Kaum eine Tierart dient in Medien und Klimaschutzkampagnen so häufig als Sinnbild für den Klimawandel wie der Eisbär - weil er durch die steigenden Temperaturen langfristig vom Aussterben bedroht ist. Bislang ist zwar nur bei einigen der neunzehn Teil-Populationen rings um den Nordpol ein Rückgang nachweisbar. Doch weil das Meereis der Arktis rasant schwindet, erreichen die Eisbären ihre Hauptnahrungsquelle Robben immer schwieriger. Schon bis Mitte des Jahrhunderts, schätzen Forscher, könnte ein Großteil des heutigen Bestands verloren gehen.

Doch auch Leugner des menschgemachten Klimawandels nutzen die Eisbären für ihre Zwecke. Wie genau, zeigt eine interdisziplinäre Studie von Klimawissenschaftlern, Biologen und Psychologen aus Australien, Kanada, den Niederlanden, der Schweiz und den USA, die im vergangenen Jahr im Fachjournal BioScience erschienen ist. Das Team untersuchte 90 Online-Blogs rings um den Klimawandel. Die Hälfte waren wissenschaftsbasierte Blogs, die andere Hälfte stammten aus der Szene der Klimawandel-Leugnisten. Außerdem wertete das Team 92 wissenschaftliche Veröffentlichungen zum Thema Eisbären aus - alle, die sie in den vergangenen Jahren haben finden können.

Das Ergebnis war frappierend: Die Forschungspublikationen waren sich weitgehend einig über die Gefährdung der Eisbären, es gab nur wenige Studien mit leicht abweichenden Einschätzungen, etwa über das Tempo des erwarteten Eisschwundes oder die Anpassungsfähigkeit der Eisbären. Demgegenüber waren die Positionen der Blog-Teilgruppen praktisch entgegengesetzt: Wissenschaftsbasierte Blogger schrieben (wie die Forschungspublikationen), dass das Arktis-Meereis schrumpft und die Eisbärbestände bedroht sind. Die zweite Gruppe von Blogs hingegen behauptet, die Zahl der Tiere boome sogar, das Aussterbe-Risiko werde völlig übertrieben. Wie kommt die erstaunliche Differenz zustande?

Fast alle Wissenschaftsleugner beziehen sich auf eine einzige Quelle

Die Analyse ergab eine vollkommen unterschiedliche Quellenlage: Während sich die erste Blog-Teilgruppe auf eine Vielzahl von Veröffentlichungen in der wissenschaftlichen Literatur bezog, tauchte bei der zweiten Gruppe ein einziger Name immer wieder auf: Susan Crockford. Rund 80 Prozent der wissenschaftsleugnenden Blogs bezogen sich in ihren Eisbären-Texten auf diese kanadische Zoologin. Sie betreibt einen Internet-Blog mit dem Titel „Polarbear Science“; dort und in Büchern, die sie im Eigenverlag veröffentlicht, vertritt sie – im Widerspruch zum Stand der Wissenschaft – die These, Eisbären seien gar nicht bedroht.

Crockford gibt selbst zu, dass sie noch nie Feldforschungen zu Eisbären durchgeführt hat. Sie hat auch keine Zeit in der Arktis verbracht. Und anders als in der Forschung üblich, unterwirft sie ihre Veröffentlichungen auch nicht der Qualitätsprüfung des sogenannten Peer Review – sie lässt ihre Aufsätze vor der Publikation also nicht von Fachkollegen begutachten. Dennoch wird Crockford häufig als Expertin für Eisbären zitiert und interviewt – und zwar nicht nur von randständigen Blogs, sondern selbst von einflussreichen Mainstream-Medien wie dem US-Fernsehsender NBC.

In einer Grafik (siehe unten) führen die Autoren vor Augen, wie weit entfernt die Leugnisten vom tatsächlichen Sachstand sind: Sie analysierten Blogbeiträge und wissenschaftliche Studien darauf hin, wie stark sie bestimmte Aussagen vertraten (z.B.: "Eisbären sind bedroht/können sich anpassen/sind nicht bedroht"). Während wissenschaftsbasierte Blogs eine große Übereinstimmung zeigten mit den Inhalten der Forschungspublikationen, lagen praktisch alle Leugner-Blogs extrem weit entfernt davon.

Inhaltsanalyse von Forschungspublikationen und Blogbeiträgen zum Thema Eisbären und Klimawandel. Während die wissenschaftsbasierten Blogs (blaue Vierecke) sich weitgehend decken mit den Positionen der Studien, die den Konsens der Forschung vertreten (grüne Dreiecke), liegen die Leugner-Blogs (gelbe Vierecke) weit entfernt davon. Rote Dreiecke stehen für Forschungspublikationen, die als seriös angesehen werden können, aber unter Wissenschaftlern kontrovers diskutiert werden. Interessanterweise sind die Leugner-Blogs selbst diesen umstrittenen Studien noch weit entfernt - haben also keinerlei Basis in der wissenschaftlichen Literatur; Grafik: Harvey et al. 2018

Hinter dem Vorgehen der Leugnisten-Blogs erkennt das Forscherteam um Jeffrey Harvey vom Niederländischen Institut für Ökologie in Wageningen eine gezielte Strategie: Ziel sei es, mit Hilfe der Eisbären die globale Erhitzung generell in Frage zu stellen. Bewusst werde der Eisbär als populäre Ikone des Klimawandels ausgewählt – und wenn man den Forschungsstand zu ihm bestreitet, so das Kalkül, dann säe man bei der breiten Öffentlichkeit Zweifel daran, ob die gesamte Klimawissenschaft überhaupt seriös sei.

