Klimajournalismus hat derzeit mächtig Gegenwind. Deshalb hieß jüngst eine hochranging besetzte Konferenz „Climate Journalism under Pressure“. Die OsloMet University hatte dazu Ende August rund 70 Klimajournalistinnen und -journalisten aus der ganzen Welt eingeladen, dazu Forschende und Studierende. Der Zustand des Klimajournalismus ließ sich hier genau ablesen. Die Quintessenz überrascht: Druck ist da – aber auch Energie und Zuversicht; mehr, als die meisten erwartet hätten.
Der Klimajournalismus jedenfalls ist dynamischer als gedacht, und das in schweren Zeiten: „Die Stimmung verbesserte sich bei der Konferenz mit den Diskussionen immer weiter, das war überraschend. Der Klimajournalismus ist keineswegs überall in der Defensive“, resümiert Andreas Ytterstad, der in Oslo als Professor Klimajournalismus lehrt, forscht und die Konferenz mit organisiert hat.

"Chasing Climate", eine – laut Zuschauerforschung – sehr erfolgreiche Scrollytelling-Produktion des norwegischen Fernsehens; Foto: NRK/Screenshot
Zu robust ist offenbar die Infrastruktur, die in Europa in den vergangenen zehn Jahren gewachsen ist: Ein buntes Akteursfeld aus Medien-Netzwerken, Fachportalen, Stiftungen, Hochschulen und Initiativen fördert Klimajournalismus und entwickelt ihn weiter. So nahm Katherine Dunn vom Oxford Climate Journalism Network, das seit 2022 bereits 800 Journalisten aus 120 Ländern geschult hat (aber zum Jahresende seine Arbeit einstellen wird), eine zuversichtliche Perspektive ein: Trotz des negativen klimapolitischen Umfeldes, berichtete sie unter Verweis aus eine Studie mit weltweit mehr als 60.000 Probanden, bleibe die Klimafrage in vielen Ländern weit oben bei Umfragen nach den Megathemen, die die Menschen besorgen.
In Norwegen stoßen Klimareportagen im Fernsehen wie auch im Netz auf überdurchschnittliches Interesse
Auch die Referenten des norwegischen Rundfunk NRK, der sich eine investigative Klima-Redaktion und ein Klima-Nachrichten-Team mit 15 Journalisten leistet, waren positiv gestimmt. Denn ihre Klimareportagen klicken sich im Netz besser und stoßen im Fernsehen auf mehr Interesse als andere Inhalte. Das ergibt die Zuschauer-Forschung in Norwegen immer wieder: Beispiele hierfür sind multimediale Scrollytelling-Produktionen wie „Chasing Climate“ über Klimafolgen in Norwegen aus dem Jahr 2019 oder aktuell „Why nature is lost“, bei dem die Reporter die Veränderungen der norwegischen Natur mit allem erzählen, was zeitgemäßer Avantgarde-Journalismus braucht: viele Daten, schlaue Drohnen, opulente wie ebenso informative Bilder, dazu Grafiken und spannende Protagonisten, eingebaut in einen ruhigen, starken Reiseplot. Dafür gab es den nordischen Klimajournalismus-Preis, der im Rahmen der Konferenz erstmals verliehen wurde.
In Finnland kann sich guter Hintergrund-Klimajournalismus bei „Long Play“ über ein Abo-Modell finanzieren, wie Hanna Nikkanen berichtete. Für einen festen monatlichen Betrag erhalten hier die Abonnenten lange exklusive Hintergrundstücke – nicht nur zu Klima, aber auch. Und Zusammenarbeiten wachsen mancherorts – etwa zwischen Ressorts beim Guardian in Großbritannien, was dort das Klima-Interesse etwa der Business-Reporter erhöht und die Klima-Kollegen näher an die Wirtschaftsagenda bringt. Und in Deutschland bei Kooperationen von Medienhäusern mit Initiativen wie etwa dem Portal FragDenStaat, das kürzlich mit der ARD eine Recherche zu Hitze in Städten veröffentlichte.
Wie in Deutschland oder Österreich gibt es nun auch in Dänemark ein Netzwerk Klimajournalismus
In Dänemark ist ein Netzwerk für Klimajournalismus gerade entstanden: 18 Journalist:innen seien sie derzeit, die sich gegenseitig unterstützen, erzählt Marie Saehl, aber die Initiative solle weiter wachsen. Inspiriert wurden Saehl und ihre Kolleginnen von den Netzwerken in Österreich und Deutschland, das der Autor dieses Beitrag 2021 mitgegründet hat. „Wir versuchen gerade, uns gegenseitig zu unterstützen, haben aber vor, es noch auszuweiten“, berichtet die dänische Klima-Reporterin. Auch in Portugal machen sich gerade Kolleginnen und Kollegen auf, einen Verbund zu gründen. Und in der Türkei gibt es ebenfalls erste Gedanken; jedoch sind dort die Arbeitsbedingungen unter der Regierung Erdogan harsch, wenig Raum gibt es für Klimathemen in den Medien generell.

