„Klimagerechtigkeit braucht Bildung“ – das ist nicht nur einer der Slogans, mit denen das Bündnis Teachers for Future für mehr Klimabildung im Unterricht eintritt – sondern im Grunde schon seit 1980 eine Anforderung an die Schulen in Deutschland. Unter dem Eindruck der Anti-Atom-Bewegung, von Waldschäden und großflächigem Pestizideinsatz fasste die Kultusministerkonferenz damals, vor mehr als 40 Jahren, einen wegweisenden Beschluss: Die Schulen sollten das Umweltbewusstsein junger Menschen stärken und sie dazu befähigen, verantwortungsvoll mit unser aller Lebensgrundlage umzugehen.

Seither kamen zahlreiche Bekenntnisse und Empfehlungen hinzu: Mit der Verabschiedung der Sustainable Development Goals (SDGs) durch die UNO-Vollversammlung bekannte sich Deutschland 2015 dann auch auf internationaler Ebene dazu, die sogenannte Bildung für Nachhaltige Entwicklung (BNE) zu fördern. Unter diesem Begriff (engl.: „Education for Sustainable Development“) wird ein ganzheitlicher und umfassender Ansatz verstanden, mit dem Menschen zu zukunftsfähigem Denken und Handeln befähigt werden sollen. Dazu zählt natürlich auch – aber nicht nur – die schulische Auseinandersetzung mit dem Klimawandel.

In den meisten Schulbüchern kommt die Klimakrise bisher selten vor – und wenn doch, dann nur am Rande und nicht mit der gebotenen Dringlichkeit; Foto: Carel Mohn

Doch Anspruch und Realität klaffen nach wie vor auseinander. Das hat unter anderem das Bundesumweltministerium erkannt: 2021 ließ es untersuchen, wie es in der Bundesrepublik um die Klimabildung steht. Ergebnis: „In Deutschland scheint eine umfassende Klimabildung an vielen Schulen und Bildungseinrichtungen (…) nicht ausreichend verankert zu sein.“ Das liege zum Beispiel daran, dass der Klimawandel nur sporadisch in den Lehrplänen vorkomme, die Lehrkräfte sich nicht mit dem Thema auskennen würden und im Unterricht nicht genug Zeit hätten – aber auch an einem Mangel an adäquatem Unterrichtsmaterial. In der Folge fühlt sich weniger als ein Viertel der jungen Menschen dazu in der Lage, zu einer nachhaltigeren Zukunft beizutragen. Zu diesem Schluss kommt eine groß angelegte Befragung des Nationalen Monitorings zu Bildung für Nachhaltige Entwicklung. Demnach zeigen sich die deutlichsten Nachhaltigkeitsbezüge in den Fächern Erdkunde, Biologie, Wirtschaft und Politik. Von der angestrebten querschnitthaften Verankerung könne nicht die Rede sein.

Jens Möller, Anna Dewenter und Patrick Brehm engagieren sich als Pädagogen bei Teachers for Future dafür, dass der Klimawandel in der Schule endlich zu einem zentralen Thema wird. Dass gutes Unterrichtsmaterial Mangelware ist, können sie bestätigen: „In unserer Gruppe bezieht sich ein recht hoher Anteil der Kommunikation auf den Austausch von Materialien“, sagt Dewenter, die als Lehrerin für Kunst und Mathe an einem Gymnasium in Münster arbeitet. Denn die verfügbaren Schulbücher lassen oft zu wünschen übrig: Die Klimakrise komme selten vor – und wenn doch, dann nur am Rande und nicht mit der gebotenen Dringlichkeit. Es würde nicht deutlich, dass der Klimawandel fast alle Lebensbereiche betreffe, und meist würden die Ursachen des Klimawandels, seine Folgen und mögliche Lösungen nur in Bruchstücken dargestellt. So fasst Jens Möller, der ebenfalls in Münster Mathe und Sport an einem Gymnasium unterrichtet, die zentralen Kritikpunkte der Teachers for Future zusammen.

Falschinformationen in österreichischen Schulbüchern

Berechtigte Vorwürfe – oder lediglich der Eindruck einiger engagierter Lehrkräfte? Es gibt nur eine Handvoll Studien, die sich mit dem Klimawandel in deutschen Schulbüchern beschäftigen. Die meisten davon beziehen sich auf den Geographieunterricht, in dem das Thema bislang am ehesten vorkommt. Und sie werfen kein gutes Licht auf die Lehrwerke. So untersuchten Sabrina Flake, Jan Cermak und Sandra Sprenger 2015, in welchem Umfang Klimatologie und Klimawandel in deutschen Erdkunde-Büchern vorkommen. Ihr Fazit: Aspekte des Klimawandels würden „nicht in einem Umfang berücksichtigt, der Schülerinnen und Schülern den Erwerb professioneller Kompetenzen im Umgang mit dem Klimawandel ermöglichen würde“.

