Schlagzeilen wie diese erscheinen inzwischen alle paar Wochen: "Trump-Regierung kann Klima-Klage von 21 Kindern nicht stoppen" (Washington Post). "Umweltschützer drohen Shell mit Klage" (ZDF). "Kinder siegen vor Gericht gegen kolumbianischen Staat" (Der Tagesspiegel). Weltweit nimmt die Zahl der Gerichtsverfahren rund um den Klimawandel zu. "Solche Prozesse", sagt die südafrikanische Juristin Paola Villavicenco Calzadilla "sind eine legitime Strategie, um Aktivitäten gegen den Klimawandel zu fördern, um eine zu langsame Politik der Minderungs- und Anpassungsstrategie zu umgehen und um den erforderlichen Wandel in der industriellen Produktion und im gesellschaftlichen Verhalten voranzutreiben."

Bei einem Vortrag auf dem 2nd World Symposium on Climate Change Communication im Februar in Graz verwies Villavicenco Calzadilla auf eine Überblicksstudie im Auftrag des UN-Umweltprogramms (UNEP), die im vergangenen Jahr erschienen ist. Bis März 2017 gab es demnach weltweit knapp 900 Gerichtsverfahren mit Klimabezug, mehr als zwei Drittel davon (654) in den USA. In 23 anderen Staaten wurden weitere 230 Verfahren gezählt, in Deutschland laut dieser Statistik bisher drei. (Eine laufend aktualisierte Datenbank zum Thema führt das Sabin Center for Climate Change Law an der Columbia University in New York, das auch die UNEP-Studie erstellt hat.)  

Eine Gruppe von Kindern und Jugendlichen aus den USA hat 2015 die eigene Regierung verklagt, weil diese durch mangelnden Klimaschutz ihre Rechte verletze. Vor wenigen Wochen scheiterte das Justizministerium mit dem Versuch, das Verfahren zu stoppen; Foto: OurChildrensTrust.org

Rechtsstreitigkeiten um den Klimawandel - der englische Fachbegriff lautet "Climate Change Litigation" - gibt es seit etwa 2010, und in den vergangenen Jahren nahm ihre Zahl deutlich zu. Das hat auch mit dem 2013 auf dem UN-Klimagipfel in der polnischen Hauptstadt (COP19) verabschiedeten und erst schrittweise wirksam gewordenen "Warschau-Mechanismus" zu tun. Dieser verlangt, dass eine Expertengruppe den jährlichen Klimagipfeln über "Loss and Damages" berichtet, also Verluste und Schäden durch den Klimawandel. Ebenfalls verstärkend für sogenannte Klimaklagen wirken das 2015 geschlossene Abkommen von Paris (COP 21) mit seinem Loss & Damages-Bestimmungen und die im selben Jahr erfolgte Verabschiedung der Entwicklungsziele der Vereinten Nationen (Sustainable Development Goals, SDGs). Das Grantham Institute der London School of Economics schätzt, dass es inzwischen weltweit etwa 1.400 Gesetze mit Bezug zum Klimawandel gibt – eine Verzwanzigfachung seit 1997.

Ein peruanischer Bergbauer gegen den deutschen Kohlegiganten RWE

Eines der international besonders beachteten Verfahren, so Villavicenco Calzadilla, läuft in Deutschland: Der peruanische Bergbauer Saúl Luciano Lliuya aus der Andenstadt Huaraz führt es gegen den Stromversorger RWE und wird dabei von der Organisation Germanwatch unterstützt. RWE sei – so die Argumentationskette des Klägers – wegen der Emissionen aus seinen zahlreichen Braunkohlekraftwerken ein relevanter Mitverursacher des Klimawandels, als dessen Folge – unter anderem – ein oberhalb von Huaraz gelegener Gletscher abschmelze. Das Schmelzwasser sammele sich in einem See, der eine talwärts stürzende Flutwelle verursachen könnte. Diese bedrohe Eigentum und Familie des Bauern Lliuya sowie 50.000 Menschen der 120.000-Einwohner-Agglomeration Huaraz. Daher, so die Klage, solle sich RWE an der Finanzierung von Schutzmaßnahmen beteiligen - und zwar im Ausmaß seines Anteils an globalen, klimarelevanten Emissionen. Als größter CO2-Emittent Europas ist der Energieriese laut Germanwatch für rund ein halbes Prozent aller menschengemachten Treibhausgasemissionen weltweit seit Beginn der Industrialisierung verantwortlich. Saúl Luciano Lliuya fordert daher, dass das Unternehmen rund 0,5 Prozent der am Gletschersee notwendigen Schutzmaßnahmen bezahlt.

