Eine Demonstration gegen ein Kohlekraftwerk erregt nur wenig mediale Aufmerksamkeit. Besetzen Aktivisten einen Tagebaubagger, schafft es die Botschaft schon einmal in die Tagesschau. Als jüngst der peruanische Bauer Saúl Luciano Lliuya vor dem Landgericht Essen den Energieriesen RWE wegen seiner Mitverantwortung am Klimawandel verklagte, berichteten die Medien landauf, landab - von Deutschlandfunk bis Bild, von der Süddeutschen Zeitung bis zum britischen Guardian, vom peruanischen El Comercio bis zur Waiblinger Kreiszeitung.

Gerichtsprozesse sind eine Aktionsform, die bei Klimaschützern im Trend liegt. Das Motiv ist naheliegend: Unternehmen werden verklagt, weil sie Treibhausgase ausstoßen und dadurch die Erderwärmung antreiben. Und Regierungen werden verklagt, weil sie die Unternehmen nicht daran hindern. Die konkrete Klage hängt vom Rechtssystem des jeweiligen Landes ab, je nach Fall berufen sich die Kläger zum Beispiel auf ihr Recht auf körperliche Unversehrtheit oder andere Grundrechte, auf Haftungsregeln im Wirtschaftsrecht oder Schadenersatzprinzipien im Zivilrecht. Und egal ob die Klage letztlich erfolgreich ist, Aufsehen erregt sie fast immer.

Einer von immer mehr Klimaklägern weltweit: Der peruanische Landwirt Saúl Luciano Lliuya hat den deutschen Energieversorger RWE wegen seines Treibhausgas-Ausstoßes vor Gericht gebracht; Foto: Germanwatch

Jüngster Fall in Deutschland ist die Klage des peruanischen Bauern Saúl Luciano Lliuya. Mit Unterstützung der Entwicklungs- und Umweltorganisation Germanwatch will er RWE dafür verantwortlich machen, dass sein Eigentum (und seine ganze Heimatstadt) von einer Flutwelle aus Schmelzwasser der schwindenden Andengletscher bedroht ist. Der Kohlekraftwerks-Betreiber solle, so der 36-Jährige, einen Teil der nötigen Schutzmaßnahmen zahlen - und zwar proportional zu seinem Anteil am weltweiten CO2-Ausstoß. Konkret geht es nur um 17.000 Euro, aber eigentlich ums Prinzip. Am 15. Dezember, Donnerstag dieser Woche, will das Gericht entscheiden, ob es die Klage akzeptiert und in die Beweisaufnahme eintritt.

Vor Gericht wird der abstrakte Klimawandel plötzlich ganz konkret

Unabhängig von allen juristischen Details und den Erfolgsaussichten, verändert der Prozess den Blick auf den Klimawandel: Die Verantwortung für die Erderwärmung wird von einer abstrakten auf eine konkret-rechtliche Ebene geholt. Verursacher und Geschädigte bekommen plötzlich Namen und Gesichter. Ein einzelnes Unternehmen zum Beklagten zu machen, lässt den Klimawandel mit einem Male nicht mehr weit weg und wenig greifbar erscheinen.

Und noch etwas ändert sich: Der Ausstoß von Treibhausgasen wird von vielen Menschen als völlig normal angesehen, als beiläufige, praktisch unvermeidbare Folge alltäglicher Verrichtungen - dass die Emissionen nicht als unmoralisch angesehen werden, argumentiert etwa der US-Psychologe Daniel Gilbert von der Harvard University, sei ein starker Grund für fehlende Klimaschutzaktivitäten. Eine Klage jedoch holt das Verursachen von Kohlendioxid aus der Sphäre der moralischen Indifferenz und stellt es auf eine Stufe mit Rechtsverstößen oder gar strafbaren Handlungen wie Sachbeschädigung oder Diebstahl.

