Die Abkürzung ist unscheinbar, und doch ist es eines der wohl größten, aufwändigsten und kompliziertesten Projekte der Wissenschaftsgeschichte: der IPCC, in Langform Intergovernmental Panel on Climate Change. Tausende Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus aller Welt arbeiten dort über Landes- und Fachgrenzen unter strengen, internen Regeln (und meist ehrenamtlich) zusammen, um den schier unüberschaubaren Berg von Forschungsergebnissen rund um den Klimawandel zu bündeln und zu bewerten. So komplex der Prozess, so klar ist der Auftrag: eine belastbare Entscheidungsgrundlage für die Politik erarbeiten. Dazu veröffentlicht der IPCC etwa alle sieben Jahre den sogenannten Weltklimabericht – dazwischen in unregelmäßigen Abständen umfangreiche Spezialreports, die sich mit einzelnen Fragen der Erdüberhitzung befassen.

Am Donnerstag vergangener Woche war es wieder soweit: Auf einer Pressekonferenz in Genf legte der IPCC seinen Sonderbericht über Klimawandel und Landsysteme (SRCCL) vor. Der Bericht befasst sich mit dem Anteil der Land- und Forstwirtschaft am Klimawandel und umgekehrt den Folgen des Klimawandels für diese Sektoren – und er analysiert, wie ein anderes Ernährungssystem und andere Praktiken in der Landwirtschaft zum Klimaschutz beitragen könnten. Wie üblich enthält der Bericht eindrückliche Aussagen, die man als Aufforderung zu politischem Handeln verstehen muss. Und wie üblich bei IPCC-Berichten enthält er ein so genanntes  "Summary for Policymakers", also eine speziell für die Politikberatung gedachte Zusammenfassung der wichtigsten Aussagen des rund 300-seitigen Reports.

Auf einer großen Pressekonferenz in Genf stellte der IPCC am vergangenen Donnerstag seinen neuesten Spezialbericht zu "Klimawandel und Landnutzung" vor - als Vorlage für die Politikberatung; Screenshot: UN WebTV

Für die innenpolitischen Debatten hätte der Zeitpunkt kaum besser getroffen sein können: Erst im Juli hatte der bayerische Ministerpräsident Markus Söder großflächige Aufforstungen für den Klimaschutz gefordert, in Österreich und Deutschland plädierten kürzlich Politiker unterschiedlicher Parteien für eine höhere Besteuerung von Fleisch. In Österreich äußerte sich jüngst sogar Bundespräsident Alexander van der Bellen besorgt über den zunehmenden Flächenverbrauch, der wertvollen, für die Bindung von Treibhausgasen nötigen Boden vernichtet. Und in ganz Europa haben Waldbrände und ein neuerlich viel zu heißer und trockener Sommer ohnehin die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit für die Zusammenhänge zwischen Landnutzung und Klimawandel geschärft.

IPCC-Reports können Orientierung geben – aber sie müssen "übersetzt" werden

Tatsächlich vollzog sich die Präsentation des IPCC-Sonderbericht zumindest in Berlin auf großer politischer Bühne: Im einem vollbesetzten Saal des Bundespresseamts präsentierten mit Almut Arneth und Hans-Otto Pörtner nicht nur zwei maßgeblich beteiligte Wissenschaftler den Bericht. Auch äußerten sich mit Forschungsstaatssekretär Georg Schütte und der per Video zugeschalteten Bundesumweltministerin Svenja Schulze (SPD) hochrangige Politikerinnen. Die nicht zu der Pressekonferenz eingeladene, fachlich allerdings inhaltlich geforderte Bundeslandwirtschaftsministerin Julia Klöckner (CDU) meldete sich ebenfalls zu Wort: Nicht nur äußerte sie sich in einem auf Youtube veröffentlichten Kurzvideo. Auf seiner Website veröffentlichte das Ministerium zugleich das bislang vielleicht umfassendste Infopaket zum IPCC-Sonderbericht im gesamten deutschsprachigen Raum: So finden sich dort nicht nur Zahlen zum Beitrag der Landwirtschaft zum Klimaproblem. Das Agrarministerium listet auch auf, welche Klimaschutzmaßnahmen es ergriffen hat beziehungsweise plant.

