Hunderte Forscherinnen und Forscher aus aller Welt haben jahrelang daran gearbeitet, über Monate wurde die öffentliche Präsentation vorbereitet – doch als Band 2 des Sechsten IPCC-Sachstandsberichts zur Klimaforschung (AR6) am Montag dieser Woche schließlich erschien, bekam das außerhalb der Fachkreise kaum jemand mit. Die Aufmerksamkeit von Medien, Öffentlichkeit und Politik war, natürlich, vom russischen Überfall auf die Ukraine absorbiert. Die akute, grauenvolle Katastrophe schob und schiebt jene beiseite, die schleichend abläuft; deren Folgen zwar ebenfalls katastrophal sein werden, aber doch bislang weniger direkt sichtbar und schockierend.

Zwar gab es etliche Medienberichte zum Report, nur standen sie weit unten oder hinten auf Zeitungsseiten und Nachrichtenwebsites. Manche griffen auf, wie ukrainische Delegierte die per Videokonferenz abgehaltenen Schlussberatungen zum Bericht hatten verlassen müssen, um daheim in Luftschutzkeller zu fliehen. Der Leiter der Moskauer Delegation, Oleg Anisimow, entschuldigte sich während der Sitzung in einer mutigen, persönlichen Erklärung „im Namen aller Russen“ für den von Präsident Putin befohlenen Krieg.

Straße im ostukrainischen Charkiw nach einem russischen Angriff am 28. Februar 2022; Foto: mvs.gov.ua/WikimediaCommons

Doch schon nach einem Tag war das Klima praktisch komplett wieder aus den Schlagzeilen verschwunden. Nicht über Investitionen in Klimaschutz und Klimaanpassung wird nun debattiert, sondern über Milliarden für die Landesverteidigung. Die ist sicherlich nicht weniger notwendig – doch ein weiteres Mal nach der Corona-Krise droht der Klimaschutz ins Hintertreffen zu geraten.

Wie lässt sich verhindern, dass es tatsächlich dazu kommt? Wie kann man in Zeiten des Krieges über die Erderhitzung reden? Wie mit einer Klima-Botschaft durchdringen? Das fragen sich derzeit Aktivistinnen und Kommunikatoren – auch wir bei klimafakten.de. Und mancher zögert gleich wieder, grübelt, ob diese Frage nicht gefühllos ist, wenn nur ein paar hundert Kilometer östlich gerade Menschen sterben, Städte mit Raketen beschossen werden.

Auf einige dieser Fragen versuchen wir im Folgenden Antworten. Und sind zugleich in Gedanken bei den Menschen in der Ukraine – und jenen in Russland, die sich (wie etwa tausende Wissenschaftler:innen in einem Offenen Brief) trotz Repressionen gegen den Krieg stellen.

1. Wie umgehen mit Ohnmacht und Angst angesichts der Bilder aus der Ukraine?

2. Verdrängt jetzt der Krieg die Klimakrise völlig von der Tagesordnung?

3. Wie erreiche ich Menschen, die mit dem Kopf gerade ganz woanders sind?

4. Schaden Krieg und Aufrüstung dem Klimaschutz?

5. Darf man den Krieg als Argument für Erneuerbare und gegen fossile Energien nutzen?

6. Gibt es wirklich einen Zusammenhang zwischen fossilen Energieträgern und Putins Krieg?

7. Wie sollte man auf Desinformation reagieren?

 

 

1. Wie umgehen mit Ohnmacht und Angst angesichts der Bilder aus der Ukraine?

„Darf man denn jetzt überhaupt noch…?“ – mit dieser Frage ringen gerade sehr viele Menschen. Eine allgemeingültige Antwort gibt es nicht. Aber Innehalten und Zweifeln sind zunächst sehr angemessene Reaktionen. Nicht jedoch ein längeres Verharren in Sprachlosigkeit, besonders wenn es das Engagement gegen die Klimakrise lähmt (siehe dazu auch Frage 3).

