"Thema ist, was die Menschen bewegt und aufregt" – mit diesem Anspruch geht die Talksendung "Hart aber fair" im ARD-Fernsehen auf Sendung, und auf diesen groben Nenner lässt sich auch insgesamt das Konzept der Fernseh-Talkshow bringen. Unter TV-Verantwortlichen gelten die wöchentlichen Diskussionsrunden als Flaggschiffe ihrer Sendeanstalten. Journalisten werten sie als eine Art Barometer politischer Stimmungen. Kurzum: Sie sind "die Plattform der öffentlichen Auseinandersetzung zu relevanten gesellschaftlichen Themen" (ORF).

Folgt man dieser Deutung, so zeigt ein Blick auf die Themenwahl der wichtigsten Polit-Talkshows im vergangenen Jahr: Erderhitzung und Klimapolitik sind 2019 weiter ins Zentrum der politischen und gesellschaftlichen Aufmerksamkeit gerückt, zumindest in Deutschland. Denn deutlich häufiger als 2017 und 2018 waren Umwelt- und Klimathemen im zurückliegenden Jahr Gegenstand von Talkshow-Debatten. Immerhin in etwa jeder sechsten Ausgabe von "Anne Will", "Maybrit llner" oder von "Hart aber fair" standen 2019 der Klimawandel, der Artenschutz oder die Umweltfolgen des Autoverkehrs auf dem Programm. Der Anteil der Sendungen mit Umwelt- und Klimabezug kletterte damit auf knapp 16 Prozent – gegenüber lediglich 8,5 Prozent 2018 und nur 3,5 Prozent aller Sendungen 2017.

Fast jede sechste Ausgabe der großen TV-Talkshows in ARD und ZDF befasste sich 2019 mit einem Thema aus dem Feld Umwelt oder Klima, hier am 19. September die Sendung "Maybrit Illner"; Foto: Screenshot ZDF

Nimmt man die Häufigkeit, mit der ein Thema in TV-Talks diskutiert wird, als Indikator für dessen Wichtigkeit, dann rückte 2019 also die Klimakrise an die klassischen "großen" Themenfelder der Politik-Berichterstattung heran – außen- und europapolitische Themen etwa standen 2019 an 20 Abenden auf den Spickzetteln der Moderatorinnen und Moderatoren, Fragen der Wirtschafts-, Sozial- und Gesundheitspolitik 21 mal. Hingegen ist das vor zwei Jahren noch dominante Themenfeld Flucht, Migration und Integration (2017: zwölf Sendeplätze) fast ganz aus den Talkshow-Studios verschwunden: Lediglich eine einzige Ausgabe der drei Polit-Talkshows in Deutschland war noch dem einstigen Aufreger-Thema gewidmet.

Bereits zum dritten Mal hat klimafakten.de die Themen der wichtigsten Talkshows ausgewertet - in diesem Jahr wurden jedoch erstmals nicht nur ARD und ZDF einbezogen, sondern auch das öffentlich-rechtliche Fernsehen der Schweiz und Österreichs. Sehr ähnlich war in den drei Ländern die politische und gesellschaftliche Ausgangssituation: Hitzerekorde gab es nicht nur in Deutschland, sondern auch in Österreich und der Schweiz, #FridaysForFuture ist überall stark, und in allen drei Ländern prägte die Klimadebatte die politische Agenda und brachte grünen Parteien deutliche Gewinne bei den Wahlen.

SRF im Klima-Jahr: "100 Jahre Zirkus Knie" und die Hardrock-Band "Krokus"

Hingegen präsentierten das Fernsehen in Österreich und der Schweiz eine deutlich andere Debattenlage als in Deutschland: So gab es im "SRF Club", der wichtigsten Talkrunde des Schweizer Fernsehens, gleich fünf Diskussionsrunden aus dem Themenfeld Kriminalität, Sicherheit und Justiz - aber nur einmal (am 12. März) eine ausschließlich dem Klimawandel gewidmete Sendung. Unter dem Titel "Panik! Das Klima bewegt die Jugend" griff die Redaktion einen Ausspruch von Greta Thunberg auf ("Ich will, dass Ihr in Panik geratet") – um sich an den 37 übrigen Sendeterminen Themen wie dem Abschiedskonzert der Hardrockband Krokus, der "Volkskrankheit Depression" oder dem 100-jährigen Jubiläum des Zirkus Knie zu widmen. Das ergibt eine Klimaquote von bloßen 2,6 Prozent.

Ähnlich in Österreich: Brachte das Jahr 2019 auch den wärmsten Juni seit Beginn der Aufzeichnungen (4,7 Grad wärmer als das langjährige Mittel) und voraussichtlich die erste Regierungsbeteiligung der Grünen auf Bundesebene – Klimathemen standen im österreichischen Fernsehen nicht im Zentrum. Zumindest nicht in der gleichnamigen Fernseh-Talkshow des ORF: Lediglich zwei von 32 "Im Zentrum"-Ausgaben rückten das Klima ins Blickfeld, das waren bescheidene 6,3 Prozent aller Sendetermine.

Interessant ist nicht nur das Ob, sondern auch das Wie

"Das Klima zum Thema machen" – so lautet das Motto von klimafakten.de. Zumindest in den TV-Diskussionsrunden im deutschen Fernsehen hat dies seit 2017 zunehmend stattgefunden. Und folgt man der Einschätzung von Sozialwissenschaftlern, so ist dies ist ein wichtiger, weil allgemein sichtbarer Beitrag dazu, den Klimawandel aus der ihn umgebenden sozialen Stille herauszulösen. Bemerkenswert ist hierbei indes nicht nur, dass über die Erdüberhitzung gesprochen wird - sondern auch wie es geschieht. Folgt man den Titeln ihrer Sendungen, denkt beispielsweise die Redaktion des ZDF-Talks "Maybrit Illner" beim Klima offenbar zuerst ans Geld: "Rettet das Klima! Wer zahlt den Preis?" (2. Mai), "Zahltag für den Klimaschutz – viel Geld, wenig Wirkung?" (19. September) oder "Riskieren wir Wohlstand durch Klimaschutz?" (26. September) lauteten einige Sendungsthemen.

Schon mit wenigen Worten ließe sich übrigens ein deutlich anderes Framing der Klima-Debatte setzen. So hätte man die letzte der eben erwähnten Beispielsendungen auch so betiteln können: "Riskieren wir unseren Wohlstand durch zu wenig Klimaschutz?" Und das klänge schon sehr anders ...

Carel Mohn