Eine ganze Woche lang rangen die Delegierten des Intergovernmental Panel on Climate Change (IPCC) miteinander. Über jedes einzelne Wort debattierten die Vertreter von 195 Staaten im September 2013 in Stockholm, als es um die Endredaktion der Zusammenfassung von Band 1 des Fünften Weltklimaberichts ging. Dieses sogenannte "Summary for Policymakers" (SPM) gilt als das entscheidende Kondensat des mehr als 1.500 Seiten dicken Berichtsbandes zu naturwissenschaftlichen Grundlagen des Klimawandels.

Allerdings besteht das SPM nicht allein aus Wörtern – auch zehn Infografiken sind in dem Text enthalten. Sie sollen grafisch auf den Punkt bringen, was der Text drumherum in größter Präzision zu beschreiben versucht. Doch so detailorientiert die Debatte um einzelne Worte und Begriffe verlief, so oberflächlich ging es bei den Grafiken zu. Zwar gab es auch vereinzelt Tauziehen um die Abbildungen - die aber waren viel grober. Den IPCC-Delegierten fehlte es sichtlich an Übung, sich mit Bildern auseinanderzusetzen.

Abbildung 1b aus der "Zusammenfassung für Entscheidungsträger" von Band 1 des Fünften IPCC-Sachstandsberichts 2013 - intensive Rot- und Magenta-Töne visualisieren die Erwärmung der Erdoberfläche seit 1901; Quelle: IPCC AR5 WG1 SPM

Dabei lohnt genau das. Eine der wichtigsten Grafiken des Bandes ist die sogenannte Abbildung 1b. Sie zeigt in intensiven Rot- und Magenta-Tönen den weltweit bereits erfolgten Temperaturanstieg seit 1901 – abgestuft in insgesamt 13 Farbtönen und auf einer Skala von -0,6 bis 2,5 Grad Celsius. Medien rund um den Globus griffen die Grafik in ihrer Berichterstattung über den IPCC-Report auf. Die implizite Botschaft der Grafik an die politischen Entscheidungsträger - und die Öffentlichkeit - ist eindeutig: Der Klimawandel ist bereits jetzt ein dringendes Problem, handelt, bevor es zu spät ist.

In Grün-Tönen oder Schwarz-Weiß wirken Temperatur-Grafiken nicht

Wie sicher und reproduzierbar die Wirkung der Grafik ist, haben der Computer-Wissenschaftler Thomas Nocke vom Potsdam Institut für Klimafolgenforschung (PIK) und die Bild- und Medienwissenschaftlerin Birgit Schneider von der Universität Potsdam erforscht. Die Ergebnisse stellten sie vergangene Woche auf dem World Symposium on Climate Change Communication im britischen Manchester vor, sie sollen in Kürze in einem wissenschaftlichen Sammelband erscheinen.

Um die Wirkung der vom IPCC verwendeten Farben zu prüfen, erstellten sie sechs Variationen der Grafik 1b - mal wechselten sie zu einer Farbskala mit unterschiedlichen Grautönen auf einer Schwarz-Weiß-Skala, mal legten sie ihren Probanden dieselben Farbwerte in einer Variation von Grüntönen vor, mal bauten sie nach den Konventionen der klassischen Kartographie eine Grafik, die ohne schrille Magenta-Töne auskam. Die 22 Testpersonen hatten allesamt ein Universitätsstudium absolviert, aber niemand hatte irgendwie mit Klimaforschung zu tun. Der Test bestätigte: Von allen Varianten vermittelte just diejenige am stärksten das politische Warnsignal, die vom IPCC tatsächlich verwendet worden war.

