"Serious Games", zu deutsch "ernste Spiele" - das klingt erstmal wie ein Widerspruch. Doch unter dem Begriff versteht man Spiele, die nicht nur unterhalten sollen - sondern bei denen man auch etwas lernt. Ein aufwändig produziertes, deutschsprachiges "Serious Game" zum Thema Klimawandel ging vergangene Woche neu an den Start: Keep Cool Mobil. Per Smartphone kann man sich dabei in einen Großstadtbürgermeister verwandeln - und ganz konkret die Herausforderungen und Zwänge von Klimawandel und Klimapolitik erfahren. "Spaß am Spiel motiviert Jugendliche, sich für den Klimaschutz einzusetzen", formuliert Projektleiter Klaus Eisenack, Professor für Umweltökonomie an der Berliner Humboldt-Universität, die Idee.

Zielgruppe von "Keep Cool Mobil" sind Jugendliche und junge Erwachsene im Alter von 14 bis 20 Jahren. Vernetzt durch einen zentralen Server können sie sich von Smartphones, Tablets oder auch gewöhnlichen Desktop-Computern ins Spiel einloggen. Jede oder jeder schlüpft in die Rolle eines Bürgermeisters oder einer Bürgermeisterin einer Großstadt irgendwo auf der Welt, bis zu 50 Leute können bei einer Runde mitspielen. Man übernimmt "seine" Stadt mit einigen Fabriken (die meisten schwarz und mit hohem Ausstoß an Treibhausgasen), einem entsprechenden Niveau an CO2-Emissionen und einem jährlichen Budget für Investitionen. Das Spiel beginnt im Jahr 2000 und läuft über hundert Jahre (in der Spiele-Realität sind es aber eher 45 bis 90 Minuten...).

So sieht ein Spielbildschirm von Keep Cool Mobil aus - hier ist jemand die Bürgermeisterin von New York. Am oberen Bildschirmrand wird laufend angezeigt, wie stark sich die Erde bereits erwärmt hat. Am unteren Rand laufen, wie beim Nachrichten-TV, gute oder schlechte Nachrichten durchs Bild; Quelle: Screenshot/Keep Cool Mobil

Die Spielerinnen und Spieler können dann neue Fabriken bauen (was Investitionen kostet, aber langfristig die städtischen Steuereinnahmen erhöht). Diese Fabriken können sauber oder dreckig sein - saubere sind teurer, aber je mehr davon man baut, desto billiger werden sie. Man kann außerdem Geld in Forschung stecken, in Maßnahmen zur Anpassung an Extremwetterereignisse und so weiter. All dies steigert den eigenen Punktestand. Doch je nachdem, was man selbst tut, und was die Mitspieler tun, entwickelt sich der CO2-Ausstoß der ganzen Welt - und damit auch die Erderwärmung. Erreicht sie zwei Grad Celsius, ist das Spiel aus. Alle Mitspielenden müssen daher, neben dem Prosperieren der eigenen Stadt (und des eigenen Punktekontos) auch den weltweiten Temperaturanstieg im Auge zu behalten.

Bei zwei Grad Temperaturanstieg ist das Spiel automatisch beendet - für alle

Unkompliziert ist das Setting des Spiels also nicht. Als Keep Cool Mobil vergangene Woche mit einem prominent besetzten Workshop an der Berliner Humboldt-Universität vorgestellt wurde, bekannte denn auch die Moderatorin Shary Reeves offenherzig, sie habe bei der ersten Spielrunde bei weitem nicht alles verstanden.

Doch viele der üblichen Computerspiele sind ebenfalls nicht gerade simpel (von der Realität ganz zu schweigen). Und die Spielemacher haben sich große Mühe gegeben, dass sich während des Spiels ein Sog entwickelt: Am unteren Bildschirmrand läuft ununterbrochen ein Band mit "Breaking News", wie man es vom Nachrichtenfernsehen kennt: "Überschwemmungen in Casablanca +++ Kalter Winter in Rom". Außerdem melden sich beim Bürgermeister Lobbyisten mit unmoralischen Angeboten. Extremwetter verwüsten auch die eigene Stadt. Unter Zeitdruck soll man entscheiden, wie man über Anträge auf Klimakonferenzen abstimmt.

Ziel des Spiels ist kurzgesagt, eigene politische und wirtschaftliche Ziele zu erreichen - und dabei gemeinsam den weltweiten Klimawandel zu bremsen. Genau dies ist das Spannungsfeld, in dem sich auch in der Realität politische Entscheidungsträger bewegen. "Keep Cool Mobil" macht daher die üblichen Interessenkonflikte und Dilemmata beim Klimaschutz ganz konkret erfahrbar.

Rund 80 Prozent der 14- bis 29-Jährigen nutzen Computerspiele

Seit vielen Jahren schon werden (Computer-)Spiele als Lernmittel genutzt. Dass ihr Einsatz zum Beispiel in Schulen sinnvoll ist, sei durch etliche Studien belegt, resümierte das Fachmagazin Nature in einem Überblicksbeitrag im Jahr 2010. Beispielsweise interessierten sich Schüler stärker für den Lehrstoff und verstünden Zusammenhänge besser, wenn der Unterricht interaktive Spiele beinhalte.