Man kann es an zwei Begriffen festmachen. Der erste ist die „tätige Verzweiflung“, von der Deniz Yüzel im Interview mit der Süddeutschen Zeitung spricht. Das meint: Aktiv zu werden, auch wenn man selbst viele Bedenken hat, ob es etwas hilft. Yücel, Journalist und Präsident des deutschen PEN-Zentrums, weist den Begriff dem Schriftsteller Wolfgang Borchert zu; man findet ihn auch beim Historiker Edward Gibbon, der Ende des 18. Jahrhunderts sechs Bände über Verfall und Untergang des Römischen Reichs veröffentlichte. „Aktive Verzweiflung kann über träge Siegeszuversicht triumphieren“, heißt es dort. Und Yücel führt aus: „Ich halte nicht nur alle praktische Hilfe für sinnvoll, sondern auch symbolische Aktionen wie Demonstrationen, Lesungen oder offene Briefe bringen etwas – in der Menge vieler einzelner Aktionen, […] weil sich die Teilnehmer eine Möglichkeit schaffen, ihre Wut, ihre Verzweiflung, ihre Angst oder ihr Mitgefühl auszudrücken.“ Es sei auf jeden Fall besser, als „fassungslos zu Hause rumzusitzen und nichts zu tun“.

Ein zweiter, wichtiger Begriff ist grounded hope (zu Deutsch etwa: „geerdete Hoffnung“), von der der norwegische Psychologe Per Espen Stoknes in seinem Buch What we think about when we try not to think about Global Warming schreibt. „Sie wurzelt in unserem Sein, in unserem Charakter und unserer Berufung, und nicht in einem erwarteten Ergebnis.“ Aufgeben sei keine Option, wenn man sich innerlich verpflichtet fühle, weiterzumachen. „Ich muss nicht daran glauben, dass alles gut enden wird, um zu handeln. Das Gehen und Tun sind ihr eigener Lohn.“

Beide Begriffe sind auch für die Klimakommunikation wichtig – erst recht in der momentanen Situation. Schon ohne den Krieg, schon wenn sie „nur“ die Klimakrise vor Augen haben, bleiben Menschen oft untätig, weil sie überwältigt sind. Von der Riesenhaftigkeit der Probleme ebenso wie der notwendigen Veränderungen in Wirtschaft und Gesellschaft; auch wenn man letztere bisher nur erahnt, sind die emotionalen Belastungen schon jetzt groß. In einer solchen Situation ist es eminent wichtig, den erstarrten Menschen ein Gefühl von Kontrolle zurückzugeben. Ihnen zu zeigen, dass sie etwas tun können und dass es etwas ändert (auch wenn die Wirkung zunächst winzig wirken mag). Dieses Gefühl nennt man Selbstwirksamkeit. Es hilft Menschen dabei, sich eher als Subjekt denn als Objekt der Entwicklung zu empfinden.

Wir haben uns dem Kampf gegen die Klimakrise verschrieben, weil wir sie für das größte Problem der Menschheit gehalten haben. Wir lassen uns dabei nicht von Menschen entmutigen, die jegliche Reform oder gar Transformation für unmöglich erklären oder die Temperaturgrenzen des Pariser Abkommens für unerreichbar. Wir sind es auch gewohnt, dass nicht alle, denen wir begegnen, unsere Prioritäten teilen. Auch wenn die Klimakrise vorübergehend nicht mehr auf Platz 1 der Rangliste der Probleme steht, bleibt sie doch fundamental wichtig. Und der Krieg mit all seinen Auswirkungen hat vielfältige, bereits jetzt erkennbare Folgen für die Klimadebatte (siehe unten). Schon deshalb sollten wir uns weiter laut zu Wort melden. Wenn die Klimakrise wegen des Kriegs aus dem Blick gerät, wenn mehr Emissionen die Folge sind, dann steigt damit auf Dauer auch die geopolitische Unsicherheit. Daher hat sich an der Motivation, zur Klimakrise und den Lösungen zu kommunizieren, nichts geändert. Der Weg ist vielleicht etwas steiler geworden, steil war er auch vorher schon.

