Tatiana Herda Muñoz ist kommunale Klimaschutzmanagerin in Mainz und Zweite Vorsitzende des 2016 gegründeten Bundes­verbandes Klimaschutz (BVKS). Sie hat ein Bachelor of Science "Environmental Impact Assessment" und absolviert einen berufsbegleitenden Master of Science in Energiemanagement. Sie entwickelt zielgruppengerechte Klimaschutzdienstleitungen, testet sie und führt sie ein.

Wir twittern, wir bloggen, sind auf Facebook und Instagram. Ich folge dir, und du folgst mir. Wir arbeiten in nachhaltigen Unternehmen und sind alle der Meinung, dass der Klimawandel eine der größten Herausforderungen unserer Zeit ist. Wir sind uns einig: Wir müssen jetzt handeln. Wir kennen uns aus. Mit Erneuerbaren, Klimaschutz, Upcycling, regional, saisonal. Wir sehen uns auf Netzwerktreffen, auf Konferenzen und immer öfter auch auf Un-konferenzen, Konferenzen also, die anders, die nicht Konferenz sein wollen. Wir halten Vorträge und leiten Workshops.

Immer wir, dieselben Gesichter, verschiedene Konstellationen. Wir sind eine Clique, online, analog und geistig irgendwie verbunden.

Das reicht aber nicht. Denn wir sind zu wenige. Wir brauchen den Rest der Bevölkerung. Wir Cliquen-Mitglieder wissen das. Und jede und jeder geht ihren/seinen eigenen Weg, die anderen zu erreichen. Ich bin beeindruckt, was meine Mitstreiterinnen und Mitstreitern so auf die Beine stellen. Ob Start-Ups, nachhaltige Blogs oder neue Initiativen: Innovation, Kreativität, lauter hippes, cooles Zeug, was mich da ständig inspiriert. Mein eigener Weg zu den Menschen scheint da zunächst etwas langweilig: Ich bin Sachbearbeiterin in einer kommunalen Verwaltung.

Mein Schlüssel zur Welt da draußen: die Kommunalverwaltung

Meine Geschichte fängt bei meinem ersten Arbeitgeber an, einem Projektentwickler für Erneuerbare Energien, einer natürlich innovativen Firma. Von der Kantine bis zum Bürogebäude – alles ist nachhaltig. Ich war in Chile, Costa Rica oder Uruguay unterwegs, um die Energieversorgung vor Ort klimaneutral zu realisieren. Für mich war ab diesem Zeitpunkt klar: Ich werde immer versuchen, einen sinnvollen Job in einer grünen Firma zu haben. Und dieses Vorhaben habe ich bei meinen späteren Arbeitgebern auch so realisiert. Eigentlich hätte ich zufrieden sein können. Doch was ist dann passiert?

Vor lauter nachhaltigen Bäume den Wald nicht mehr gesehen – das ist mir passiert. Ich folgte nur den Leuten, deren Meinung ich hören wollte. Las die Artikel die mir thematisch passten. Arbeitete in einer Branche, mit der ich mich einfach und bequem identifizieren konnte. Ich hatte es mir gemütlich gemacht in meiner Überzeugung. Und ständig dieses Gefühl: Es können doch nicht alle meiner Meinung sein. Dass ich meinen Weg raus aus den Bäumen ausgerechnet in einer kommunalen Verwaltung finden würde, hätte ich mir niemals träumen lassen. Dabei ist es so logisch.

"Wir sind eine Clique, doch wir sind zu wenige. Wir brauchen den Rest der Bevölkerung" - Demonstranten beim "March for Science" im März 2017 in Berlin; Foto: Carel Mohn; Porträtfoto: privat

Die Verwaltung einer Kommune agiert mittendrin in der Gesellschaft. Sie erreicht Zielgruppen in allen Altersklassen und allen Milieus. Das geschieht durch ihre Kernaufgabe, das Miteinander in einer Gemeinschaft zu regeln und das alltägliche Leben am Laufen zu halten. Als Dienstleisterin für jede und jeden kann sie es sich nicht leisten, gesellschaftliche Cliquen zu bilden.

Schon allein die behördeninterne Belegschaft ist eine vollkommen neue Zielgruppe für Klimaschutz. Meine Verwaltungskolleginnen und -kollegen haben mir unerwartete Perspektiven eröffnet. Sie haben mir die Menschen gezeigt, die ich erreichen sollte und möchte. Genau die waren lange nicht auf meinem Kommunikationsradar. Menschen, voll mit Fragen und Skepsis ob denn diese Energiewende funktionieren kann. Ob die da oben mit ihren Klimakonferenzen überhaupt was hinbekommen.

Die anderen – jetzt habe ich sie gefunden

Der Ölpreis sinkt, ist doch prima! Peak oil – war das nicht schon vor 20 Jahren? Plötzlich finde ich mich in Diskussionen wieder, ob der Klimawandel überhaupt stattfindet. Vor meiner Zeit als kommunale Klimaschutzmanagerin hatte ich zwar von diesen sogenannten "Klimaskeptikern" gehört. Persönlich habe ich aber nie einen getroffen.

In der Verwaltung werde ich ständig hinterfragt und damit gezwungen, meine Komfortzone zu verlassen. Die vielen Mütter mit ihren SUVs, die Kinder und Jugendlichen in den Schulen – einfach all die Menschen, für die Klimaschutz nicht selbstverständlich, sondern eines von vielen gesellschaftlichen Themen ist. Meist eher weit weg als Teil des persönlichen Lifestyles.

Hier bin ich genau da, wo ich sein möchte. Da wo ich die Menschen erreichen kann, die ich erreichen will. Hier kann ich wirken.

Dieser Text ist auch abgedruckt in unserem Reader "Das Klima zum Thema machen. So geht's".
Sie können ihn hier als pdf-Datei herunterladen und in Papierform kostenlos bestellen,
zum Beispiel für die Klimaschutzarbeit auf kommunaler Ebene