Ansel Adams (1902-1984) ist bis heute einer der bekanntesten Fotografen der US-amerikanischen Kunstgeschichte. Seine klaren, schwarz-weißen Landschaftsbilder sind Klassiker des Genres – und hatten zugleich erheblichen Einfluss auf die Politik. Mit seinen Arbeiten machte Adams in den 1930er und -40er Jahren die Schönheit vieler bis dahin  unbeachteter Wildnisgebiete breit bekannt. Seine Bilder trugen dazu bei, die Gründung von Nationalparks politisch durchzusetzen, etwa in der Sierra Nevada. Der damalige Innenminister Harold Ickes dankte Adams sogar in einem persönlichen Brief für seine Arbeiten.

Die Medienwissenschaftlerin Joanna Nurmis von der US-University of Maryland schildert diese Anekdote in einem Aufsatz über visuelle Kunst und den Klimawandel, der kürzlich im Fachjournal WIREs Climate Change erschienen ist. Und sie fragt, ob Künstler heutzutage ähnlich wie einst Adams das öffentliche Bewusstsein beeinflussen könnten. Ob – und wie – Kunst und Kultur mithelfen könnten, eine kommunikative Lücke beim Klimawandel zu füllen: Fakten allein genügen bekanntlich selten, um Menschen zu Verhaltensänderungen zu bewegen – Psychologen wissen seit langem, dass daneben auch Gefühle und Sinne angesprochen werden müssen. Dies aber ist bei einem Phänomen wie dem Klimawandel schwierig, das schleichend abläuft und von vielen Menschen in ferner Zukunft oder am anderen Ende der Welt verortet wird.

"Wo sind die Gedichte? Die Theaterstücke? Die verdammten Opern?"

Nurmis gibt in ihrem Aufsatz einen analytischen Überblick über die Fachdebatten der vergangenen rund zehn Jahre unter Kunstschaffenden und Kulturwissenschaftlern. Etwa seit Mitte des vergangenen Jahrzehnts, schreibt sie, hätten immer mehr Künstlerinnen und Künstler den Klimawandel als Thema entdeckt. Anlass seien, neben den immer klareren Ergebnissen der Forschung, auch Aufrufe von Aktivisten gewesen. So hatte beispielsweise 2005 der Campaigner Bill McKibben in einem aufsehenerregenden Essay im Online-Magazin Grist provozierend gefragt: "Wo sind die Bücher? Die Gedichte? Die Theaterstücke? Die verdammten Opern? Vergleicht [den Klimawandel] mit, sagen wir, dem Schrecken von AIDS während der vergangenen 20 Jahre – er hatte eine umwerfende Flut von Kunstwerken zur Folge! Die umgekehrt einen echten politischen Effekt hatte!"

Eine ähnliche Flut von Kunst zum Klimawandel gibt es zwar bis heute nicht. Doch, so Nurmis, habe es seit Mitte vergangenen Jahrzehnts immerhin Dutzende große und durchaus bemerkenswerte Ausstellungen zum Thema gegeben, sowohl am Rande internationaler Klimagipfel als auch in engagierten Galerien und Museen: Boulder, Colorado (2007), London und Kopenhagen (2009), Paris (2012), New York (2013), Boston (2014), Melbourne (2015) – einige der wichtigsten hat die Autorin auf einer informativen Website zu ihrem Aufsatz zusammengestellt. Inzwischen jedenfalls habe sich "Klimawandelkunst" ("climate change art") als neues und zeitgemäßes Genre etabliert, so Nurmis: Sie habe sich "von einem aktivistischen, propagandistischen Genre weiterentwickelt zu einem Typus Kunst, der Wissen und Gefühl zum Thema Klimawandel mobilisiert – ohne explizit instrumentell zu sein".

Künstler, die zum Klimawandel arbeiten, werden von allen Seiten kritisiert

Dies nämlich ist ein wichtiger Unterschied der Kunsttheorie: Die vielen phantasievollen Events, Performances und "kreative Interventionen" von Aktivistengruppen gelten nicht als "richtige" Kunst. Hierzu zählen beispielsweise die schmelzenden Eisfigürchen, die der WWF 2009 in Berlin aufstellen ließ oder die 2010 von McKibbens Organisation 350.org weltweit organisierten Aktionen, in denen sich Menschenmengen zu riesigen, teils sogar aus dem Weltraum erkennbaren Bildern formierten. Solche Aktionen, schreibt Nurmis, würden "von der Kunstwelt nicht einmal registriert" – man halte sie für "zu instrumentell, als dass sie irgendeinen bleibenden oder inneren ästhetischen Wert besitzen könnten". Und ohnehin werde damit vor allem ein Publikum erreicht, das meist schon von der Notwendigkeit des Klimaschutzes überzeugt ist.

