Wenn Journalisten in einem Artikel zeigen wollen, dass ein Problem besonders relevant und drängend ist, dann nennen sie zu Beginn eines Textes häufig plastische Beispiele, an denen sich das Problem ablesen lässt. Wenn hingegen politische Beobachter erkennen wollen, welche Themen die gesellschaftlichen Debatten bestimmen, dann werfen sie einen Blick darauf, ob es in der Medienberichterstattung besondere Schwerpunkte gibt, an denen sich die Debattentrends ablesen lassen.

In diesem August kam beides zusammen. Ein deutsches Nachrichtenmagazin etwa listete in einer Titelgeschichte über den Extremsommer 2018 auf:

  • In Chemnitz erlässt die Stadtverwaltung ein Verbot, Wasser aus den städtischen Gewässern zu entnehmen.
  • In Gotteszell in Niederbayern muss eine Regionalbahnstrecke gesperrt werden, weil sich in der Hitze die Gleise verformt haben.
  • Und an der Warenterminbörse klettern wegen der erwarteten Ernteausfälle die Notierungen für Kartoffeln.

So zu lesen unter der Überschrift "Der Sommer, der nie endet" in der Spiegel-Ausgabe vom 4. August. Trotz sinkender Auflagenzahlen zählt das Magazin noch immer zu den Leitmedien im deutschsprachigen Raum. Und war mit seiner Titelstory tatsächlich so etwas wie der Blitzschlag in einer medialen Gewitterfront, die mit fortschreitender Hitze, Dürre und Trockenheit im Sommer 2018 über Leser, Hörer und Zuschauer hereinbrach:

  • Eine Doppelseite in der Welt am Sonntag, in der Pia Heinemann, Ressortchefin des Wissenschaftsteils, analysiert, was Menschen trotz klarer wissenschaftlicher Befunde anfällig macht für Verschwörungstheorien und das Leugnen des Klimawandels.
  • Eine Doppelseite im Schweizer Blick, auf der die Boulevardzeitung unter der Überschrift "Politiker finden ständig Ausreden ..."  nicht nur schmelzende Gletscher zeigt und von der Dürre betroffene Land- und Forstwirte vorstellt – sondern mit der Gletscherinitiative ausführlich auch Schweizer Bürger porträtiert, für die das Extremwetter eines der Motive ist, eine Änderung der Bundesverfassung zu fordern.
  • Und ein Brocken von einem Kommentar in der Bild, in dem Kolumnist Franz-Josef Wagner die Bilder in der Hitze verendender Fische zum Anlass nimmt zu fordern: "Alle Klima-Leugner sollen ab jetzt die Klappe halten. Unsere Welt bewegt sich Richtung Hölle." Und der in der Frage gipfelt: "Wollen wir Fische sein, oder wollen wir überleben?"

Die Bandbreite der journalistischen Beschäftigung mit dem "Sommer, der nie endet" war und ist groß: Sie beginnt bei Wettersendungen wie "Alle Wetter!" im Hessischen Rundfunk, in der Moderator Thomas Ranft immer wieder die Brücke von Wettereignissen zum Klimawandel schlägt, und damit von Alltagsbeobachtungen der Zuschauer ausgeht. Geht zur Einblendung einer (von klimafakten.de mitproduzierten) Grafik zur Erderhitzung im Wetterblock des ZDF-"heute journal". Über einen Leitartikel in der ZEIT oder den WDR 5 Presseclub, in dem Journalisten darüber debattieren, ob die Regierung den Klimaschutz verschläft.

Bis hin zu einer mehrteiligen Kommentarkontroverse auf Spiegel Online, in der sich die Redakteure Georg Diez, Axel Bojanowski und Holger Dambeck leidenschaftlich darüber streiten, ob der Klimajournalismus bisher versagt habe und jetzt die Zeit sei "für einen Journalismus von einem anderen Stern", ob ein überhitzter Journalismus auch in diesem Sommer einmal mehr in die Alarmismus-Falle tappe – oder ob nicht der Alarmismusvorwurf verfehlt sei und die ganze Debatte an der eigentlichen Frage vorbeigehe, wie ein umwelt- und klimafreundlicheres Leben möglich sei. Und diese Aufzählung ließe sich fast unendlich fortsetzen.

