Was passiert, wenn man eine Klimawissenschaftlerin und einen Science-Fiction-Autor in einen (virtuellen) Raum setzt? Es stellt sich heraus, dass der Funke sofort überspringt wie auf einem brennenden Planeten. Beide haben mehr gemeinsam, als Sie vielleicht denken.

Nehmen wir Friederike Otto und Kim Stanley Robinson. 

Fredi Otto, die Wissenschaftlerin, eine der Hauptautorinnen des aktuellen IPCC-Reports, renommierte Expertin zum Zusammenhang von Extremwettern und Klimawandel sowie Autorin des populärwissenschaftlichen Buches Wütendes Wetter. Und Stan Robinson, der Schriftsteller, der drei Trilogien, Sachbücher und zwölf weitere Romane verfasst hat, zuletzt Das Ministerium für die Zukunft.

Friederike Otto (Mitte) und Kim Stanley Robinson (rechts) diskutierten am 3. Oktober 2021 bei einem Webtalk von klimafakten.de, in Kooperation mit der Deutschen Welle (DW) und dem britischen Wochenmagazin The New Statesman. Es moderierte Zulfikar Abbany (links), Leitender Wissenschaftsredakteur bei der DW - und Autor dieses Artikels

Beide kennen die Arbeit des jeweils anderen: „Um ehrlich zu sein, klang vieles in Stans Ministerium für die Zukunft ein bisschen zu vertraut, um sich wie Fiktion anzufühlen“, sagte Otto während eines Livestreams, der von klimafakten.de veranstaltet und von der DW präsentiert wurde. „Die Wissenschaft ist vielleicht ein bisschen übertrieben, aber eigentlich nicht viel, wenn überhaupt.“

Alles, was die Wissenschaftler im Buch sagen, entspreche dem Stand der Forschung. Auch die darin vorkommenden Institutionen seien nah an der Realität, so Otto. Außerdem wurde es sehr persönlich – Otto fand sich selbst in dem Buch wieder: „Die Hauptfigur des Buches fühlt sich oft machtlos, und wenn man mit UN-Institutionen arbeitet, fühlt man sich auch so“, sagte Otto. „Aber es ist kein dystopischer Roman, sondern ein utopischer. Und es wäre fantastisch, wenn wir sehr bald dort ankommen würden, wo Stans Buch ist!“

„Wir brauchen Berichte von der Frontlinie der Wissenschaft“

Ein größeres Lob kann es wohl nicht geben. Aber Robinson ist bekannt für seine akribische Recherche. Auch die Wissenschaft ist ihm sehr nahe – seine Frau, Lisa Howland Nowell, arbeitet als Umweltchemikerin beim amerikanischen US Geological Survey. „Ich interessiere mich für die wissenschaftlichen Institutionen“, sagte Robinson. „Sie sind ein schwieriges Thema für einen Romanautor, weil es sich bei Institutionen um Gruppenarbeit handelt, während sich Belletristik normalerweise auf einzelne Personen konzentriert. „Aber wir brauchen Berichte von der Frontlinie der Wissenschaft, und genau das leistet Wütendes Wetter.“

Otto und Robinson bewegen sich in ihren jeweiligen Genres auf einem schmalen Grat. Es wird Leute geben, die meinen, Wissenschaftler sollten sich auf Wissenschaft beschränken – und ihre Meinung für sich behalten. (Fredis Meinung ist simpel und klar: "Die Lösung ist, keine fossilen Brennstoffe mehr zu verbrennen!") Andere werden der Meinung sein, Science-Fiction-Autoren sollten nicht über Realitäten wie den Klimawandel schreiben und fordern: Unterhalten Sie uns, langweilen Sie uns nicht!

Aber wie kann man ein Thema behandeln, das alle Facetten des heutigen Lebens berührt, ohne Grenzen zu verwischen? Vermutlich lautet die Antwort: Man kann die Grenzen nicht nicht verwischen.

„Um Wissenschaft nutzbar zu machen, muss man sie in eine Erzählung packen“, sagt Friederike Otto. „Man muss genau das finden, was man aus wissenschaftlicher Sicht sagen kann – und was zugleich relevant ist für die Fragen, mit denen Entscheidungsträger konfrontiert sind.“ Und es ist schwierig, hier die Balance zu finden. Denn der Klimawandel ist eine globale Angelegenheit, viele (politische) Entscheidungen jedoch können nur auf einer kleineren, oft lokalen Ebene getroffen werden.

