Nirgends in Europa ist die Besorgnis über den Klimawandel größer als in Deutschland. Dies zeigen Daten des European Social Survey aus 18 Ländern. Demnach äußerten 44 Prozent der deutschen Befragten, sie seien "sehr besorgt" oder sogar "äußerst besorgt" ob der Erderhitzung. Zugleich ist in keinem der untersuchten Länder das Vertrauen so niedrig wie hierzulande, dass die Regierungen weltweit genug gegen den Klimawandel unternehmen werden.

Der European Social Survey (ESS) ist eine großangelegte, sozialwissenschaftliche Untersuchung, die seit 2002 im Abstand von zwei Jahren die Meinungen und Haltungen zu politischen und gesellschaftlichen Fragen erkundet. Insgesamt haben sich seit Bestehen des ESS 36 Staaten beteiligt; die genaue Zahl schwankt von Durchgang zu Durchgang, Deutschland war bisher bei jeder Untersuchung dabei. Die achte Befragungswelle fand im Jahr 2016 statt, erstmals wurden dabei auch Einstellungen zu Klimawandel und Energiepolitik untersucht. Europaweit wurden mehr als 34.000 Bürger befragt, allein in Deutschland waren es 2.852.

Antworten auf die Frage: "Wie besorgt sind Sie über den Klimawandel?" - in hellem Violett dargestellt ist der Anteil der Befragten, die sich "äußerst besorgt" oder "sehr besorgt" äußerten, der mittlere Farbton steht für "etwas besorgt", das dunkle violett für "nicht sehr besorgt oder "überhaupt nicht besorgt". Schwarz dargestellt ist der Anteil von Befragten, von denen die Existenz des Klimawandels bestritten wurde; Quelle: Barasi/Harding, NatCen 2017

Eine erste Auswertung der ESS-Klimadaten hat vergangene Woche das britische National Centre for Social Research (NatCen) vorgelegt. Demnach gab des neben Deutschland noch fünf andere Staaten, in denen 30 Prozent oder mehr der Befragten sich "sehr" oder "äußerst" besorgt zeigten: Frankreich und Slowenien (je 33 Prozent), Belgien und Island (je 32 Prozent) sowie die Schweiz (30 Prozent). Deutschland und Frankreich waren auch in einer anderen, im vergangenen März vorgelegten Studie die Staaten mit der größten Klimabesorgnis. Am entgegengesetzten Ende der Skala lagen im ESS Estland und Polen (je 15 Prozent) sowie Russland (16 Prozent). In Russland war mit 15 Prozent zugleich der Anteil jener Menschen am höchsten, die die Existenz des Klimawandels bestreiten. In fast allen anderen Ländern lag ihre Zahl unter drei Prozent (Ausnahmen: Israel - 8 Prozent, Tschechien - 5 Prozent).

Die Besorgten stellen in allen untersuchten Ländern die Mehrheit

"Es ist bemerkenswert", schreiben Leo Barasi und Roger Harding vom NatCen in ihrer Auswertung, "dass die Personen, die äußerst, sehr oder einigermaßen besorgt sind, in allen untersuchten Ländern die Mehrheit stellen." Dies sei eine gute Nachricht für die potenzielle Akzeptanz und die politische Durchsetzbarkeit von Klimaschutzmaßnahmen. Und ausweislich der Daten ist die Besorgnis ob des Klimawandels keineswegs - wie bisweilen behauptet - ein Thema nur von Bessergebildeten oder Wohlhabenden.

Zwar gibt es in einigen Ländern einen deutlichen Zusammenhang von höherem Bildungsgrad und stärkerer Besorgnis über den Klimawandel - etwa in Deutschland, Frankreich, Großbritannien oder Irland. In anderen Ländern (zum Beispiel Tschechien oder Norwegen) und auch in den Gesamtdaten aller mehr als 34.000 Befragten ist der Zusammenhang jedoch nicht signifikant. Auch bei den verschiedenen Altersgruppen zeigen sich keine eindeutigen Trends. Zwar ist europaweit unter den ältesten Befragten die Klima-Besorgnis etwas geringer als bei den jungen. Doch in den einzelnen Ländern sieht es sehr unterschiedlich aus: In Deutschland und Frankreich sind die mittleren Altersgruppen die besorgtesten, in Großbritannien oder Schweden die jungen, in Slowenien hingegen die älteren.

Klare Unterschiede zeigten sich nur zwischen den politischen Lagern

Ebenso wenig gibt es beim Einkommen ein klares Muster: In manchen Ländern ist die Besorgnis unter den Besserverdienenden höher als unter Geringverdienern (etwa Belgien oder Irland), in anderen hingegen niedriger (etwa Russland oder die Schweiz). In Deutschland oder auch Frankreich dagegen ist kein deutlicher Zusammenhang zwischen Wohlstand und Klimawandel-Sorge erkennbar. Einzig bei den politischen Einstellungen war ein Trend unverkennbar: Wer sich selbst als links einordnete, war deutlich stärker besorgt als die Mitte, wer sich als rechts einordnete deutlich schwächer. (Wobei diese Polarisierung aber weniger drastisch ausfiel als etwa in der US-Öffentlichkeit.)

Antworten auf die Frage "Für wie wahrscheinlich halten Sie es, dass Regierungen in genügend Ländern gegen den Klimawandel aktiv werden?" - in hellem Violett dargestellt ist der Anteil der Befragten, die es für "äußerst wahrscheinlich" oder "sehr" wahrscheinlich halten, der mittlere Farbton steht für "einigermaßen wahrscheinlich", das dunkle violett für "überhaupt nicht wahrscheinlich" oder "nicht sehr wahrscheinlich"; Quelle: Barasi/Harding, NatCen 2017

Deutliche Unterschiede zeigen die ESS-Daten, wenn es um die Erwartungen der Bürger an die Politik geht. Wie bei dem Grad der Besorgnis sticht Deutschland auch hier heraus: Zwei Drittel der Befragten hierzulande glauben nicht daran, dass genügend Regierungen weltweit etwas gegen den Klimawandel unternehmen werden. In keinem der 18 untersuchten Länder ist der Anteil der Pessimisten ähnlich hoch.

Anfang Januar wird klimafakten.de in einem weiteren Text genauer die Daten analysieren, die im Rahmen des European Social Surveys zu Klimawandel-Einstellungen in der deutschen Bevölkerung erhoben wurden. 

Toralf Staud