"Die Berichterstattung über diese Musterklage gegen RWE führt dazu, dass sich deutlich mehr Menschen mit Fragen des Verursacherprinzips beschäftigen", sagt Germanwatch-Chef Klaus Milke. "Wir unterstützen diese Klage, weil sie juristisch Neuland betritt, einen Präzedenzfall darstellt, und zugleich die Debatte über Klimagerechtigkeit in eine breitere Öffentlichkeit trägt." Auch die Deutsche Umwelthilfe (DUH), die seit Jahren deutsche Unternehmen und Behörden durch Klagen zu mehr Umweltschutz zu zwingen versucht, bezeichnet den RWE-Prozess als eine "sehr wichtige und gute Öffentlichkeitsarbeit für Klimaschutz".

Schon die US-Bürgerrechtsbewegung setzte auf strategische Klagen

Vertreten wird Saúl Luciano Lliuya von der Hamburger Anwältin Roda Verheyen. "Ich halte Klimaklagen für absolut notwendig, auch wegen politischer Situationen wie in den USA", sagt Roda Verheyen. "Der neue Präsident lässt keine Hoffnung aufkommen, dass er etwas für den Klimaschutz tun wird - entsprechend müssen es die Gerichte tun."

Eben dort nahm die heutige globale Prozesswelle vor ein paar Jahren ihren Anfang. Gezielte, strategische Klagen zum Erreichen politischer Ziele haben in den USA, beispielsweise in der Bürgerrechtsbewegung, eine lange (und erfolgreiche) Tradition. Als regelrechte Klagekampagne gegen die Erderwärmung hat die Initiative "Our Children's Trust" ihre Arbeit aufgezogen. Fast zwei Dutzend Kinder und Jugendliche im Alter von neun bis 20 Jahren klagen mittlerweile in verschiedenen US-Bundesstaaten für mehr Klimaschutz. Sie argumentieren: Der Klimawandel gefährde ihre Rechte auf Leben, Freiheit und Eigentum.

Einen Erfolg konnten die "Climate Kids", wie die US-Presse sie nennt, kürzlich vermelden: Das Bundes-Bezirksgericht in Eugene im nordwestlichen Bundesstaat Oregon hat ihre Klage trotz massiver Beschwerden von Regierung und fossiler Energiewirtschaft zugelassen. Noch erfolgreicher waren sie im benachbarten Bundesstaat Washington. Dort  zwangen sie die Regierung via Klage, die Emissionen bis 2050 um mindestens 50 Prozent zu reduzieren. Auch in Massachusetts muss die Politik nun aufgrund einer Klage jährliche Emissionsgrenzen einführen und Treibhausgas-Regulierungen beschließen. Unterstützung bekommen die Jugendlichen von vielerlei Seite, unter anderem vom US-Klimawissenschaftler James Hansen, der schon in den achtziger Jahren vor den Gefahren der Erderwärmung warnte.

USA, Pakistan, Schweiz, die Niederlande - Klimaklagen rund um den Globus

Aber auch außerhalb der USA sorgen Klimaklagen für Furore. In Pakistan gab eines von fünf höheren Gerichten einem Bauern Recht, der die Regierung wegen mangelnden Klimaschutzes verklagt hatte. Obwohl in Pakistan seit 2012 ein Klimawandelgesetz gelte, habe es "keinen Fortschritt in der Sache" gegeben, sagte Richter Syed Mansoor Ali Shah. Der Richter in der zweitgrößten pakistanischen Stadt Lahore nannte den Klimawandel "die größte Bedrohung für Pakistan". In der Schweiz klagen derzeit mehr als 100 Seniorinnen gegen den Staat - für sie sind die Gesundheitsbelastung infolge zunehmender Wetterextreme besonders gefährlich, so ihre Argumentation. In den Niederlanden erreichten im vergangenen Jahr rund 900 Bürger per Sammelklage, dass die Regierung zur Verstärkung ihrer Klimaschutzpolitik verurteilt wurde.

Überall auf der Welt also greifen Klimaaktivisten zu dieser, wie die New York Times schreibt, "neuartigen Taktik". Die britische Organisation Client Earth (CE) hat sich darauf spezialisiert, auf juristischem Wege mehr Umweltschutz zu erreichen. "Klimaschutzklagen", sagt CE-Anwältin Sophie Marjanac, "bieten ein Forum, um dem Nachdenken über die ethische und moralische Verantwortung für den Klimawandel neuen Schwung zu geben."

Susanne Götze