Das Kernteam des Netzwerk Klimajournalismus Österreich; Foto: NKJ/Lena Linorter
Wie stark also ist der Klimajournalismus unter Druck? Diese Frage rahmte die Konferenz ein. In der Tat ist das Bild eingetrübt, die klimajournalistische Aufbruchstimmung der Jahre nach 2018 ist verflogen. Umso wichtiger sind gerade dann neue Netzwerke: Die US-amerikanische Society for Environmental Journalists (SEJ), der vielleicht einflussreichste Berufsverband auf der Welt, sandte einen Vertreter nach Oslo. Durch die politische Lage in den USA ist die SEJ unter Druck geraten und „muss nun schauen, wie es andere Länder auf der Welt machen, wie wir vielleicht von Europa lernen können“, wie es ihr Vertreter am Rande der Konferenz erklärte.
Persönliche Angriffe in Schweden, erste Seminarangebote in Pakistan, zarte Schritte in Uganda
Unter Druck ist der Klimajournalismus auch da, wo man es nie vermutete hätte: Die renommierte TV-Journalistin Erika Bjerström aus Schweden hat nach fünf Jahren als erste internationale Klima-Korrespondentin des öffentlich-rechtlichen Senders SVT hingeschmissen – aus Frust und Angst. Und nachdem sie angegriffen wurde, Personenschutz bekam, selbst in ihrem Sommerhaus. Der Druck war gewaltig von Seiten des Publikums, reihenweise war Bjerström mit heuchlerischen Fragen konfrontiert: Warum muss denn gerade die, die alles besser weiß in Sachen Klima, für ihre Recherche nach Pakistan fliegen? Eine andere Kollegin, die ein Buch über die schwedische Forstwirtschaft schrieb, berichtete von Mobbing und dem Versuch der Firmen, ihre Karriere zu zerstören, mit Gegenstudien, verfasst von einem zweifelhaften Think Tank.
Die Klimajournalismus hat in seiner Hochzeit Netzwerke ausgebildet, die immer noch tragen und nun Wirkung zeigen: Orientiert an Lehrkursen aus Norwegen und Deutschland gibt es nun im Lahore (Pakistan) ein erstes Klimajournalismus-Seminar. Auch Gäste aus Uganda, Kenia, Indien und Bangladesch erzählten von ihren Versuchen, an Universitäten und außerhalb den Klimajournalismus zu fördern – in der Nische, als Einzelkämpfer und in Ländern mit vielen Alltagssorgen. Und dennoch als Botschafter einer zweiseitigen Geschichte: Der Klimajournalismus leidet, weil weniger berichtet wird oder Redaktionen schließen. Aber er lebt auch andernorts weiter, im Schatten, in kleinerem Gewand – auch durch die globalen Lerneffekte, die vielen neuen Klima-Medien, Initiativen, Programme, Lehrgänge, Preise und Netzwerke im Klimajournalismus angestoßen haben.
Die Sprache des Klimajournalismus: Häufig noch viel zu technokratisch, zu wenig lebendig
Und wo sind neue Geschichten zu holen? Wo findet sich neues Publikum? Bei den Älteren, den Über-50-Jährigen zum Beispiel. Für die sehe er bisher nirgends ein Format, sagte Ajit Niranjan, der Umweltkorrespondent des Guardian, zu Beginn der Tagung in seinem Vortrag. Aber die Sprache … immer noch sei die Sprache des Klimajournalismus zu technokratisch, wenig lebendig. Diese Feststellung passte zu anderen Ergebnissen der Fachdebatte: Neue Narrative werden von den ökologischen Bewegungen hervorgebracht, die derzeit noch wachsen und auch wissenschaftlich stark diskutiert werden – die Initiativen zu den Rechten der Natur, bei denen Flüsse oder Wälder zu Rechtspersonen werden und daran anknüpfend ökologisch inspirierte Gerichtsurteile auf der ganzen Welt gefällt werden.
Die Idee des Rewilding – der großen Rückgabe von Landschaft an den Planeten – und die dazu aktiven Gruppen machen Mut und bergen viele neue Geschichten. Zudem folgen sie dem Ziel der UN-Naturschutzkonferenz von Montréal 2022: 30 Prozent der Erde sollen bis 2030 unter Schutz gestellt werden. Das ist nicht nur eine Vision, sondern ein Beschluss von rund 200 Staaten – die ihn freilich umsetzen müssen. Aktuell steht die politische Realität dem allerdings entgegen; umso wichtiger, dass Medien mehr darüber im Kontext der Klimafrage berichten.
Dieser Text ist Teil unseres Projekts #DebattenKLIMA. Es will – möglichst praxisnah – der Frage nachgehen, wie gesellschaftliche und politische Debatten über Klimaschutz und Klimaanpassung so geführt werden können, dass sie möglichst viel dazu beitragen, die Emissionen auf Null herunterzubringen. Eine der besonders spannenden Fragen hierbei ist, wie dies auch dann gelingen kann, wenn sich wichtige gesellschaftliche Akteure (seien es politische Parteien, seien es reichweitenstarke Medien, seien es einzelne Interessengruppen) einem solchen Diskurs entziehen oder verweigern oder ihn gar aktiv torpedieren – aus welchen Motiven auch immer.
