Der Umgang mit wissenschaftlicher Unsicherheit ist eine der wohl größten Quellen von Missverständnissen zwischen Experten und Laien: Für einen Wissenschaftler ist das Sprechen darüber völlig normal. Hört er beispielsweise einem Kollegen zu, der Forschungsergebnisse vorstellt und dabei über Unsicherheitsmargen und Eintrittswahrscheinlichkeiten redet, dann ist das in seinen Ohren ein Beleg für seriöses Arbeiten. Hören hingegen Laien einen Wissenschaftler über Unsicherheiten reden, dann denken sie eher: Oh, das sind aber wacklige Ergebnisse! Weiß man denn überhaupt irgendwas? Und dem soll ich glauben?

Auch viele Ergebnisse der Klimaforschung sind mit Unsicherheiten behaftet, Aussagen zur künftigen Entwicklung der Erderwärmung sogar in vielerlei Hinsicht: Das beginnt bei der puren Physik (Welche Menge Kohlendioxid hat in der Atmosphäre exakt welchen Temperaturanstieg zur Folge?), geht über die Ökonomie (Wie teuer wird es in 20 Jahren sein, ein Windrad zu bauen?) bis hin zu Politologie und Verhaltensforschung (Unter welchen Bedingungen entschließen sich Gesellschaften zu welchen Emissionsminderungen?).

Es mag paradox klingen: Aber je unsicherer das Wissen über die Zukunft, desto wahrscheinlicher ist, dass es zu einer Katastrophe kommen könnte

Doch bereits kleine Veränderungen bei der Kommunikation wissenschaftlicher Ungewissheit können deren Wahrnehmung offenbar deutlich verändern. Dies ist das Ergebnis eines Experiments der beiden Psychologen Timothy Ballard von der australischen University of Queensland und Stephan Lewandowsky von der britischen University of Bristol. Ihr Fazit: "Menschen empfinden eine Bedrohung als ernster und unterstützen Gegenmaßnahmen eher, wenn sich die Unsicherheit auf den Zeitpunkt des Eintritts bezieht statt auf das Ausmaß der Bedrohung."

Der Aufsatz ist Teil eines Schwerpunktheftes der Philosophical Transactions of the Royal Society A (RSTA) mit dem Titel "Unsicherheit als Wissen", das im November 2015 erschien. Lewandowsky (der auch Mitglied des Wissenschaftlichen Beirates von klimafakten.de ist) war einer der drei Herausgeber. In Sachen Klimawandel sei es besonders wichtig, dass die Öffentlichkeit die Implikationen wissenschaftlicher Unsicherheiten versteht, heißt es in der Einführung des Schwerpunktheftes. Denn paradoxerweise bedeuten größere Unsicherheiten von Klimaprognosen auch, dass das Eintreten katastrophaler Klimaveränderungen weniger sicher ausgeschlossen werden kann. Rational betrachtet wäre es also umso dringender zu handeln, wenn die Unsicherheit bei Klimamodellen höher ist. Viele Laien aber leiten aus der Unsicherheit von Klimaprojektionen das Gegenteil ab: Dass man noch nicht genug wisse, um überhaupt irgendetwas zu tun.

Menschen haben offenbar einen Hang zum "wishful thinking": Bei unklaren Aussagen schauen sie am liebsten auf den angenehmsten Teil

Für Ballard und Lewandowsky sind solche Reaktionen wenig überraschend. In ihrem Aufsatz fassen sie als erstes wichtige psychologische Erkenntnisse zum Umgang mit Ungewissheiten zum Klimawandel zusammen. "Unsicherheit fördert 'wishful thinking'", lautete schon vor Jahren ein Kernergebnis einer Überblicksstudie zum Thema (Markowitz/Shariff 2012): Sind für die Zukunft mehrere Entwickungen möglich, betrachten Menschen vor allem die positiveren. Dass Ungewissheiten eher vom Handeln abhalten als dazu zu motivieren, ist ebenfalls lange bekannt (Lorenzoni et al. 2007). Auch hat es einen Einfluss auf die Wahrnehmung von Risiken und Wahrscheinlichkeiten, ob dabei mögliche Verluste oder Gewinne im Vordergrund stehen (Spence/Pidgeon 2010, Morton et al. 2011).