Und sollte es noch eines Vorbilds bedürfen: Switlana Krakowska könnte es sein. Als schon die Raketen auf Kiew geschossen wurden, versuchte die Leiterin der ukrainischen Regierungsdelegation beim IPCC noch, per Videoschalte an der Verabschiedung des aktuellsten Reports  mitzuarbeiten. Die Meteorologin hielt eine Rede, in der sie Parallelen zwischen dem Überfall auf ihr Land und dem Klimawandel zog: Beide wurzelten in der Abhängigkeit von fossilen Energieträgern (siehe dazu auch Antwort 6).

 

2. Verdrängt jetzt der Krieg die Klimakrise völlig von der Tagesordnung?

Menschen sind nur begrenzt dazu fähig, ihre Aufmerksamkeit gleichzeitig mehreren krisenhaft zugespitzten Themen zu widmen – dies gilt sowohl für Politik und Medien, als auch auf der individuellen Ebene. Die Psychologie spricht hierbei von einem finite pool of worries. Man kann dieses Phänomen etwa als „begrenzter Speicherplatz für Sorgen“ übersetzen, es spielt auch in der Klimakommunikation eine zentrale Rolle.

Schon in der Corona-Krise wurde oft die Sorge geäußert, die Pandemie könne das Klima von der politischen Agenda und aus den Medien verdrängen. Diese Besorgnis hat sich eher nicht bewahrheitet, im Gegenteil. So sind weltweit viele der nach den Lockdowns gestarteten Konjunkturprogramme unter der Prämisse einer „green recovery“ konzipiert worden, also eines grünen Neustarts. Unabhängig davon, ob sie tatsächlich einen Nutzen für Umwelt und Klima bringen, belegt dies zumindest, dass Regierungen und Parlamente dem Klimaschutz weiter hohe Priorität beimessen.

Auf anhaltend hohem Niveau ist auch die in Umfragen gemessene Sorge der Bevölkerung – trotz Corona. So ergab 2021 eine Erhebung des Pew Research Center in 17 Industriestaaten in Europa, Asien und Nordamerika, dass 72 Prozent der Befragten befürchten, im Verlauf ihres Lebens direkt von den Folgen des Klimawandels betroffen zu sein. Sogar 80 Prozent gaben an, für den Klimaschutz zu Änderungen bereit zu sein, die ihre Art zu leben und zu arbeiten betreffen. Ein ähnliches Bild ergab eine ebenfalls 2021 durchgeführte Befragung im Auftrag der Europäischen Investitionsbank (EIB) in den EU-Staaten, den USA, China und Großbritannien. Demnach betrachten die Menschen in allen 30 Staaten den Klimawandel als „größte Herausforderung für die Menschheit im 21. Jahrhundert.“

Einen Hinweis darauf, wie sehr der Krieg das kostbare Gut politischer Aufmerksamkeit bindet, geben auch die politischen Debatten seit Beginn der russischen Aggression. Zwar sind seitdem in praktisch allen westlichen Staaten die Regierungen im Krisenmodus, dennoch wurde die Klimathematik nicht von der politischen Bühne verdrängt. Eher wurde der Zusammenhang zwischen der Nutzung fossiler Energieträger, politischer Gewalt und Machtmissbrauch sowie der Klimakrise (siehe dazu auch Fragen 5 und 6) deutlicher als je zuvor thematisiert. Ein Beispiel ist die Sondersitzung des Deutschen Bundestages zum Ukrainekrieg am 27. Februar. In der Debatte verwies etwa Oppositionsführer Fried­rich Merz (CDU) auf den Zusammenhang von Krieg und Energiepolitik. Und Bundesfinanz­minister Christian Lindner (FDP) sagte den denkwürdigen Satz: „Erneuerbare Energien sind Freiheitsenergien.“

Ob der Krieg tatsächlich zu einer schnelleren Energiewende führt, ist offen – zumindest auf der Tagesordnung aber steht dieses Ziel nun eher mit noch größerer Deutlichkeit und Dringlichkeit.

