Leonie Engelfried ist Grundschullehrerin. Deswegen liegt es vermutlich in der Natur der Sache, dass sie von der Kraft der Bildung überzeugt ist. Sie ist allerdings auch überzeugt, dass bei vielen Entscheidungsträgern ein Bildungsdefizit in Sachen Klimakrise vorhanden ist.

Das Thema stand auch bei der 31-Jährigen nicht immer ganz oben auf der Agenda, sagt sie rückblickend. Das änderte sich, als vor zwei Jahren ihre Tochter zur Welt kam. "In der Elternzeit hatte ich Zeit, mich zu sortieren und zu überlegen, was wirklich wichtig ist." Sie begann sich in das Thema einzulesen – denn obwohl sie Lehrerin für Sachunterricht ist, sei ihr das Thema im Studium so gut wie nicht begegnet. Und mit dem Mehr an Wissen kam das Bedürfnis zu handeln. Sie nahm an #FridaysForFuture-Demonstrationen teil und begann schließlich, im Hamburger Rathaus Veranstaltungen zu besuchen, bei denen es um die Fortführung des Hamburger Klimaplans ging. "Da bekam ich schnell den Eindruck, dass einige Abgeordnete die Relevanz des Themas nicht wirklich verstehen", sagt Engelfried.

Weltklimarat? IPCC? Was ist das denn?

Während des Kommunalwahlkampfs zur Hamburger Bürgschaft im Januar tingelte sie Politikerinnen und Politiker der verschiedenen Parteien ab. "Ich hab gefragt, was die so wissen im Bereich Klima – und ob sie zum Beispiel überhaupt schon mal von den Berichten des Weltklimarat gehört haben." Manche kannten noch nicht einmal das Wort, stellte Engelfried ernüchtert fest. "Die überwiegende Mehrheit wusste zwar schon, worum es geht, hat aber selbst noch nie in einen IPCC-Bericht geblickt." Zu umfangreich und komplex sind die Berichte für Abgeordnete, die oft hochspezialisiert in ihrem jeweiligen Fachgebiet arbeiten.

Im Februar wurden die 123 Abgeordneten des Hamburger Landesparlaments neu gewählt - jetzt sollen sie mindestens 90 Minuten Klima-Unterricht bekommen; Grafik: facebook.com/KursAufKlimafakten

Oft fehlt schlicht die Zeit sich näher mit dem Klima-Thema zu beschäftigen. Die Mitglieder der Hamburger Bürgerschaft, ebenso wie die Vertreter in anderer Landesparlamente oder der Stadträte vieler anderer deutscher Städte, haben zahlreiche Verpflichtungen. In der Regel sind innerhalb der Fraktionen thematische Zuständigkeiten verteilt, und jeder hat mit seinen Aufgaben viel zu tun. Und auf der kommunalen Ebene üben die Abgeordneten die Parlamentstätigkeit in Teilzeit aus – zusätzlich zu ihrem eigentlichen Beruf. Viele Abgeordnete in Hamburg hätten denn auch in den persönlichen Gesprächen auf den Umweltausschuss verwiesen, der sich um "sowas kümmere". Engelfried: "Das hat mich am meisten erschreckt. Wenn die Verantwortlichen nicht verstehen, dass Klimaschutz ein Querschnittsthema für alle Bereiche sein muss, dann haben wir ein Problem."

Grundlagenkurs ohne politische Debatte

Das müsse sich ändern, ist Engelfried überzeugt. Ihre Idee: Eine mindestens 90-minütige Pflichtfortbildung für alle Abgeordneten, bei der der wissenschaftliche Konsens auf Basis der IPCC-Berichte für politische Entscheidungsträger verständlich vermittelt wird. Dabei solle es ihrer Vorstellung nach explizit nicht darum gehen, darüber zu diskutieren, welche Maßnahmen zur Begrenzung des Treibhausgasausstoßes angebracht wären. Im Vordergrund soll die Vermittlung eines "soliden Grundlagenwissens" zum Problem stehen – um Parlamentarier dadurch in die Lage zu versetzen "faktenorientierte Entscheidungen" für die Lösungen treffen zu können.

Unter dem Stichwort "Kurs auf Klimafakten" hat Engelfried deswegen eine Petition gestartet, um den Vorschlag in die Bürgschaft des Stadtstaates einzubringen. Gut 600 Personen haben bislang mitgezeichnet, bis 27. April soll die Petition laufen (möglicherweise auch länger, weil das Thema Klimaschutz im Moment spürbar von der Corona-Krise überlagert wird).

