Die Bundesregierung unterhält eine schier unüberschaubare Fülle von Beratungsgremien, etliche Ministerien haben gleich mehrere. Auch in der Klima- und Umweltpolitik ist die Zahl groß, die Struktur vielfältig. Das Spektrum reicht vom Sachverständigenrat für Umweltfragen (SRU), über den Wissenschaftlichen Beirat Globale Umweltfragen (WBGU) bis hin zur Expertenkommission Monitoring der Energiewende. Bei diesen Gremien stehen die klima- und umweltbezogenen Aufgaben bereits im Namen. Darüber hinaus gibt es bei den Bundesministerien weitere Beiräte, die zwar nicht nach Klimaschutz klingen, sich aber dennoch hochrelevanten Politikfeldern befassen. Hierzu zählen beispielsweise der Wissenschaftliche Beirat für Agrarpolitik, Ernährung und gesundheitlichen Verbraucherschutz beim Landwirtschaftsressort, der Wissenschaftliche Beirat des Bundesverkehrsministeriums oder der mit 32 Mitgliedern besonders stattlich besetzte Beirat beim Bundesfinanzministerium.

Auch wenn ihre Gutachten häufig zunächst folgenlos bleiben und viele Vorschläge und Empfehlungen nur selten direkt in praktische Politik umgesetzt werden – die Analysen der Wissenschaftler:innen prägen durchaus politische Debatten, sowohl inner- wie außerhalb der jeweiligen Ministerien. Oft entscheidet bereits die Art der Fragestellung darüber, welche Probleme den politischen Diskurs bestimmen, welche Themen auf die politische Agenda kommen, und wo überhaupt nach Lösungen gesucht wird.

Dunkle Anzüge, eher graue Haare – nicht nur äußerlich sind Beratungsgremien von Bundesministerien häufig ziemlich homogen; Foto: BMDV/Winner

Deshalb spielt es eine zentrale Rolle, wie die Beratungsgremien besetzt sind. Dies gilt insbesondere für den fachlichen Hintergrund der einzelnen Wissenschaftler:innen und ihre jeweilige Verankerung in den Denktraditionen und Analyserastern einzelner Disziplinen und Wissenschaftsfamilien. So dürfte es auf der Hand liegen, dass es für verkehrspolitische Empfehlungen einen Unterschied macht, ob entsprechende Gremien nur mit Fachleuten für Güterverkehrslogistik oder KfZ-Technologie besetzt sind oder ob dort etwa auch Stadtplaner:innen und Experten für Atemwegserkrankungen am Tisch sitzen. Oder, um es mit den Worten des Philosophen und Psychologen Silvan Tomkins zu formulieren: „Wenn man einen Hammer hat, tendiert man dazu, nach Nägeln zu suchen.“

Die Sache mit dem Hammer und den Nägeln – in der Wissenschaftstheorie wird dieses Prinzip eingängig als Law of the Instrument bezeichnet. Wie sehr diese Regel auch die Klimapolitik prägt, wird am Beispiel der Klimakommunikation deutlich: Zwar herrscht breiter Konsens darüber, dass Kommunikation eine zentrale Rolle spielen muss, um in Politik und Gesellschaft die klaffende Lücke zwischen Wissen und Handeln zu überbrücken. Doch die in Disziplinen wie Sozial- und Umweltpsychologie, Verhaltensökonomik, Kognitionsforschung oder Kommunikationswissenschaften erarbeiteten Erkenntnisse spielen in der praktischen Klimapolitik so gut wie keine Rolle, finden in der Gesetzgebung oder im staatlichen Handeln so gut wie keinen Niederschlag.

Könnte diese Lücke auch damit zu tun haben, wen die Politik um Rat fragt? Also welche Disziplinen in den Beratungsgremien vertreten sind und welche nicht, kurzum: Wer dort den sprichwörtlichen Hammer in der Hand hat?

