Fritz Reusswig ist Soziologe und leitender Forscher am Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (PIK). Ein Schwerpunkt seiner Arbeit sind die Konflikte rund um die Energiewende in Deutschland – dazu gehört auch die Frage, wie populistische Diskurse die Klima- und Energiepolitik beeinflussen. In der aktuellen Ausgabe der sogenannten "Mitte-Studie" hat er gemeinsam mit Beate Küpper den Schwerpunkt zu Klima-Einstellungen verfasst.

 

Herr Reusswig, wer gegen den Klimaschutz ist, ist auch eher gegen die Demokratie – kann man das so sagen?

Wenn man das 'eher' nicht vergisst, kann man die Aussage so stehenlassen. Sie noch weiter zu verkürzen – also zu behaupten, dass Menschen, die gegen eine ehrgeizige Klimapolitik sind, der Demokratie in jedem Fall feindlich gegenüberstehen – wäre aber viel zu stark vereinfacht.

Der Satz beschreibt eine wichtige Erkenntnis aus der aktuellen Mitte-Studie der Friedrich-Ebert-Stiftung, deren Klimakapitel Sie gemeinsam mit Beate Küpper verfasst haben. Was genau haben Sie herausgefunden?

Wir haben festgestellt, dass es tatsächlich eine starke statistische Korrelation gibt: Menschen, die den Klimaschutz vehement ablehnen, vertrauen der Demokratie eher nicht so stark. Umgekehrt gilt: Wer Klimaschutz befürwortet, ist leicht signifikant häufiger für die Demokratie und weniger häufig für eine Diktatur. In Zahlen ausgedrückt: 73,1 Prozent derjenigen, die dem Klimaschutz gegenüber progressiv eingestellt sind, haben auch viel Vertrauen in demokratische Institutionen und Wahlen. Aber nur 20,6 Prozent derjenigen, die eine – fachsprachlich formuliert – ‚klimapolitisch regressive Haltung‘ haben, haben dieses Vertrauen ebenfalls. Es gibt also einen klaren Zusammenhang – aber es gibt eben auch Ausnahmen von der Regel. Deshalb ist das „eher“ so wichtig.

Was sagt die Mitte-Studie uns sonst noch über den Zusammenhang zwischen Klimaschutz und Demokratie?

Wir haben das Thema Klima in der Mitte-Studie erstmals vor zwei Jahren aufgegriffen. Schon damals konnten wir durch einen Vergleich mit einer älteren Untersuchung sehen, die etwa zehn Jahre zuvor unabhängig von der Mitte-Studie entstanden war, dass sich die Polarisierung in der Klimadebatte in Deutschland verstärkt hatte. Das heißt: Einerseits waren viel mehr Menschen als zuvor der Meinung, dass der Klimawandel menschengemacht und ein großes Problem ist. Aber auf der anderen Seite war auch die Minderheit derer gewachsen, die ganz klar die gegenteilige Ansicht vertritt. Ihr Anteil an der Bevölkerung hatte sich auf niedrigem Niveau von fünf auf sieben Prozent erhöht.

Warum ist dieses niedrige Wachstum ein Problem?

Weil es auf die reine Menge der Menschen, die solche Positionen vertreten, gar nicht so sehr ankommt – sondern auf die politischen Resonanzräume, die sie bespielen. Als diese ältere Untersuchung vor zwölf Jahren durchgeführt wurde, gab es die AfD noch nicht, und soziale Medien spielten noch längst nicht die heutige Rolle. Aber in einer Zeit, in der eine politische Partei im Bundestag sitzt, die den menschengemachten Klimawandel offensiv in Zweifel zieht, und in der es soziale Netzwerke gibt, durch die sich die Debatte hochschaukeln und befeuern lässt, gibt es eben genau solche Resonanzräume, durch die sich eine bestehende Polarisierung sehr effektiv vergrößern lässt.

Gibt es neben der AfD und den sozialen Medien noch mehr Faktoren, die diese Resonanzräume schaffen oder vergrößern?

