Ja, es gibt Fortschritte beim Klimaschutz, besonders beim Ausbau der erneuerbaren Energien. Andere Bereiche hinken hinterher, etwa der Verkehrs- und Gebäudesektor. Mehr noch: Konkrete Vorschläge für mehr Klimaschutz sorgen immer wieder für heftigen Streit, das zeigte vor allem die Debatte um das Gebäudeenergiegesetz. Klimaschutz polarisiert, so scheint es, wenn sich konkret etwas verändern soll im Leben der Menschen.

Was kann man in dieser Situation tun? Wo Menschen im Konflikt miteinander sind, schlägt die Stunde der Mediation. Zerstrittene Erbengemeinschaften haben mit diesem Verfahren ebenso gute Erfahrungen gemacht wie Teams in Unternehmen, die vor lauter Streit nicht mehr gut miteinander arbeiten konnten. Wie aber soll eine ganze Gesellschaft von der Mediation lernen?

Das"ABS-System" aus der Mediation kann bei Konfliktbeteiligten für gegenseitiges Verständnis und Empathie sorgen

Mediationen sind erfolgreich, wenn es gelingt, bei Konfliktparteien die Empathie füreinander zu wecken. In meiner Ausbildung zum Mediator habe ich das „ABS-System“ kennengelernt. Mit Autos hat das nichts zu tun. Mit dem Mediations-ABS kürzten meine Ausbilder die zentralen Bedürfnisse von uns Menschen ab. Das Bedürfnis nach Autonomie, also A. B steht für Beziehungen. Und S für Sicherheit. Es gibt noch unzählige weitere Bedürfnisse, aber im Kern lassen sie sich alle auf diese drei zurückführen: Autonomie, Beziehung, Sicherheit. Danach streben wir Menschen. Wenn wir streiten, emotional hochfahren, wütend sind, dann ist ziemlich sicher mindestens eines dieser Bedürfnisse verletzt.

Und das gilt für persönliche Konflikte zwischen Kolleginnen und Kollegen ebenso wie für die politischen Fragen unseres Zusammenlebens. Wenn wir uns das bewusst machen, können wir wieder besser miteinander streiten und diskutieren – auch über den Klimaschutz.

Wie eine Diskussion über Parkplätze für eine Freundschaft zur Belastungsprobe wird – und wie nicht

Denkbar wäre zum Beispiel das folgende Szenario: Eine Frau gerät mit einem guten Freund aneinander. Sie spricht sich dafür aus, dass Radwege konsequent baulich vom Autoverkehr abgrenzt werden. „Und wenn die Autofahrer dafür auf Parkplätze oder eine Fahrspur verzichten müssen, dann ist das so!“

Er lamentiert, dass er dann "wohl noch häufiger im Stau stehen werde.“ Nach hitziger Diskussion wirft er seiner Freundin an den Kopf: „Bist du nun auch unter Linksgrün-Tempo30-Versifften gegangen?“ Für eine Freundschaft ist so eine Situation eine echte Belastungsprobe.

Wie würde ich als Mediator agieren? Die Radweg-Befürworterin würde ich befragen: „Was würde sich für Sie persönlich ändern, wenn es über Nacht gut ausgebaute Radwege gäbe?“ Vielleicht würde die Frau berichten, dass sie schon mehrere Beinaheunfälle mit Autos erlebt habe, die mit geringem Abstand überholt oder den Radweg gekreuzt hätten. Außerdem wünsche sie sich, dass mehr aufs Auto verzichten können und mehr radfahren, um das Klima zu schützen. Und das täten sie, wenn sie sicherer fühlen auf ihren Wegen.

Viele Autos vor dem Residenzschloss Würzburg

In Würzburg gibt es seit langem eine Debatte, ob der Platz vor der UNESCO-Welterbestätte der Residenz wirklich der beste Ort für einen Parkplatz ist. Vielleicht könnte eine Mediation einen Ausweg aus der jahrzehntealten Diskussion weisen? Foto: Carel Mohn

Auch den Gegner der Radwege würde ich befragen: „Angenommen, alles bleibt, wie es ist – warum wäre das für Sie eine gute Nachricht?“ Es ist plausibel, dass diese Person sagt: „Dann komme ich vielleicht endlich wieder pünktlich an.“

Und weil in einer Mediation beide Streitparteien voneinander hören, was der jeweils andere sagt, wäre klar: Bei beiden sind wichtige Bedürfnisse verletzt. Bei der Frau ein Sicherheitsbedürfnis, das S aus dem ABS-System: Sie möchte schlicht heil ankommen; außerdem sieht sie in der Klimakrise eine Gefahr für ihre Sicherheit. Beim Mann war das A aus dem ABS-System getriggert, die Autonomie. Er hat Angst, unpünktlich zu sein und im Stau zu stehen, wenn es mehr Platz für Fahrradfahrende gibt. Vielleicht hatte er gerade Ärger mit dem Chef, weil er unpünktlich war?

Mit Fragetechniken aus der Mediation erkennen beide, dass es nicht nur um Sachargumente und darum geht, wer denn nun Recht hat. Sondern immer auch um Bedürfnisse und Gefühle. So entsteht Raum für Empathie. Das kann eine Basis sein für Verständnis und Vertrauen, auf der man wieder besser in Kontakt miteinander kommen kann, statt sich nur Parolen und Forderungen um die Ohren zu hauen.

Wenigstens Verständnis füreinander aufbringen, auch wenn es auf den ersten Blick keinerlei Gemeinsamkeiten gibt

Geraten wir also in Streit über die großen Fragen unserer Zeit, kann es hilfreich sein, die innere Mediatorin oder den inneren Mediator einzuschalten und um Rat zu fragen. Vielleicht entdecken wir so Gemeinsamkeiten mit unserem Gegenüber, derer wir uns im Furor nicht bewusst sind? Vielleicht können wir wenigstens Verständnis füreinander aufbringen, wenn es auf den ersten Blick keine Gemeinsamkeiten gibt? Das würde uns gerade in Klimadebatte weiterbringen!

Zudem wären wir gut beraten, Räume zu schaffen für Gespräche, die professionell von Mediatorinnen und Mediatoren moderiert werden. Viele Institutionen bieten sich dafür an – zum Beispiel Theater, Bibliotheken oder Religionsgemeinschaften. Und auch Bürgerräte, in denen zufällig geloste Menschen aktuelle Streitfragen diskutieren – vom Windpark nebenan bis zum geplanten Fahrradweg, dem Parkplätze weichen müssen –, können unser Miteinander verbessern und Akzeptanz schaffen. Hier gelingt, was in den sozialen Netzwerken leider oft nicht klappt: respektvolle Kommunikation von Angesicht zu Angesicht.

Menschen, die sich bereits in sogenannten alternativen Medien und Verschwörungsmythen verloren haben oder die den Klimawandel rundheraus leugnen, wird man auf diese Weise kaum zurückgewinnen. Elemente aus der Mediation sind kein Allheilmittel – aber ein Baustein, der dazu beitragen kann, die Risse in unserer Demokratie zu kitten. Und das wäre schon viel in diesen Zeiten!

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