Neben der Originalgrafik aus dem IPCC-Report (oben links) wurden den Probanden fünf Varianten mit verschiedener Farbkodierung vorgelegt; Abbildung: Nocke/Schneider 2016

Dieses Ergebnis ist verblüffender, als es zunächst erscheinen mag. Denn vermutlich mehr noch als für Worte gilt, dass Farben niemals eindeutige Botschaften transportieren, wie Bildwissenschaftlerin Schneider hervorhebt: "Die Polyphonie der Bedeutung von Farben kann die intendierte Semantik der Farben in einer Grafik überlagern." Mit anderen Worten: Die Botschaft einer Farbe ist niemals neutral, ihre Bedeutung in visueller Kommunikation kann niemals vollständig kontrolliert werden. Zu stark hängt die Lesart einer Farbe vom gelernten, kulturell bestimmten Kontext ab - zu ambivalent ist die Botschaft einzelner Farben auch innerhalb ein und desselben Kulturkreises.

Rot: Wärme, Feuer, Apokalypse

Das in der IPCC-Grafik tonangebende Rot ist hierfür vielleicht das beste Beispiel: In der europäischen Kultur steht Rot für Liebe, Harmonie und Wärme. Zugleich aber ist das Rot als in der Natur selten vorkommende Farbe des Bluts und des Feuers ein klares Signal für Gefahr, Zerstörung, das Apokalyptische. Kein Zufall, dass zentrale Bilder der abendländischen Kulturgeschichte wie etwa Hans Memlings Triptychon Das Jüngste Gericht die Hölle in satten Rottönen darstellen.

Über diese Lesart der Farben in der wichtigsten Infografik des IPCC-Berichts wurde bei seiner Verabschiedung mit Sicherheit nicht gesprochen - vermutlich, weil den Delegierten intuitiv klar gewesen sein dürfte, "wie gut – salopp formuliert – die Farbskala unsere Liebe für einen CO2-intensiven Lebensstil darstellt", so Schneider. Kein Zufall sei es vermutlich auch, dass die Grafik auf Platz eins der IPCC-Grafiken steht, denn: "Man kann sie auch als Kosmogramm interpretieren." Als solches zeichnet es ein umfassendes Bild unserer menschlichen Kultur und liefert eine Erzählung mit universalem Anspruch. Ganz ähnlich wie Hans Memlings Jüngstes Gericht aus dem 15. Jahrhundert.

So sehr die IPCC-Grafik mit ihrer impliziten Warnbotschaft aber "funktioniert", so erstaunlich ist bei näherem Blick zugleich, dass sie auch handwerklichen Schwächen offenbart. Immerhin setzt sie nicht auf die vielkritisierte - und trotzdem vielgenutzte - Regenbogenskala. Doch weisen die bei ihr verwendeten Rot- und Magenta-Töne, die höhere Temperaturen darstellen, annähernd die gleiche Sättigung auf: das erschwert die Wahrnehmung der einzelnen Abstufungen. "Das ist durchaus ein Bruch mit etablierten Standards der Kartographie", sagt Birgit Schneider.

IPCC-Arbeitsgruppen als Forum für Magenta-Debatten?

Nun werden auch künftige IPCC-Berichte Infografiken enthalten – vermutlich in größerer Zahl als bisher. Denn es besteht weitgehend Einigkeit darüber, dass der Weltklimarat die Prägnanz und Verständlichkeit seiner Aussagen verbessern müsse. Zudem kann sich auch der IPCC dem globalen Wandel von einer textlich geprägten Kommunikationskultur zu einer stärker visuellen nicht verschließen.

Werden also den IPCC-Gremien ähnlich intensive Debatten um Grafiken und Farben bevorstehen wie man sie bisher um Texte und Worte beobachten konnte? Würde eine Auseinandersetzungen um die Bedeutung von Rot- und Magenta-Tönen nicht die Büchse der Pandora öffnen - für kulturgeschichtlich geprägten Streit über Farbbedeutungen und apokalyptische Zukünfte? Vielen Naturwissenschaftlern dürfte es bei dieser Vorstellung blümerant zumute werden. Denn eigentlich soll der IPCC ja lediglich eine nüchtern-präzise Zusammenfassung von Forschungsergebnissen liefern.

Andererseits: Interessieren sich Menschen nicht viel mehr als für nackte Fakten dafür, was diese für sie bedeuten?

Carel Mohn