Achim Bubenzer, 68, Physiker, war Technologe für die Produktion von Dünnschicht-Photovoltaik-Modulen. 1992 nahm er einen Ruf auf eine Professur für Photovoltaiksysteme und Energiewirtschaft an der Hochschule Ulm an und war von 2001 bis 2015 auch deren Rektor. Er ist Gründungsmitglied des Ulmer Initiativkreises nachhaltige Wirtschaftsentwicklung e.V. (unw). Seit seiner Pensionierung beschäftigt er sich mit interdisziplinären Wegen zur Kommunikation von Klimathemen und ist ehrenamtlicher Botschafter von klimafakten.de

 

Seit Pfarrer Kneipp wissen wir, dass Wechselbäder gesund sein sollen. Aber das Wechselbad der Gefühle, in das mich die Klimaschutzdebatte in den vergangenen anderthalb Jahren geschickt hat, war zu viel für mich:

"Ein unscheinbares Mädchen aus Schweden hat erreicht, was wir alten Ökos uns immer erhofft hatten: eine Weltbewegung für Klimaschutz" - Demonstation am 20. September 2019 in Berlin; Foto: Carel Mohn

  • Die Klimakonferenz von Madrid wird zum Festival der Bremser und Blockierer.
  • Hochkarätige Wirtschaftsführer und Politiker aus unserem Land halten Gretas harsche Kritik an der aktuellen Klimapolitik von Staat und Unternehmen für unangemessen und unprofessionell.
  • Spitzenpolitiker der Landesregierung meiner bayerischen Wahlheimat werben angesichts der Auseinandersetzungen um mehr Klimaschutz für den "goldenen Mittelweg" und für "mehr Gelassenheit".
  • Die Stadträte unserer Landeshauptstadt sehen das mehrheitlich ganz anders und rufen wie mehr als 60 weitere Städte und Kommunen den sogenannten "Klimanotstand" aus.

Ich habe es schließlich nicht mehr ausgehalten am Schreibtisch beim Nachdenken und Nachlesen über die besten Wege zur Klimakommunikation. Ich habe meine halbfertigen Konzepte vorerst eingemottet und mich auf den Weg gemacht: mit meiner Frau zu Demos von #FridaysForFuture, habe Vorträge gehalten, bin auf Podien gesessen und habe am Ende auch gelegentlich den Klimaschreck im Bekannten- und Freundeskreis gespielt.

Ich habe nicht nur über den Klimawandel geredet und dabei versucht, mich nicht aufzuregen; ich habe vor allem vielen Menschen zugehört: Nachbarn, Bekannten, Freunden, Politikern, Unternehmensvertretern, Besuchern am Stand von #ScientistsForFuture, #FridaysforFuture-Aktivisten, Studierenden, Ärzten, Naturschützern, Mitgliedern eines Lions-Clubs und vielen Diskutanten am Ende meiner Vorträge.

 

"In ihrer Forderung nach stärkerem Gehör haben die Sozialwissenschaftler ja durchaus recht: Bei den Lösungen für das (naturwissenschaftlich zu erklärende) Problem des Klimawandels spielen gesellschaftliche, kulturelle, soziale und ökonomische Aspekte eine entscheidende Rolle"

 

Ich wollte verstehen, warum angesichts einer der größten Bedrohungen unserer Biosphäre und der menschlichen Zivilisation meine Mitmenschen so unglaublich unterschiedlich fühlen, denken und handeln. Und ich wollte das vor Ort mit eigenen Augen und Ohren selbst erfahren.

Was ich dabei erlebt und gelernt habe, kann ich in vier Punkten zusammenfassen:

  1. Menschen aller Altersklassen, vor allem aber junge Menschen, spüren eine deutliche Bedrohung durch den Klimawandel, sie werden zunehmend unruhig und suchen nach klaren Aussagen zum Thema. Vor allem suchen sie – mitunter verzweifelt – nach Wegen und Möglichkeiten, selbst etwas dagegen zu unternehmen.
  2. Der Klimawandel überfordert fast alle Menschen, mit denen ich gesprochen habe. Das Thema ist für den Durchschnittsbürger zu komplex, zu abstrakt, zu breit, zu interdisziplinär. Es besteht trotz eines Überangebots an Informationen ein Wissensdefizit: Auch gebildete Menschen wissen oft nicht genau, was in Bezug auf die Ausgangssituation und mit Blick auf die notwendigen Maßnahmen richtig und was letztlich wichtig ist: Was bedeuten Kipppunkte im Klimasystem und CO2-Budgets? Wie sind Klimaschutz und Artenschutz miteinander verknüpft? Welche Beiträge könnten Aufforstungsprogramme oder ein Ausbau der Kernenergie tatsächlich liefern? Und ist Geoengineering eine realistische Option? Auch Führungskräfte in Politik und Wirtschaft verfügen vielfach nicht über die notwendigen Informationen, um den Ernst der Lage wirklich erkennen zu können.
  3. Zu allem Überfluss wird das Informationschaos häufig noch angeheizt durch plumpe, aber vermeintlich einleuchtende Argumente aus der Szene der Klimawandelleugner oder "Skeptiker", wie sie sich gelegentlich tarnen. Dazu kommen erfahrene Wissenschaftler und Technologen, die zum Beispiel die längst abgehakte Nukleartechnologien aus dem Umfeld der Schnellen Brüter als bisher vermeintlich unterdrückte Ideallösungen propagieren. Solche Gruppen bringen viele Klimaaktivisten regelmäßig zur Verzweiflung, weil diese oft nicht über das notwendige naturwissenschaftliche, technologische oder energiewirtschaftliche Fachwissen und die Erfahrung verfügen, um die meist entweder aggressiv oder in Opferpose ("alternative Meinungen werden ja bei den Klimawissenschaftlern nicht zugelassen") vorgebrachten Pseudoargumente widerlegen zu können.
  4. Mangelndes Verständnis, Unruhe, Angst und das Gefühl der Überforderung führen bei Diskussionen zum Klimawandel häufig zu unstrukturierten, unsachlichen, sehr emotionalen und auch persönlich verletzenden Gesprächen. Derart unversöhnliche Positionen entstehen fast immer aus regelrecht vergifteten Diskussionen über klimaschädliches oder klimaschonendes Verhalten des oder der Einzelnen (seien es Prominente wie Greta Thunberg oder die Klimaschützer von nebenan). Solche Diskussionen lassen sich dann mitunter überhaupt nicht mehr moderieren. 