 

3. Wie erreiche ich Menschen, die mit dem Kopf gerade ganz woanders sind?

Zu dieser Frage haben wir einige Expert:innen befragt, die einhellige Antwort lautete zusammengefasst: „Hört den Leuten zu, und bleibt im Gespräch!“ Laut Lea Dohm etwa, psychologische Psychotherapeutin und Mitbegründerin von Psychologists for Future, kommt es derzeit mehr denn je darauf an, sich gegenseitig zu unterstützen: „Vielen Menschen geht es gerade nicht gut, und das ist unbedingt ernstzunehmen. Wenn wir uns in unseren Sorgen ernstgenommen fühlen, können wir Kraft für neue Herausforderungen gewinnen – und damit überhaupt innere Kapazitäten für Klimaengagement schaffen.“ Mit Blick auf die Zusammenhänge zwischen fossilen Energien, Klimawandel und Krieg (siehe dazu auch Frage 2 und 5) betont sie, dass jetzt nicht der Moment für schwierige Kommunikationskniffe sei. „Stattdessen sollten wir in möglichst einfachen Worten sagen, wie es ist: Der Wechsel zu Erneuerbaren Energien ist ein zentraler Beitrag zu Frieden und Gerechtigkeit und macht uns unabhängiger von autokratischen Systemen.“

Achim Blackstein, Therapeut und evangelischer Pfarrer, unterstützt diesen Ansatz: „Unser großes Geschenk und wichtige Aufgabe aneinander sind jetzt Achtsamkeit und Mitgefühl.“ Für Blackstein, der im Auftrag der Landeskirche Hannover unter dem Twitter-Namen @digisoulcare als digitaler Seelsorger auf Social-Media-Plattformen unterwegs ist, liegt der Zusammenhang zwischen Krieg und Klima auf der Hand: „Um weitere Kriege in Zukunft zu verhindern, ist Klimaschutz nicht nur ein Schlüssel, er ist ein wesentlicher Motor des Friedens.“

Die Klimapsychologin und Sozialunternehmerin Janna Hoppmann berät Klimaschutzaktive in Kommunikationsfragen. Sie setzt auf Behutsamkeit – und auf ein zeitlich abgestuftes Vorgehen: „Im Moment sollte nicht unser Ziel sein, Menschen zu erreichen, die mit den Gedanken gerade ganz woanders sind – sprich beim Ukrainekrieg“, so Hoppmann. Man könne ihnen aber Handlungsmöglichkeiten aufzeigen, „um aus Ohnmachtsgefühlen herauszukommen, wie wir sie bereits von der Klimakrise kennen“ (siehe dazu auch Frage 1). Dazu zählten auch ganz simple Dinge wie mit Freunden und Vertrauten über das Thema zu sprechen oder Solidarität mit der Ukraine zu bekunden. Später könne dann der Fokus darauf gelenkt werden, dass eine klimagerechte Politik langfristig Frieden stärkt und Konflikte verhindert. Janna Hoppmann spricht allerdings auch eine klare Warnung aus: „Keinesfalls sollte man versuchen, über Angst und Panik, dass durch die Klimakrise Konflikte und Kriege häufiger werden, zum Klimaschutz zu motivieren.“

Einen Bogen zum aktuellen IPCC-Report schlägt der Umweltpsychologe Gerhard Reese von der Universität Koblenz-Landau. Er verweist darauf, dass der Bericht erstmals auch die Folgen der Klimakrise für die psychische Gesundheit thematisiert. Angesichts der Bedeutung, die den IPCC-Berichten für die Klimadebatte zukommt, könne man darin einen wichtigen Schritt sehen, die Rolle von Angst vor Großkrisen als politischen Faktor ins Blickfeld zu nehmen. In einem längeren Twitter-Thread hat Reese einige hochaktuelle, psychosoziale Aspekte des Reports beleuchtet.

