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Ist es für Klimaschutz nicht längst zu spät?

Fakt ist: Deutschland gehört zu den Top Ten der weltgrößten CO2-Verursacher. Außerdem hat es sich im Pariser Abkommen längst völkerrechtlich zu ehrgeizigen Emissionssenkungen verpflichtet

Antwort: Die Betonung des Umstands, dass Deutschland mit etwa zwei Prozent zum weltweiten CO2-Ausstoß beiträgt, ist auf mehrerlei Weise irreführend: Zum einen suggeriert die Zahl eine sehr geringe Verantwortung für den Klimawandel, was bei genauer Betrachtung nicht zutrifft. Zum anderen spielt sie die vielen Möglichkeiten herunter, mit denen die deutsche Politik etwas gegen den Klimawandel tun kann – im Inland, auf EU-Ebene und weltweit. Jedenfalls lässt sich das "Zwei-Prozent-Argument" zum Beispiel mit logischen, statistischen, moralischen oder auch wirtschaftlichen Argumenten kontern

In vielen (politischen) Debatten ist das Argument zu hören, Deutschland sei doch nur für zwei Prozent der weltweiten CO2-Emissionen verantwortlich. Ausgesprochen oder unausgesprochen wird daraus dann abgeleitet, Deutschland könne gar nicht viel fürs Weltklima tun. Oder man solle es doch bitte mit Klimaschutz nicht übertreiben. Oder andere Länder sollten gefälligst mehr tun. Und so weiter ...

Weil die Erderhitzung ein wirklich globales Problem ist mit einer fast unendlichen Zahl von Verursachern, wird dieses Argument in vielerlei Zusammenhängen vorgebracht: auch in anderen (kleinen) Ländern, etwa in Österreich oder der Schweiz. Oder von Vertretern einzelner Wirtschaftsbranchen, etwa dem Flugverkehr oder der Landwirtschaft. Und rein nummerisch ist die Behauptung ja durchaus korrekt – für fast alle Staaten und Sektoren bewegt sich der Anteil am weltweiten CO2-Ausstoß im Bereich weniger Prozentpunkte.

Allerdings beruht dieser Versuch, sich aus der Verantwortung zu stehlen, auf falschen und irreführenden Grundlagen (siehe dazu die ausführliche Fassung dieses Faktenchecks) – hier nur drei Gegenargumente:

 

1. "Verantwortung verschwindet nicht einfach, 
nur weil man sie in kleine Teile zerlegt"

Ganz egal, wie groß oder klein der Beitrag zum CO2-Ausstoß ist – schon rein logisch lässt sich daraus nicht der Schluss ziehen, man bräuchte nichts beizutragen. Genauso könnte man zum Beispiel behaupten, Deutschland müsse nichts gegen Plastikmüll tun, weil die deutschen Plastikverpackungsabfälle nur rund ein Prozent der weltweiten Jahres-Plastikproduktion betragen (gut drei Millionen Tonnen bei global weit mehr als 300 Millionen Tonnen). Und die Schweiz mit ihrem 0,24 prozentigen Anteil (pro Jahr rund 780.000 Tonnen Plastikmüll) braucht dann noch weniger zu tun?

Der Potsdamer Klimaforscher Stefan Rahmstorf (der auch Mitglied im Wissenschaftlichen Beirat von klimafakten.de ist), hat den logischen Fehlschluss auf seinem Blog mit einer rhetorischen Frage auf den Punkt gebracht: "Würde man die gesamte Weltbevölkerung in 50 Gruppen einteilen, von denen jede zwei Prozent der globalen Emissionen verursacht – folgt daraus dann, dass niemand etwas machen muss?"