Das sind die beiden wesentlichen Faktoren. Aber daraus ergibt sich sofort die nächste Frage: Warum hat denn die AfD so einen Zulauf? Warum wird denn in den sozialen Medien teilweise so viel Falsches verbreitet?

Und warum?

Ich sehe dafür verschiedene Gründe: Frühere Bundesregierungen haben jahrelang nicht sehr viel für den Klimaschutz getan. Jetzt ist die Klimapolitik unter der Ampel-Koalition zu einem zentralen Politikfeld geworden, das plötzlich alle ganz persönlich betrifft, in allen Lebensbereichen, sei es durch die eigene Heizung, oder das eigene Auto. Natürlich wird dann die Klimapolitik auch breit diskutiert und bewertet. Fragen entstehen: Wie wird das genau ausgestaltet? Was ist gerecht? Wer zahlt, wer muss nicht zahlen? Komme ich noch von A nach B? Welche Kompensationen, welche Zuschüsse bietet die Regierung an? In der Hinsicht hatte das Gebäudeenergiegesetz einige handwerkliche Fehler.

Die Ungewissheit der Zukunft führt bei vielen Menschen zu Verunsicherung – und manche reagieren mit einer Haltung, die in der Forschung "klimapolitisch regressiv" genannt wird; Foto: Carel Mohn

Hinzu kommt dann eine sehr polarisierende Debatte – nicht nur in den sozialen Netzwerken, sondern auch in den Leitmedien –, in der ja selbst Abgeordnete von Union und der Regierungspartei FDP mit starken Vereinfachungen und teils Falschinformationen gearbeitet haben. Und wenn die Menschen dann sehen, dass diese Koalition gar nicht geeint hinter ihrer Klimapolitik steht, dass der eine Partner dagegen ist, der andere dafür, und der dritte sich raushält, dann finden radikale Verweigerungspositionen wie die der AfD leicht ein Echo.

Wenn Sie die wachsende Polarisierung bereits vor zwei Jahren in der damaligen Mitte-Studie festgestellt haben: Was sind die neuen Ergebnisse der aktuellen Untersuchung?

Wir haben erstmals eine Typologie gebildet, die verschiedene Einschätzungen zum Klimawandel widerspiegelt. Die Haupttypen darin sind die Klima-Progressiven und die Klima-Regressiven. Daneben gibt es die Indifferenten und die Ambivalenten.

Was macht jemanden zum „Klima-Progressiven“?

Wenn eine befragte Person Aussagen wie die folgenden überdurchschnittlich häufig bejaht hat, dann haben wir sie in die Kiste der Klima-Progressiven gepackt: 'Der Klimawandel ist eine große Bedrohung für unser Land.' - 'Der Ukrainekonflikt macht deutlich, dass wir den Ausbau der Erneuerbaren beschleunigen müssen.' Oder 'Ich kann die Proteste und Blockaden der Klima-Aktivisten und -Aktivistinnen verstehen.'

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Heißt das, die Mehrheit der Klima-Progressiven unterstützt beispielsweise die Aktionen der Letzten Generation?

Nicht zwingend. Die Mehrheit in der Gesamtbevölkerung hat ganz klar kein Verständnis für diese Aktionen – nur 30 Prozent aller Befragten sagen, sie könnten sie verstehen. Aber die Haltung der Progressiven ist alles in allem ein wenig verständnisvoller als im Bevölkerungsschnitt.

Was zeichnet „Klima-Regressive“ aus?

Sie unterstützen Statements wie: 'Statt Klimaschutz braucht es die Förderung von Technologien, mit der wir uns an den Klimawandel anpassen können.' - 'Wir können uns die Energiewende im Moment einfach nicht leisten, sie ist zu teuer.' Oder 'Klimaschutz ist letztlich Ökoterrorismus gegen die eigene Bevölkerung.'

Ökoterrorismus? Ziemlich drastisch.

Wir wollten klare Aussagen haben, die so durchaus auch in der Bevölkerung vorkommen. Die Regressiven und die Progressiven beschreiben, jede Gruppe für sich, eine klare Positionierung zum Klimaschutz. Man musste dabei nicht allen Statements immer und zu hundert Prozent zustimmen, sondern wir hatten ja auch teilweise Zustimmungen – das wurde ebenfalls einberechnet.