Nach bisher sieben Verfahrensschritten in den vergangenen zwei Jahren stellte das Oberlandesgericht Hamm im Februar 2018 klar: Unternehmen können im Prinzip für Folgen des Klimawandels zur Verantwortung gezogen werden. Der nächste Schritt in der "Klimaklage" gegen RWE ist nun die Beweisaufnahme. Dabei geht es laut der Hamburger Rechtsanwältin Roda Verheyen, die den Kläger vertritt, "schlicht darum, dass ein Sachverständiger bestätigt, was wir bisher mit Belegen geltend gemacht haben, nämlich dass es eine Flutgefahr gibt, und das Risiko [für den Kläger und andere Einwohner der Stadt] deshalb so hoch ist".

Die strittige Grundsatzfrage: Wofür haften Unternehmen?

Eine Grundfrage hinter der RWE-Klage und ähnlichen Verfahren lautet: Begründet erst das Wissen um den durch Emissionen ausgelösten Klimawandel eine Haftung? Die Fälle, die derzeit weltweit vor verschiedenen Gerichten gegen Staaten, Politiker, vor allem aber Unternehmen laufen, sind laut Franz Leidenmühler, Vorstand des Instituts für Europarecht an der Johannes-Kepler-Universität im österreichischen Linz, allesamt Schadenersatzklagen nach dem jeweiligen nationalen Zivilrecht. Daher, so Leidenmühler, hängt es von der Ausgestaltung des Schadenersatzrechts des jeweiligen Staates ab, welche Haftungsvoraussetzungen (etwa Wissentlichkeit) gegeben sein müssen. Im deutschen Recht sei  es, so Anwältin Verheyen, nicht erforderlich, dass Unternehmen wider besseres Wissen über Emissionen als Ursache des Klimawandels gehandelt haben, um eine Haftung für dessen Folgen zu begründen.

Ähnlich antwortet Erika Wagner, Vorstand des Instituts für Umweltrecht an der Johannes-Kepler-Universität in Linz, übrigens einem bedeutsamen Industriestandort. Wissentlichkeit (etwa in Bezug auf die Wirkung von Emissionen) sei auch nach österreichischem Recht nicht zwingend erforderlich, um eine Haftung für die Folgen des Klimawandels zu begründen: "Das steht nirgends." Haftung setze aber ein "Verschuldensmoment" voraus, es müsse eine "objektive Sorgfaltswidrigkeit" vorliegen. Deshalb könnten sich Firmen möglicherweise auf Betriebsgenehmigungen berufen, die sie von staatlichen Stellen erhalten haben: Mit dem Genehmigungsverfahren, so die mögliche Argumentation, hätten sie ihre Sorgfaltspflicht hinreichend erfüllt. Doch dies ist eine Argumentation des Öffentlichen Rechts – ob sich mit ihr auch privatrechtliche Ansprüche möglicher Geschädigter abwehren lassen, sei unter Juristen eine intensiv diskutierte Frage, so Wagner. Als mögliche Antwort auf diese Unklarheit hat sie eine Klimahaftungs-Richtlinie der EU nach dem Modell der Umwelthaftungs-Richtlinie von 2004 vorgeschlagen, die einen berechenbaren Rahmen schaffen könnte.

"Die Wirkung dieser Prozesse liegt jenseits der Verhandlungssäle"

"Die Wirkungen von Gerichtsverfahren für den Klimawandel liegen jenseits der Verhandlungssäle und der einzelnen rechtlichen Streitpunkte", erklärte Villavicenco Calzadilla bei ihrem Vortrag in Graz: "Sieg oder Niederlage – die auf den Klimawandel bezogenen Gerichtsverfahren können jedenfalls positive Effekte haben, um die Kommunikation des Klimawandels voranzutreiben - schlicht, weil sie den Klimawandel für unterschiedliche Öffentlichkeiten sichtbar machen." Daher, so die an der Nord-West Universität Südafrika tätige Rechtswissenschaftlerin, wird beispielsweise am Sabin Center for Climate Change Law der Columbia Law School dazu geforscht, wie per Gericht gegen Ursachen und Folgen des Klimawandels gekämpft werden könnte.