 

2. "Pro Kopf gerechnet ist der deutsche CO2-Ausstoß sehr hoch – 
deshalb muss er auch besonders stark sinken"

Schaut man nicht auf den prozentualen Anteil von Staaten am weltweiten CO2-Ausstoß, sondern auf die Pro-Kopf-Emissionen seiner Bürger, dann wird die deutsche Pflicht zu ambitioniertem Klimaschutz schlagartig deutlich: Im weltweiten Durchschnitt stößt jeder Erdenbürger pro Jahr rund fünf Tonnen Kohlendioxid aus – in Deutschland jedoch sind es pro Kopf der Bevölkerung 9,7 Tonnen. Zum Vergleich: Die Pro-Kopf-Emissionen in Deutschland sind damit etwa 30 Mal höher als in Ländern wie Kenia oder Nepal.

Deutschland hat deshalb nicht weniger, sondern deutlich mehr zum Klimaschutz beizutragen als die meisten anderen Staaten.

 

3. "Die Debatte ist müßig – im Pariser Abkommen hat Deutschland völkerrechtlich verbindlich strengen Klimaschutz zugesagt und ist zudem grundgesetzlich dazu verpflichtet"

Die Frage, ob einzelne Staaten viel für den Klimaschutz tun müssen oder wenig, ist eigentlich seit dem Pariser Klimaschutzabkommen von 2015 beantwortet. Deutschland hat diese Einigung ebenso unterzeichnet und ratifiziert wie Österreichoder die Schweiz. Völkerrechtlich verbindlich ist darin festgeschrieben, dass "alle Vertragsparteien" ihre eigenen Emissionen mit "ehrgeizigen" Maßnahmen zu senken haben – und zwar grundsätzlich unabhängig davon, welchen Anteil an den Gesamtemissionen jede einzelne hat (siehe Artikel 3 des "Paris Agreement", deutsche Übersetzung in der Bundestagsdrucksache 18/9650). Die Unterschrift unter das Pariser Abkommen und dessen (einstimmige!) Ratifizierung im Bundestag im September 2016 macht deshalb die ganze Debatte um vermeintlich übertriebenen Klimaschutz eigentlich obsolet.

Außerdem sind viele Staaten auch aufgrund von Vorgaben der eigenen Verfassung dazu verpflichtet, wirksame Klimaschutzanstrengungen zu übernehmen; in Deutschland zum Beispiel durch Artikel 20a des Grundgesetzes (Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen heutiger und künftiger Generationen). Dies beinhalte gleichermaßen die Pflicht, auf internationaler wie nationaler Ebene auf eine Treibhausgasneutralität hinzuarbeiten, urteilte das Bundesverfassungsgericht in einem Beschluss vom 29. April 2021.

 

Toralf Staud/klimafakten.de;
zuletzt aktualisiert: April 2021

Die Bundesrepublik Deutschland – genauer gesagt ihre Einwohner und ihre Wirtschaft – verursachen pro Jahr mehr als 700 Millionen Tonnen Kohlendioxid(und andere Treibhausgase wie Methan). Gemessen an den weltweiten Treibhausgas-Emissionen von deutlich über 35 Milliarden Tonnen jährlich beträgt der deutsche Anteil also rund zwei Prozent. Dies klingt nach wenig. Und gelegentlich wird in öffentlichen Debatten aus dieser Zahl abgeleitet, Deutschland könne (oder müsse) deshalb auch nur wenig zum weltweiten Klimaschutz beitragen. Doch das ist falsch.

Bei dieser Behauptung handelt es sich um einen typischen Fall dessen, was in der Psychologie oder auch der Organisationssoziologie als "Verantwortungsdiffusion"bezeichnet wird: Obwohl viele Akteure für eine offensichtlich zu erledigende Aufgabe zur Verfügung stünden, kümmert sich niemand darum, sondern weist die Verantwortung dafür anderen zu.

Analog zu Deutschland wird die eingangs zitierte Argumentation zum Beispiel auch für Österreich (ca. 0,2 Prozent Anteil am globalen CO2-Ausstoß) oder die Schweiz (ca. 0,1 Prozent) vorgebracht. Übrigens verursacht das Fürstentum Luxemburg sogar nur 0,03 Prozent. Heißt das, all diese Länder brauchen ebenfalls nichts zu tun? Oder (noch) weniger als Deutschland?