Wie groß sind die beiden Gruppen?

Auf die Progressiven entfallen 50,8 Prozent der deutschen Bevölkerung, auf die Regressiven 15,4 Prozent.

Was ist mit den beiden anderen Gruppen?

Die Indifferenten sind Menschen, für die der Klimaschutz nicht so wichtig ist. Sie stehen den genannten Statements eher gleichgültig gegenüber. Das sind knapp 20 Prozent der deutschen Bevölkerung. Die Ambivalenten schließlich sind hin- und hergerissen. Sie sind besonders interessant: Sie stimmen manchen progressiven Statements sehr stark zu, und zugleich unterstützen sie auch manche regressive Statements stark, obgleich das sehr widersprüchlich sein kann. Zum Beispiel sind sie dafür, die erneuerbaren Energien deutlich schneller auszubauen – finden aber auch, dass die Energiewende viel zu teuer ist, dass sie in die Hände von Experten gehöre, oder dass Anpassung wichtiger sei als Klimaschutz. Das spiegelt eine Art technokratischen Populismus wider. Zu den Ambivalenten gehören in Deutschland knapp 15 Prozent.

Wenn mehr als 15 Prozent der Befragten in die Kategorie der Klima-Regressiven fallen: Ist das nun viel oder wenig?

Ich persönlich halte das für viel, und es macht mir Sorgen. Weil wir die Typologie in diesem Jahr erstmals erhoben haben, können wir leider nicht sagen, wie sich die Anteile der verschiedenen Gruppen über die letzten Jahre entwickelt haben. Aber meine persönliche Einschätzung wäre, dass die Gruppe der Klima-Regressiven in den vergangenen zwei Jahren gewachsen ist.

Aber eine knappe Mehrheit ist ganz klar für die Klima- und Energiewende.

Das ist die gute Nachricht. Aber es ist eben eine sehr knappe Mehrheit – und auch in den Progressiven steckt das Potenzial zur Unzufriedenheit mit der Energiewende.

Wie meinen Sie das?

Machtpolitisch gesprochen würde ich sagen: Die 15 Prozent der Indifferenten machen mir keine Sorgen. Die machen einfach mit. Aber ich glaube, dass Ambivalenz und Regression das Potenzial haben, zu wachsen – und dass es auch unter den Progressiven ein gewisses Potenzial zur Unzufriedenheit mit der Politik gibt.

Ein Beispiel: Wer findet, dass die Energiewende mehr Bürgerbeteiligung braucht, wurde von uns zu den Progressiven gerechnet. Aber in dem Satz steckt ja eine gewisse Kritik: Dass die Energiewende vielleicht auch ein wenig zu bürgerfern sei. Wenn man mit den Leuten redet, die sich im Land für die erneuerbaren Energien einsetzen, etwa mit Bürger-Energiegenossenschaften oder anderen kleinen Initiativen, dann hört man sehr oft den Vorwurf, dass die Energiewende eher für die Großen gemacht sei, und dass Beteiligungsmöglichkeiten für die Kleinen, ob finanziell oder politisch, vernachlässigt würden. Wenn diese Leute das Gefühl haben, dass läuft noch stärker in die falsche Richtung, dann können sie der Klimapolitik auch ihre Unterstützung entziehen – auch ohne direkt ins Lager der Klimaregressiven abzuwandern.

Das heißt, das Gefühl, die Energiewende sei ein Projekt der Eliten, gefährdet den Klimaschutz – und damit vielleicht auch für die Demokratie?

Man kann das gleiche Ausmaß an CO2-Reduktion ja auf verschiedenen Wegen schaffen: Mit den alten großen Playern, also den Energieversorgern, Netzbetreibern, und so weiter. Ich kann es aber auch mit mehr Bürgerbeteiligung und Energiegenossenschaften versuchen. Im ersten Fall profitieren eher die Großen, im zweiten können auch die Kleinen mitmischen.

