Soll ich wirklich umziehen in eine neue Stadt? Soll ich einen neuen Job suchen? Soll ich ein Kind bekommen? Dies sind ganz alltägliche Fragen. Jeder Mensch ist es gewohnt, solche und ähnliche Fragen zu beantworten und Entscheidungen zu treffen – auch wenn er oder sie nicht weiß, was genau einen in der neuen Stadt erwartet, wie die neue Arbeitsstelle wirklich sein wird, welche Veränderung ein Leben mit Kind bringt. Entscheidungen im Angesicht von Unsicherheit sind also ziemlich normal. Eigentlich.

Diese Feststellung steht am Anfang des Uncertainty Handbook (zu deutsch  „Ungewissheits-Handbuch“), einer im Juli 2015 erschienenen Handreichung für Menschen, die in der Klima-Kommunikation arbeiten. Denn sobald es um Klimawandel und Klimaschutz geht, erscheinen Unsicherheiten oder unvollständiges Wissen plötzlich als Problem. Man wisse noch nicht genug, um zu handeln, ist ein oft gehörtes Argument. Die Wissenschaft solle doch bitte erst einmal weiter forschen. Man gebe doch kein Geld aus für Klimaschutz, wenn  nicht sicher sei, wie schlimm er wirklich werde (oder ob es ihn womöglich gar nicht gebe). Und so weiter.

Das Handbuch ist eine Kooperation der Universität Bristol und von COIN, dem Climate Outreach and Information Network, einem kleinen britischen Think Tank, der sich seit 2004 mit Fragen der Klimakommunikation beschäftigt. Einer der Autoren, der Umweltpsychologe Stephan Lewandowsky, forscht und publiziert seit vielen Jahren zum Thema. Die Broschüre konzentriert sich weniger darauf, einen Überblick über den Stand der Wissenschaft zu vermitteln (wobei die zahlreichen Fußnoten dies quasi nebenbei erledigen) – vielmehr gibt sie auf konzisen 20 Seiten praktische, gut lesbare und leicht umsetzbare Tipps für die Praxis. (Seit Februar 2016 liegt das Handbuch auch in deutscher Übersetzung vor; weitere Übersetzungen finden Sie hier.)

„Beginne mit dem, was Du weißt, und nicht mit dem, was Du nicht weißt“

Ungewissheit sei jedenfalls, wird da klargemacht, etwas völlig Normales: Politiker fassen tagtäglich Entschlüsse auf der Basis unvollständiger Informationen, dasselbe gilt für Investitionsentscheidungen von Unternehmen. Und jedem, der bei einem Arztbesuch eine Diagnose gestellt bekommt, ist klar, dass sie ein gewisses Maß an Vermutung enthält. Aber ist das ein Grund, seinem Arzt nicht zu trauen? Oder mit der Einnahme des empfohlenen Medikaments zu warten, bis wirklich hundertprozentig feststeht, woran man leidet?

Mit solchen lebensnahen Analogien – das ist dann schon eine von insgesamt zwölf Empfehlungen – solle man Laienpublikum die Scheu vor der begrenzten Sicherheit klimawissenschaftlicher Aussagen nehmen. Verschweigen indes dürfe man die Wissenslücken der Klimaforschung keinesfalls, so die klare Ansage im Handbuch. Jedoch sollte mit der breiten Öffentlichkeit anders über Ungewissheiten gesprochen werden als in Fachzirkeln. Damit ist nicht nur gemeint, Vokabeln wie „Konfidenzintervall“ oder „statistische Signifikanz“ zu meiden. Auch viele bei Forschern übliche Formulierungen („Man darf als ziemlich gesichert annehmen, dass …“ oder „Es gibt zahlreiche Belege für …“) führen bei den meisten Zuhörern, Journalisten oder Politikern zu Missverständnissen: Während solche Worte in der übervorsichtigen Forschersprache bereits ein relativ hohes Maß an Verlässlichkeit anzeigen, erwecken sie bei Laien das Gefühl, das Wissen sei noch ziemlich wacklig. Es wäre daher falsch und würde zu Fehlurteilen führen, die Wissenschaftssprache Eins-zu-Eins wiederzugeben.

