Die Grafiken sprechen eine eindeutige Sprache: Wenn Wissenschaftler auf einer Deutschlandkarte die Bodenfeuchte visualisieren, dann bestimmen üblicherweise sanfte Grün- und Blautöne das Bild. Sie stehen für eine Bodenfeuchte, bei der die hiesigen Pflanzen am besten gedeihen. Sie zeigen, wie der Boden den für Land- und Forstwirtschaft lebenswichtigen Regen speichert.

In diesem Jahr jedoch sehen diese Karten völlig anders aus: Sie wirken, als hätte jemand mit einem riesigen Radiergummi die Farben Blau und Grün fast vollständig ausradiert und durch grelles Gelb und Orange ersetzt. Diese Farben bedeuten laut Legende: Dürre.

Anders als sonst üblich waren in diesem Sommer auf Grafiken zur Bodenfeuchte in Deutschland kaum Grün- und Blautöne zu sehen - das bedeutet: Dürre; Quelle: DWD

Die mediale Aufmerksamkeit für das Wettergeschehen im zurückliegenden Sommer war enorm. Erst diese Woche zog die Süddeutsche Zeitung mit einem groß angelegten Online-Dossier eine Art journalistische Bilanz (allerdings ohne die Frage auch nur anzutippen, ob der "Sommer, der nie endet" irgendwelche klimapolitischen Folgen haben müsse).

"Braucht es erst ein Fukushima, um den Klimaschutz anzuschieben?"

Laut der Analysen des Deutschen Wetterdienstes oder auch von MeteoSchweiz war der Sommer 2018 sowohl überdurchschnittlich heiß als auch außergewöhnlich trocken. Ob jemand rückblickend von Dürre- oder von Hitzesommer spricht -  meteorologisch betrachtet macht das keinen allzu großen Unterschied. Doch wenn jemand auch nach drei Monaten ohne Regen noch immer von "schönem Wetter" spricht, dann ist die Wortwahl vermutlich ein guter Indikator dafür, wie groß bzw. klein bei Menschen das Bewusstsein für natürliche Kreisläufe ist.

Das Bewusstsein, dass Kartoffeln, Milch oder Getreide eben nicht im Supermarkt wachsen, ist in den ländlichen Regionen am größten - in den Dörfern und kleinen Kommunen, in denen immerhin ein Viertel (Deutschland, Schweiz) bis ein Drittel (Österreich) der Gesamtbevölkerung lebt. Deshalb stellt sich die Frage, ob der Extremsommer 2018 nicht vor allem dort einen Schub ausgelöst haben müsste – einen Bewusstseinsimpuls für die Dringlichkeit des Themas Klimawandel. Ein Motivationskick, die anstehenden Aufgaben beim Klimaschutz mit gesteigerter Tatkraft anzugehen. Oder ob, wie es Robert Niedergesäß formuliert, CSU-Politiker und seit 2013 Landrat im Kreis Ebersberg bei München, "erst ein Fukushima passieren muss, damit es beim Klimaschutz wieder einen Schub gibt".

„Es verändert sich etwas, es gibt da dieses mulmige Gefühl“

Ohnehin sind die Landkreise ein guter Ort, um zu schauen, wie es um die Tatkraft in Sachen Klimaschutz bestellt ist. Immerhin 85 Prozent der Kreise in Deutschland nehmen Mittel der Nationalen Klimaschutzinitiative des Bundesumweltministeriums in Anspruch. Damit erstellen sie Klimaschutzpläne, beschäftigen Klimaschutzbeauftragte oder bringen kreiseigene  Klimaschutzagenturen auf den Weg. Wie etwa der Landkreis Ebersberg, der schon 2006 im Kreistag einvernehmlich beschloss, bis 2030 bei der Strom- und Wärmeversorgung ohne fossile Kohle, Öl und Gas auszukommen. Für Landrat Niedergesäß steht nach diesem Sommer fest: „Auch bei den Normalbürgern ist angekommen, da verändert sich etwas, es gibt da dieses mulmige Gefühl."

Bei diesem Gefühl setzt auch Anselm Laube an. Als Geschäftsführer der Ludwigsburger Energieagentur (LEA) widmet er sich unter anderem einem besonders kontroversen Klimaschutzanliegen: Der Umwidmung von Parkplätzen in Stadtgrün. Dabei ist das extreme Wetter durchaus Teil seiner Kommunikationsstrategie: "Ich verweise darauf, um einen persönlichen Bezug, eine Betroffenheit herzustellen. Und dann treten wir fordernd auf – das heißt, ich diskutiere nicht das Ob des Klimawandels sondern ich sage den Leuten: 'Wir reden jetzt über das Wie.'" Was die mittelfristigen Effekte der Dürre im öffentlichen Bewusstsein betrifft, ist Laube allerdings skeptisch: "Ich befürchte, das ergibt allenfalls ein Strohfeuer."

