Prof. Markus Reichstein, 43, ist Direktor am Max-Planck-Institut für Biogeochemie in Jena und forscht unter anderem zum Kohlenstoffkreislauf der Erde und dessen Wechselwirkung mit dem Klima. Für seine Arbeiten wurde er mehrfach ausgezeichnet, unter anderem mit dem Max-Planck-Forschungspreis der Alexander-von-Humboldt-Stiftung. Markus Reichstein koordinierte unter anderem das EU-Projekt CARBO-Extreme und leitet zur Zeit den globalen Verbund "Climate extremes from Climate to Society".

 

Herr Professor Reichstein, bei jeder Flut, bei jeder Hitzewelle fragt die Öffentlichkeit aufs Neue: Ist das jetzt schon der Klimawandel?

Das ist ja auch durchaus verständlich: Extremwettereignisse betreffen viele Menschen ganz direkt, deshalb interessieren sie sich sehr dafür. Und die Frage nach dem Zusammenhang mit dem Klimawandel drängt sich natürlich auf.

Lange Zeit gab es von der Wissenschaft die immer gleiche Standardantwort …

… dass einzelne Extremwetterereignisse nicht kausal auf den Klimawandel zurückführbar sind – und dass wir daher nicht sagen können, ob genau diese Hitzewelle oder genau jene Flut direkt mit der menschengemachten Erderwärmung zusammenhängt oder ohnehin vorgekommen wäre.

Und vergangenen Monat hat nun die US-Akademie der Wissenschaften einen umfangreichen Report vorgelegt, der die Forschung zu diesem Thema auswertet. Dessen Fazit lautet: "Die Wissenschaft ist so weit fortgeschritten, dass diese Antwort als uneingeschränkte und generelle Aussage nicht mehr korrekt ist." Wie ist denn inzwischen der Stand der Forschung?

Einerseits bleibt es dabei, dass man nicht sagen kann, ein einzelnes Extremwetterereignis sei direkt und mit hundertprozentiger Sicherheit durch den Klimawandel verursacht worden – dafür ist das Wetter zu sehr ein Zufallsprozess und ein einzelnes Extremereignis von zu vielen Faktoren abhängig. Doch andererseits kann man inzwischen sehr wohl sagen und detailliert belegen, dass bestimmte Extremwetterereignisse durch den Klimawandel wahrscheinlicher geworden sind.

Man kann sich die menschengemachte Erderwärmung vorstellen wie das Zinken von Würfeln. Wenn man einen Würfel so manipuliert, dass er auf zwei oder gar drei Seiten eine Sechs hat – und dann mit ihm würfelt und eine Sechs erhält: Dann weiß man zwar nicht, ob die Sechs nicht vielleicht ohnehin gefallen wäre. Aber man weiß und wird schnell merken, dass die Sechs jetzt viel häufiger kommt. Und für bestimmte Arten von Extremwettern kann man inzwischen sagen, wieviel häufiger sie infolge des Klimawandel vorkommen.

Der Fachbegriff ist Attribution, zu deutsch: Zuschreibung – also ob man bestimmte Ereignisse bestimmten Ursachen zuschreiben kann. Wie hat sich die Attributionsforschung in den vergangenen Jahren entwickelt?

Eine wirklich wegweisende Studie erschien im Jahr 2004 im Fachmagazin Nature. Der Brite Peter Stott und zwei Kollegen untersuchten darin die Hitzewelle in Europa im Jahr 2003

... die in der Landwirtschaft zu drastischen Ernteeinbußen führte und europaweit schätzungsweise 70.000 Menschenleben gekostet hat, davon allein 9.000 in Deutschland.

Genau. Die Studie hatte untersucht, wie wahrscheinlich eine solche extreme Hitzewelle unter natürlichen Klimabedingungen ist und wie wahrscheinlich sie in einem Klimasystem mit menschlichen Treibhausgasen ist. Dafür wurden historische Beobachtungsdaten ausgewertet und verschiedene Simulationen mit Klimamodellen vorgenommen. Im Ergebnis konnte man eindeutig nachweisen, dass sich infolge des Klimawandels die Wahrscheinlichkeit einer solchen Hitzewelle mindestens verdoppelt hat. In den Grundzügen hat diese Studie vorgezeichnet, was die Attributionsforschung seitdem tut: Man vergleicht verschiedene Varianten des Klimas, destilliert die darin vorkommenden Extremwetterereignisse heraus und vergleicht deren Häufigkeit.