Wenn aber die Bürgerinnen und Bürger sich ausgeschlossen fühlen, dann könnte das ein Element der Gefahr für die Demokratie werden, weil die Leute sagen: Diese Art von Energiewende wollen wir nicht, und weil sie dadurch womöglich offen werden für dieses populistische Narrativ, das besagt, die Energiewende sei ein Elitenprojekt gegen die Interessen der Bevölkerung. Das ist schon ein Faktor, den man aus demokratietheoretischer Perspektive nicht aus den Augen verlieren darf. Das haben wir zum Beispiel  auch im Rahmen unseres von der Mercator-Stiftung geförderten Projekts DEMOKON untersucht.

Welche Faktoren entscheiden, ob jemand eher zur progressiven Gruppe oder zu den Regressiven gehört?

Die regionalen Unterschiede sind auffällig. In Westdeutschland liegt der Anteil der Regressiven nur bei 13,6 Prozent, es gibt 12,8 Prozent Ambivalente und 54,8 Prozent Progressive. In Ostdeutschland sind 22,9 Prozent der Menschen regressiv eingestellt – fast ein Viertel der Bevölkerung. 21,9 Prozent sind ambivalent, 32,6 Prozent progressiv eingestellt. Das sind aber keine Kausalitäten, sondern nur statistische Korrelationen, also einfache Zusammenhänge, die zunächst nichts über Ursache und Wirkung aussagen.

Spielt es auch eine Rolle, ob jemand in der Stadt oder auf dem Land wohnt, ob zur Miete oder im Eigentum? Oder andere Faktoren, wie Parteipräferenzen, Alter, Geschlecht, Einkommen?

Das Einkommen spielt eine gewisse Rolle, aber es ist nicht entscheidend. Einen möglichen Gegensatz zwischen Stadt und Land haben wir nicht untersucht. Was wir in unseren Daten aber sehen können: Unter den Klimaprogressiven gibt es mehr Frauen als Männer. Je höher die formale Schulbildung, desto stärker ist auch die Zustimmung zu klimapolitisch progressiven Positionen.

 

"Wenn die Bürger sich ausgeschlossen fühlen von der Energiewende, dann könnte das ein Element der Gefahr für die Demokratie werden, weil sie dadurch womöglich offen werden für dieses populistische Narrativ, das besagt, die Energiewende sei ein Elitenprojekt gegen die Interessen der Bevölkerung"

 

Ältere unterstützen die Energiewende besonders stark, noch stärker als die ganz Jungen, während es unter den Menschen im mittleren Alter am wenigsten Zustimmung dafür gibt. Das spricht meines Erachtens dafür, dass reale Lebensumstände hier eine große Rolle spielen, denn mittelalte Leute sind im Beruf, tragen Verantwortung für ihre Familien, brauchen vielleicht im Alltag ein Auto, und so weiter. Sie spüren den Veränderungsdruck durch die Energiewende besonders stark.

Was folgt daraus für den Klimaschutz?

Klimapolitikerinnen und -politiker sollten sich die realen Lebensumstände der Menschen anschauen und auf sie reagieren. Der Widerstand ist nicht nur ideologisch, er hat oft ganz reale wirtschaftliche oder soziale Gründe. Aber Ideologien und populistische Logiken funktionieren wie Durchlauferhitzer oder Verstärker für die Kritik. Man kann den Populismus an dieser Stelle nur bekämpfen, wenn man sich die zugrundeliegenden Probleme und Lebensumstände der Leute genau anschaut, und sie konkret adressiert, zum Beispiel durch Förderprogramme für Investitionen oder soziale Ausgleichsmechanismen wie das Klimageld.

Wie beeinflussen Parteipräferenzen, wie jemand klimapolitisch tickt?

Wir haben auch danach gefragt: Welche Partei würden Sie wählen, wenn am kommenden Sonntag Bundestagswahl wäre? Daraus ergaben sich teils wenig überraschende Ergebnisse – beispielsweise, dass 87,2 Prozent der Menschen, die die Grünen wählen würden, progressiv eingestellt sind, und dass sich unter den AfD-Wählerinnen und -Wählern der höchste Anteil an Klima-Regressiven findet, nämlich 44,7 Prozent. Aber jenseits dessen wird es interessant.