Für die Klimakommunikation ergeben sich nach diesen Erfahrungen aus meiner Sicht vier Folgerungen und eine offene Frage. Vieles ist im Grunde nicht neu, meine vierte Folgerung stellt jedoch eine Mainstream-Position der Klimakommunikation in Frage.

  1. Reden und Information über den Klimawandel ist auch in der aktuellen Situation immer noch dringend notwendig. Jeder Psychotherapeut, jede erfahrene Personalmanagerin, jeder Unternehmensberater weiß, dass Reden über das Leid bzw. das Problem Voraussetzung für eine konstruktive Lösung.
  2. Es fehlt ein Kommunikationsformat, um Menschen in sehr einfacher Weise und dennoch qualitätsgesichert ansprechen und informieren zu können. Dabei wird es notwendig sein, für die Menschen wenn immer möglich einen Bezug zu ihrem jeweiligen Lebensumfeld (Elternschaft, Mobilität, Wohnen, Wirtschaft, Landwirtschaft, Medien, Medizin, Urlaub usw.) herzustellen. Die Botschaft der Klimakommunikation sollte praktisch und konkret an dieses Lebensumfeld andocken. Wahrscheinlich nur auf diese Weise hat die abstrakte und vermeintlich noch ferne Botschaft des Klimawandels eine reale Chance, in das Bewusstsein einzudringen.
  3. Die Notwendigkeit, Menschen in ihrem Lebens- und Wissensumfeld abzuholen, gilt offenbar aber auch für den Wissenschaftsbereich: Für die Kritik, die von Sozialwissenschaftlern gelegentlich an der Klimaforschung geäußert wird, habe ich bisher nur eine Erklärung gefunden: Sie fühlen sich von den Klimawissenschaftlern und deren übermächtiger naturwissenschaftlicher Deutungshoheit für den Klimawandel "überfahren". Sie sehen insbesondere bei den Lösungswegen ihre eigene wissenschaftliche und fachliche Kompetenz zu diesem zentralen Menschheitsthema nicht angemessen berücksichtigt. Und in ihrer Forderung nach stärkerem Gehör haben die Sozialwissenschaftler ja durchaus recht: Bei den Lösungen für das (naturwissenschaftlich zu erklärende) Problem des Klimawandels spielen gesellschaftliche, kulturelle, soziale und ökonomische Aspekte eine entscheidende Rolle.
  4. Die wichtigste Folgerung von allen: Die in der Klimakommunikation häufige Fokussierung auf individuelle Verhaltensänderungen in Richtung auf klimaschonenden Konsum (weniger Autofahren, kein Fliegen, kein Fleischkonsum, weniger Plastik…) hat ein hohes Potential, Gesellschaften zu spalten. Sie lenkt zudem davon ab, dass  in erster Linie die politischen Handlungsträger in der Pflicht sind. Nur sie können die notwendigen gesetzlichen und ordnungsrechtlichen Rahmenbedingungen für Klimaschutz zu etablieren – solche strukturellen Veränderungen bringen mehr als selbst eine Vielzahl individueller Verhaltungsänderungen. - Vor diesem Hintergrund sollte Klimakommunikation die politischen Rahmenbedingungen für Klimaschutz vom Verhalten der oder des Einzelnen strikt trennen. Denn das Ziel ist kollektives und kooperatives Handeln für die Klimawende und nicht die Spaltung der Gesellschaft in "Klimaretter" und "Klimasünder".

Eine offene Frage

Die konkreten apokalyptischen Perspektiven des Klimawandels (zum Beispiel das immer wahrscheinlichere Erreichen von Kipppunkten im Klimasystem) sollten aus gutem Grund nicht offensiv kommuniziert werden, zumindest nicht ohne Handlungs- und Lösungsoptionen. Die Erkenntnis, dass Ausweglosigkeit und Pessimismus keine Handlungsbereitschaft erzeugen, lässt Klimakommunikatoren mit diesen Perspektiven in der Regel auch vorsichtig umgehen.

Die jedoch insbesondere im "Klimapaket" der Bundesregierung deutlich gewordene Unkenntnis des Ernsts der Lage bei unseren führenden Politikern und den dabei vermutlich beteiligten Wirtschaftsvertretern macht mich ratlos. Es stellt sich die vielleicht naive Frage, ob Führungskräften in Politik und Wirtschaft nicht ganz gezielt diese apokalyptischen Perspektiven und die zeitliche Dringlichkeit in qualitätsgesicherten exklusiven Formaten ungeschminkt und vor allem in konkreten wirtschaftlichen, sozialen und politischen Folgen dargestellt werden müssen - auch wenn dies einer bewährten Regel der Klimakommunikation zuwiderzulaufen scheint, wonach Negativszenarien die Kommunikation nicht dominieren sollten.