell war die Mediennutzung von Verwaltungsmitarbeitern die geringste. IPCC-Berichte werden am stärksten in Umweltverbänden wahrgenommen (und am wenigsten in Politik und Behörden). Auch zwischen den vier untersuchten Ländern gab es hier deutliche Differenzen: So gaben immerhin 51 Prozent der dänischen und 44 Prozent der holländischen Befragten an, schon einmal in IPCC-Reports gelesen zu haben. Unter den deutschen Studienteilnehmern lag die Quote mit 28 Prozent deutlich niedriger, Schlusslicht war Polen mit zwölf Prozent.

Als größte Bedrohung infolge des Klimawandels werden - für Bewohner von Küstenregionen kaum  überraschend - schlimmere Hochwasser und stärkere Stürme genannt. Doch wie man darauf reagieren sollte, da gehen die Meinungen deutlich auseinander. Für höhere Deiche und andere technische Maßnahmen plädieren besonders stark Vertreter aus Politik und Behörden, Wirtschaft und Zivilgesellschaft sind deutlich offener auch für andere Maßnahmen. Ähnlich unterschiedliche "Klimaanpassungskulturen" finden sich in den einzelnen Ländern: Während in Deutschland 38 Prozent (und damit die meisten Befragten) höhere Deiche präferieren, sind es in den Niederlanden nur 21 Prozent.

"Die Bedrohung durch Hochwasser führt nicht nicht immer zu denselben Strategien", erklärt Thorsten Heimann. Hierzulande sei es derzeit fast ein Tabu, Siedlungen für natürliche Überflutungsflächen an den Küsten aufzugeben - in Holland hingegen ist es vielerorts eine bewusste Strategie, dem Wasser mehr Raum zu geben. "Wir müssen davon wegkommen, für alle Probleme dieser Art einen überall gültigen Standard finden zu wollen." Missachte man kulturelle Unterschiede beim Blick auf Klimawandel und Klimaschutz, dann steige die Gefahr des Scheiterns.

Toralf Staud