Seit Ende März die Pläne der ungarischen Regierung für ein neues Hochschulgesetz bekannt wurden, gibt es in der Hauptstadt Budapest wie auch weltweit Proteste. Das Gesetz etabliert neue Regeln, durch die unter anderem die renommierte Central European University (CEU) bedroht ist. Sie war 1991 von dem US-Milliardär George Soros gegründet worden, der als Philantrop seit langem die Demokratisierung und Liberalisierung in Osteuropa fördert. Ungarns nationalpopulistischer Regierungschef Viktor Orbán hat Soros in der Vergangenheit mehrfach als Staatsfeind attackiert. Seine Regierung schränkte in den vergangenen Jahren bereits zahlreiche Freiheitsrechte ein.

Das drohende Aus der CEU mit mehr als 1400 Studenten und Professoren aus aller Welt würde auch die ungarische Klimaforschung treffen. Die Umweltphysikerin Diana Ürge-Vorsatz (Foto: CEU) leitet an der Universität das Zentrum für Klimawandel und Nachhaltige Energiepolitik – und ist seit Ende 2015 eine von acht europäischen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern im Vorstand des Weltklimarats IPCC. Sie leitet als eine der Vize-Vorsitzenden auch die Arbeitsgruppe III, die sich mit Möglichkeiten der Emissionsminderung befasst.

 

Frau Professor Ürge-Vorsatz, wie beeinflusst die gegenwärtige Situation Ihre wissenschaftliche Arbeit als Klima- und Energieforscherin?

Seit die Pläne der Regierung bekanntwurden, war für zwei Wochen an normales Arbeiten nicht zu denken - aber wir versuchen, Schritt für Schritt zum Alltag zurückzufinden. Ich selbst habe von den Regierungsplänen in Mexiko erfahren, mitten in einer Plenarsitzung des IPCC. Vergangene Woche wurde das Gesetz beschlossen, am Montag wurde es vom ungarischen Staatspräsidenten förmlich unterzeichnet. Die konkreten Folgen für unsere Universität sind gegenwärtig noch nicht absehbar.

Woran würden Sie denn momentan arbeiten, wenn Sie nicht um den Bestand ihrer Universität kämpfen und Interviews wie dieses geben würden?

Am wichtigsten ist derzeit zweifellos meine ehrenamtliche Tätigkeit im IPCC, die mir von der CEU ermöglicht wird. Das letzte halbe Jahr war extrem stressig. Der IPCC beginnt gerade mit den Arbeiten für den Sechsten Sachstandsbericht …

… der ab April 2021 in mehreren Teilen veröffentlicht werden soll.

Bis dahin sollen außerdem mehrere Sonderberichte erscheinen, zum Beispiel über die Ozeane und die Eismassen der Erde oder über Landnutzung und Ernährungssicherheit. Dafür sind die richtigen Autoren auszuwählen, die richtigen Strukturen zu schaffen, die richtigen Gliederungen für die geplanten Berichte zu finden und so weiter. Das ist ein sehr verantwortungsvolles und interessantes, aber auch etwas anstrengendes Stück Arbeit.

Daneben bin ich selbst an einem Forschungsprojekt beteiligt, das in den nächsten IPCC-Report einfließen soll. Wir untersuchen dabei die Möglichkeiten zur Quantifizierung der Co-Benefits von Klimaschutzmaßnahmen …

… also von positiven Nebenwirkungen, die eine Senkung von Treibhausgasemissionen mit sich bringt. Denn wenn zum Beispiel Kohlekraftwerke abgeschaltet werden, wird ja nicht nur weniger Kohlendioxid ausgestoßen, sondern es sinkt auch der Ausstoß gesundheitsschädigender Luftschadstoffe wie Feinstaub oder Quecksilber.

Ja, es ist sehr wichtig, Win-Win-Lösungen zu finden – dies gilt insbesondere für Länder, in denen die finanziellen Möglichkeiten oder der politische  Wille zu Klimaschutz geringer sind. Die Federführung des Gesamtprojekts liegt beim Wuppertal Institut in Deutschland. Mein Team schaut sich insbesondere die Co-Benefits durch eine höhere Energieeffizienz und höhere Produktivität an. Und die ersten Ergebnisse sind sehr interessant.

Lehrverpflichtungen habe ich im Moment nicht, weil ich gerade in Mutterschaftsurlaub bin. Aber ich betreue weiter einige Master- oder Doktorarbeiten, betreue ausgewählte Studentinnen und Studenten, etwa von der Universität Utrecht oder dem MIT in Boston und so weiter.

Können Kollegen aus dem Ausland Sie oder Ihre Universität irgendwie unterstützen?

Auf jeden Fall! Es gab in den vergangenen Tagen einen Ozean von Unterstützerbriefen von Wissenschaftlern, von Instituten, von Universitäten, von anderen Regierungen oder der EU-Kommission. Es gab eine wahre Welle aus allen Teilen der Welt. Dies war extrem herzerwärmend.

Die Solidaritätsbekundungen haben den ungarischen Bürgern, aber auch der Regierung und dem Präsidenten gezeigt, dass die ganze Welt die hohe Qualität unserer Arbeit schätzt - und die CEU als unverzichtbaren Teil der internationalen, akademischen Community ansieht. Nach meiner Einschätzung hat die Unterstützung aus dem In- und Ausland dazu beigetragen, den Staatspräsidenten mit seiner Unterschrift unter das Gesetz lange zögern zu lassen. Zwar hat er letztlich unterschrieben – aber auch an die Regierung appelliert, den Dialog mit der CEU zu suchen.