Diese Methode war in der Wissenschaftscommunity nicht unumstritten.

Ja, klar, das ist der normale Prozess der Forschung: Jemand veröffentlicht eine Studie – aber eine Schwalbe macht noch keinen Sommer. Es ist in allen Wissenschaftsbereichen so, dass dann erstmal geguckt wird, ob die Ergebnisse reproduzierbar sind und Bestand haben. Nach dieser 2004er Studie entstand also eine Reihe von Folgeuntersuchungen. Die Methoden wurden verfeinert. Und letztlich haben sich die Ergebnisse bestätigt. Inzwischen ist man sich ziemlich sicher, dass das kein Hokuspokus ist.

Mit der US-amerikanischen National Academy of Sciences (NAS) hat nun eine namhafte Institution dieser Forschungsmethode sozusagen ihren Segen gegeben. Was genau kann die Wissenschaft inzwischen zum Zusammenhang von Extremwetter und Klimawandel sagen?

Mittlerweile ist es möglich, für bestimmte Arten von Extremwetterereignissen zu quantifizieren, wie stark der menschengemachte Klimawandel deren Intensität oder Häufigkeit beeinflusst. Man kann zum Beispiel sagen: Eine Hitzewelle, die sich natürlicherweise nur ungefähr alle 99 Jahre ereignen würde, tritt nun etwa alle 33 Jahre auf. Sie ist also circa dreimal so wahrscheinlich geworden. Aber wie genau oder wie verlässlich man so etwas sagen kann, hängt vom Typ des Ereignisses ab: Zu Hitzewellen sind bereits ziemlich genaue Aussagen möglich, zu Dürren, Starkregen und Fluten weniger genaue, und für Stürme kann man im Moment eigentlich noch gar nichts sagen.

Jahrhunderthitze kommt jetzt dreimal im Jahrhundert

Der Grund dafür ist relativ simpel: Es gibt bestimmte Prozesse im Klimasystem, die wir physikalisch schon ganz gut verstehen – zum Beispiel können wir in Modellen ziemlich genau simulieren, was mit den Temperaturen auf der Erde infolge der durch die Treibhausgasemissionen veränderten Strahlungsbilanz passiert, also wie und wo sie sich verändern. Wenn wir jedoch in den Bereich der Niederschläge gehen, ist es bereits komplizierter. Zwar ist der physikalische Mechanismus auch hier klar – warme Luft kann mehr Feuchte speichern, weshalb es mehr und stärkere Niederschläge geben kann. Aber wie und wo genau was passiert, hängt sehr stark von der Luftzirkulation in der Atmosphäre ab, deren Mechanismen wir bisher weniger gut verstehen. Noch schwieriger schließlich ist die Attribution für Ereignisse wie Stürme, Windhosen oder Tornados – bei deren Entstehung spielen eine ganze Reihe sehr zufälliger und kleinräumiger Ereignisse eine Rolle, da ist das physikalische Verständnis und die Auflösung der Klimamodelle noch nicht groß genug, um seriöse Aussagen über eine veränderte Häufigkeit zu treffen.

Im Prinzip ist das ja beim Wetterbericht ähnlich: Die Temperaturen für einen bestimmten Ort lassen sich ziemlich präzise vorhersagen. Schwieriger ist schon die Frage, wo und wann genau wieviel Regen fallen wird. Wirklich unmöglich ist eine Vorhersage, ob und wo eine Windhose entsteht.

Was genau waren im letzten Jahrzehnt die wissenschaftlichen Fortschritte, dank derer nun bessere Aussagen zum Zusammenhang von Klimawandel und Extremwetter möglich sind?