Wird der Sommer 2018 so etwas wie das "Tschernobyl" des Klimawandels?

Montagmorgen in Berlin. Die Sommerferien sind vorüber, die Dauerhitze klingt ab, die Dürre hält an. In der klimafakten.de-Redaktion sortieren wir das Geschehen der vergangenen Wochen, berichten den Urlaubsrückkehrern von den zahlreichen Anfragen, die uns zur Verwendung unserer bereits erwähnten "Wärmestreifen"-Grafik erreicht haben und fragen uns: Was bedeutet dieser Sommer jetzt eigentlich für das Thema Klimawandel als Gegenstand der öffentlichen Debatte? Wie gut, wie differenziert, wie facettenreich war die Medienberichterstattung?

Vor allem: Ist hier in den zahlreichen Medienberichten der jüngsten Tage, durch die Arbeit vieler Journalisten möglicherweise geschehen, woran auch wir bei klimafakten.de seit Jahr und Tag arbeiten – dass das abstrakte, sperrige, fern scheinende Thema Klimawandel plötzlich greifbar und erlebbar wird? Gab es gar, medial vermittelt, mit dem Dürresommer 2018 eine Art Schlüsselereignis mit politischen Langzeitfolgen, "so wie wir es beispielsweise bei Tschernobyl oder Fukushima erlebt haben", wie der Hamburger Kommunikationswissenschaftler Michael Brüggemann es formuliert?

"Die Nachfrage nach dem Thema Klimawandel ist jetzt da"

Die Wissenschaftsjournalistin Alina Schadwinkel berichtet bei Zeit Online schon lange über den Klimawandel. In diesem Sommer aber sei etwas völlig anders gewesen, sagt sie: "Die Nachfrage nach dem Thema Klimawandel ist jetzt da. Wir berichten zwar seit Jahren dauernd darüber – aber jetzt ist eben die Chance gekommen, um Zweifel auszuräumen, um aufzuklären." Auf diese Aufgabe stürzt sie sich mit Verve. In einer Art Kompaktausgabe der Faktencheck-Rubrik von klimafakten.de stemmt sie sich "mit Fakten gegen jeden Zweifel". In dem fast 14.000 Zeichen langen Kompendium erklärt sie nicht nur, was Klimaforscher zu Fragen, Einwänden und skeptischen Einwürfen an die Adresse der Wissenschaft sagen würden, sondern empfiehlt Lesern auch ganz lebenspraktisch, was sie in Alltagsgesprächen entgegnen könnten.

"Auslöser meiner Geschichte waren sowohl Leserkommentare als auch Fragen, die Kollegen in den Redaktionskonferenzen stellen – im Kern beschäftigt beide nämlich durchaus dasselbe." Den Impetus, sich akribisch mit Forschungsbefunden zu beschäftigen und diese in eine Form zu bringen, die auch im Alltag verwendbar ist, zieht Schadwinkel aus dem simplen Wunsch nach Aufklärung: "Ich wünsche mir Leser, die nachher reflektierter debattieren können, denen ich Grundlagen für fundierte Entscheidungen vermitteln konnte."

Die deutsche Version der "Warming Stripes", die klimafakten.de gemeinsam mit dem britischen Klimaforscher Ed Hawkins produziert hat, schaffte es am Abend des 17. Juli sogar ins ZDF-heute-journal; Foto: Screenshot

Dieser Schritt hin zu mehr Fundierung, zu mehr Einordnung - im Extremsommer 2018 ist er den Medien nach Schadwinkels Beobachtung durchaus gelungen: "Beim Thema Attribution, also bei der Frage, welchen Anteil der Klimawandel an der Häufigkeit von Extremwettereignissen hat, hatten wir in diesem Sommer durchaus so etwas wie einen breiten gesellschaftlichen Lerneffekt." Diese Einschätzung teilt der Hamburger Medienforscher und klimafakten.de-Beirat Michael Brüggemann: "Dieser Sommer war eine Gelegenheit für besonders interessierte Journalisten, ihr Thema Klimawandel in den Redaktionen weiter oben auf die Agenda zu setzen."