Einem derartigen Gedankengang kann man auf vielerlei Weise widersprechen – zum Beispiel mit logischen Argumenten, mit statistischen, mit politischen, mit moralischen oder auch mit wirtschaftlichen Argumenten.

 

Logik

Ganz egal, wie groß oder klein der Beitrag eines Landes zum globalen Ausstoß an Treibhausgasen ist – man kann schon rein logisch daraus nicht den Schluss ziehen, es bräuchte nichts beitragen zur Menschheitsaufgabe Klimaschutz. Wäre dies anders, dann ließe sich ja bei jedem Problem, an der mehr als ein Mensch beteiligt ist, die eigene (Mit-) Verantwortung leugnen und eine Erlaubnis zum Nichtstun ableiten. Genauso könnte man zum Beispiel behaupten, Deutschland müsse nichts gegen Plastikmüll tun, weil die deutschen Plastikverpackungsabfälle nur rund ein Prozent der weltweiten Jahres-Plastikproduktion betragen (gut drei Millionen Tonnen bei global weit mehr als 300 Millionen Tonnen). Oder es sei völlig unnötig, dass die österreichische Regierung etwas für die Sicherheit auf den Straßen des Landes unternimmt – die 409 Verkehrstoten 2018 in Österreich waren ja nur 0,03 Prozent der weltweit 1,35 Millionen Straßenverkehrsopfer.

Der Potsdamer Klimaforscher Stefan Rahmstorf (der auch Mitglied im Wissenschaftlichen Beirat von klimafakten.de ist), hat den logischen Fehlschluss vor einiger Zeit auf seinem Blog mit einer rhetorischen Frage auf den Punkt gebracht: "Würde man die gesamte Weltbevölkerung in 50 Gruppen einteilen, von denen jede zwei Prozent der globalen Emissionen verursacht – folgt daraus dann, dass niemand etwas machen muss?"

Noch ein anderes Gedankenexperiment: Auch die beiden größten Verursacherstaaten von Treibhausgasen – China (29 Prozent) und die USA (14 Prozent) – könnten ja die eigene Verantwortung für eine Senkung der klimaschädlichen Emissionen weiter aufteilen: auf einzelne Branchen, auf einzelne Provinzen bzw. Bundesstaaten, auf einzelne Städte, auf jeden ihrer Einwohner. Dabei kämen dann sehr kleine bis verschwindend kleine Anteile am weltweiten Treibhausgas-Ausstoß heraus. Folgte daraus dann, dass sich auch China und die USA zurücklehnen dürfen?

 

Statistik

Die Zahl von zwei Prozent mag klein klingen – in Wahrheit aber und in der realen Welt ist dies bereits ein vergleichsweise großer Anteil: Denn es gibt nun einmal fast 200 Staaten auf der Erde; würden sie alle exakt gleich viele Emissionen ausstoßen, hätte jeder einen Anteil von lediglich 0,5 Prozent. Mit seinem Emissionsanteil liegt Deutschland also schon bei einer ganz einfachen Überschlagsrechnung um das Vierfache über dem Länder-Durchschnitt.

Hinzu kommt: Auch wenn also der deutsche Treibhausgas-Ausstoß nur zwei Prozent der Weltemissionen ausmacht, so ist dies doch – im Ranking der Verursacherstaaten – bereits der siebtgrößte Einzelanteil überhaupt; zählt man die EU als Gemeinschaft nicht mit, liegt die Bundesrepublik sogar an sechster Stelle. Und jemand aus der Top Ten der Verursacher soll keine Pflicht zum Mittun haben??

Deutschland gehört zu den zehn größten CO2-Verursachern weltweit, die EU als Gesamtblock liegt sogar auf Platz drei. Und dann soll die Bundesrepublik nur wenig zum weltweiten Klimaschutz beitragen können?; Grafik: klimafakten.de, Datenquelle: EU/EDGAR
Achtung: Das Größenverhältnis der blauen Kreise in der Grafik gibt nicht die Verhältnisse zwischen den Emissionsmengen der Länder wieder, sondern soll vereinfacht lediglich die Reihenfolge symbolisieren.