Ausgerechnet das Bundeslandwirtschaftsministerium, das in Berlin nicht zur regierungsamtlichen Präsentation des IPCC-Reports eingeladen war, hat das wohl umfangreichste Info-Dossier zum IPCC-Sonderbericht vorgelegt - inklusive kurzer Video-Ansprache von Ministerin Julia Klöckner; Screenshot: BMEL

Wissenschaft analysiert und empfiehlt, die Politik hört zu und reagiert. Die Kommunikation des Klöckner-Ministeriums war im Umfang löblich (und diese Anstrengung ist angesichts der zuletzt harschen Kritik an der deutschen Agrarpolitik politisch nachvollziehbar). Doch das Positivbeispiel war zugleich ein Ausnahmefall – überdeckt es doch eine eklatante Leerstelle, eine klaffende Lücke an der Schnittstelle von Wissenschaft und Politik. Zu diesem Befund jedenfalls kommt, wer sich die Kommunikation von Fachbehörden und Wissenschaftsinstituten rund um den IPCC-Bericht seit seiner Veröffentlichung ansieht.

Immer wenn eine intensive und höchst konkrete Debatte über Fleischkonsum, Ernährungsverhalten, Agrarförderung und Waldschutz gesichertes Forschungswissen benötigt, ist der IPCC mit seinen Reports die wohl beste Antwort. Sein expliziter Auftrag ist es, in politischen Debatten für Orientierung, eine Einordnung und ein verlässliches Faktengerüst zu sorgen. Und tatsächlich gibt es an der Schnittstelle zwischen globaler Klimaforschung und nationaler Klimapolitik – im Fachjargon als "Science-policy interface" betitelt – ja einen immensen Übersetzungs-, Einordnungs- und Interpretationsbedarf, etwa zu Fragen wie diesen:

  • Sind die in Deutschland, Österreich und der Schweiz eingeschlagenen Waldschutzstrategien angesichts der globalen Trends noch auf der Höhe der Zeit?
  • Was bringt Aufforstung für den Klimaschutz wirklich, auf welchen Flächen könnte sie stattfinden, und welchen Handlungsspielraum hat hierbei ein flächenmäßig eher nicht so großes, als Handelsnation allerdings riesiges Land wie Deutschland?
  • Ist so etwas wie eine klimaverträgliche Rinderhaltung überhaupt möglich? Und welchen Einfluss hat die hiesige Fleischwirtschaft auf Regenwaldrodungen in Brasilien oder den steigenden Fleischkonsum in China und Südostasien?

Zu diesen Fragen brauchen die Klimapolitik und eine zwischenzeitlich klimapolitisch aufgewachte Öffentlichkeit Orientierung. Der IPCC vermag sie zu geben – allerdings muss "übersetzt" werden, was das von ihm gesammelte Weltwissen für konkrete Politiken auf nationaler Ebene bedeuten könnte – und zwar idealerweise jeweils genau zu dem Zeitpunkt, an dem in den Medien die entsprechenden politischen Diskussionen mit der Berichterstattung über den IPCC-Bericht zusammentreffen.

Bei den beeindruckend vielen Institutionen herrschte vor allem: Funkstille

Der Stellenwert des jetzt veröffentlichten Sonderberichts ist daher kaum zu überschätzen: Denn zum ersten Mal überhaupt hat der IPCC das weltweit verfügbare Forschungswissen zusammengetragen, das es über die Zusammenhänge zwischen Ernährung, Landwirtschaft, Wälder, Böden und Klimawandel gibt. Ein Überblick über die Kommunikationsaktivitäten deutscher, österreichischer und Schweizer Forschungsinstitutionen und mit Wissenschaftskommunikation betrauten Einrichtungen allerdings ergibt vor allem eines: Funkstille.

Zwar gibt es eine beeindruckende Liste von Behörden und Wissenschaftseinrichtungen, deren Hauptfokus auf den Themenkomplex Land, Boden, Wald gerichtet ist. Doch fast ebensolang ist die Liste der Einrichtungen, die – ausweislich der auf ihren Websites sichtbaren Aktivitäten und Veröffentlichungen – zum jüngsten IPCC-Report schweigen. Sie reicht auf Seiten der Behörden von der  Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung und dem dazugehörigen Bundesinformationszentrum Landwirtschaft (BZL) in Deutschland, über die österreichische Bundesanstalt für Agrarwirtschaft bis hin zum Eidgenössischen Departement für Umwelt sowie dem Bundesamt für Umwelt in der Schweiz.