Die gab es auf vielen Gebieten. Zum Beispiel sind die globalen und regionalen Klimamodelle stark verbessert worden. Daneben hat sich die Arbeit mit den Modellen verändert, man lässt heute sein Modell sehr oft durchlaufen mit jeweils leicht veränderten Anfangsbedingungen und zieht dann einen Mittelwert – dadurch kann man robustere Aussagen treffen, als wenn man sein Modell nur einmal rechnen lässt, und insbesondere die natürliche Variabilität vom Effekt des Klimawandels trennen. Ermöglicht wurde diese neue Arbeitsweise natürlich dadurch, dass die Computer erheblich leistungsfähiger geworden sind. Ein weiterer Fortschritt ist, dass man inzwischen bessere und mehr Beobachtungsdaten hat, einerseits mehr aktuelle Daten aus dem Klimasystem, andererseits wurden die historischen Datenreihen verbessert, man hat aus natürlichen Klimaarchiven neue erstellt und vorhandene verfeinert. Dadurch lassen sich Klimamodelle besser kalibrieren, aber auch aktuelle Extremwetterereignisse besser einordnen.

Bei der brasilianischen Rekorddürre von 2014 war der Klimawandel nicht ausschlaggebend

Welche Arbeiten außer der erwähnten Stott-Studie fanden Sie noch besonders bemerkenswert?

Man darf nicht vergessen, dass aus der Wissenschaft nicht nur Artikel kommen, die das eine oder andere Ereignis mit dem Klimawandel in Zusammenhang bringen – sondern dass auch und gerade das Gegenteil geschieht! Im vergangenen Jahr zum Beispiel zeigte eine Studie, dass die brasilianische Dürre von 2014 nicht so sehr mit dem Klimawandel zusammenhing - sondern vor allem ein starkes Bevölkerungswachstum und ein hoher Wasserverbrauch verantwortlich waren. Mancherorts machen es sich die Verantwortlichen nämlich zu leicht und sagen bei bestimmten Problemen: Wir können ja nichts tun, das ist der Klimawandel. Auch bei Überschwemmungen zum Beispiel sind häufig Faktoren wie Flussbegradigungen oder eine veränderte Landnutzung wichtiger als der Klimawandel.

Wichtig zu nennen ist außerdem der IPCC-Spezialreport zu Extremereignissen von 2012. Darin wurde unter anderem gezeigt, dass verschiedene Extremereignisse wie Hitzewellen, durch den Klimawandel Ende des Jahrhunderts deutlich häufiger auftreten werden als heute.

Wenn nun also beispielsweise bei der nächsten Hitzewelle ein Journalist bei Ihnen anruft und fragt: Ist der Klimawandel die Ursache?

Auf exakt diese Frage lautet die Antwort weiterhin: Wir können nicht sagen, ob diese Hitzewelle durch den Klimawandel verursacht wurde. Das ist so ähnlich wie mit Lungenkrebs: Wenn man einen Arzt fragt, ob ein spezieller Krankheitsfall durch Rauchen ausgelöst wurde, muss er passen – denn Lungenkrebs kann durch verschiedene Faktoren ausgelöst werden. Unbestritten ist jedoch, dass Rauchen das Erkrankungsrisiko stark erhöht, aber letztlich ist das eine Wahrscheinlichkeitsaussage.

Genauso müsste man als Klimawissenschaftler bei der Frage nach einer Hitzewelle kurz erläutern, dass man nicht nach der Kausalität fragen sollte, wenn man eine gehaltvolle Aussage bekommen möchte – sondern nach der Wahrscheinlichkeit. Man sollte die Frage also klugerweise ein bisschen anders formulieren. Dann nämlich könnte man für eine Hitzewelle inzwischen ziemlich verlässlich sagen, ob sie durch den Klimawandel wahrscheinlicher geworden ist – und wie sehr.

Und wenn wir mit den Treibhausgasemissionen weitermachen wie bisher, wird man für die eine oder andere Hitzewelle in 50 oder 90 Jahren bestimmt sagen können: "Diese Hitzewelle hätte es mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit ohne anthropogenen Klimawandel nicht gegeben…"

Interview: Toralf Staud -
Das Gespräch wurde im März 2016 geführt