 

Politik

Ein weiterer Aspekt ist das politische Gewicht der Bundesrepublik: Sie gehört zu den weltweit wichtigsten Industriestaaten, ist die viertgrößte Volkswirtschaft überhaupt (nach den USA, China und Japan) und erzielte 2017 den höchsten Exportüberschuss der Welt. Deutschland ist zudem Mitglied in Zusammenschlüssen wie G7 oder G20. Es kann deshalb auf vielen Ebenen und in zahlreichen Gremien einen erheblichen Einfluss geltend machen – für ambitionierten Klimaschutz oder dagegen. Aber auch jenseits direkter Mitsprache-Möglichkeiten ist es indirekt wichtig, was Deutschland tut: Von vielen Staaten weltweit wird die deutsche Politik und gerade die Energiewende sehr interessiert verfolgt.

Zudem blendet die Zahl von zwei Prozent komplett die europäische Dimension aus. Deutschland ist als größte Volkswirtschaft der EU maßgeblich dafür verantwortlich, welche Klimapolitik die Gesamtgruppe aus 27 Staaten verfolgt. Hier geht es zum einen um die Politik der EU auf internationalen Bühnen (etwa bei UN-Klimakonferenzen), zum anderen aber auch um ganz direkte Entscheidungen fürs Klima (etwa wie stark die gesamte EU ihren Treibhausgas-Ausstoß senkt). Schaut man nun auf die gesamten EU-Emissionen, dann betragen die mehr als 3,5 Milliarden Tonnen Kohlendioxid pro Jahr, mithin mehr als 9,5 Prozent des weltweiten Ausstoßes. Damit ist die Europäische Union nach China und den USA der drittgrößte Verursacher weltweit (siehe obige Grafik). Die deutsche Politik hat also direkten Einfluss nicht nur auf ein Fünfzigstel der globalen Emissionen, sondern – über die EU – sogar auf knapp ein Zehntel.

 

Völkerrecht

Das Pariser Klimaschutzabkommen von 2015 hat die Frage eigentlich längst beantwortet, ob einzelne Staaten zum Handeln verpflichtet sind oder nicht. Deutschland hat diese Einigung ebenso unterzeichnet und ratifiziert wie Österreichoder die Schweiz. Völkerrechtlich verbindlich ist darin festgeschrieben, dass "alle Vertragsparteien" ihre eigenen Emissionen mit "ehrgeizigen" Maßnahmen zu senken haben – und zwar grundsätzlich unabhängig davon, welchen Anteil an den Gesamtemissionen jede einzelne hat (siehe Artikel 3 des "Paris Agreement", deutsche Übersetzung in der Bundestagsdrucksache 18/9650).

Klar ist: Der Klimawandel kann nur durch eine gemeinschaftliche Anstrengung aller Länder bekämpft werden. Dazu haben sich die 197 Unterzeichnerstaaten von Paris verpflichtet. Und anders als von Kritikern des Abkommens oft behauptet wird, enthält dieses sehr wohl Klimaschutz-Pflichten auch für Nicht-Industriestaaten. Bereits auf dem UN-Klimagipfel von Bali 2007 hatten diese anerkannt, dass sie Teil der internationalen Klimaschutzbemühungen sein müssen. In den folgenden Verhandlungen rund um die Konferenz in Kopenhagen 2009 machten sie freiwillige Klimaschutzzusagen. Das Pariser Übereinkommen von 2015 hat dann Klimaschutzanstrengungen für alle Staaten verbindlich gemacht, die künftig alle fünf Jahre überprüft (und verschärft) werden.

Durch seine Unterschrift unter das Pariser Abkommen und seine (einstimmige!) Ratifizierung im Bundestag im September 2016 hat sich auch Deutschland völkerrechtlich verbindlich zu Klimaschutz verpflichtet.