Das strategische Ziel: Zweifel an der Klimaforschung insgesamt wecken

Klimaschutzkampagnen und Problemleugner greifen also auf das gleiche Symboltier zurück – den Eisbären. Die Leugner entfernen jedoch meist komplett den wissenschaftlichen Kontext und setzen Beispiele irreführend ein, betonen die Studienautoren. Der faktische Unterbau der Forschung fehlt also bei ihnen - dafür würden sie ihre Standpunkte umso lauter und aggressiver kommunizieren. Dabei verweisen sie oft aufeinander, wodurch ihre Position für Laien glaubwürdiger und relevanter wirkt. So entstehe eine Art Echokammer von unwissenschaftlichen Argumenten – und in der Öffentlichkeit der Eindruck, dass ein echter wissenschaftlicher Dissens herrsche. Soziale Medien unterstützen diese Dynamik.

Der Eisbär diene den Wissenschaftsleugnern als "Stellvertreter": Ihnen ist es unmöglich, den gesamten Forschungsstand zum Klimawandel zu widerlegen – zu gut ist in den vergangenen Jahrzehnten belegt worden, dass die gegenwärtige Erderhitzung maßgeblich auf menschliche Treibhausgasemissionen zurückgeht. Leugner picken sich stattdessen ein einzelnes Teil-Thema heraus, das großes öffentliches Interesse weckt (eben das Schicksal der Eisbären) und attackieren immer und immer wieder den Forschungsstand zu diesem Punkt.

Leugner übertreiben verbleibende Unsicherheiten der Forschung

Beide Teilgruppen seien zudem "diametral entgegengesetzt" mit wissenschaftlichen Ungewissheiten umgegangen: Diese gibt es natürlich, etwa was das exakte Tempo des künftigen Eisschwundes in der Arktis angeht. Wissenschaftsblogs konzentrierten sich jedoch (wie auch die Forschung) auf das gesicherte Wissen zur Bedrohung der Eisbären (ohne die bestehenden Unsicherheiten zu verschwiegen). "Dagegen fokussierten sich wissenschaftsleugnende Blogs auf verbleibende Unsicherheiten", so die Studienautoren, "und suggerierten damit, dass diese Unsicherheiten die gegenwärtigen und künftigen Populationstrends bei Eisbären in Frage stellen." 

Das Vorgehen sei simpel, aber effektvoll, erklären die Studienautoren und ziehen einen Vergleich zu Dominosteinen: Ein Aspekt wird strategisch vor allen anderen Themen platziert, von denen jedes eine eigene Beweislinie für den menschgemachten Klimawandel darstellt. Gelinge es nun, den ersten Dominostein umzustoßen wird, soll damit der Laienöffentlichkeit suggeriert werden, dass alle anderen Dominosteine damit ebenfalls "umfallen". Diese Strategie sei übrigens nicht neu, schreiben die Autoren, sondern sie gleiche jenen von Kreationisten, also den Gegnern der Darwinschen Evolutionstheorie: "Statt wissenschaftliche Belege für ihre eigene Meinung zu liefern, zielen sie auf einzelne Beweislinien für die Evolution und versuchen, Zweifel an ihnen zu säen."

Vier Tipps, um die Glaubwürdigkeit von Quellen einzuschätzen

Die Untersuchung zeigt, wie breit Desinformation aus einer einzelnen Quelle (der vorgeblichen Eisbär-Expertin Susann Crockford) streuen kann. Aber sie gibt auch generelle Hinweise, um die Glaubwürdigkeit von Quellen zu bewerten: Man solle sich Daten, Geldfluss, Referenzen und Sprache anschauen, raten die Autoren. Die vermeintlichen Belege und Daten von Leugnern nämlich würden sich bei genauer Betrachtung schnell in Luft auflösen. Außerdem erhalten viele von ihnen finanzielle Unterstützung von Organisationen, die die Folgen des Klimawandels kleinreden.

So sei auch Crockford bereits für das Verfassen von Berichten vom konservativen, marktradikalen US-Think Tank Heartland Institute bezahlt worden. Drittens solle man die Fachkompetenz von Autorinnen und Autoren prüfen, etwa ob und wieviel sie zum jeweiligen Thema in Fachjournalen veröffentlicht haben – wie bei Crockford zeige sich dann häufig ein Mangel von relevantem Fachwissen. Und schließlich könne auch die Sprache Aufschluss geben: Leugner sparen typischerweise nicht mit Beleidigungen, indem sie Klimawissenschaftler zum Beispiel als "Öko-Faschisten", "Betrüger" oder "grüne Terroristen" bezeichnen.

"Wissenschaftler haben die Pflicht, Desinformation zu widersprechen"

Es wäre verkehrt, leugnistische Blogs zu ignorieren oder zu belächeln, betont das Forscherteam. Deren Leserschaft sei nämlich oft erheblich, und bei ihrem Publikum genössen diese Blogs mehr Glaubwürdigkeit als traditionelle Medien. Das alles "legt nahe, dass in unserer Wissenschaftskommunikation etwas nicht stimmt", übt Leitautor Harvey im Interview mit dem US-Magazin Newsweek Selbstkritik.

Er empfiehlt, dass Wissenschaftler Medien und ihre Redaktionen aktiver kontaktieren, um die Bedeutung von Forschungsergebnissen zu betonen oder Fehlinterpretationen entgegenzuwirken. Darüber hinaus sollten Wissenschaftler auch die sogenannten Sozialen Medien (Facebook, Twitter, YouTube etc.) intensiver nutzen. "Wir sind der festen Überzeugung, dass zur Berufsethik von Wissenschaftlern nicht nur gehört, die Öffentlichkeit über ihre Ergebnisse und deren Implikationen zu informieren - sondern auch Desinformation zu kontern, insbesondere wenn dabei eigennützige Interessen im Spiel sind."

Julia Schilly