Inwiefern?

Nicht alle Wählerinnen und Wähler der AfD sind regressiv. Es gibt da einen hohen Anteil von Indifferenten und von Ambivalenten – und sogar 16,5 Prozent Progressive. Das ist nicht viel. Aber es bedeutet: Die derzeitige Anti-Klimapolitik der AfD ist nicht in Stein gemeißelt. In Teilen der Partei und ihrer Anhängerschaft steckt auch das Potenzial, sich aus dieser Ecke rauszubewegen.

Bevor wir uns die AfD genauer anschauen: Wie sieht es bei den anderen Parteien aus?

Auch unter den Anhängerinnen und Anhängern von SPD und Linkspartei sind die Progressiven in der Mehrheit. Bei der Union vertreten immerhin noch 40,9 Prozent progressive Positionen, bei der FDP sind es lediglich 36,2 Prozent. Das sind zwar jeweils die größten Gruppen – aber die anderen sind eben auch sehr groß. In der FDP-Wählerschaft sind 18,8 Prozent klima-regressiv. Das erklärt vielleicht, wie die Partei in der Ampelkoalition agiert. Und in der Wählerschaft der Union finden sich 11,9 Prozent Regressive. Insgesamt würde ich sagen: Unsere Zahlen zeigen, dass wir uns davor hüten sollten, parteipolitische Zugehörigkeiten eindeutig mit einer klimapolitischen Position zu versehen. Es ist differenzierter. Und daraus ergeben sich klimapolitische Spielräume.

Haben Sie ein Beispiel?

Im Rhein-Hunsrück-Kreis in Rheinland-Pfalz hat der damalige Landrat Bertram Fleck von der CDU vor mehr als 20 Jahren die Energiewende als eine große Chance begriffen. Er hat den Ausbau von erneuerbarer Energie in jeder Form – Solar, Windkraft, Biomasse – vorangetrieben. Vor allen Dingen aber hat er dafür gesorgt, dass die Kommunen davon profitierten und die Bürgerinnen und Bürger sich einbringen konnten. So hat er nicht nur besonders hohe Ausbauraten erreicht, sondern es auch geschafft, dass die Kommunen in diesem Landkreis kaum verschuldet sind. Stattdessen haben sie Geld für Schwimmbäder, für soziale Einrichtungen, für den Bus. Das finde ich auch demokratiepolitisch interessant. Denn das sind genau die Dinge, die oft erwähnt werden, wenn es darum geht, warum manche Menschen sich vernachlässigt fühlen von der Politik oder kein Vertrauen mehr in die demokratischen Institutionen haben – besonders in ländlichen Gegenden. 

Entscheidend war, dass Bertram Fleck eine Klimapolitik betrieben hat, die zu seiner Partei passt – also nicht für die zwölf Prozent Klima-Regressiven in seiner Wählerschaft, sondern für die 41 Prozent der Progressiven. Zusätzlich hat er dafür gesorgt, dass alle erkennen, dass er als CDU-Politiker für diese Politik verantwortlich ist – und damit war er ziemlich erfolgreich. Er war von 1989 bis 2015 Landrat, wurde zweimal wiedergewählt, zuletzt mit 85 Prozent. Er hat, könnte man sagen, also auch Ambivalente und Indifferente erreicht. So etwas würde ich mir auch anderswo in Deutschland wünschen.

Sie haben – unabhängig von der Mitte-Studie – auch zu lokalen Konflikten um die Energiewende geforscht. Lassen Sie uns deshalb noch kurz in den Kommunen und Landkreisen bleiben. Was können die Leute, die sich dort auf der Verwaltungsebene für den Klimaschutz engagieren, gegen die zunehmenden populistischen Angriffe von rechts tun?