 

Verfassungsrecht

Auf der Ebene nationalen Rechts hat sich auch das deutsche Bundesverfassungsgericht mit der Frage befasst, inwieweit die Tatsache, dass Klimaschutz nur gemeinschaftlich von allen Staaten betrieben werden kann, einzelne Staaten von Klimaschutzanstrengungen im Inland entlasten könnte. In einem Beschluss zu mehreren Klagen gegen das deutsche Klimaschutzgesetz vom 12. Dezember 2019 (KSG) urteilte das höchste deutsche Gericht hierzu am 29. April 2021:

"Der Klimaschutzverpflichtung [der deutschen Bundesregierung auf Grundlage von Artikel 20a des Grundgesetzes] steht nicht entgegen, dass Klima und Erderwärmung globale Phänomene sind und die Probleme des Klimawandels daher nicht durch die Klimaschutzbeiträge eines Staates allein gelöst werden können."

Mit anderen Worten: Klimaschutz muss parallel national und international betrieben werden.

Die deutsche Regierung sei zwar auf Grundlage von Vorgaben der eigenen Verfassung zum Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen verpflichtet, eine Lösung des Klimaschutzproblems auf internationaler Ebene zu suchen. Allerdings hält das Bundesverfassungsgericht zugleich unmissverständlich fest:

"Der Staat [kann] sich seiner Verantwortung nicht durch den Hinweis auf die Treibhausgasemissionen in anderen Staaten entziehen. Aus der spezifischen Angewiesenheit auf die internationale Staatengemeinschaft folgt vielmehr umgekehrt die verfassungsrechtliche Notwendigkeit, eigene Maßnahmen zum Klimaschutz tatsächlich zu ergreifen und für andere Staaten keine Anreize zu setzen, das erforderliche Zusammenwirken zu unterlaufen."
Quelle: BVerfG, Beschluss des Ersten Senats vom 24. März 2021 - 1 BvR 2656/18 -, Rn. 1-270

 

Moral

Der zweiprozentige Anteil Deutschlands am weltweiten CO2-Ausstoß ist nur eine Momentaufnahme. Da die Treibhaus-Wirkung von Kohlendioxid in der Atmosphäre (zumindest teilweise) Hunderte von Jahren anhält, sind für den Beitrag eines einzelnen Landes zum gegenwärtigen Klimawandel nicht nur die momentanen, sondern eigentlich die aufaddierten Emissionen über lange Zeiträume maßgeblich. Und betrachtet man nun den Treibhausgas-Ausstoß zum Beispiel zwischen 1850 und dem Jahr 2002, dann ändert sich das Bild deutlich: Die USA kommen auf 29,3 Prozent, China auf 7,6 Prozent, Deutschland auf 7,3 Prozent aller Emissionen in diesem Zeitraum (WRI 2005). Deutschland rückt also – historisch betrachtet – in der Rangfolge der Verursacherstaaten deutlich nach vorn.

In dieser animierten Infografik hat das Team unserer Partnerseite CarbonBrief.org die kumulierten CO2-Emissionen der größten Verursacher-Staaten seit 1750 zusammengestellt. Wegen einer anderen Datenquelle unterscheiden sich einige Zahlen den in unserem Text genannten, das Grundergebnis aber ist identisch; Quelle: CarbonBrief.org

Noch klarer wird die deutsche Pflicht zu Klimaschutz, wenn man nicht auf die Emissionen der Staaten schaut, sondern auf die Pro-Kopf-Emissionen ihrer Bürgerinnen und Bürger. In dieser Rangliste kommen die USA auf 15,7 Tonnen pro Einwohner und Jahr, Deutschland auf 9,7 Tonnen und China auf 7,7 Tonnen. Der weltweite Durchschnitt liegt unter fünf Tonnen – also bei nur rund der Hälfte des deutschen Werts. Daraus kann man ableiten, dass wir nicht weniger, sondern deutlich mehr zum Klimaschutz beizutragen haben als die meisten anderen Staaten.