Viele Bücher behandelten nur Teilaspekte, würden also beispielsweise auf Temperaturänderungen und deren Folgen eingehen, Möglichkeiten zur Klimaanpassung aber aussparen. Nur in fünf der 36 untersuchten Lehrwerke kamen Klimaschutz und -anpassung überhaupt vor. Zwar ist die Studie schon acht Jahre alt, inzwischen dürfte sich das Bild etwas verschoben haben – doch selbst 2015 waren bereits fünf Sachstandsberichte des IPCC erschienen, und in Politik wie Forschung war das Thema damals schon seit mindestens 20 Jahren hochpräsent.

Treibhausgase jenseits von CO2 werden vernachlässigt

Auch Péter Bagoly-Simó kam zu dem Schluss, dass Schulbücher die Komplexität des Klimawandels oft nicht ausreichend erfassen. In einer Studie aus dem Jahr 2013 untersuchte er unter anderem Geographiebücher aus Bayern. Seine Kritik: Die Lehrwerke würden die verschiedenen Ebenen der Klimakrise – also individuelles Handeln, lokale, globale, nationale und kontinentale Entwicklungen – nicht ausreichend in Verbindung setzen, den Klimawandel auf seine anthropogenen Ursachen reduzieren und wissenschaftliche Konzepte zu sehr vereinfachen.

So würden einige Bücher etwa vernachlässigen, dass es neben CO2 noch andere wichtige Treibhausgase gibt, etwa Methan, das zum Beispiel in der Rindermast oder bei der Erdgas-Förderung in erheblichen Mengen freigesetzt wird. Ein weiterer Kritikpunkt: Die Bücher trügen vor allem zu mehr geographischem Wissen bei, würden aber nicht das stärken, was im Bereich BNE „Gestaltungskompetenz“ heißt: Die Fähigkeit, nachhaltige und nicht-nachhaltige Lösungen zu unterscheiden und verschiedene Interessen abzuwägen. Die Schulbücher vermitteln den Schüler:innen also nicht die Kompetenzen, die sie für ein zukunftsfähiges Denken und Handeln brauchen.

Wer Schulbücher oder anderen Lehrmaterialien sucht, in denen die Erderhitzung adäquat aufgegriffen wird, muss lange suchen. In einer Infobox unten im Text geben wir ein paar Tipps; Foto: Carel Mohn

Dass die Lehrwerke nicht immer wissenschaftlichen Standards gerecht werden, bemängeln auch Mareike Schauß, Hermann H. Held und Sandra Sprenger; letztere war schon an der oben erwähnten Studie von Sabrina Flake beteiligt . Die Autor:innen untersuchten im Jahr 2022, wie deutsche Geographiebücher Ungewissheiten der Klimaforschung darstellen. Als positiv bewerteten sie, dass die Vorläufigkeit wissenschaftlicher Erkenntnisse überhaupt thematisiert wird. Die meisten Texte nutzten  allerdings nur sprachliche Mittel – also Formulierungen wie „es ist unter Klimaforschern umstritten“ (was im Übrigen eine sehr unscharfe Aussage ist, die normale wissenschaftliche Ungewissheiten als „Streit“ erscheinen lässt). Die Autor:innen empfehlen stattdessen, solche Aussagen zumindest mit der Angabe numerischer Wahrscheinlichkeiten zu kombinieren – damit klarer wird, was beispielsweise der IPCC-Bericht wirklich mit der Formulierung „sehr wahrscheinlich“ meint.

 

(Ein kleines Lernquiz, wir sind ja in einem Text über Schulbücher: Was meinen Sie, für welchen Gewissheitsgrad steht in der IPCC-Terminologie für die Formulierung "sehr wahrscheinlich"?

Antwort: Für – vergleichsweise hohe – 90 bis 100 Prozent. Falls Sie eben niedriger getippt haben geht es Ihnen übrigens wie vielen anderen Laien.)

 

Schon die Studie von Flake, Cermak und Sprenger aus dem Jahr 2015 kritisierte übrigens, dass manche Bücher Temperaturänderungen in einer bestimmten Höhe als Faktum und nicht als Projektion darstellen. Und Teachers for Future aus Österreich entdeckte 2020 sogar gravierende Falschinformationen in dem Biologiebuch "bio@school 6" für die sechste Klasse. Dort hieß es: „Überschwemmungen, heiße, trockene Sommer, Winter ohne Schnee – Ausnahmen oder die Auswirkungen langfristiger Klimaveränderungen? Niemand weiß es genau.“ In dieser Pauschalität ist die Aussage irreführend und grob verharmlosend. In Wahrheit kann die Forschung zumindest zu einigen Extremwettern bereits ziemlich spezifische Aussagen treffen. Immerhin: Solche Fälle sind der deutschen Sektion aus hiesigen Lehrwerken nicht bekannt.