Dieses Themensetzen war offenbar erfolgreich. Und zwar nicht nur bei der Zahl und Sichtbarkeit der Medienberichte, sondern auch bei deren Qualität. "Ich fand die Berichterstattung anlässlich des Dürresommers im Schnitt ziemlich breit und auch gut", sagt etwa der an der Hochschule Darmstadt tätige Journalismusforscher Torsten Schäfer. "In vielen Fällen konnte man fundierten aktuellen Journalismus beobachten – einen Journalismus nämlich, der mit Bezügen zum Klimawandel einerseits den übergreifenden Kontext herstellt, der sich andererseits aber auch konkrete Folgen der Dürre ansieht, etwa mit den sterbenden Fischen in überhitzten Flüssen oder dem Mann, der öffentliche Grünanlagen wässert."

Deutschland schwitzt - plötzlich wirkt der Klimawandel nicht mehr weit weg

Entscheidend war aus Schäfers Sicht, dass sich das Extremwetter diesmal nicht in Form von Hurrikanen in den Subtropen oder Waldbränden in Griechenland abspielte - sondern dass Redakteure ebenso wie Leser und Zuschauer direkt betroffen waren: "Der Dürre, der Hitze konnte man nicht ausweichen – die Medien haben daher automatisch die Nähe, die Alltäglichkeit des Themas aufgegriffen. Und im besten Fall dabei aufgezeigt, wie sehr wir existentiell abhängig und betroffen sind von Ressourcen wie Böden, Luft, Wälder und Wasser und damit arbeitenden Zweigen wie der Forst- und Landwirtschaft."

Ähnlich sieht es der Hamburger Wissenschaftsjournalist Christopher Schrader. "Dieser Sommer hat den Klimawandel von einer intellektuellen auf eine emotionale Ebene gebracht, es war eine sinnliche, körperlich spürbare Erfahrung." Potenziert wurde dies möglicherweise durch eine einprägsame Begrifflichkeit. "Der mitten in die Hitze hinein platzende Begriff 'Heißzeit' hat einen Nerv getroffen – dass der entsprechende Forschungsartikel in den Proceedings of the National Academy of Sciences (PNAS) auf dem Höhepunkt der Hitzewelle kam, war vielleicht Zufall, aber kommunikativ betrachtet ein Treffer", so Schrader. "Allerdings bin ich skeptisch, ob dieser Begriff den Leuten langfristig im Kopf bleiben wird, nachdem die direkte Betroffenheit vorüber ist."

"Ein kleines und reiches Land wie die Schweiz hat die besten Voraussetzungen, ein Vorbild zu sein" - diese und andere klare Statements für mehr Klimaschutz hob die größte Schweizer Boulevardzeitung Blick am 8. August ins Blatt; Foto: Faksimile

In der Tat stellt sich die Frage, was bleiben wird, wenn die vielerorts mageren Ernten eingeholt sind, wenn die Nächte wieder erholsame Kühle bringen und sich die Pegel der Flüsse normalisiert haben. Die eigentliche journalistische Aufarbeitung der meteorologischen Extreme müsse jetzt erst anfangen, meint beispielsweise Bernhard Pötter, Journalist bei der Berliner tageszeitung und Beobachter zahlreicher UN-Klimagipfel. Ohnehin ist er vergleichsweise genervt von der journalistischen Standardfrage der vergangenen Wochen: 'Wetter oder Klima?' Pötter: "Ich finde es ist nicht wichtig zu wissen, ob diese Wetterextreme zu 22 Prozent oder zu 28 Prozent auf den Klimawandel zurückzuführen waren – denn offenkundig verläuft ja der Klimawandel schneller, als selbst die alarmistischsten Geister einst meinten."

Auch Christopher Schrader betrachtet es mit einer gewissen Skepsis, den Unschärfen und Unsicherheiten bei einzelnen Forschungsfragen zum Klimawandel breiten Raum zu geben. "Wenn einzelne Medien weiterhin die vermeintlichen 'großen Unsicherheiten' in der Klimaforschung thematisieren, dann verwenden sie damit eine Chiffre für das, was viele Leser eigentlich gern hören wollen – dass man beim Klimaschutz noch abwarten kann und auf keinen Fall zu viel tun sollte."