Genauer betrachtet haben jedenfalls die Industriestaaten wie Deutschland und die hier Wohnenden am historischen und am gegenwärtigen Ausstoß an Treibhausgasen einen vergleichsweise großen Anteil – daher sollten sie bei der Bekämpfung des Klimawandels eine Vorreiterrolle übernehmen.

 

Physik

Wie erwähnt sind selbst die beiden größten Verursacherstaaten China und USA zusammengenommen für weniger als die Hälfte der weltweiten CO2-Emissionen verantwortlich. Mehr als fünfzig Prozent stammen also von anderen Ländern. Das bedeutet: Würde jemand argumentieren, China und die USA müssten das Weltklima retten, dann wäre dies schon rein physikalisch unmöglich. Denn selbst wenn China und die USA ab sofort keine einzige Tonne Kohlendioxid mehr emittieren würden, dann wäre der CO2-Ausstoß im Rest der Welt immer noch so hoch, dass bis 2050 mehr Emissionen zusammenkämen, als laut Forscherberechnungen für ein Einhalten des 1,5-Grad-Limits bei der Erderwärmung noch erlaubt wären.

Man könnte es auch noch einfacher sagen: Um die Erderwärmung auf höchstens 1,5 °C begrenzen, müsste laut IPCC ab etwa Mitte des Jahrhunderts die ganze Welt klimaneutral wirtschaften. Das aber ist praktisch unmöglich, wenn große Verursacherstaaten wie Deutschland dann noch in nennenswerter Menge Treibhausgase ausstoßen.

Es muss also überall auf der Welt der Ausstoß an Treibhausgasen massiv sinken, um die schlimmsten Folgen des Klimawandels noch zu verhindern. Es müssen alleStaaten mitmachen.

 

Wirtschaft

Kritiker und Gegner weiterer Klimaschutzmaßnahmen hierzulande führen gelegentlich an, Deutschland sei ein Hochtechnologieland und wirtschafte bereits sehr (energie-)effizient – und deshalb könne und müsse man hier nicht mehr so sparsam sein. Zugleich, so die Argumentation, werde in vielen der sogenannten "Entwicklungs- und Schwellenländern" Energie verschwendet. Und allen voran in China gebe es doch ein enormes Wirtschaftswachstum – vor allem dies müsse gebremst und ökologischer gestaltet werden. Jedenfalls seien aufgrund der Größe und der Dynamik von Ländern wie China dort – und nicht in Deutschland, Österreich oder der Schweiz die wirklich entscheidenden Treibhausgasminderungen erzielbar.

Richtig an diesem Argument ist, dass sich auch die Nicht-Industriestaaten beim Klimaschutz anstrengen müssen und dass diese Länder aufpassen müssen, dass sie nicht ein künftiges hohes Emissionsniveau dadurch auf Jahrzehnte "einzementieren", dass dort noch heute neue Kohlekraftwerke ans Netz gehen oder neue Vorkommen von Kohle, Öl oder Erdgas erschlossen werden.

Dennoch gilt: Mit dem Verweis auf nicht-westliche Staaten wird zum einen darüber hinweggegangen, dass in zahlreichen dieser Ländern bereits eine Menge passiert. China zum Beispiel tut insgesamt zwar sicherlich immer noch zu wenig für den Klimaschutz (so die Analyse-Website Climate Action Tracker); aber es hat sich in den vergangenen Jahren zum globalen Vorreiter bei der Solarenergie entwickelt. Zum Beispiel wurden dort allein im Jahr 2017 mehr als 120 Milliarden Dollar in Erneuerbare-Energie-Anlagen investiert (FS-UNEP/BNEF 2018) – fast so viel, wie im ganzen Rest der Welt zusammengenommen. Auch Indien, immerhin der drittgrößte CO2-Verursacher weltweit, baut die Erneuerbaren Energien inzwischen massiv aus (FS-UNEP/BNEF 2018). Und Marokko hat ein sehr ambitioniertes Ausbauprogramm für Solarenergie, das unter Experten als mögliches Beispiel für viele Entwicklungsländer gelobt wird (MEI 2016).