Kunstaktion der Klimaschutzorganisation 350.org: Rund 3.000 Menschen formen 2010 in Neu Dehli einen Elefanten im anschwellenden Meer - um, wie es hieß, die Politik anzuspornen, nicht den "Elefanten im Raum" zu ignorieren, den Klimawandel; Quelle: Daniel Dancer/artforthesky.com

Zwar könne der Übergang zwischen didaktischer "Aktivistenkunst" und zweckfreier "Galeriekunst" fließend sein, so Nurmis – und die strikte Abgrenzung sei sowieso umstritten. Doch ist es für Künstler zweifellos schwierig, sich mit einem Thema zu befassen, das politisch derart aktuell und polarisiert ist wie der Klimwandel. Wenn Künstler "nur" Kunst machen, wird ihnen von Klima-Campaignern und -Aktivisten schnell vorgeworfen, sie seien unpolitisch und manieriert. Auf der anderen Seite sind Kunstliebhaber und -experten (und natürlich politische Gegner des Klimaschutzes) schnell dabei, Künstler als allzu aktivistisch zu kritisieren. Überhaupt sähen die sich bei Kunstwerken zum Klimawandel oft süffisanten Fragen ausgesetzt, wieviel Kohlendioxid denn dieses oder jenes Exponat verursacht habe oder wie das Hin- und Herjetten zwischen Ausstellungen denn zum Inhalt passe. Viele Künstler, selbst die sehr engagierten, wehren sich laut Nurmis deshalb vehement dagegen, als "Klimawandelkünstler" bezeichnet zu werden.

"Künstler können schreien, Wissenschaftler nicht"

Dabei komme Kunst eine sehr wichtige Rolle zu in der gesellschaftlichen Auseinandersetzung mit dem Klimawandel, betont Nurmis. "Künstler können schreien, Wissenschaftler nicht", zitiert sie beispielsweise die US-amerikanische Kuratorin Marda Kirn. Von der New Yorker Choreografin Karole Armitage stammen die Worte: "Ich will Gefühl zur Wissenschaft bringen. Denn die Wissenschaftler sind dermaßen frustriert, dass sie seit 30 Jahren Fakten liefern, sich aber nichts bewegt." Kunst könne, schreibt Nurmis, "die Sinne bilden" ("educate the senses") und einen Raum öffnen "für das Vorstellungsvermögen, was getan werden kann und was die Zukunft bringt".

Ein solcher Raum ist vermutlich wichtiger als je zuvor – denn die Maßnahmen, die notwendig sind zur Minderung der Treibhausgas-Emissionen oder zur Anpassung an das sich ändernde Klima übersteigen die Vorstellungskraft so ziemlich jedes Menschen. Diese "Vorstellungskluft" ("imagination gap") könne die Kunst schließen helfen, meint Nurmis – und zwar ohne sich dem Vorwurf auszusetzen, politisiert zu sein. Denn während sich Wissenschaftler oder auch Journalisten an Standards wie Objektivität oder Ausgewogenheit gebunden fühlen, habe die Kunst einen strukturellen Vorteil: "Sie entsteht und wächst ja geradezu daraus, allgemeine und überlieferte Konventionen und Grenzen zu übertreten." Es sei genau ihre Aufgabe, Routinen zu durchbrechen, Menschen zu irritieren, Widersprüche bloßzulegen und aus dem Alltag einen Schritt zurücktreten und den Blick fürs Große und Ganze zu weiten.

Drei verschiedene Kategorien visueller Klimawandelkunst unterscheidet Nurmis in ihrem Aufsatz. Der erste – und häufigste – Typ seien klassische bildliche Darstellungen, etwa Malerei oder Fotografie. Die Spanne reicht hier vom fast dokumentarischen Zeigen diverser Erscheinungen rund um den Klimawandels (Gletscher, Eisberge, Fluten, rauchende Schlote usw.) bis hin zur Imagination möglicher Zukunften (in der Regel negativer). Prominente Namen sind etwa Diane Burko, Edward Burtynsky oder Edgar Martins.

Dieser Typ Klimawandelkunst erinnert am ehesten an die Arbeiten von Ansel Adams. Diese Werke ringen aber – ebenso wie nicht-künstlerische Darstellungen, etwa in Medien oder NGO-Veröffentlichungen – mit dem Problem, dass der Klimawandel schwer visualisierbar ist. Er ist bekanntlich eine langsame, schleichende Veränderung. Und er hat es schwer, mit der visuellen Attraktivität anderer Ereignisse mitzuhalten – etwa mit der Bildmacht "stürzender Körper, brennender Türme und explodierender Köpfe, von Lawinen, Vulkanausbrüchen und Tsunamis", wie der Princeton-Professor Rob Nixon das Problem einmal formuliert hat.

