"Nur weil Du paranoid bist, heißt das nicht, dass sie nicht hinter Dir her sind.“ Mit diesem Satz in seinem Song Territorial Pissings äußerte sich einst die US-Rocklegende Kurt Cobain ironisch über die Macht von Verschwörungsmythen. Und in der Tat: "Verschwörungen gibt es tatsächlich."

Mit diesem wuchtigen Eingangssatz eröffnen John Cook und Stephan Lewandowsky ihr  (Downloads der englischen, deutschen und vieler weiterer Versionen HIER) – und sie erinnern daran, dass beispielsweise im Dieselbetrugsskandal Vertreter des Volkswagen-Konzerns sich offenbar zu einer bewussten Täuschung der Öffentlichkeit verschworen hatten. Reale Wirkungen entfalten allerdings auch Verschwörungstheorien - oder besser: Verschwörungsmythen (zur Begrifflichkeit siehe Textbox unten). Sie halten sich über lange Zeiträume auch dann, wenn es keinerlei Beweise für ihre Stichhaltigkeit gibt: sei es die Überzeugung, staatliche Stellen stünden hinter dem Mord an John F. Kennedy, die bemannte Mondlandung sei ein großer Schwindel gewesen oder Klimaforscher hätten die Erderhitzung "erfunden", um an entsprechenden Forschungsprojekten zu verdienen.

Zwar bieten solche Mythen ein untaugliches Werkzeug, um die Wirklichkeit als das zu erkennen, was sie ist. Doch die gesellschaftlichen Folgen ihrer Verbreitung sind real: So zeigen sozialwissenschaftliche Studien, dass Verschwörungsmythen das gesellschaftliche Vertrauen schmälern und die Bereitschaft zu sozialem und politischem Engagement untergraben.

Diese toxischen Effekte der massenhaften Verbreitung von Verschwörungsmythen sind es denn auch, die den Sozialpsychologen Stephan Lewandowsky und den Kognitionswissenschaftler John Cook zur Veröffentlichung ihres kompakten Handbuchs veranlasst haben: "Es soll dabei helfen zu verstehen, warum Verschwörungstheorien so populär sind, es soll erklären, woran man Merkmale verschwörungstheoretischen Denkens erkennt und wie wirksame Strategien der Entkräftigung aussehen", so die beiden aus Australien stammenden Wissenschaftler. (Ähnliche Handreichungen gibt es bereits dazu, wie man wissenschaftliche Ungewissheit am besten kommuniziert sowie ganz allgemein dazu, wie man wissenschaftliche Desinformation wirksam widerlegt).

Was macht eigentlich Verschwörungsmythen attraktiv?

Die Popularität dieser Theorien erklärt sich dabei vor allem aus psychologischen Faktoren. So sind beispielsweise Menschen, die sich verletzlich oder machtlos fühlen, eher bereit Verschwörungsmythen Glauben zu schenken. In diesem Fall dienen die Mythen insbesondere dazu, die eigenen Werte und Überzeugungen zu schützen. Wer beispielsweise befürchtet, dass Klimaschutz zu einer Beschränkung bestimmter wirtschaftlicher Aktivitäten führe, tendiert eher zu der Behauptung, der Klimawandel sei bloß erfunden worden, um just diese Aktivitäten einschränken zu können.

Auch die Begrenzungen des kognitiven Apparats spielen eine Rolle: So ist für viele schwer auszuhalten, dass "große" Katastrophen häufig keine "großen", sondern ganz banale Ursachen haben – oder dass es für bestimmte Ereignisse zuweilen auch überhaupt keine schlüssige Erklärung gibt und Dinge einfach so geschehen.

Die Zunahme von Verschwörungsmythen im Zusammenhang mit gesellschaftlichen Krisensituation sei dabei alles andere als zufällig, so die Autoren – das gelte für akute Krisen wie die Corona-Pandemie ebenso wie für die Klimakrise: Einerseits führen die ergriffenen Gegenmaßnahmen zu einer erheblichen Beeinträchtigung normaler Alltagsroutinen, sind so einschneidend, dass praktisch jeder sich damit auseinandersetzen muss. Andererseits war die massenhafte Verbreitung von Verschwörungsmythen nie einfacher als heute – statt die klassischen Gatekeeper in den Medien überwinden zu müssen, genügen dem modernen Verschwörungstheoretiker heute ein Internetzugang und Social Media-Accounts, um potenziell die ganze Welt erreichen zu können.