 

4. Schaden Krieg und Aufrüstung dem Klimaschutz?

Ja, und dabei geht es nicht nur um politische oder öffentliche Aufmerksamkeit, die der Krieg bindet (siehe dazu auch Frage 2). Es ist ganz sicher nicht die schlimmste Folge eines Krieges, aber natürlich verursachen Panzer und Militärkolonnen, brennende Häuser und Öltanks auch große Mengen Kohlendioxid. Sollte Putins Armee nicht schnell und umfassend zurückgedrängt werden, kann sich die Ukraine auch nicht wie geplant am „Green Deal“ der EU beteiligen. Ihre schmutzige Stahlindustrie bliebe dann weiter schmutzig, auch Deutschlands Energiepartnerschaft wäre mit der Okkupation des Landes sicher hinfällig, erklärt Astrid Sahm von der Stiftung Wissenschaft und Politik. Diese Kooperation sollte dazu beitragen, in der Ukraine Emissionen zu senken und Exporteinnahmen zu erhöhen – und zugleich Europas Klimaneutralität ermöglichen. „Der Krieg bedeutet das vorläufige Aus für diese Bemühungen und stellt auch sämtliche Ansätze für eine Klimakooperation zwischen Russland und dem Westen in Frage“, so Sahm.

Durchaus plausibel wäre auch die Erwartung, dass Russland langfristig (wie in der Vergangenheit) ein Bremser im internationalen Klimaschutz sein wird. Vielleicht sogar noch stärker als bisher könnte es den unverminderten Absatz seiner fossiler Rohstoffe (und Einnahmen daraus) sichern wollen und auf Klimagipfeln Fortschritt blockieren, den Ausbau Erneuerbarer Energien behindern und gegen CO2-Preise vorgehen.

Klar ist bereits, dass Deutschland und wohl die meisten westlichen Länder künftig viel mehr Geld in ihr Militär ausgeben werden (einen Sektor, der nicht gerade für klimafreundliche Technik bekannt ist). Bei begrenzten staatlichen Haushalten konkurrieren Verteidigungsausgaben mit der Finanzierung von Klima-Maßnahmen, merkte Hans-Otto Pörtner vom Alfred-Wegener-Institut bei der Vorstellung des IPCC-Reports an, er hat als Co-Chair der Arbeitsgruppe 2 des IPCC maßgeblich am aktuellen Bericht mitgearbeitet. Verzögerungen im Kampf gegen den Klimawandel seien dann möglich, befürchtet er. „Kein Land existiert isoliert auf der Erde, wir sind alle vom globalen Klimageschehen betroffen. Und das tritt momentan in den Hintergrund.“

Zudem verschiebt sich womöglich der Fokus vieler Länder weg vom Klimaschutz und hin zur Energiesicherheit. Dann liegt in etlichen Fällen die Illusion nahe, diese lasse sich eher mit Kohle oder Kernkraft sichern als mit dem zunächst kapitalintensiven Umstieg auf Erneuerbare (siehe auch Frage 5). Und eigentlich müssten die Staaten der Welt genau jetzt in die Umsetzung der zuletzt Ende 2021 auf dem UN-Klimagipfel in Glasgow vereinbarten Regeln und Zusagen gehen; davon dürften manche sich (nur zu gern) ablenken lassen. Der US-Klimabeauftragte John Kerry benutzte in einer Rede wenige Tage vor dem russischen Überfall auf die Ukraine diese sportliche Metapher: „Wir müssen zu einem Sprint antreten, um kurzfristige Kipppunkte zu vermeiden, und zu einem Marathon, um unsere Reduktionsziele für CO2-Emissionen in der Mitte des Jahrhunderts zu erreichen.“ Wladimir Putin hat gerade eine Lastwagenladung Scherben auf diesen Weg gestreut.

 

5. Dürfen wir Parallelen ziehen? Ist es hilfreich, mit dem Krieg für Erneuerbare und gegen fossile Energien zu argumentieren?