Ballard und Lewandowsky haben nun eine eigentlich kleine Veränderung der Perspektive getestet. Ihnen ging es um die Reaktion auf typische Aussagen der Klimaforschung, etwa zum Anstieg der Erdmitteltemperatur oder der Meeresspiegel. Bekanntlich ist das Ergebnis solcher Zukunftsprojektionen stets mit Unsicherheiten behaftet. In Wissenschaftsreports (etwa dem regelmäßig veröffentlichten Weltklimabericht des IPCC) sind deshalb in Diagrammen neben der wahrscheinlichsten Entwicklung (in den untenstehenden Diagrammen die rote Kurve) auch Schwankungsbreiten oder Unsicherheitsbereiche markiert (in den untenstehenden Grafiken die grauen Flächen). Verbal formuliert werden solche Projektionen in der Regel in Sätzen wie: "Bis Ende des Jahrhunderts wird sich die Erde wahrscheinlich um 2,1 bis 3,4 Grad Celsius erwärmen."

In ihrem Experiment legten Ballard und Lewandowsky knapp 200 Probanden (US-Bürgern im Alter von 21 bis 86 Jahren) verschiedene Variante solcher Grafiken und der begleitenden Aussagen vor. In der einen Variante wurde die Unsicherheit als Spannbreite der wahrscheinlichen Erwärmung wiedergegeben ("outcome uncertainty", siehe die obere der beiden folgenden Grafiken), in der anderen Variante als Spannbreite des Eintrittszeitpunktes ("time uncertain", siehe untere Grafik).

Die Kurven sind identisch, nur die Perspektive der Betrachtung ändert sich: Oben wird am Diagramm abgelesen, in welcher Spannbreite sich die Erwärmung in einem fixen Jahr in der Zukunft (vertikale blaue Linie) höchstwahrscheinlich bewegen wird. Unten hingegen wird abgelesen, in welchem Zeitraum mit dem Eintritt einer fixen Erwärmung gerechnet werden muss. Beide Betrachtungsweisen sind wissenschaftlich korrekt, aber die Reaktion von Laien darauf zeigt überraschende Unterschiede; Abbildung: Ballard/Lewandowsky 2015

Zur oberen Grafik lautete der begleitende Satz: "Es ist extrem wahrscheinlich, dass bis zum Jahr 2065 die Erdmitteltemperatur zwischen 1,6 und 2,4 °C steigen wird, mit 2°C als Durchschnitts-Projektion." Die Erläuterung zur unteren Grafik lautete: "Es ist extrem wahrscheinlich, dass die Erdmitteltemperatur um mindestens 2°C steigen wird, und dies wird zwischen 2054 und 2083 eintreten." Wie gesagt, dies sind verschiedene Perspektiven auf ein- und dieselbe Modellberechnung mit derselben Unsicherheitsspanne. Im Anschluss daran wurden die Probanden gefragt, für wie ernst sie das Problem halten und was dagegen unternommen werden sollte. 

Projektionen zum Klimawandel werden offenbar ernster genommen, wenn sich die Unsicherheit auf den Eintrittszeitpunkt bezieht, nicht das Ausmaß

Das Ergebnis war verblüffend, je nach Variante der Darstellung unterschieden sich die Reaktionen deutlich: Wurde Personen das künftige Ereignis als fix präsentiert (mit lediglich unsicherem Eintrittszeitpunkt), wurde es als ernsteres Problem betrachtet. Auch waren mehr Personen der Ansicht, dass zum Beispiel Regierung oder Unternehmen etwas dagegen unternehmen sollten. Wurde hingegen ein fixes Jahr genannt (mit einer Spanne des zu erwartenden Temperaturanstiegs, Ozeananstiegs etc.), dann waren Besorgnis und Unterstützung von Gegenmaßnahmen durchweg geringer.

Diese Resultate passten zum Wissensstand der Psychologie rund ums "wishful thinking", schreiben Ballard und Lewandowsky als Fazit. Hören Laien Unsicherheit über den Umfang des künftigen Klimawandels, erhalten sie mehr Raum, sich auf die weniger ernsten Folgen zu konzentrieren. "Das Ergebnis als sicher zu präsentieren (lediglich mit unsicherem Eintrittszeitpunkt) kann diesem Hang zu Optimismus vorbeugen, indem es Menschen zwingt, einem bestimmten Ergebnis ins Auge zu blicken." Die Studie habe, schreiben die Forscher mit feinem Understatement, "Implikationen für das effektive Kommunizieren der Klimawandel-Risiken an Politiker und die breite Öffentlichkeit."

Toralf Staud