Zum anderen lässt der Verweis auf weniger wohlhabende Länder außer Acht, dass Industriestaaten wie Deutschland in den vergangenen Jahren einen erheblichen Teil ihrer CO2-Emissionen dorthin "ausgelagert" haben. Durch die stark gestiegenen Handelsverflechtungen im Zuge der Globalisierung sind gerade energie- und damit auch klima-intensive Betriebe und Wirtschaftszweige aus den sogenannten Industriestaaten in Länder des sogenannten "globalen Südens" verlegt worden. Fachleute sprechen hier von "indirekten Emissionstransfers". Jedenfalls fallen inzwischen die CO2-Emissionen für viele Güter und Grundstoffe, die heute in den Industriestaaten verbraucht werden, nicht mehr in diesen Ländern an – sondern bei den Lieferanten, zum Beispiel in China (siehe untenstehende Grafik). Schätzungsweise ein Fünftel des weltweiten CO2-Ausstoßes geht auf Güter zurück, die letztlich in einem anderen Staat verbraucht werden (Peters et al. 2011Peters et al. 2012Wood et al. 2018).

Die großen CO2-Ströme des Welthandels: Mit der Globalisierung hat der internationale Austausch von Waren stark zugenommen und mit ihnen ein Phänomen, das "indirekte Emissionstransfers" genannt wird. Bei der Herstellung von Gütern fällt nämlich teils viel CO2 an, das in den üblichen Klimabilanzen den Produktionsländern zugeschlagen wird. Hingegen würden bei einer konsum-basierten Bilanzierung die CO2-Emissionen durch bestimmte Waren jenen Ländern zugeschlagen, in denen diese Waren verbraucht werden. Die Grafik zeigt schematisch, wie viel CO2-Emissionen aus Produktions- in Konsumtions-Länder wandern würden. Die Ziffern beziehen sich auf Millionen Tonnen Kohlendioxid, und alle Zahlen basieren auf den Warenflüssen des Jahres 2004, sie liegen inzwischen insgesamt deutlich höher; Quelle: Davis/Caldeira 2010

Doch die üblichen Statistiken zu Treibhausgas-Emissionen (auch jene der UN) werden danach geführt, an welchem Ort die Gase jeweils ausgestoßen werden. Nutznießer dieser Bilanzierungsweise sind insbesondere Industriestaaten wie Deutschland (OECD 2016), die Güter importieren und verbrauchen, ohne dass diese ihre offiziellen Emissionszahlen belasten. Sie stehen also auf dem Papier besser da – zum (statistischen) Nachteil von Ländern wie China. Studien zufolge stammen 20 bis 30 Prozent des chinesischen CO2-Ausstoßes aus der Produktion von Gütern, die exportiert werden (Huang et al. 2019). Umgekehrt würden die Emissionen zum Beispiel Deutschlands um etwa 15 Prozent höher liegen, wenn man das in importierten Gütern "versteckte" CO2 berücksichtigen würde (OECD 2017). Und in der österreichischen Emissionsbilanz würden plötzlich rund 30 Prozent höhere CO2-Daten stehen, die Zahlen für die Schweiz fielen sogar um fast 60 Prozent höher aus.

Auch bei dieser Betrachtungsweise also fällt die Verantwortung der Industriestaaten für den Klimaschutz deutlich höher aus, als es bei einem kurzschlüssigen Blick auf die Emissionszahlen scheinen suggerieren mag.

 

Vorbildfunktion

Vergessen wird in der gesamten Argumentation zudem, dass Deutschland eine kaum zu überschätzende Vorbildfunktion in der Welt innehat: Länder mit niedrigerer Wirtschaftsleistung orientieren sich oft an den Industriestaten, sie versuchen in der Regel aufzuholen. Wie bereits erwähnt, wird deshalb sehr genau verfolgt, was in Deutschland geschieht: also ob (und wie) es möglich ist, eine wohlhabende Gesellschaft klimaschonend umzubauen. Diese "Vorbildfunktion" ist der vielleicht größte Effekt des Handelns in Deutschland überhaupt.