Man muss es sogar! Und solche Argumente gehörten bei den Politiker:innen auch hierzulande ja zu den ersten Äußerungen – Deutschland ist schließlich auch deshalb so erpressbar, weil es trotz zunehmenden Klimawandels die Abhängigkeit von russischem Erdgas und Erdöl jahrzehntelang noch ausgebaut hat. Zur Fehleranalyse über die gescheiterte Politik der Vergangenheit, mit der meist nur Außenpolitik und der deutsche Fokus auf „Wandel durch Handel“ gemeint ist, muss auch die Energiepolitik herangezogen werden. Dass Wirtschaftsminister wie Sigmar Gabriel (SPD) oder Peter Altmaier (CDU) den Ausbau von Windrädern und Solarparks gebremst haben, dass Horst Seehofer (CSU) gegen leistungsfähige Nord-Süd-Hochspannungsleitungen polemisiert hat und in Bayern hohe Hürden für neue Windräder errichtet wurden, hat die deutsche Situation in dieser Krise eindeutig verschlechtert.

Ein zentrales Wort für künftige Debatten dürfte „Freiheitsenergien“ sein. Bundesfinanzminister Christian Lindner hat damit einen neuen Bedeutungsrahmen („frame“) und vermutlich ein Narrativ etabliert, das den Ausbau der Erneuerbaren deutlich beschleunigen dürfte. Dass das Wort ausgerechnet aus dem Munde des FDP-Vorsitzenden kam, ist dabei doppelt spannend – siehe dazu unter anderem Kapitel 6 (Framing), Kapitel 7 (Themen-Botschafter) und Kapitel 11 (Storytelling) unseres Handbuchs zur Klimakommunikation.

Auch der Gründer von 350.org, Bill McKibben, erklärte im Guardian: „Sich um die Menschen in der Ukraine zu sorgen, bedeutet für ein Ende von Öl und Gas zu sorgen.“ Ohnehin gibt es in der Krise immer einen großen Bedarf an positiven Ansätzen und Narrativen (siehe dazu auch Frage 1).

Allerdings sollte die Kommunikation sehr sensibel sein für Ängste und Stress, den viele Menschen ob der Meldungen und Bilder aus Kiew, Charkiw oder Mariupol empfinden. Solche Emotionen aufzuwühlen oder in Verdacht zu geraten, sie zu instrumentalisieren, auf akute Seelennot unzureichend Rücksicht zu nehmen, könne auf das ganze Thema Klimaschutz und Energiewende zurückschlagen, warnen Fachleute (siehe auch Frage 3). Das Handbuch-Kapitel 16 diskutiert solche möglichen Effekte am Thema Corona. Auch wenn dort viele Expert:innen der Meinung sind, Vergleiche zwischen Pandemie und Klimakrise könnten ein wichtiges Hilfsmittel in der Klimakommunikation, so ist diese Frage doch mit Bezug auf den Krieg wissenschaftlich noch völlig ungeklärt.

Die britische Organisation Climate Outreach hat kürzlich daran erinnert, dass es Sensibilität und gutes Timing brauche, um mit Menschen über die Klimakrise zu sprechen, wenn sie gerade eine andere Krise erleben. Zum Thema Corona hatte die Organisation unter anderem empfohlen, noch stärker als sonst soziale Werte wie Gemeinsinn zum Thema zu machen, nicht „zur Normalität zurückkehren“ als Ziel zu benennen, sondern „gestärkt aus der Krise hervorgehen“. Man solle Erfahrungen der Selbstwirksamkeit hervorheben und konstruktive Reaktionen der Gesellschaft auf die Coronakrise zu betonen, in die individuelles Handeln eingebettet ist. Einiges davon dürfte sich auf die Klimakommunikation in Zeiten des Krieges übertragen lassen.

 

6. Gibt es wirklich einen Zusammenhang zwischen fossilen Energieträgern und Putins Krieg?

Dass die Verbrennung fossiler Energieträger, von Kohle, Öl und Gas die Erde gefährlich erhitzt, ist in der Wissenschaft seit langem unumstritten. Ebenso präsent ist die mit dem Abbau oft einhergehende Umweltzerstörung (Tagebau, Ölpest, Grundwasserverseuchung). Doch vielfach ist die Förderung von Kohle, Öl und Gas auch mit Machtmissbrauch, politischer Gewalt und Konflikten verknüpft. Dies hängt mit den wirtschaftlichen Strukturen zusammen, die fast überall auf der Welt mit diesen Energieträgern einhergehen.