Nichtsdestotrotz gibt es offenbar schon bei den Grundlagen der Klimatologie Luft nach oben. Und in anderen Bereichen – zum Beispiel beim Klimaschutz – sieht es nicht besser aus: So kritisierten der Berliner Lehrer Bruce Phillips und die drei Schülerinnen Victoria Bederov, Alina Rund und Leonie Brockmann im Jahr 2017, viele Schulbücher würden wenig wirksame Klimaschutzmaßnahmen in den Mittelpunkt stellen. Angelehnt an eine Studie aus Kanada untersuchten sie 30 Lehrbücher unter anderem aus Deutschland. Phillips Fazit: „Ganz oft wurde (...) der Austausch der Glühlampen als persönlicher Beitrag zum Klimaschutz genannt, dabei hat das kaum eine Wirkung.“ Hingegen kam eine pflanzenbasierte Ernährung ebenso wenig vor die der Verzicht auf ein eigenes Auto – obwohl dadurch viel mehr Treibhausgase eingespart werden können. Nur eines der untersuchten Bücher empfahl, Strom aus erneuerbaren Energien zu beziehen. „Der Klimawandel kommt in den Schulbüchern vor, aber es werden keine Lösungen aufgezeigt“, kritisierte Phillips. Insgesamt würden nur zehn Prozent der Bücher wirklich effektive Maßnahmen empfehlen, um den persönlichen CO2-Fußabdruck zu reduzieren.

Der systemische Blick kommt zu kurz

Patrick Brehm von Teachers for Future geht noch einen Schritt weiter. Brehm, der an einem Berufskolleg nahe Wuppertal Wirtschaftswissenschaften und Englisch unterrichtet, hält schon den Fokus auf individuelle Klimaschutzmaßnahmen für bedenklich. Im Auftrag der Stadt Düsseldorf hat er 2016 selbst eine Schulbuchstudie durchgeführt und untersucht, wie Nachhaltigkeit in VWL-Büchern vorkommt. Auf seinem privaten Blog rezensiert er auch weiterhin Lehrwerke. „Begriffe wie der ökologische Fußabdruck sind vielen Schüler:innen mittlerweile vertraut“, sagt er. „Was in den Büchern aber häufig zu kurz kommt, ist der systemische und politische Blick.“

Dies ist auch das Kernergebnis einer großangelegten Studie, die 2022 im Fachjournal Sustainability erschienen ist. Politik werde im Unterricht zum Klimawandel fast völlig ausgeblendet, schreiben Johanna Kranz, Martin Schwichow, Petra Breitenmoser und Kai Niebert. „Die Bedeutung politischer Maßnahmen zur Bekämpfung und Anpassung an den Klimawandel ist in der Klimaforschung genauso Konsens wie die Existenz des menschengemachten Klimawandels – allerdings haben diese Befunde bisher kaum Einzug in die bisherige Klimabildung gehalten“, hat das Team seine Erkenntnisse in einem Gastbeitrag für klimafakten.de zusammengefasst. „Statt einseitig die Anpassung des privaten Konsums zu predigen, muss eine wirksame Klimabildung und -kommunikation die Bedeutung politischer Entscheidungen für den Klimaschutz vermitteln und Menschen in die Lage versetzen, sich umweltpolitisch zu engagieren.“

Patrick Brehm von Teachers for Future bemängelt zudem, dass etliche Schulbücher Wachstumskritik per se abtäten und die Lehren der Neoklassik nicht hinterfragen, also jener wachstumsfokussierten Denkschule, die in vielen westlichen Industriestaaten seit Jahrzehnten die Wirtschaftswissenschaften prägt. Zwar kämen auch Bücher auf den Markt, die ihn hoffen ließen, weil sie zum Beispiel auf Themen wie Kreislaufwirtschaft und die Externalisierung von Umweltfolgen eingingen, in denen der „ökologische Rucksack“ üblicher Produktionsverfahren und Wirtschaftsweisen ebenso thematisiert wird wie das Prinzip der Suffizienz, also von Mäßigung und „rechtem Maß“. Andererseits sei erst 2019 ein VWL-Lehrbuch neu verlegt worden, in dem der Begriff Nachhaltigkeit lediglich an einer Stelle und der Klimawandel nur in Form einer Grafik zu den „größten Klimasündern“ vorkommen.