Haben weitere Proteste jetzt noch Sinn, wo das Gesetz in Kraft getreten ist?

Das Gesetz ist relativ vage formuliert in den Anforderungen, die an ausländische Universitäten in Ungarn gestellt werden – deshalb kommt es sehr stark darauf an, wie es angewendet wird. Aber schon jetzt sind die Folgen zu spüren: Professoren bekommen Angebote von anderen Universitäten, und Studienanfänger überlegen sich natürlich, ob sie sich noch an der CEU einschreiben. Wir haben exzellente Lehrkräfte und Studierende – aber je länger die Unsicherheit anhält, desto größer ist das Risiko, dass wir viele davon verlieren. Weiterer Druck aus dem Ausland, dass wir unsere qualitativ hochwertige Arbeit aufrechterhalten können, wäre jetzt sehr wichtig.

Wie würden sie die generelle Situation der Klimaforschung in Ungarn beschreiben?

Es gibt Stärken und Schwächen. Etlichen Institutionen, die anspruchsvolle Arbeit leisten, stehen unglücklicherweise auch laute Stimmen der sogenannten "Skeptiker" gegenüber. Es gibt wohl wenige europäische Länder, in denen sie so einflussreich waren wie in Ungarn. Bis vor kurzem gab es starke Wortmeldungen, die den Klimawandel grundsätzlich bestreiten oder meinen, der Mensch spiele dabei keine Rolle - oder es gebe gar keinen Grund zur Sorge.

Waren das Klimawissenschaftler oder Vertreter fachfremder Disziplinen?

Teils, teils. Die wohl wichtigste Stimme, Ferenc Miskolczi, ist ein bekannter Physiker, der zeitweise bei der Nasa gearbeitet hat. Er behauptete – wenn ich es richtig verstanden habe –, dass der Treibhauseffekt sich selbst reguliere und die Wirkung von weiteren CO2-Emissionen durch die gegenteilige Wirkung von Wasserdampf aufgehoben werde ...

… seine Thesen sind von anderen Wissenschaftlern detailliert widerlegt worden.

Ja, unter anderem hat Stefan Rahmstorf vom Potsdam-Institut auf Fehler in Miskolczis Arbeiten hingewiesen. In Ungarn erregten die Thesen dennoch großes Aufsehen.

Die ungarische Klimaforschung beschäftigt sich mit zahlreichen Themen, viele der Kolleginnen und Kollegen gehören zur Weltspitze, etwa in den Bereichen Meteorologie, Forst- oder Landwirtschaft oder auch beim Thema Städte – also welche Rolle Siedlungen spielen könnten beim Einhalten des 1,5-Grad-Limits oder wie Extremwetterereignisse sie betreffen. Hier gibt es noch große Wissenslücken.

Stark geforscht wird natürlich außerdem dazu, welche Folgen der Klimawandel für Ungarn bringen wird und welche Prioritäten bei der Anpassung an das künftige Klima gesetzt werden sollten. Es gibt einige Forscher, die auf sozialwissenschaftliche Aspekte des gesellschaftlichen Wandels schauen, der stattzufinden hat. Dagegen sind mögliche Minderungen von Treibhausgasemissionen in Ungarn ein weniger wichtiges Thema.

Welche Rolle spielt der Klimawandel in der ungarischen Gesellschaft?

Eine kleine - wie in vielen Gesellschaften, die nicht zu den reichsten der Welt gehören. Intellektuelle mögen sich des Problems bewusst sein, aber für die breite Öffentlichkeit ist der Klimawandel kaum ein Thema.

Ungarn ist in einer relativ privilegierten Position: Bisher ist vom Klimawandel noch nicht viel zu spüren, das Land ist von spektakulären Wetterextremen bisher eher verschont worden. Zwar gab es 2015 größere Überschwemmungen, aber das war wenig im Vergleich zu anderen Ländern, und die hohen Schäden hatten nicht nur mit dem Klimawandel zu tun. Wegen des geringen öffentlichen Bewusstseins, gibt es wenig Druck, dem Klimawandel höhere  Aufmerksamkeit zu schenken.

Zudem sind die ungarischen Emissionen an Treibhausgasen seit Ende der 1980er Jahre ohnehin deutlich zurückgegangen - teils wegen der Wirtschaftskrise und der ökonomischen Modernisierung nach dem Fall des Eisernen Vorhangs, zu einem kleinen Teil auch wegen der Erneuerung des Gebäudebestandes. Nicht zuletzt deshalb werden weitere Minderungen oder Klimaforschung generell nicht als so dringend angesehen. Nichtsdestotrotz sind die EU-Vorgaben sehr nützlich, weiteren Klimaschutz in Ungarn in vielen Bereichen der Wirtschaft anzuregen.

Die ungarische Regierung selbst tut nicht viel?

Wie in den meisten anderen Ländern, deren Hauptaugenmerk auf wirtschaftlicher Entwicklung liegt - darunter die neuen EU-Mitgliedsstaaten -, ist die Umwelt kein so wichtiges Thema. Es gibt im Moment nicht einmal ein Umweltministerium, die Verantwortlichkeiten sind über verschiedene Ressorts verteilt.

Gleichzeitig ist Ungarn bei spezifischen Themen global in der Spitzengruppe, beispielsweise im Bereich Wasser - nicht zuletzt fand im vergangenen Jahr der UN-Weltwassergipfel in Budapest statt. Und in Sachen Klima war Ungarn weltweit führend, als es im vergangenen Sommer als erstes Industrieland das Paris-Abkommen ratifizierte - übrigens deutlich vor Deutschland.

Interview: Toralf Staud