Gerade bei einem so komplexen Thema wie dem Klimawandel könne durch Computerspiele mehr Wissen und mehr Engagement erreicht werden, argumentierten die Erziehungswissenschaftler Jason S. Wu und Joey J. Lee von der New Yorker Columbia University 2015 in einem Aufsatz in Nature Climate Change. "Im Spiel lernt man durch Tun und Sein statt durch Lesen und Zuhören." Erfahrungen aus erster Hand, das sei wissenschaftlich belegt, hätten eine starke Lernwirkung, weil sie Gefühle hervorrufen - und die werden im menschlichen Gehirn anders verarbeitet als schlichte Informationen aus Büchern oder Vorlesungen.

Zudem können mit (guten) Computerspielen große Zielgruppen angesprochen werden - darunter auch bildungsferne, die sonst für Informationen zum Klimawandel schwer erreichbar sind. In Deutschland zum Beispiel nutzen aktuellen Umfragen zufolge inzwischen mehr als 40 Prozent der Bürger Computer- und Videospiele, unter den 14- bis 29-Jährigen sind es sogar rund 80 Prozent.

Mischung aus Tamagotchi und Pokemon Go - bei der  Spiele-App "Habitat"adoptiert man einen Eisbären, kann  diesen durch das Erfüllen verschiedener Aufgaben am Leben erhalten und sogenannte "Pins" sammeln; Quelle: Screenshot/habitatthegame.com

Spiele zum Thema Klimawandel gibt es seit mehr als 20 Jahren. Seit dem Jahr 2000 ist ihre Zahl deutlich gestiegen, eine Überblicksstudie aus dem Jahr 2009 zählte bereits mehr als 50 verschiedene Spiele. Es gibt einfache Quiz-Spiele oder ironische Retro-Shooter, ebenso Fachangebote für Spezial-Zielgruppen, etwa Landwirtschaftslehrlinge. Bei der Spiele-App "Habitat" muss man sich um einen 3-D-Eisbären kümmern. Unter dem Titel "Climate Kids" hält die US-Weltraumbehörde Nasa eine ganze Palette von Spielen für Kinder bereit. Das wohl bekannteste Klima-Computerspiel ist "Fate of the World", veröffentlicht 2011 vom kommerziellen Anbieter Red Redemption. Inzwischen gibt es eigens für dieses Genre sogar Preise für Spieleentwickler.

Auch "Keep Cool" kann bereits auf eine lange Geschichte zurückblicken. Die Idee sei während einer Tagung 2003 in Paris geboren, erzählte Professor Klaus Eisenack auf dem Berliner Workshop. "Uns war schlicht langweilig." Eisenack ist seit seiner Kindheit passionierter Spieler, gemeinsam mit seinem damaligen Kollegen Gerhard Petschel-Held vom Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (PIK) entwickelte er dann ein Brettspiel, in dem die Mitspieler in die Rolle von Regierungsvertretern von Nationalstaaten schlüpfen. Gemeinsam mit einem Spieleverlag wurde "Keep Cool" 2004 veröffentlicht. Über die Jahre erschienen vier Auflagen, 2009 eine Computerversion.

In einer Masterarbeit an der Universität Bremen wurde 2015 stichprobenartig untersucht, ob das Spiel tatsächlich positive Lerneffekte hat. Der Erziehungswissenschaftler Jasper Meya beobachtete dazu mehr als 200 Jugendliche bei über 30 Spielrunden und befragte sie vorher und hinterher. "Die Spielerinnen und Spieler zeigten nach dem Spiel ein höheres Verantwortungsgefühl für den Klimawandel und differenziertere Urteile über die internationale Klimapolitik", fasst Meya, inzwischen Doktorand für Ressourcenökonomik an der Humboldt-Universität, die Kernergebnisse seiner Arbeit zusammen. "Wissenschaftsbasierte Planspiele wie 'Keep Cool" sind geeignet", so das Fazit, "um die Schwierigkeiten wirksamen internationalen Klimaschutzes zu vermitteln und damit konventionelle Kommunikations- und Unterrichtsmethoden zu ergänzen."

"Spiele sind eine alternative Plattform zur Wissenschaftskommunikation"

Für die jetzt gestartete Smartphone-Version wurde das Spiel noch einmal deutlich überarbeitet. Statt Staaten sind die Akteure nun Städte - dadurch werde das Spiel lebensnäher, sagt Eisenack, zudem entspreche es der Logik des Pariser Klimaabkommens, in dem Akteure unterhalb der Staatenebene explizit eine größere Rolle zugeschrieben werde. Projektpartner der neuen Spielversion sind das Zentrum für Nachhaltigkeitsforschung an der Universität Oldenburg, das Bildungsportal lehrer-online.de, und von der Bundesstiftung Umwelt (DBU) gab es finanzielle Förderung. "Keep Cool Mobil" zielt besonders auf den Einsatz in Schulen, für Pädagogen steht umfangreiches Begleitmaterial bereit. Mit dem fürs kleine Smartphone-Monitore optimierten Design habe man die Schwelle zum Mitspielen bewusst niedrig hängen wollen, betont Klaus Eisenack.

"Spiele bieten eine alternative Plattform zur Wissenschaftskommunikation", so das Resümee im Magazin Nature. Spiele könnten "uns dabei helfen, bessere Entscheidungen über unsere Zukunft zu treffen."

Toralf Staud