In einem Aufruf unter dem Motto #Scientists4Future, der am Dienstag veröffentlicht wurde, stellen sich mehr als 19.000 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus dem gesamten deutschsprachigen Raum hinter die Forderungen der #FridaysForFuture-Bewegung. Gregor Hagedorn ist am Berliner Museum für Naturkunde tätig, ein Museum, das sich ausdrücklich als Forschungsmuseum versteht. In seiner Freizeit hat er den Forscher-Appell initiiert und koordiniert. 

Herr Hagedorn, was gab den Anstoß für den Aufruf von #Scientists4Future?

Als ich von der Aktion der belgischen Kollegen hörte – 3800 Wissenschaftler, die gesagt haben: "Die jungen Leute haben Recht!" –, da dachte ich: Das müssen wir hier in Deutschland auch machen. Denn wir haben hier genau dieselben Probleme, dass die Politik sich zwar für Klimaschutz ausspricht, aber es letztlich nicht den Druck innerhalb der Politik und aus der Gesellschaft gibt, dies auch in Handlung umzusetzen.

Vor allem: Niemand übernimmt Verantwortung, nicht einmal für gröbstes Versagen. Deutschland hat sich im Dezember 2007, also lange vor dem Pariser Abkommen, bestimmte Klimaschutzziele gesetzt und seinerzeit gesagt: Bis zum Jahr 2020 wollen wir den Ausstoß von Treibhausgasen um 40 Prozent relativ zu 1990 reduzieren. Dies entspricht circa 220 Millionen Tonnen CO2-Äquivalenten. Und wenn wir jetzt feststellen, dass wir die Emissionen voraussichtlich nur um 66 Millionen Tonnen senken werden, wenn wir das Ziel also um 70 Prozent verfehlen werden, dann geht kein Aufschrei durch die politische Landschaft. Wir akzeptieren dieses unglaubliche Versagen einfach. Dabei geht es hier um eine entscheidende Frage für die Sicherung der natürlichen Lebensgrundlagen unserer eigenen Kinder. Müsste dafür nicht mindestens eine Ministerin, ein Minister gefeuert werden?

 

"Wir sind übrigens gefragt worden, ob wir Wissenschaftler auch streiken. Und nein, wir tun das nicht – wir haben nicht den Mut. Ich bin total beeindruckt von den jungen Menschen und wünsche mir, dass sie Kraft haben, das weiterzumachen"

 

Wenn Schüler ihrer Lehrkraft sagen: "Ich plane folgende Arbeit abzuliefern", und die erwidert: "Ja, mit diesem Umfang bin ich einverstanden", und dann kommt die Schülerin oder der Schüler und sagt, "Ich habe nur ein knappes Drittel geschafft" – was gibt denn das für eine Note? Aber in unserem politischen Klima findet das derzeit nicht statt. Wir leben in weiten Teilen unserer Gesellschaft in einem Gefühl der Selbstzufriedenheit und Selbstgefälligkeit und sagen: "Naja gut, dann haben wir halt die essenziellen Zukunftsvoraussetzungen für unsere Kinder nicht geschafft, was soll’s"?

Hinter Ihrem Aufruf kann man das Modell des Austauschs von Wissenschaft und Politik vermuten, das mit der Metapher "Truth speaks to power" zusammengefasst wird, also "die Wahrheit spricht zur Macht". Sind wir dann jetzt bei "Truth speaks to students speak to power?"

Nein, das finde ich überhaupt nicht. Die jungen Menschen sprechen und agieren völlig eigenständig. Sie kämpfen um ihre eigene Zukunft. Wir sind ihnen dankbar, dass sie diese Konsequenz haben. Gerade sind wir Wissenschaftlerinnen von Scientists4Future übrigens gefragt worden, ob wir auch streiken. Und nein, wir tun das nicht – wir haben nicht den Mut. Wir würden unser Einkommen, unsere Jobs verlieren, unsere Familien nicht ernähren können. Ich bin total beeindruckt von den jungen Menschen und wünsche mir, dass sie Kraft haben, das weiterzumachen.