Ohne die entsprechende politische Unterstützung von den gewählten Gremien, also von Bürgermeistern, Landräten oder Gemeinde- und Kreisräten, nicht viel. Die Mehrheit der kommunalen Klimaschutzmanagerinnen und -manager hat einen schweren Stand – sowohl innerhalb der Verwaltung als auch in der Öffentlichkeit. Aber es gibt auch Fälle, in denen es gut läuft. Ich war neulich auf einer Veranstaltung im Süden Thüringens, da hat ein SPD-Bürgermeister erzählt, was er alles tut, vom Ausbau der erneuerbaren Energien, also Wind und Solar, über tiefe Geothermie, Fernwärme, neue Verwaltungsverfahren und Gebäudesanierungen bis hin zur Klimaanpassung. Er unterstützt seinen Klimaschutzmanager. Da ziehen beide an einem Strang.

Welche Chancen hat ein Klimaschutzmanager oder eine Klimaschutzmanagerin, wenn das nicht so ist? 

Wenn die politisch Verantwortlichen und der Rest der Verwaltung nicht mitziehen, dann kann man nicht viel erreichen. Da gibt es sehr viel Frust, auch das haben wir sehr deutlich gehört: Die Leute schreiben Mails an ihre Kollegen, ans Bau-, Energie- oder Verkehrsdezernat – und bekommen teilweise nicht einmal eine Antwort.

Haben Sie Tipps für Bürgermeisterinnen oder Landräte, die politisch entschlossen sind, etwas für den Klimaschutz zu bewegen, aber auf Widerstände stoßen? Wie gewinnen sie Verbündete?

Mein erster Ratschlag wäre, Klimapolitik nicht zum parteipolitischen Thema zu machen. Selbst als Grüner würde ich der Versuchung widerstehen, zu behaupten, dass nur meine Partei etwas gegen die Klimakrise tun könne. Stattdessen würde ich einfach sagen: Das ist eine Gemeinschaftsaufgabe, und jetzt bin ich eben in der Verantwortung, etwas zu tun.

Klimaschutz solle man gemeinschaftlich angehen, rät der Soziologe Fritz Reusswig – und er warnt davor, es als Thema einer Partei zu verstehen; Foto: Carel Mohn 

Außerdem ist Beteiligung wichtig. Wenn nur die großen Landbesitzer etwas von den Windrädern haben und alle anderen nicht, dann ist Widerstand nachvollziehbar. Wenn aber die Kommune durch die erneuerbaren Energien ihr Schwimmbad so finanzieren könnte, dass sie nicht einmal mehr Eintritt erheben muss – nur als Beispiel –, oder wenn sie die Erlöse in andere Infrastruktur steckt, dann haben alle was davon.

Was noch?

Drittens würde ich ganz stark auf das Thema Klimaanpassung setzen, denn meine Erfahrung ist, dass es viel weniger ideologisch polarisiert als Maßnahmen zur Emissionssenkung, also der eigentliche Klimaschutz. Und ich würde sagen, dass jeder Euro, den ich in die Klimaanpassung stecke, auch der Wirtschaft zugutekommt und die lokalen Ressourcen schützt. Klimaanpassung ist Bevölkerungs- und Heimatschutz – den Begriff „Heimat“ würde ich ausdrücklich verwenden.

Auf jeden Fall würde ich proaktiv vorweg auf die Gegner zugehen: Mir alle die aussuchen, die dagegen sind, mit ihnen ein Bier trinken gehen und versuchen, ihre Beweggründe zu verstehen. Dann kann man sagen: Okay, wenn das die Kritik ist, dann finden wir vielleicht Möglichkeiten, sie zu berücksichtigen – und trotzdem Windräder zu bauen. Es kann natürlich auch passieren, dass dabei wirklich ernsthafte Probleme zu Tage kommen. Dann muss ich mein Windkraftvorhaben eben an der ursprünglich geplanten Stelle abblasen.

Und wie überzeugt man nun die AfD – oder ihre Wählerschaft – vom Klimaschutz?