54 von 155 – quer durch die Ressorts
dominieren Ökonom:innen die Politikberatung

Diese Annahme liegt zumindest nahe, wenn man sich ansieht wie Expertenkommissionen, Beiräte und Sachverständigenräte besetzt sind, die sich auf der Ebene der Bundesministerien entweder ausdrücklich oder doch von ihrer thematischen Zuständigkeit her mit Klimapolitik beschäftigen. Eine von klimafakten.de vorgenommene Analyse kommt dabei zu ernüchternden Ergebnissen was die Vielfalt und Interdisiziplinarität der politischen Beratung betrifft:

So sind in den entsprechenden Gremien allein ein Drittel der Sitze, nämlich 54 von 155, mit Ökonom:innen besetzt. Besonders auffällig hierbei ist, dass ausweislich der Forschungsschwerpunkte, Lehrstühle und Publikationen der beteiligten Forscher:innen die angewandte Verhaltensökonomie so gut wie keine Rolle spielt. Dabei wäre es für so wichtige Klimaschutzinstrumente wie beispielsweise eine CO2-Besteuerung oder eine Bepreisung umweltschädlicher Praktiken extrem wichtig, abschätzen zu können, wie Individuen auf entsprechende staatliche Maßnahmen reagieren – eine klassische verhaltensökonomische Frage.

Weitere dominant vertretene Disziplinen in den klimapolitisch maßgeblichen Beratungsgremien der Bundesregierung sind die Agrar-, Ernährungs- und Forstwissenschaften (28), verschiedene Naturwissenschaften (19), Ingenieur- und Technikwissenschaften (15) sowie Rechtswissenschaften (11). Jenseits dieser Disziplinen spielt außerdem noch das interdisziplinäre Fach der Geografie und Raumplanung (9) eine gewisse Rolle.

Wo sind zum Beispiel Anthropologie und Pädagogik,
Kognitions- oder Kommunikationswissenschaft?

Im Gegensatz dazu sind die Sozial- und Humanwissenschaften Politologie (6), Soziologie (5), Psychologie (4), Medizin (3) und außerdem Philosophie und Ethik (jeweils 1) nur eine Randerscheinung. Und überhaupt nicht in Erscheinung treten zahlreiche Fächer, die wichtige Antworten darauf geben könnten, wie sich Gesellschaften verändern und anpassen können, wie Menschen mit Risiken umgehen und zu umweltfreundlichem Verhalten motiviert werden können und welche Faktoren technische oder kulturelle Innovation befördern. Egal ob Anthropologie, Pädagogik und Bildungsforschung, Geschichtswissenschaft, Kommunikations- und Medienwissenschaft, Theologie und Religionswissenschaft, Verwaltungswissenschaft, Kunst-, Literatur- und Sprachwissenschaften, Produktdesign oder Hirnforschung – für die Ökonomie heißt es gegenüber all diesen Fachrichtungen immer 55:0.

Der Beirat des Bundesverkehrsministeriums bei der Arbeit; Foto: BMDV/Winner

klimafakten.de hat zwei für die Klima- und Umweltpolitik zentrale Ressorts, nämlich das Bundesumweltministerium (BMUV) und das Bundesverkehrsministerium (BMDV) um eine Einordnung zu der ungleichen Berücksichtigung unterschiedlicher Disziplinen gebeten. Während aus dem Umweltministerium auch nach drei Wochen Wartezeit keine Stellungnahme eingegangen war, äußerte sich das Verkehrsressort ausführlich. So verwies ein Sprecher auf die Unabhängigkeit des Wissenschaftlichen Beirats, der seine Mitglieder ohne Einfluss des Ministeriums selbst auswähle.