Am Beispiel der Energiewende wird dieser Punkt deutlich: Einige Elemente sind bereits "Exportschlager", zum Beispiel das "Erneuerbare-Energien-Gesetz" (EEG). Die Idee, dass Bauherren von Solar- oder Windkraftanlagen über einen festen Zeitraum garantierte Einspeisevergütungen für den von ihnen produzierten Strom erhalten, ist überall auf der Welt kopiert worden. Im Jahr 2018 hatten 111 Länder irgendeine Form von Einspeisungsvergütung eingeführt (REN21 2019). Und inzwischen sind es in der Mehrheit Nicht-Industriestaaten, die mit festen Einspeisetarifen über einen definierten Zeitraum Investitionssicherheit für Sonne, Wind und andere erneuerbare Energiequellen geschaffen haben.

 

Technologie

Eine weitere indirekte Folge der deutschen Klimapolitik hängt eng mit eben genannten zusammen: Deutschland hat durch seine Energiewende-Gesetzgebung und die daraus resultierenden Milliarden-Investitionen maßgeblich dazu beigetragen, technologische Entwicklungsschübe zu ermöglichen, Kosten zu senken und auf diese Weise neue Technologien marktreif zu machen. Dies galt ab den 2000er Jahren beispielsweise für die Photovoltaik oder die Windkraft, mit Einschränkungen lässt es sich auch bei Stromspeichern beobachten.

Die Einführung des EEG hatte ab Anfang der 2000er Jahre zur Folge, dass hierzulande der weltweit größte und sicherste Absatzmarkt für Photovoltaik-Anlagen entstand. Der darauffolgende Aufbau einer Massenproduktion von Solarzellen (erst in Deutschland, später vor allem in China) hat es ermöglicht, dass deren Effizienz erhöht wurde und die Kosten rasant fielen. Politische Entscheidungen und Investitionen in Deutschland trugen also maßgeblich dazu bei, dass Solarpaneele und Windräder heute so billig sind und preislich unter dem Neubau von Kohle- und Atomkraftwerken liegen. Die US-Wirtschaftsnachrichtenagentur Bloomberg überschrieb bereits vor Jahren einen Artikel mit den Worten: "Dankt Deutschland für die fallenden Preise von Solaranlagen und Windrädern".

 

Fazit

Die Betonung des Werts "zwei Prozent" führt auf mehrerlei Weise in die Irre: Erstens wird hier durch diese vermeintlich kleine Zahl suggeriert, Deutschland habe nur eine geringe Verantwortung für den Klimawandel. Dies ist falsch. Zweitens werden die zahlreichen Möglichkeiten heruntergespielt, mit denen die deutsche Politik und Wirtschaft erheblichen Einfluss nehmen können auf das künftige Ausmaß der Erderhitzung.

Toralf Staud/klimafakten.de;
zuletzt aktualisiert: April 2021

 

Alle CO2-Angaben in diesem Text beziehen sich übrigens auf das Jahr 2017 und meist auf Emissionen nur aus fossilen Energieträgern (etwa aus der Verbrennung, aus Industrieprozessen wie der Stahl- oder Zementproduktion usw., Quelle ist – sofern nicht anders vermerkt – die EDGAR-Datenbank der EU
Daten zu Länderemissionen für alle Treibhausgase finden sich zum Beispiel auf der Website des UN-Klimasekretariats.

Surftipps

So schnell tickt die CO2-Uhr In einer interaktiven Infografik stellt hat das Mercator Institute for Climate Change and Global Commons (MCC) dar, wieviel Kohlendioxid bis zur Schwelle von 1,5 bzw. 2 °C Erwärmung noch emittiert werden darf

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