Und während es für Forscher schlicht als redlich gilt, vor einer Aussage erst einmal Relativierungen und Wissensgrenzen aufzuzählen, sei bei einem Laienpublikum das Gegenteil sinnvoll: „Beginne mit dem, was Du weißt, und nicht mit dem, was Du nicht weißt“, lautet der zweite Ratschlag des Handbuchs. Man sollte, drittens, sehr klar herausstellen, dass der Konsens der Forschung über die dominierenden Ursachen des Klimawandels, überwältigend groß ist. Und, viertens, deutlich machen, genau welche Aspekte und Detailfragen im Gegensatz dazu noch umstritten sind. Unsicherheiten und Wissenslücken sollten jedenfalls aktiv thematisiert und verständlich eingeordnet werden.

Statt von „Unsicherheiten“ sollte besser von „Risiken“ gesprochen werden

Eine Kernempfehlung des Handbuchs lautet: Statt von „Unsicherheiten“ sollte in Sachen Klimawandel besser von „Risiken“ gesprochen werden. Den Umgang mit Risiken nämlich seien die meisten Menschen gewohnt. Beim Abschluss von Versicherungen beispielsweise sei jedem klar, dass es weise ist, sich mit einer regelmäßigen Prämienzahlung gegen ein Risiko abzusichern, was womöglich (und hoffentlich) niemals eintritt.

Immer wieder illustrieren die Autoren ihre Ratschläge mit konkreten Beispielen. Man solle nicht sagen: „Obwohl es noch eine Menge gibt, was wir nicht wissen darüber, wie lokale Infrastrukturen beeinträchtigt werden, wird der Klimawandel wahrscheinlich die Häufigkeit von Überschwemmungen erhöhen.“ Viel besser sei: „Das Risiko einer Überschwemmung für unsere Stadt, von Schäden für unsere Wirtschaft und unsere Schulen ist wegen des Klimawandels heute größer als je zuvor.“

Eine weitere, grundsätzliche Empfehlung: „Der wichtigste Punkt bei den Folgen des Klimawandels ist nicht das ‚Ob‘, sondern das ‚‘Wann‘“. Die üblichen Formulierungen zu Auswirkungen der Erderwärmung, so die Autoren, würden beim Publikum das Gefühl von Unsicherheit verstärken. Als Beispiel nennen sie einen Satz, wie er auch im Fünften Sachstandsbericht des IPCC stehen könnte: „Bis 2072 wird der Anstieg der Meeresspiegel zwischen 25 und 68 Zentimeter betragen, der Mittelwert der Projektionen liegt bei 50 Zentimetern.“ Doch mit einer Jahreszahl in der Zukunft, erst recht, wenn sie noch viele Jahrzehnte entfernt ist, könne das Publikum wenig anfangen; auch die Angabe von Ergebnisspannen erwecke den Eindruck, man wisse ja nichts Genaues. Umgekehrt sei es besser, lieber konkrete Ergebnisse zu nennen und beim Eintrittszeitpunkt vage zu bleiben.

Wie könnte, diesem Rat folgend, eine bessere Formulierung lauten? Zum Beispiel so: „Die Meeresspiegel werden um mindestens 25 Zentimeter steigen, dies wird irgendwann zwischen 2060 und 2093 eintreten, und es besteht das Risiko, dass es sogar 68 Zentimeter werden können.“

 

Corner, Adam/Lewandowsky, Stephan/Phillips, Mary/Roberts, Olga: The Uncertainty Handbook. A Practical Guide for Climate Change Communicators. Bristol/Oxford 2015

Als pdf-Datei zum Herunterladen:
http://climateoutreach.org/resources/uncertainty-handbook/
Eine Kurzfassung: http://www.theguardian.com/sustainable-business/2015/jul/06/12-tools-for-communicating-climate-change-more-effectively
Die deutsche Version "Ungewissheit gekonnt vermitteln":
http://climateoutreach.org/download/7029/

tst