Wir sprechen als Wissenschaftler immer schon zu power, zur politischen Macht. Es gibt viele Elemente der Interaktion zwischen Wissenschaft und Politik, und von der Wissenschaft in die Gesellschaft hinein. Aber diese Kommunikationsmechanismen funktionieren eben nicht ausreichend.

Aber brauchen wir dann noch einen weiteren Appell? Appelle der Wissenschaft an die Politik zum Klimawandel gibt es seit vielen Jahrzehnten. Und Sie haben gerade konstatiert, dass die Politik trotzdem nicht genügend handelt. Muss man da nicht neue Formen der Wissenschaftskommunikation finden?

Was wir hier machen, ist durchaus eine neue Form der Wissenschaftskommunikation. Denn wir sagen nicht nur, "die Fakten liegen auf dem Tisch, und jetzt, Politiker, macht daraus was ihr wollt!" Sondern wir gehen jetzt auch in diese politische Grauzone hinein, zu benennen, wo konkret Handlungsbedarf besteht. Wir weiten hier Grenzen aus, und ich finde es begeisternd, wie viele Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler mitmachen.

 

"Wir sind nicht die Revolution, dies ist nicht die geniale Idee, die alles ändert. Aber wenn den jungen Leuten vorgeworfen wird, dass sie noch nicht genügend wüssten, können wir Ihnen fachlich den Rücken stärken"

 

Natürlich ist uns bewusst: Wir sind nicht die Revolution, dies ist nicht die geniale Idee, die alles ändert. Wenn den jungen Leuten vorgeworfen wird, dass sie noch nicht ausgebildet seien, dass sie noch nicht genügend wüssten, können wir Ihnen fachlich den Rücken stärken. Greta Thunberg selbst sagt: Die Politiker brauchen nicht auf die jungen Menschen zu hören, sie müssten eigentlich nur auf die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler hören.

Wie könnte man sich den Austausch zwischen der #FridaysForFuture-Bewegung und der Wissenschaft künftig vorstellen? Gibt es Pläne, Überlegungen, dass man zusammenarbeitet, dass sie als Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler in konkreten Punkten beraten?

Ich glaube, die jungen Menschen von #FridaysForFuture haben genauso einen Anspruch auf Beratung wie andere politische Bewegungen auch. Für uns ist es ein Privileg, gefragt zu werden: "Ist das, was wir hier sagen, richtig?" Wir haben als Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler ein gutes Verständnis dafür, was gesicherte Erkenntnis ist, wo wirklich Konsens besteht – und es besteht ja nicht überall in der Wissenschaft Konsens.

Aber die Kluft zwischen dem, wo Konsens besteht und wo gehandelt wird, die ist in den vergangenen Jahrzehnten immer größer geworden. Wir schließen ein internationales Abkommen nach dem anderen und zucken dann mit den Schultern, wenn halt fast nichts geschehen ist. Das gilt für das Klima wie zum Beispiel auch für die Artenvielfalt absolut identisch.

Was machen wir mit #Scientists4Future? Wir sind keine politische Bewegung wie #FridaysForFuture. Wir werden keine Forderungen für #FridaysForFuture formulieren. Aber wenn sie uns fragen, können wir sie bei ihren Forderungen sicherlich vorab wissenschaftlich über die Korrektheit von Fakten und Annahmen beraten. Ich denke, dies ist eine der Sachen, die Bestand haben wird nach der Unterschriftensammlung: Wir haben innerhalb von vier Wochen ein großes Netzwerk gebildet von Menschen, die aus verschiedensten Perspektiven zu einem gemeinsamen Statement gekommen sind, die also zur Klärung von Fakten in der Lage und dadurch beratungsfähig sind.

Das Interview führte Carel Carlowitz Mohn
Foto: Janine Escher
Transparenzhinweis: Den Aufruf haben auch einige Mitglieder unseres Wissenschaftlichen Beirats unterzeichnet.