Was wir essen und wie es erzeugt wird, hat einen bedeutenden Einfluss aufs globale Klima. Zwischen 19 und 29 Prozent des weltweiten Treibhausgas-Ausstoßes wird Schätzungen zufolge durch die menschliche Ernährung verursacht, spätestens seit dem aufsehenerregenden IPCC-Sonderbericht zu Klimawandel und Landnutzung (SRCCL) müsste dies jeder wissen. Vielen Verbrauchern indes ist dies überhaupt nicht klar. Sollen sie zum Beispiel vor dem Supermarktregal beziffern, wie viele Ressourcen für die Produktion eines bestimmten Nahrungsmittels verbraucht wurden bzw. wie viele Treibhausgase dabei entstanden sind, tun sie sich schwer mit einer auch nur halbwegs zutreffenden Schätzung. Das ergab eine Studie, die in der Januar-Ausgabe des Fachjournals Nature Climate Change erschienen ist.

Für die Arbeit befragte ein Forscherteam um den Psychologen Adrian R. Camilleri von der australischen University of Technology Sydney mehr als tausend US-amerikanische (repräsentativ ausgewählte) Probanden. Sie wurden gebeten, Energieverbrauch und CO2-Emissionen von 19 verschiedenen Lebensmitteln und 18 verschiedenen Haushaltsgeräten zu schätzen. Die Befragung (durchgeführt im Labor, nicht in Supermärkten) ergab teils krasse Fehleinschätzungen: Bei Haushaltsgeräten konnten die Befragten den realen Gesamtverbrauch etwas besser beurteilen, unterschätzten ihn aber meist. Bei der Klimawirkung von Lebensmittel jedoch lagen sie vollkommen und wirklich immer zu niedrig (siehe Grafik).


Realität versus Verbraucher-Schätzung: Die Grafik stellt für 18 verschiedene Elektro-Geräte (blaue Punkte) sowie 19 verschiedene Lebensmittel (rote Punkte) dar, wie hoch jeweils einerseits die tatsächlich verursachten Treibhausgas-Emissionen liegen (horizontale Skala unten) - und was die Teilnehmerinnen und Teilnehmer der Studie vermuteten (vertikale Skala links). Würden Realität und Schätzung übereinstimmen, müssten die Punkte auf der hellgrauen Diagonale liegen, die quer durch die Grafik führt. Die blaue Linie zeigt die tatsächlichen Verhältnisse für Haushaltsgeräte (Schätzungen manchmal über den realen, meist aber unter den realen Emissionen), die rote Linie für Lebensmittel (komplett unter und weitab von der Diagonale); Grafik: Nature Climate Change/Camilleri et al. 2019, Figure 2

Adrian Camilleri erklärte gegenüber dem US-Wissenschaftsmagazin ScienceDaily, warum das so ist: "Bei Haushaltgeräten wie etwa einem Wäschetrockner ist der Energieverbrauch nachvollziehbar und wird in der Stromrechnung am Monatsende augenscheinlich. Was dagegen bei der Herstellung von Lebensmitteln anfällt, ist für den Konsumenten komplett intransparent." In der Tat sieht man ja einem Becher Joghurt oder einem Tofu-Steak seinen ökologischen Fußabdruck nicht an - und an der Supermarktkasse erfährt man zwar den Preis, aber eben nichts über den Treibhausgas-Ausstoß. Der verteilt sich über lange Produktions-, Wirkungs- und Lieferketten, beispielsweise von der Futterproduktion und der eventuellen Rodung von Wäldern zugunsten von Ackerflächen, über Kunstdünger und Diesel für Traktoren und den Methanausstoß der Kühe bis hin zur oft energieaufwändigen Weiterverarbeitung von Milch bzw. Sojabohnen und schließlich Verpackung, Transport und Kühlung des Endprodukts.

Fleischsuppe ist zehnmal so klimaschädlich wie reine Gemüsesuppe

"Wenn Sie Menschen bitten, den Unterschied [fürs Klima] zwischen einer Gemüsesuppe mit oder ohne Fleisch zu schätzen, vermuten die meisten keine große Differenz", erklärt Camilleri. "Doch eine Gemüsesuppe mit Rindfleisch verursacht zehnmal mehr Treibhausgase als eine fleischlose Suppe!"

Die Untersuchung legte aber nicht nur das Problem offen, sondern deutet auch auf eine mögliche Lösung: Eine gezielte und verständliche Kennzeichnung der Produkte könnte vielen Konsumentinnen und Konsumenten helfen, die Klimawirkung von Lebensmitteln realistischer einzuschätzen. In einem zweiten Teil ihrer Studie untersuchte das Team den Einfluss eines CO2-Labels auf die Kaufentscheidungen der Probanden. Dabei wählten sie eine anschauliche Maßeinheit für die Klimawirksamkeit - nicht Gramm oder Kilogramm Treibhausgase, sondern "Glühbirnen-Minuten" - also wie lange eine Lampe leuchten könnte, bis (beim üblichen Strommix) die entsprechende Menge an Treibhausgasen verursacht ist. 

Ein anschauliches CO2-Label ließ die Verkäufe von Rindersuppe sinken

Mit diesem Label wurde auf sechs verschiedenen Dosensuppen (je drei Gemüse- und drei Rindfleischsuppen) die jeweilige Klimawirksamkeit angegeben. So prangte etwa auf einer Gemüsesuppe mit Rindfleisch folgendes Label: eine Glühbirne mit einer Brenndauer von 2.127 Minuten, also gut 35 Stunden, fast anderthalb Tage. Zusätzlich verdeutlichte eine Farbskala (von grün zu rot) den ökologischen Fußabdruck der Speisen (de nebenstehende Grafik zeigt das Label, das in dem Experiment verwendet wurde). Eine Vergleichsgruppe der Probanden bekam nur die herkömmliche Produktbeschriftung der Dosensuppen zu Gesicht mit einem Bild und Angaben zu Herkunft, Gewicht, Zutaten etc. Sodann sollten die 120 Teilnehmerinnen und Teilnehmer dieses zweiten Studienteils jeweils drei Suppen zum Kauf auswählen. Das Ergebnis war deutlich: Probanden aus der Label-Gruppe kauften deutlich seltener die klimaschädlichen Rindfleisch-Suppen als jene aus der Vergleichsgruppe.

Annika Handreke, Umweltpsychologin am Institut für Energie- und Umweltforschung (IFEU) in Heidelberg, beurteilt die Studie als sehr gut durchdacht, gut ausgeführt und daher überzeugend. "Generell zeigt sie, dass Produktkennzeichnungen ein Weg sein könnten, Konsumenten zu bilden und umweltfreundliche Kaufentscheidungen zu fördern." Ein Kritikpunkt ist für sie jedoch das Studiendesign. "Ein Problem bei Laborstudien ist, dass die Ergebnisse nicht ohne weiteres auf Situationen außerhalb übertragen werden können. In der realen Welt gibt es sehr viel mehr Störfaktoren", sagt sie. Wer einmal vor einem Supermarktregal stand, kann dies bestätigen.

Handreke weist zudem darauf hin, dass Kaufentscheidungen nicht allein aufgrund des CO2-Fußabdrucks des Lebensmittels getroffen werden. Kulturelle, soziale oder individuelle Faktoren, wie beispielsweise Werte oder politische Einstellungen seien ebenfalls relevant. Ihr Fazit lautet dennoch: "Labels scheinen eine vielversprechende Maßnahme zu sein, ihre genaue Wirkung ist jedoch weiter zu untersuchen. Im Energiebereich sind vergleichbare Labels durchaus wirksam."

Tania Greiner