Nahe dem brandenburgischen Treuenbrietzen wüteten in diesem Sommer verheerendsten Waldbrände seit vielen Jahren; Foto: Ralf Hirschberger/dpa

Kornelia Wehlan meidet derlei Feuer-Metaphorik derzeit eher. Die Linken-Politikerin ist Landrätin im Kreis Teltow-Fläming, der von der Südgrenze Berlins bis nach Sachsen-Anhalt reicht. Ihr Landkreis gehört ohnehin zu den niederschlagsärmsten in ganz Deutschland und weist den höchsten Anteil ehemaliger Militärflächen auf – dort kam es diesen Sommer auch zu mehreren großflächigen Waldbränden, die sich teils über mehrere Hundert Hektar ausbreiteten.

Was die vergangenen Monate für die kommunalpolitische Öffentlichkeit bedeuten, liegt für Landrätin Wehlan deshalb auf der Hand: "Dieser extreme Sommer hat uns gezeigt: Der Klimaschutz und die Arbeit der Rettungsdienste - das gehört eng zusammen." Erste Auswirkungen seien bereits festzustellen: "Eine bessere Ausstattung der Feuerwehr ist nach diesem Sommer Konsens. Allerdings müssen wir auch sehen: Der vorbeugende Brandschutz funktioniert derzeit nicht." Sprich: Es fehlt an Zufahrtswegen, Zugang zu Löschwasser oder Brandschutzschneisen, um im Ernstfall besser reagieren zu können. "Hier erhoffe ich mir einen massiven Denkanstoß durch das, was wir in unserem Landkreis erleben mussten."

"Wir an der Küste sind alle sehr geerdet. Wir wissen um den Klimawandel"

Hart getroffen von der Trockenheit wurde auch der an der Ostseeküste gelegene Landkreis Rendsburg-Eckernförde in Schleswig-Holstein. Den unzureichenden Stellenwert des Klimaschutzes macht Sebastian Krug, Klimaschutzbeauftragter des Landkreises, anhand zweier Zahlen deutlich: "Das Land Schleswig-Holstein muss allein nach diesem Sommer 20 Millionen Euro an Dürrenothilfen zahlen – das ist hundert Mal mehr, als wir im Landkreis für Klimaschutz zur Verfügung haben."

Zugleich sagt Krug: "Hier im Landkreis sind alle ziemlich geerdet – das heißt, das Bewusstsein für die Zusammenhänge beim Klimawandel und unsere Betroffenheit ist da." Im Kreistag zum Beispiel erfolgten die Beschlüsse zum Klimaschutz fast immer einstimmig – und zwar pro Klimaschutz. Trotz der grundsätzlichen Zustimmung weiß Krug aber auch von den Mühen zu berichten, für konkrete Klimaschutzprojekte Geld und politische Mehrheiten zu sichern. "Wenn ich jetzt durch die Gemeinden gehe und darum werbe, dass die sich finanziell an der Klimaschutzagentur unterstützen, die wir hier im Kreis gründen wollen, kann der Extremsommer sicherlich hilfreich sein."

"Wichtiger als das öffentliche Bewusstsein ist die Politik"

Tausend Kilometer südlich von Rendsburg hat Noah Zollinger ähnliche Erfahrungen gemacht. Zollinger ist Revierförster und leitet den genossenschaftlich organisierten Rüti-Wald Dürnten im Zürcher Oberland. "Wir haben in diesem Sommer gesehen, dass die Buchen mitten im Sommer braun werden und ihr Laub abwerfen. Und das haben nicht nur wir als Forstleute bemerkt, sondern auch viele Bürger haben uns gefragt, was denn da los ist." Klimawandel, Klimaschutz und der Wald – in der regionalen Politik sollten diese drei Themen für Zollinger immer gemeinsam auf die Tagesordnung gelangen. "Was mit dem Wald passiert und was wir beim Klimaschutz machen – das gehört zusammen. Man kann das zum Beispiel sehen, wenn ein Schulhaus saniert wird und die Frage ansteht, ob wieder eine Ölheizung eingebaut wird. Oder ob wir auf den klimaverträglichen Energieträger Holz setzen."

Zollinger engagiert sich klimapolitisch in der kürzlich gestarteten Gletscher-Volksinitiative. Von Bürgern gestartet, strebt sie eine Ergänzung der Schweizer Bundesverfassung um einen ebenso schlanken wie wirkmächtigen Satz an: "Spätestens Ende 2050 darf kein fossiler Kohlenstoff mehr in Verkehr gebracht werden." Doch was die Wirkung des Sommers 2018 betrifft, ist Zollinger zurückhaltend. Zwar fragen er selbst und seine Kollegen sich beklommen, was denn passiere, wenn sich die extreme Trockenheit über zwei oder drei Jahre hinweg wiederholt. Doch für das öffentlichen Bewusstsein erwartet er durch den Dürresommer keinen großen Schub. "Viel entscheidender wäre politische Verantwortung. Das heißt, ich erwarte, dass Politiker solche Ereignisse ernstnehmen und aufgreifen und in politisches Handeln übersetzen."

Den Klimaschutz in den Landkreisen auf der politische Agenda ganz nach oben zu setzen: diesem Ziel sieht sich das Projekt "Landkreise in Führung" verpflichtet. Eine konkrete Hilfestellung hierfür bietet ein "Kommunikationsleitfaden für Landkreise im Klimaschutz", den das kommunale "Klima-Bündnis" und die Beratungsagentur adelphi als Projektpartner herausgegeben haben.

Carel Mohn