Kleine Inseln im Meer der behördlichen Nicht-Kommunikation zum IPCC-Landreport bilden lediglich die Umweltbundesämter in Deutschland und Österreich: So ist auf der Website des Umweltbundesamtes in Wien eine kurze Meldung mit Link zum englischsprachigen "Summary for Policymakers" zu finden, und das deutsche Pendant kündigt eine Informationsveranstaltung an für "Multiplikatoren mit Vorwissen, die in der Information und Beratung von Entscheidungsträgerinnen und Entscheidungsträgern in Wissenschaft, Politik, Wirtschaft und Zivilgesellschaft für den Umwelt- und Klimaschutz tätig sind". Termin: Anfang September, also einen ganzen Monat nach Veröffentlichung des Berichts.

Faktenblätter, Infografiken, gar Podcasts zum IPCC-Report? Fehlanzeige

Nun mag man einwenden, dass selbst gut geführte Fachbehörden nicht die erste Adresse sein mögen, wenn es um wissenschaftlich fundierte, unabhängige Politikberatung oder Informationsmaterial für die breite, interessierte Öffentlichkeit geht. Doch ist in der Wissenschaftslandschaft selbst die Kluft zwischen der vorhandenen Klimaexpertise und fehlenden Kommunikationsangeboten rund um den IPCC-Bericht noch größer. So etwas wie Faktenblätter zum Thema "Was bedeutet der IPCC-Bericht für die hiesige Landwirtschaft?", Podcasts mit einer Zusammenfassung der für die hiesige Politik relevantesten Befunde oder Infografiken zur Frage, wie groß beispielsweise die Stellschraube "Tierhaltung in Niedersachen" am deutschen Treibhausgas-Ausstoß oder im globalen Agrargeschehen wäre – all dies sucht man vergebens.

Und die Liste der für diesen Artikel vergeblich abgesuchten Adressen liest sich wie ein Who-is-Who der Agrar-, Landnutzungs- und Biosphärenforschung: Sie umfasst das Geoforschungszentrum Potsdam oder das Umweltforschungszentrum UFZ in Leipzig ebenso wie die drei regionalen Klimabüros in Nord-, Süd- und Mitteldeutschland, die Kommunikationsplattform "Wissenschaft im Dialog", das Thünen-Institut, die Max-Planck-Institute für Meteorologie sowie für Biogeochemie in Hamburg beziehungsweise in Jena, die Eidgenössische Forschungsanstalt für Wald, Schnee und Landschaft WSL, das dem Bundesamt für Landwirtschaft unterstehende Kompetenzzentrum der Schweiz für landwirtschaftliche Forschung "Agroscope", das National Centre for Climate Services der Schweiz, die österreichische Zentralanstalt für Meteorologie und Geodynamik ZAMG oder das IIASA - International Institute for Applied Systems Analysis in Laxenburg nahe Wien. Allenfalls kleine Twitter-Meldungen, wenn sich ein Mitarbeiter der Institute in aktuellen Medienberichten zum IPCC-Report geäußert hat, waren hier zu finden.

Kleiner Lichtblick im kommunikativen Blackout: Die deutsche IPCC-Koordinierungsstelle hatte am Tag der Veröffentlichung des IPCC-Reports die deutsche Übersetzung der Hauptaussagen des „Summary for Policymakers“ auf ihrer Website – ein zwar sprachlich sprödes Angebot, aber immerhin …; Foto: Screenshot de-ipcc.de

 