Zweifellos haben Gerichtsverfahren etliche Charakteristika, die sie attraktiv machen als Mittel der Kommunikation: Durch das Auftreten von individuellen Klägern und Beklagten wird das abstrakte Problem Klimawandel sehr konkret, und Personalisierung ist ein bewährtes journalistisches Mittel, um Aufmerksamkeit zu erzeugen. Es gibt (vermeintlich) klar verteilte Rollen von "gut" und "böse". Nicht zuletzt besitzen Gerichtsverfahren durch die Aufteilung in einzelne Prozess- und Verfahrensschritte eine sozusagen eingebaute Dramaturgie. Diese narrative Grundstruktur entspricht nicht nur gängigen erzählerischen Formaten, mit denen sich Menschen üblicherweise Sachverhalte aneignen - mit ihrer konflikthaften Anlage und der Einteilung in viele Einzelschritte ("Fortsetzung folgt") passt sie auch besonders gut zu üblichen Mustern medialer Berichterstattung.

Villavicenco Calzadilla verweist auf einzelne Erfolge: In den Niederlanden erreichte die Bürgerbewegung Urgenda 2015 ein Urteil, wonach die Regierung ihre Klimapolitik an den vom Weltklimarat IPCC erarbeiteten Grundsätzen auszurichten habe. In Pakistan setzte Ashgar Leghari gerichtlich durch, dass die Regierung stärker gegen den Klimawandel aktiv wird.

Vertreter der holländischen Umweltorganisation Urgenda während des Prozesses in Den Haag, mit dem sie 2015 die Regierung zu mehr Klimaschutz zwangen; Foto: Urgenda/Chantal Bekker

Rechtsanwältin Verheyen klingt ähnlich: "Aus Sicht meines Mandanten hat der Fall definitiv dazu beigetragen, das grundlegende Problem des Klimawandels öffentlich zu thematisieren, und zwar auch weltweit. Das ist für ihn sehr wichtig." Der Warschau-Mechanismus – ein jährlicher Expertenbericht an den Weltklimarat über Verluste und Schäden – sei sicherlich wichtig, so Verheyen, aber "er hilft bisher keinem einzigen persönlich betroffenen Menschen".

Arnold Schwarzenegger kündigt Klage gegen Öl-Konzerne an

Die Reihe an Klimaklagen wird unterdessen länger. Arnold Schwarzenegger, von 2003-11 Gouverneur des US-Bundesstaates Kalifornien, kündigte kürzlich in einem Interview mit dem Magazin Politico sogar an, Öl-Konzerne wegen vorsätzlichen Mordes zu verklagen: "Es besteht hier kein Unterschied zum Rauchen", so Schwarzenegger. Die Tabak-Industrie habe jahrzehntelang gewusst, dass Tabakkonsum schädlich ist und Krebs auslösen kann – diese Fakten jedoch vor der Öffentlichkeit verborgen und bestritten. Dies zog nach langen Gerichtsverfahren in den USA Strafzahlungen von Hunderten Millionen Dollar nach sich. Analog dazu bereitet Schwarzenegger nun mit Juristen eine Klage gegen Öl-Konzerne vor, denn "diese wissen seit 1959, dass die Verbrennung fossiler Treibstoffe globale Erwärmung verursacht, dass sie für Menschen Risiken bedeutet und tötet".

Der Ex-Hollywood-Star, der Mitte Mai auch Gastgeber der Konferenz R20 Austrian World Summit in Wien sein wird, wörtlich: "Es ist für mich absolut unentschuldbar, zu wissen, dass ein Produkt Menschen tötet, aber auf dem Produkt keine Warnhinweise angebracht sind. An jeder Tankstelle, an jedem Auto und an jedem mit fossilen Brennstoffen betriebenen Produkt sollten derartige Warnhinweise angebracht werden."

Claus Reitan