Drei Kategorien: bildliche Darstellungen, Installationen, Interventionen

Als zweite Kategorie nennt Nurmis Installationen – also das Präsentieren dreidimensionaler Objekte in Galerie- oder Museums-Umgebung. Prominente Beispiele hierfür sind der dänisch-isländische Künstler Olafur Eliasson, der 2013 riesige Eisblöcke in das New Yorker MoMA brachte oder der Argentinier Tomas Saranceno, der 2012 in Mailand Museumsbesucher durch und über riesige Landschaften wabernder und schwebender Folienstrukturen schickte. Die dritte Kategorie schließlich sind Interventionen im öffentlichen Raum, mit denen nicht nur Museumsbesucher erreicht werden – wie das Projekt Connect the Dots von Mary Miss, die 2007 mit auffälligen, blauen Punkten an Bäumen, Gebäuden usw. in Boulder im US-Bundesstaat Colorado den Wasserstand einer möglichen Flut markierte.

Projekt "Connect the Dots" 2007 in Boulder im US-Bundesstaat Colorado: mit blauen Punkten im öffentlichen Raum markierte die Künstlerin Mary Miss den Wasserstand einer möglichen Flut; Quelle: Mary Miss/Deviantart

Um auf die Eingangsfrage zurückzukommen: Welche politische Wirkung kann Klimawandelkunst denn nun haben? Sicherlich keine so große wie einst Ansel Adams, meint Joanna Nurmis.

Eine Schwierigkeit sei nämlich, so Nurmis, dass der Schutz des Klimas ungleich einschneidendere Maßnahmen erfordert als einst die Bewahrung einiger US-amerikanischer Naturlandschaften. Will man heute beispielsweise die Antarktis langfristig erhalten, genügt es ja nicht, sie vor wirtschaftlicher Ausbeutung zu schützen (was im übrigen schon seit mehr als einem halben Jahrhundert geschieht). "Um ihre erhabene Schönheit zu erhalten, müssten die Völker kollektiv – in Houston, Paris, Dehli und Schanghai – ihre Emissionen so drastisch reduzieren, dass es nicht ohne tiefgreifende Änderungen im Lebensstil geht." Und solche Maßnahmen sind viel schwerer durchzusetzen als die Ausweisung einiger Nationalparks.

Ein zweites Problem, auf das Nurmis hinweist, ist der – wie sie es nennt – "starke Trend zu einer Bildsprache der apokalyptischen Erhabenheit". Viele Kunstwerke zum Klimawandel haben einen elegischen Charakter. Da werden beispielsweise schmelzende Eismassen gezeigt, verwüstete Landschaften, leidende Tiere – und die Betrachter sind dann geradezu überwältigt von der Tragödie, die sich vor ihren Augen (oder in ihrem Vorstellungsvermögen) entfaltet. Diese Werke erzeugen beim Betrachter oft Nostalgie, Melancholie, Schwermut (und wenn sie auf diese Weise "funktionieren", dann werden sie von der Kunstkritik gern gelobt).

Klimawandelkunst lässt das Publikum oft ergriffen zurück – und gelähmt

Doch richten sich diese Gefühle, die die Kunstwerke hervorrufen, häufig gegen die Intention der Künstler: Der Betrachter ist ergriffen – aber auch auf zweierlei Art gelähmt, so Nurmis: einerseits angesichts der drohenden Katastrophe planetarisches Ausmaßes, andererseits durch das Wissen, wie weitreichend die Maßnahmen sind, die zu ihrer Verhinderung notwendig wären. "Die Arbeiten ermöglichen es dem Publikum, hängenzubleiben im glückseligen Zustand nostalgischer Kontemplation über das, was noch nicht verloren ist, aber bald unvermeidbar vergangen sein wird." Solcherart Werke sind quasi das genaue Gegenteil von Aktivistenkunst – denn sie motivieren zu nichts, sondern lassen den Betrachter mit einem apathischen Schauer zurück.

Gibt es einen Ausweg aus diesem Dilemma? Ja, meint Nurmis – nämlich etwas, das sie "Kunst des Anthropozäns" nennt. Der Begriff "Anthropozän" steht für die Einsicht, dass mit dem Menschen erstmals in der Geschichte der Erde eine Spezies die Macht hat, den ganzen Globus dauerhaft zu verändern – er hat das "Holozän" genannte Erdzeitalter mit seinen seit der letzen Eiszeit relativ stabilen Klimaverhältnissen zum Ende gebracht. Kunst, die dem Menschen klarmacht, dass er selbst eine Naturgewalt geworden ist, könnte laut Nurmis zweierlei erreichen: Das Publikum versteht einerseits das Problem des Klimawandels und hält sich andererseits nicht für machtlos.

Tatsächlich gebe es bereits eine Reihe von Beispielen für "Kunst des Anthropozäns", Nurmis nennt Ausstellungen und Veranstaltungen in New York, Taipei, Miami – und auch in Berlin. Hier widmete sich das Haus der Kulturen der Welt dem Thema 2013/14 in einem zweijährigen Großprojekt. Wenn Kunstwerke das Publikum zum Nachdenken bringen über seine Beziehung zur Umwelt, über künftige Gesellschaften und über "Alternativen für ein erfülltes Leben jenseits von Konsum und materieller Befriedigung" – dann, so Nurmis' Fazit, könnten sie auch in Zeiten des Klimawandels eine starke politische Wirkung haben.

Toralf Staud