Etwas (aber nur wenig) weiter in dem Bemühen, für öffentliche Aufklärung zu sorgen, gehen die deutsche IPCC-Koordinierungsstelle, das Potsdam Institut für Klimafolgenforschung (PIK), das Climate Service Center Germany (GERICS), das Forschungszentrum Jülich, das Leibniz-Zentrum für Agrarlandschaftsforschung (ZALF), das Mercator Research Institute on Global Commons and Climate Change (MCC) in Berlin, das Deutsche Klima-Konsortium (DKK), ProClim bei der Schweizer Akademie der Naturwissenschaften, das Departement für Umweltwissenschaften an der ETH Zürich oder das Climate Change Centre Austria: Die Bandbreite der Kommunikationsaktivitäten reicht hier von kurzen Meldungen zu den Kernergebnissen des Berichts mit Link zum Originalreport und deutschsprachigen Hauptaussagen bis hin zu einem vorzeitig veröffentlichten Artikel über Dürren oder einem Interview mit dem ZALF-Präsidenten Frank Ewert (unter dem nicht gerade griffigen Titel "Quo vadis deutsche Landwirtschaft?").

Bei aller Nicht-Kommunikation zum IPCC-Bericht aus der organisierten Klimaforschungslandschaft zeigt ein Beispiel des Thünen-Instituts immerhin eindrucksvoll das Potenzial dessen auf, was eine klimapolitische interessierte Öffentlichkeit am "Science-policy interface" erwarten könnte. So veröffentlichte das vollständig öffentlich finanzierte Institut („Wir forschen für Politik und Gesellschaft“) zeitgleich mit dem IPCC-Bericht auf seiner Website einen Zwischenruf seines Präsidenten Folkhard Isermeyer. Darin äußert er sich pointiert und mit klaren politischen Forderungen zur aktuell heißlaufenden Debatte über Fleischkonsum und Tierschutz, unterlegt mit einem gut lesbaren, von Wissenschaftsjargon weitgehend freien 51-seitigen Working Paper mit "Überlegungen zu einer langfristigen Ausrichtung der Nutztierstrategie".

Eine wertvolle Kommunikationsgelegenheit - weitgehend verspielt

Das Fazit eine Woche nach Veröffentlichung des Sonderberichts ist denn auch ernüchternd: Obwohl kaum ein Thema von der Öffentlichkeit derzeit so leidenschaftlich diskutiert wird wie der Komplex Ernährung, Landwirtschaft und Klimawandel, hat die Wissenschaftslandschaft die Vorlage des IPCC-Sonderberichts überwiegend nicht nur nicht aufgenommen – sondern hat eine wichtige Kommunikationsgelegenheit verspielt. Dabei ist wissenschaftlich  fundierte Politikberatung mit klaren Ansagen durchaus möglich, und zwar punktgenau zu dem Zeitpunkt, an dem in Medien und Öffentlichkeit die politischen Debatten stattfinden – das geradezu lapidare Beispiel des Zwischenrufs des Thünen-Präsidenten zeigt es.

Und bei kaum einem anderen Prozess kann man Kommunikationsaktivitäten so sorgfältig planen und vorbereiten wie bei IPCC-Berichten. Denn nicht nur stehen hier der genaue Zeitpunkt der Veröffentlichung bereits Jahre im Voraus fest, auch die Inhalte der Berichte sind lange vor der Veröffentlichung intern bekannt (denn zahlreiche Forscher der verschiedenen Institute sind als Autoren oder Gutachter an der Erarbeitung beteiligt, und alle Regierungen bekommen die Berichtsentwürfe gemäß der IPCC-Statuten im Vorfeld zur Stellungnahme vorgelegt). Ebenso bekannt ist seit langem, dass die IPCC-Berichte zu lang, zu sperrig und zu allgemein gehalten sind, als dass man erwarten könnte, dass sie für sich selbst sprechen oder man deren "Übersetzung" allein den Medien überlassen sollte.

Der Appell der #FridaysForFuture-Bewegung an die Politik lautet: "Hört auf die Wissenschaft". Und die knapp 27.000 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, die hierauf im Frühjahr mit dem Scientists-for-Future-Appell reagierten, haben hierbei noch einmal bekräftigt: "Jetzt muss gehandelt werden." Die Politik scheint diesen Ruf inzwischen gehört zu haben und müht sich, konkrete, politische Vorschläge auf den Tisch zu legen. Wenn also (endlich) debattiert wird, wie das klimapolitische Handeln aussehen sollte – wann, wenn nicht jetzt, sollten sich Forschungsinstitute und Wissenschaftseinrichtungen aktiv in die Debatte einschalten?

Carel Carlowitz Mohn