Auch hier würde ich zunächst mal mit der Notwendigkeit zur Anpassung argumentieren. Viele bestreiten ja nicht den Klimawandel, sondern „nur“ seine anthropogene Verursachung. Natürlich gehört zur Wahrheit, dass Klimaanpassung nur dann machbar und finanzierbar bleibt, wenn wir auch beim Klimaschutz vorankommen. Da muss man dann sehen, wer da noch mitgeht. Außerdem würde ich mit dem Standort Deutschland argumentieren, mit der Modernisierung unserer Industrie, mit Industriepolitik. Und ich würde mögliche soziale Schieflagen in der Ausgestaltung der Energiewende adressieren.

 

"Ich würde ganz stark auf das Thema Klimaanpassung setzen. Denn meine Erfahrung ist, dass es viel weniger ideologisch polarisiert als Maßnahmen zur Emissionssenkung. Und ich würde sagen, dass jeder Euro, den ich in die Klimaanpassung stecke, auch der Wirtschaft zugutekommt und die lokalen Ressourcen schützt. Klimaanpassung ist Bevölkerungs- und Heimatschutz – den Begriff 'Heimat' würde ich ausdrücklich verwenden."

 

Wir wissen, dass Menschen auch höhere CO2-Preise akzeptieren, wenn sie der Meinung sind, es kommt zu einer von ihnen als gerecht bewerteten Redistribution der Einnahmen. Das große Problem auf der Seite der politischen Linken ist, dass dort aus der richtigen Einsicht in die Notwendigkeit sozial gerechter Lösungen der falsche Schluss gezogen wird, nämlich: Wir sollten dann eben mit dem Klimaschutz langsamer machen. Nein, konsequenter Klimaschutz und soziale Flankierung muss die Devise sein. Das ist letztlich aber die große Aufgabe der Sozialdemokratie und der Linken: Klima und Soziales fantasievoll nach vorn gedacht zu verbinden – und damit den populistischen Tendenzen etwas entgegenzusetzen.

Was macht Sie optimistisch, dass sich die AfD hin zum Klimaschutz bewegen könnte?

Ich würde das vorsichtiger formulieren: Ich hoffe, dass ihr Realismus und der Sinn für Teile ihrer Wählerschaft der Partei eine Transformation erlaubt. Nicht alle rechtspopulistischen Parteien betreiben eine regressive Klimapolitik. Schauen Sie sich etwa die österreichische FPÖ an: Sie ist Vorbild für die AfD und in Migrationsthemen auch ganz ähnlich aufgestellt – aber in der Klimapolitik deutlich progressiver. Die FPÖ will die erneuerbaren Energien stark ausbauen. Zwar wirbt sie dafür in einem sehr nationalistischen Ton, zum Beispiel spricht sie viel von Energie aus Bauernhand, aber es ist eben eine ganz andere Haltung als die der AfD. Mit anderen populistischen Parteien ist es ähnlich. Viele Studien zeigen, dass sie ihre Haltung ändern, sobald sie in die Regierung kommen.

Sobald die AfD an der Regierung ist, könnte sie eine verantwortungsvolle Klimapolitik betreiben?

Verstehen Sie mich nicht falsch: Ich halte die AfD für eine große Gefahr für unsere Demokratie. Das dominiert. Aber das klimapolitische Desaster wäre vielleicht nicht ganz so groß, wie man angesichts des Parteiprogramms befürchten müsste. Aktuell hat die Partei einen großen Zulauf, gerade auch aus anderen Parteien, sogar von den Grünen. Hauptgrund dürfte die Migrationsproblematik sein. Aber damit wählen immer mehr Menschen die AfD, die klimapolitisch viel progressiver sind als das Parteiprogramm und die Funktionäre – das kann man aus der Mitte-Studie klar erkennen. Ob die AfD daher auf Dauer ihre klimaregressive Position aufrechterhalten kann, steht für mich in Frage.

Das Interview führte Alexandra Endres
Die abgebildeten Grafiken stammen aus der 2023er Mitte-Studie, Kapitel 10
Reusswigs Mitautorin beim Klima-Kapitel, Beate Küpper,
ist auch Mitglied im Wissenschaftlichen Beirat von klimafakten.de

In einem separaten Text haben wir darauf geschaut, mit welchen (kommunikativen) Herausforderungen Klimaschutzmanagerinnen und Manager im kommunalen Umfeld konfrontiert sind