Sieben Merkmale kennzeichnen die klassische Verschwörungstheorie

Wenn also Verschwörungsmythen in Krisensituationen von psychischen Bedürfnissen beflügelt werden, zugleich aber auch realen Schaden anrichten – woran sind sie dann zu erkennen? Die beiden Autoren nennen sieben Merkmale und fassen sie in einem – im Englischen – griffigen Akronym zusammen: C-O-N-S-P-I-R

Ein typisches Kennzeichen von V. ist zum Beispiel ihr Mangel an Schlüssigkeit (engl.: "contradictory" – C), so Cook und Lewandowsky . So wird zum Beispiel in Bezug auf den Klimawandel zugleich behauptet, es sei unmöglich, globale Temperaturveränderungen exakt zu messen – und dass es solche Temperaturveränderungen gar nicht gäbe. Zweitens gebe es ein geradezu „nihilistisches Niveau“ an Verdächtigungen (engl.: "overriding suspicion" – O): Es wird wirklich alles angezweifelt bzw. verleugnet, was dem Mythos entgegensteht. Ein drittes Erkennungskriterium ist das Unterstellen schändlicher Absichten (engl.: "nefarious intent" – N): Niemals gehe ein solcher Mythos von der Annahme aus, die angeblichen Verschwörer handelten aus gutem Glauben oder aufrichtigen Motiven – sondern stets wird Niedertracht unterstellt.

Weitere Merkmale sind, dass sich Anhänger von Verschwörungsmythen niemals von ihrem Glauben abbringen lassen (engl.: "something must be wrong" – S) und sich als verfolgte Opfer wahrnehmen. Öffentliche Kritik an ihren Äußerungen bestärkt sie dabei noch in ihrer Opferrolle – und werden sie gar für ihre Falschaussagen zur Verantwortung gezogen, dient ihnen das als ultimativer Beweis dafür, dass "unbequeme Mahner zum Schweigen gebracht" werden sollen (engl.: „persecuted victim“ – P). Merkmal sechs und sieben schließlich sind, immun gegenüber allen Einwänden zu sein (engl.: "immune to evidence" – I) sowie Zufälligkeiten stets in Zielgerichtetheit umzudeuten (engl.: "re-interpreting randomness" – R).

Die Epidemiologie liefert wichtige Ansätze für Gegenstrategien

Die zwölfseitige Handreichung enthält auch praktische Hinweise, wie mit Verschwörungsmythen umzugehen ist – und zwar einmal mit Blick auf die Kommunikation gegenüber einer breiten, für Fakten zugänglichen Öffentlichkeit, zum anderen aber auch zum Umgang mit den Verschwörungstheoretikern selbst.

So besteht eine wichtige Strategie, um Menschen zu wappnen für den Umgang mit solchen Mythen (oder mit vermeintlichen Belegen) darin, ihnen einige Leitfragen für eine Art  "verschwörungsvirologischen Schnelltest" an die Hand zu geben, beispielsweise: Kenne ich die Informationsquelle? Und entspricht der Stil der in der Quelle verbreiteten Aussagen dem, was ich von anderen, seriösen Nachrichtenquellen kenne?

Auch eine andere Gegenstrategie bedient sich Anleihen aus der Sprache der Epidemiologie: So geht es bei der Impf-Strategie darum, Menschen gezielt mit kleinen Dosen möglicher Verschwörungsmythen darauf vorzubereiten, dass sie sich künftig wahrscheinlich eben damit auseinanderzusetzen haben. Wichtig ist dabei, dass nicht nur Inhalte der Mythen wiedergegeben, sondern deren Mechanismen erklärt werden.

"Aussteiger" erreichen Anhänger von Verschwörungstheorien am besten

Nicht nur sind Menschen, die sich als verletzlich und machtlos empfinden, anfälliger für Verschwörungsmythen – umgekehrt gilt auch, dass Menschen weniger empfänglich sind, die beispielsweise aufgrund fairer Verfahrensregeln und demokratischer Mitwirkungsmöglichkeiten Vertrauen in politische Entscheidungen haben.

"Verschwörungsmythen sind eine unvermeidbarer Bestandteil des politischen Extremismus", so das Handbuch. Im Umgang damit haben sich daher Strategien bewährt, die beispielsweise auch in Aussteigerprogrammen für Extremisten angewandt werden. Hierzu zählt eine Kommunikation, die die kritische Grundeinstellung der Anhänger dieser Theorien wertschätzt und ihnen mit Empathie entgegentritt. Auf größere Resonanz und eine höhere Glaubwürdigkeit treffen hierbei insbesondere Aussteiger, die sich von ihren früheren extremistischen Positionen losgesagt haben.   

Transparenzhinweis: John Cook ist Gründer der Website SkepticalScience.com,
mit der wir seit Jahren unter anderem bei unseren Faktenchecks kooperieren;
Stephan Lewandowsky ist Mitglied des Wissenschaftlichen Beirats von klimafakten.de

 Carel Mohn