Hinzukommt, dass die meisten Durchschnittsbürger keine wissenschaftlichen Berichte lesen; es sei denn, sie müssen – oder sie sind Politiker. Aber wenn man nun als Politiker in direktem Kontakt mit der Wählerschaft steht, diese aber die Forschungsreports nicht liest – wie kann man dann irgendwelche sinnvollen Maßnahmen zum Klimawandel erwarten? 

Für Otto kommt es vor allem auf persönliche Erfahrungen an. Wenn Menschen ein Extremwetter erleben und die Wissenschaft zeigen kann, wie der Klimawandel zu diesem Ereignis beigetragen hat, verändert das die Denkweise der Menschen, sagt sie. „Wir haben es geschafft, zumindest einen Teil der Diskussion über das Wetter und den Klimawandel zu verändern“, so Otto, die das Forschungsprojekt World Weather Attribution mitgegründet hat. „Es liegt noch ein weiter Weg vor uns, bis wir handeln können, aber wir haben einen wichtigen ersten Schritt getan.“

„Science-Fiction ist Realität, die einem ins Gesicht schlägt“

Kann also Science-Fiction – Bücher, Filme, Podcasts – helfen? Robinson schüttelt den Kopf, nein. Oder vielleicht ist es ein „Nein, nicht unbedingt“. Jedenfalls sollte man nicht den Fehler machen, Science-Fiction als Nische zu bezeichnen, so wie ich es beim Moderieren der Veranstaltung getan habe. 

„Romantische Komödien sind eine Fluchtmöglichkeit für Bürger der Mittelschicht, die sich Sorgen um die Realität machen. Und Science-Fiction ist die Realität, die einem ins Gesicht schlägt. Sie ist der Realismus unserer Zeit“, sagte Robinson. „Science-Fiction ist überhaupt nicht nischenhaft. Und das wird umso wahrer, je mehr wir in das Zeitalter des Klimawandels eintreten und je mehr die Menschen sich dessen bewusst werden.“  

Aber tut sich nicht immer noch sehr wenig, egal wie populär Science-Fiction geworden ist? 

Ja, antwortet Robinson, „ich bin frustriert über den Mangel an Maßnahmen gegen den Klimawandel“, aber zumindest ein wenig habe sich schon getan. 

„Seit ich 2002 begann, über den Klimawandel zu schreiben, hat es immense Fortschritte gegeben“, sagt Robinson. „Deshalb ist es nie gut, die Erzählung zu bedienen, die Dinge würden sich sowieso nicht ändern. In Wahrheit ändern sie sich ziemlich schnell, vor allem, wenn man die Entwicklung und die Trägheit der Zivilisation im Allgemeinen betrachtet. Der Klimawandel ist heute das beherrschende Thema des 21. Jahrhunderts, und das war vor 20 Jahren noch nicht der Fall.“ 

Dank an eine Generation von Wissenschaftlern

Dieser Wandel in der öffentlichen Debatte, so Robinson, sei ein Verdienst der Wissenschaftscommunity. Otto sei Teil eines gigantischen Gemeinschaftsprojekts einer ganzen Generation von Klimatologen, Umweltwissenschaftlern und der Wissenschaft im Allgemeinen.

„Der Klimawandel ist etwas, das kein einzelner Mensch registrieren oder wahrnehmen kann – er ist ein wissenschaftlicher Fakt. Man muss sich alle Daten ansehen, sie durch die Geschichte zurückverfolgen, sie verarbeiten und dann zu Schlussfolgerungen kommen, die kein Mensch allein hätte herausfinden können“, sagte er. „Und die Tatsache, dass der Klimawandel zu einer überragenden Sorge wurde, ist ein Verdienst der wissenschaftlichen Gemeinschaft.“

Zulfikar Abbany

Eine Aufzeichnung des Gesprächs finden Sie hier: https://youtu.be/hs02Mg3eYHU,
und eine englische Version des Artikels hier auf dw.com
Friederike Otto ist auch Mitglied des Wissenschaftlichen Beirats von klimafakten.de