„In aufwändigen und oft langwierigen Verfahren prüfen die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, welche Disziplinen in ihrem Gremium vertreten sein müssen, um dem hohen Anspruch der Politikberatung eines Bundesministers und des gesamten Bundesministeriums gerecht werden zu können.“

Allerdings spiegelt auch die aktuelle Besetzung des BMDV-Beirats die Gesamtsituation der Beratungslandschaft: Ingenieur- und Wirtschaftswissenschaften sind stark vertreten, andere Sozialwissenschaften kaum, und wissenschaftliche Kommunikationsexpertise fehlt ganz.

Was Sozialpsychologie, Geschichte & Co.
zum Klimaschutz beitragen könnten

Fassen wir zusammen: Jeder Dritte Forschende, der die Bundesregierung in den zahlreichen für den Klimaschutz relevanten und von uns erfassten Gremien berät, ist ein Ökonom oder eine Ökonomin. Zusammen mit Wissenschaftler:innen aus Agrarwissenschaften, Ingenieur-, Technik- und Naturwissenschaften besetzen sie sogar fast drei Viertel aller Sitze . Zahlreiche Fächer, ja ganze Wissenschaftsfamilien werden gar nicht erst gefragt, wenn es um die große gesellschaftliche Aufgabe des Umbaus zu umwelt- und klimaverträglichen Lebensverhältnissen geht.

Wir haben deshalb beispielhaft aufgeführt, welche praktischen Beiträge diese bisher nicht oder kaum vertretenen Disziplinen für die Gestaltung von Klimapolitik leisten könnten:

  • Sozialpsychologie: Wie ist kollektives Handeln bzw. Nichthandeln erklärbar? Welche Rahmenbedingungen befördern persönliche Verhaltensänderungen, welche sind dabei hinderlich?
  • Bildungsforschung: Wie müssen Lehr- und Ausbildungspläne aussehen, die Menschen zu einem Handeln befähigen, das die natürlichen Lebensgrundlagen schützt und bewahrt?
  • Verwaltungswissenschaft: Wie können Kommunalpolitik und Verwaltungsabläufe so organisiert werden, dass öffentliche Verwaltungen zum Treiber und Gestalter zum Beispiel für den klimaverträglichen Umbau ganzer Stadtquartiere werden – etwa durch gute Formen der Bürgerbeteiligung?
  • Kommunikation und Umweltpsychologie: Wie müssen staatliche Energiesparkampagnen aussehen, damit auch Zielgruppen erreicht werden, die staatlichen Stellen mit Misstrauen begegnen?
  • Kognitionsforschung: Welche Mechanismen spielen im menschlichen Gehirn welche Rolle, wenn es um Wahrnehmung und Bewertung von Risiken und Gefahren geht?
  • Filmwissenschaft: Welchen Beitrag können Fernsehserien dabei leisten, klimafreundliches Handeln zum gesellschaftlichen Mainstream zu machen?
  • Linguistik: Welche Begriffe aus der Klimadebatten haben beim Publikum welche Wirkung? Welche Bilder in den Köpfen rufen sie hervor?
  • Sportwissenschaft und Public Health-Forschung: Wie kann die gesellschaftliche Mobilisierungskraft des Breitensports genutzt werden, um die Nachhaltigkeitsziele der Vereinten Nationen zu verwirklichen?
  • Geschichte: Was lässt sich aus dem Kampf der Arbeiterbewegung oder dem Strukturwandel im Ruhrgebiet für „Just Transition“ unter den Vorzeichen der Klimakrise lernen?

„Es fehlen ausgerechnet Wissenschaften,
die sich mit menschlichem Verhalten befassen“

Die fehlende Vielfalt der Wissenschaftsdisziplinen betrachten die von klimafakten.de zu der Analyse befragten Fachleute mit Sorge. Sie  sehen die Politikberatung in Sachen Umwelt- und Politikberatung als zu einseitig aufgestellt ist. Eine dieser Expertinnen ist die an der Universität Erfurt tätige Psychologin und Professorin für Gesundheitskommunikation Cornelia Betsch. „Es ist ein wesentliches Problem, dass ausgerechnet die Wissenschaften, die sich mit menschlichem Verhalten befassen, weitgehend fehlen.“ Schließlich gehe es beim Klimaschutz nicht nur um technische, sondern auch um soziale Innovation – und dazu könnten Ingenieure oder Naturwissenschaftler:innen oft nur wenig beitragen.