"Politikjournalisten müssen beharrlich nach Klimapolitik fragen"

Vom Wetter zur Politik – taz-Redakteur Bernhard Pötter findet, der Klimajournalismus dürfe nicht stehen bleiben bei der Auseinandersetzung mit ins Auge springenden Wetterphänomenen: "Als Journalisten müssen wir weiter sein. Wir tun immer noch so, als ob der Klimawandel abzuwägen sei gegen Jobs, so als könnte man wie bei Tarifverhandlungen damit verhandeln und Kompromisse schließen – das sind aber physikalische Prozesse, die sich nicht nach Wahlterminen oder dem Betriebsergebnis einzelner Firmen richten."

In diese Richtung argumentieren auch die befragten Medienforscher. Michael Brüggemann beispielsweise wünscht sich für die Berichterstattung nach dem Dürresommer: "Die Journalisten müssen dranbleiben, auch wenn es wieder fünf Grad kühler wird. Jetzt ist klassischer politischer Journalismus gefragt, der sich als Watchdog gegenüber der Politik versteht. Der beharrlich fragt, ob die Politik die Konsequenzen aus diesem Sommer zieht."

Torsten Schäfer, der mit dem Web-Portal "Grüner Journalismus" selbst einen Beitrag zu professionellem Klimajournalismus leisten will, spitzt es politisch noch etwas zu: "Wir haben die Frage nach der politischen Verantwortlichkeit zu lange gewissermaßen privatisiert. Ich würde mir deshalb eine Klimaberichterstattung wünschen, die nicht nur meistens danach fragt, was 'man' jetzt tun kann, sondern was der Staat, was politische Verantwortliche tun können."

Immerhin einen Schritt weiter: Bei Maybrit Illner geht es - anders als im vergangenen Jahr bei ihrer Talkkollegin Sandra Maischberger - nicht mehr um das Ob des Klimawandels, sondern die richtige Reaktion darauf; Foto: Screenshot

Auch wenn in der Gluthitze des Sommers 2018 nur wenigen nach Lagerfeuer zumute gewesen sein dürfte: Am Ende dieser vorläufigen Medien-Hitze-Bilanz muss sich der Blick noch auf die großen Talkshows richten - die langsam verglühenden, aber immer noch heißen "Lagerfeuer der Nation". Im vergangenen Jahr machten die großen Talkrunden im deutschen Fernsehen noch einen großen Bogen um das Thema Klimawandel, wie eine Analyse von klimafakten.de zeigte. Einzige Ausnahme bildete eine - inhaltlich dann auch noch umstrittene - Ausgabe der Sendung von Sandra Maischberger in der ARD anlässlich der Verwüstungen des Orkans Xavier im Oktober 2017.

Talkshows: Vom Ob des Klimawandels zum Wie der Reaktion darauf

Ein Jahr später greifen innerhalb einer Woche gleich zwei öffentlich-rechtliche Groß-Talkshows die Vorlage auf, die ihnen das Extremwetter bietet - zeitlich gut plaziert zum Ausklang der Sommerferien, ganz am Ende der politischen Sommerpause, sozusagen am Übergang von der sommerlich zur politischen Heißzeit: Nach Anne Will am vergangenen Sonntag dann am gestrigen Donnerstag gleich auch noch Maybrit Illner

Und schon die jeweiligen Titel der drei Talkrunden deuten auf einen tatsächlichen Fortschritt in der medialen Debatte, eine Fortentwicklung von der rein phänomenologischen Betrachtung hin zu einem politischen Klima-Watchdog-Journalismus. Denn während bei Sandra Maischberger im vergangenen Jahr noch ernsthaft die Frage gestellt wurde, ob "unser Klima" denn wirklich "kippt", blicken Will und Illner inzwischen auf Konsequenzen und Lösungen - die Titel der beiden Sendungen dieses Jahres lauteten: "Der Dürre-Sommer - Wie müssen wir unser Verhalten ändern?" und "Der heiße Planet - Sind wir zum Verzicht bereit?"

Carel Mohn