Im Rahmen des Projekts erscheint unter anderem die Rubrik „Studie des Monats“, in der wir monatlich besonders wegweisende Ergebnisse der Sozialforschung zur Klimakommunikation vor – und beschreiben, was sich daraus ganz praktisch ableiten lässt für die tagtägliche Kommunikationsarbeit rund ums Klima. Hierbei arbeiten wir zusammen mit einem Forschungsteam um Michael Brüggemann, Professor für Kommunikationswissenschaft, Klima- und Wissenschaftskommunikation an der Universität Hamburg und langjähriger wissenschaftlicher Berater von Klimafakten.
Gefördert wird das Projekt #DebattenKLIMA von der Marga und Kurt-Möllgaard-Stiftung sowie der Naturstromstiftung.
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Und auch dies war ein Strang der Debatten in Oslo: Klimawandel ist manchmal ein Thema für die Überschrift, bei einer UN-Konferenz oder einer neuen Studie. Viel öfter könnte oder müsste die Klimafrage aber eine Dimension mit vielen Unterthemen sein, ob nun Bauen, Energie, Landwirtschaft oder Konsum. Oder auch Mode und Fußball – zwei Felder, in denen Guardian-Korrespondent Ajit Niranjan sich noch mehr Klimakontext wünscht.
Weitere Zukunftsthemen: im Schreiben die Perspektive von Tieren oder Pflanzen einnehmen, um neue, ungewöhnliche Erzählungen zu schaffen die es für den Erhalt der Welt braucht (ganz so, wie es auch der Weltnaturschutzrat IPBES beschreibt): Die Phase, nur über die Natur zu berichten, müsse enden und erweitert werden von einer Kommunikation, die in, mit und auch als Natur auftritt.
War der "Konstruktive Journalismus" vielleicht übertrieben optimistisch, zu positiv, gar einseitig?
Mehr Perspektiven, Lebendigkeit und Sinnlichkeit – nature writing steht für diese Forderungen an den Journalismus. Dieses Erfolgsgenre der Gegenwartsliteratur bietet die Chance, Natur präzise, empathisch und subjektiv zu beschreiben und auch direkt zu erfahren: Welches Schauspiel vollführen Bussarde, wen ich mich mit ihnen aufschwinge? Wie geht es Flüssen, wenn ich untertauche? Solche Fragen stellen sich die Autoren des Genres, unter denen auch einige Journalisten sind. In Oslo wurde es stark diskutiert. In den Werken vermischen sich umwelt- und wissenschaftsjournalistische Beschreibungen mit essayistischer Reflexion und poetischen Gedanken zu einer eigenen, vor allem in den USA und Großbritannien bekannten Stilform. Nun scheint es, als ob sich auch Medien andere Länder mehr für diese Zugänge interessieren, mehr Mut zur Literatur haben. Und damit versuchen, stärkere Naturbezüge im Klimajournalismus aufzubauen – ein Manko, dass auf der Konferenz immer wieder genannt wurde.
Beispiel Moore: Sie machen global nur drei Prozent der Landfläche aus, speichern aber doppelt so viel Kohlendioxid wie alle Wälder der Erde. Viel mehr müsste über sie berichtet werden, auch in Deutschland – zumal mit der Moor-Strategie der alten Bundesregierung ein politischer Plan vorliegt samt und einer machtvollen Erzählung von der nassen Landwirtschaft, der sogenannten Paludikultur. Diese Idee hat der Greifswalder Moorforscher Hans Joosten mit seinem Team entwickelt: Reetdächer kehren zurück, Wasserbüffel geben Mozzarella und Fleisch, Sumpfgras, Rohrkolben und Seggen liefern Material für Dämmstoffe, Verpackungen, Press-Span und Textlilien.
Das wäre Stoff für konstruktiven Klima-Journalismus, einer, der Lösungen und Erfolge stärker berichtet. Das haben viele Redaktionen in den vergangen zehn Jahren versucht – und nun wenden sich einige ab. Das war ein weiterer Befund von Oslo: Der sogenannte Konstruktive Journalismus der vergangenen Jahre sei in manchen Redaktionen als Heilmittel gepriesen worden, zu positiv, übertrieben und einseitig, sagen mache Klima-Reporter nun in der Rückschau. Sie meinen: Die Lage der Welt lasse das Überbetonen des Gelingenden nicht mehr zu. Man müssen die (traurigen) Fakten wieder stärker machen – obgleich Lösungen und Erfolge auch weiterhin ihren Platz haben sollen. Nur eben in einer anderen Dosis.

Das Klimafakten-Schwesterprojekt Clean Energy Wire
vernetzt mit seinem CLEW Journalism Network
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die zur Energiewende und verwandten Themen
recherchieren und berichten