Nachahmer gibt es bereits in anderen Bundesländern

Eingebracht werden kann die Petition jedoch unabhängig von der Anzahl der Unterschreibenden. Die verbleibende Zeit will Leonie Engelfried nutzen, die Idee bekannter zu machen. Als Einzelkämpferin, so Engelfried, habe sie kaum Ressourcen für Öffentlichkeitsarbeit. Dennoch stoße die Idee in den sozialen Medien auf viel positive Resonanz. Auf diese Weise hat sie bereits Nachahmer in Schleswig-Holstein, Bayern und Baden-Württemberg gefunden, die ebenfalls Petitionen in ihren Bundesländern gestartet haben. Darüber hinaus gibt es auch die Idee einer Fortbildung für Bundestagsabgeordnete – sie sollte im Juni auf der Klima-Riesenversammlung im Berliner Olympiastadion präsentiert werden (doch ob und wie diese stattfindet, ist derzeit unklar).

"Mein Engagement ist eine Liebeserklärung an die parlamentarische Demokratie", sagt Engelfried. "Ich glaube, dass das bisherige fehlende oder nicht ausreichende Handeln keine Böswilligkeit ist, sondern dass Wissen um den Klimawandel fehlt. Ich bin Optimistin."

Neben der Hamburger Petition gibt es bereits ähnliche Initiativen in Baden-Württemberg, Bayern und Schleswig-Holstein; Grafik: facebook.com/KursAufKlimafakten

Doch kann das funktionieren? "Prinzipiell ist es natürlich immer gut, sein Wissen über ein bestimmtes Thema zu erweitern. Zudem hat die Forschung gezeigt, dass der breite wissenschaftliche Konsens zum menschengemachten Klimawandel ein sogenannter 'gateway belief' ist", sagt Prof. Hannah Schmid-Petri vom Lehrstuhl für Wissenschaftskommunikation an der Universität Passau. Damit ist gemeint, dass es bei vielen Menschen die Tür für weitere Informationen zum Klima öffnet, wenn sie darüber informiert werden, wie weitgehend einig sich die Fachwelt über Grundfragen des Themas ist.

Expertentipp: Wissen über den Klimawandel vor Ort vermitteln 

Eine verpflichtende Fortbildung hält Schmid-Petri hingegen für kaum möglich. Denn laut Deutschem Grundgesetz sind Abgeordnete frei und nicht an Weisungen gebunden. "Dies schließt meines Erachtens auch ein, dass sie frei entscheiden können wie und wo sie sich informieren und welches Material sie für ihre politische Arbeit brauchen."

Die Kommunikationsexpertin gibt außerdem zu bedenken: "Bislang ist nicht klar – und das ist auch eine schwierig zu beantwortende beziehungsweise noch weitgehend ungeklärte Frage – wie viel Wissen über wissenschaftliche Sachverhalte aber auch über wissenschaftliche Arbeitsweisen und Methoden Politiker*innen eigentlich brauchen, um 'gute' politische Entscheidungen treffen zu können." Ihre Anregung: In einem Bildungsangebot vor allem Wissen darüber zur Verfügung zu stellen, was die eher abstrakten Klimafakten konkret für den Alltag einer Stadt bedeuten. Also beispielsweise darüber zu informieren, wie sich die globale Erwärmung konkret auf das Leben in den Kommunen auswirken kann. "Dies würde das abstrakte und sehr komplexe Problem sehr viel nahbarer, konkreter und begreifbarer machen", sagt Schmid-Petri.

Corona zeigt, wie wichtig solide Wissenschaft für wirksame Politik ist

Wissen allein, das macht die seit Jahrzehnten andauernde Debatte um geeignete Maßnahmen in der Klimakrise seit langem deutlich, genügt offenbar nicht. In der Coronakrise änderten die Menschen ihr Verhalten erst, als die Politik die Gefahr auch deutlich kommunizierte und selbst handelte. Grundlage dafür waren glaubhafte Analysen von wissenschaftlichen Experten – in diesem Falle Virologen und Epidemiologen. Eindringliche Faktenvermittlung an Politiker, so könnte das Fazit lauten, ist ein wichtiger erster Schritt.

Optimistin Engelfried will trotz Corona-Krise ihr Hamburger Projekt weiter vorantreiben – und ist bereits dabei, sich mit Institutionen zu vernetzen, die solche Fortbildungen sinnvoll gestalten und umsetzen könnten. Sie denkt schon mindestens zwei Schritte weiter: "Toll fände ich, wenn es die Fortbildungen als Live-Stream geben könnte, damit auch die Bürgerinnen und Bürger etwas davon haben."

Daniela Becker

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