Auch die FDP-nahe Friedrich-Naumann-Stiftung hat im Jahr 2022 Schulbücher für den Wirtschafts- und Politikunterricht untersuchen lassen. Die Analyse kommt zu dem Ergebnis, dass die ökonomische Perspektive auf den Klimawandel in Schulbüchern für Wirtschaft und Politik oft randständig bleibt. In zwölf der 47 Bücher konnten die Autor:innen wachstumskritische Ansätze finden. Was Brehm freuen dürfte, sieht die Naumann-Stiftung jedoch skeptisch, denn: Postwachstumsökonomie und Degrowth würden „in den meisten Fällen als ein nicht hinterfragter Lösungsansatz präsentiert“. Mögliche Folgen wie „Wohlfahrtseinbußen und verringerte Steuereinnahmen“ blieben unberücksichtigt. Die Studie trifft allerdings keine Aussage darüber, ob das Versprechen eines „grünen Wachstums“, das in 16 Büchern Thema ist, dort auch kritisch reflektiert wird.

Bücher sind für Lehrer:innen teils wichtiger als der Lehrplan

Es bleibt die Frage, warum so viele Schulbücher ihr Potenzial nicht nutzen, zu mehr und besserer Klimabildung beizutragen. In Deutschland bestimmen drei Verlage die Schulbuchlandschaft: Ernst Klett, Westermann und Cornelsen. klimafakten.de hat bei ihnen nachgefragt, wieso der Klimawandel in ihren Büchern nicht längst eine größere Rolle spielt. „Nicht wir als Verlag entscheiden, in welchem Umfang der Klimawandel in einem Fach dargestellt wird, sondern der Lehrplan des jeweiligen Bundeslandes“, schreibt der Westermann-Verlag in seiner Antwort, nichtsdestotrotz komme das Thema in vielen Büchern unterschiedlicher Fächer bereits vor. Cornelsen gibt an, dass der Klimawandel – nicht zuletzt im Zuge angepasster Lehrpläne – an Bedeutung gewinne. Der Klett-Verlag wiederum versichert, dass BNE seit Jahren fächerübergreifend in den Lehrmaterialien verankert sei, und verweist unter anderem auf ein Online-Dossier zu den SDGs.

Und tatsächlich: Solche und ähnliche Materialien bieten praktisch alle Schulbuchverlage an – allerdings nur als Ergänzung der Schulbücher in Form von Arbeitsblättern, als Podcast, App oder Film. Diese können das Schulbuch aber nicht ersetzen, betont Anna Dewenter: „Für viele Lehrkräfte sind Schulbücher wie eine Laterne im Dunkeln.“ Etliche ihrer Kolleg:innen würden gar nicht erst in den Lehrplan schauen, sondern nur ins Buch, um herauszufinden, was unterrichtet werden müsse. „Es gibt total viele Materialien im Netz – darunter bestimmt auch viele gute. Das Problem ist nur, sie zu finden, wenn man sie braucht. Wir können da nicht unendlich viel Zeit reinstecken“, fügt Jens Möller hinzu. Wenn der Klimawandel nicht in den Schulbüchern vorkommt, bleibt also zu viel der Eigeninitiative der Lehrkräfte überlassen.

Doch können die Bücher sich wirklich erst ändern, wenn die Lehrpläne es tun? „Die Verlage hätten schon sehr große Möglichkeiten“, findet Möller und nennt als Beispiel das Thema „Ökologische Nische“. Das müsse im Fach Biologie unterrichtet werden – aber an welchem Beispiel dies geschieht, bleibe der Lehrkraft überlassen. Und die orientiere sich eben meist am verwendeten Schulbuch. Möllers Vorschlag: Würde ein Biologiebuch etwa den Kuckuck als eine Tierart vorstellen, die sich im Laufe der Evolution an eine bestimmte ökologische Nische angepasst hat, könne man die Auswirkungen der Klimakrise ganz nebenher deutlich machen: Wenn der Kuckuck als Zugvogel aus seinem Winterquartier im Süden nach Deutschland zurückkehrt, sind viele seiner angestammten Wirtsvögel inzwischen aufgrund der Klimaerwärmung längst am Brüten – und er findet niemanden mehr, dem er seine Eier unterjubeln kann.

Zumindest bei Ernst Klett will man die redaktionellen Spielräume nun offenbar nutzen. Ende vergangenen Jahres hatten sich die Teachers for Future an den Verlag gewandt; ihr Wunsch: Mehr Klimawandel und generell BNE in den Materialien für das Fach Mathematik. Der Minimalvorschlag der Lehrer:innen – nämlich zumindest entsprechendes Zusatzmaterial zur Verfügung zu stellen – ging dem Verlag nicht weit genug: Er prüft nun, wie das Thema nicht nur begleitend, sondern direkt in den Schulbüchern besser verankert werden kann. Die Teachers for Future hoffen, dass andere Verlage und Fächer nachziehen.

Theresa Horbach