Betsch, die im Corona-Expertenrat die Bundesregierung dabei berät, Gesundheitskommunikation auf einer wissenschaftlich fundierten Grundlage zu betreiben: „Am Anfang muss die Frage stehen, auf welche gesellschaftliche Veränderung Politik überhaupt hinwirken will.“ Auf dieser Grundlage müsse man dann überlegen, welche Disziplinen hierzu Beiträge leisten könnten. Als „design-orientiertes Vorgehen“ wird diese Strategie in Fachkreisen bezeichnet.

Diese Ansicht teilt auch Marie-Luise Beck, Geschäftsführerin des Deutschen Klima-Konsortiums. Das DKK versteht sich als Dachverband der deutschen Klimaforschung – zu seinen Mitgliedern zählen die führenden, meist naturwissenschaftlich ausgerichteten Klimaforschungsinstitute. Zunehmend sind im Kreis der Mitglieder jedoch auch Institute vertreten, in denen Sozialforschung stattfindet.

In ihrem Verband aber auch gegenüber der Politik wirbt Beck seit langem vehement für eine stärker interdisziplinär ausgerichtete Forschung. „Das Problem bei der Politikberatung ist: Die Auftraggeber wissen eher nicht so genau, welche Forschungsfragen man an die Wissenschaft richten sollte. Stattdessen geht es um die praktischen Probleme der Tagespolitik, für die man sich möglichst schnell handhabbare Lösungen wünscht.“

Zu Kommunikationsfragen holt man sich meist Agenturen,
keine Wissenschaftler:innen

Ein Befund, den auch der Soziologe Ortwin Renn bestätigt. „Die Leute in den Ministerien fällt oft gar nicht erst ein, bestimmte Disziplinen zu fragen.“ Der heute am Institute for Advanced Sustainability Studies (IASS) in Potsdam tätige Renn gehört gewissermaßen zu den Veteranen der Politikberatung in der Umweltpolitik. So leitete er von 2006 bis 2012 den Nachhaltigkeitsbeirat des Landes Baden-Württemberg, war Mitglied des auch in dieser Analyse betrachteten Rates für Nachhaltige Entwicklung und gehörte zum „Science and Technology Advisory Council“ des EU-Kommissionspräsidenten.

Renn plädiert für einen neuen Ansatz bei der Rekrutierung der klimapolitisch relevanten Beratungsgremien der Bundesregierung. „Alle reden davon, dass wir beim Klimaschutz endlich vom Wissen zum Handeln kommen müssen.“ Das müsse jetzt auch in der Politikberatung praktiziert werden, so Renn. Deshalb plädiert er dafür, bei der Rekrutierung der Fachleute in den Beratungsgremien die Wissenschaftsakademien stärker einzubinden. „Die Akademien haben wirklich einen breiten Überblick, welche Disziplin welchen Beitrag zu den komplexen Problemen von Klimaschutz und Klimapolitik leisten kann.“ Mit besonderer Emphase wirbt der unter anderem als Experte für Risikokommunikation bekannt gewordene Sozialforscher für die Einbeziehung wissenschaftlichen Sachverstands zu Kommunikation: „Wir erleben in den Ministerien immer wieder, dass gesagt wird ‚Kommunikation, das ist doch keine Wissenschaft, das ist ein Handwerk, und dafür haben wir eine Agentur.‘ Und genau hier legt der Fehler.“

Carel Mohn

Hinweis: In einer früheren Version dieses Textes hatten wir den Expertenrat für Klimafragen dem Bundeswirtschaftsministerium zugeordnet. Tatsächlich ist er bei der Bundesregierung insgesamt angesiedelt. Wir haben dies entsprechend korrigiert.