In der Forschungsliteratur wird bereits lange diskutiert, wie eine auf der Extraktion von Rohstoffen basierende Wirtschaftsstruktur geprägt ist von hoher Kapitalintensität, einer hochgradigen Zentralisierung, einer vergleichsweise geringen Innovationsintensität – und von sagenhaften Profitmöglichkeiten. Wo immer eine solche Rohstoffwirtschaft auf schwache staatliche oder zivilgesellschaftliche Institutionen trifft, drohen eine Erosion wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit und eine Explosion von Korruption. Denn wozu soll man mühsam auf Bildung, Forschung oder Mittelstand setzen, wenn exzessiver Reichtum auch durch Zugriff auf die Rohstoffquellen zu erlangen ist?

Zu besichtigen sind solche Zusammenhänge in zahllosen Ländern, von Russland, Kasachstan und Saudi-Arabien bis zu Algerien, Nigeria oder Venezuela. Umgekehrt bildet Norwegen praktisch die einzige Ausnahme eines Staates, dessen Wirtschaftskraft sehr stark auf der Förderung von Öl und Gas basiert und der gleichzeitig eine hochentwickelte Demokratie ist. Selbst in den USA, Australien und Kanada zeigt sich: Über Parteispenden und die systematische Verbreitung von Desinformation üben die Kohle-, Öl- und Gaswirtschaft auch in diesen Ländern einen geradezu toxischen Einfluss auf die Demokratie aus.

Die sprudelnden Einnahmen aus Öl- oder Gasfeldern haben allerdings nicht nur in Entwicklungsländern zu Elend und Misswirtschaft geführt oder – Beispiel USA – den politischen Diskurs vergiftet. Die einseitige Dominanz dieser Branchen kann selbst starke Volkswirtschaften in einen Strudel aus Inflation und eine Schwächung von Innovationskraft und Wettbewerbsfähigkeit führen. Seit den 1970er Jahren werden diese Effekte in der Volkswirtschaftslehre als Dutch Disease beschrieben. Neben den Niederlanden bedeutete der Ölboom in der Nordsee Anfang der 1980er Jahre beispielsweise auch für Großbritannien eine zweifelhafte Verheißung.

Auch in Deutschland hat die fossile Rohstoffwirtschaft ökonomisch, ökologisch und politisch teils problematische Spuren hinterlassen. Manche Stimmen führen die Strukturschwäche etwa der Lausitz, wo seit rund hundert Jahren in großindustriellem Maßstab Braunkohle abgebaut wird, auch darauf zurück, dass sich dort wegen der überragenden Dominanz dieser Branche keine kleingewerblich-mittelständisch geprägte Wirtschaft etablieren konnte – jene von Knappheit getriebene Struktur rohstoffarmer Gebiete wie der Schweiz, Baden-Württemberg oder Westfalen, die bis heute eine Keimzelle für Wirtschafts- und Innovationskraft ist. Nicht zuletzt kann selbst in stabilen Demokratien die Abhängigkeit von einem großen Steuerzahler und Arbeitgeber zu einer politischen Kultur führen, in der – angetrieben von Lobbyismus-Verflechtungen – die wirtschaftlichen Interessen eines einzelnen Unternehmens gleichgesetzt werden mit den Interessen einer ganzen Region. Behörden und Politik tendieren dann bisweilen dazu, Unternehmen bei Genehmigungsverfahren oder der Überwachung gesetzlicher Standards mit Nachsicht und Milde zu behandeln – häufig zum Schaden der Allgemeinheit.

 

7. Wie sollte man auf Desinformation reagieren?

„Die Wahrheit ist das erste Opfer des Krieges“ – dieses Sprichwort wird dem einstigen US-Senator Hiram Johnson zugeschrieben. Im Falle Russlands und der Aggression gegenüber der Ukraine starb sie schon lange vor dem ersten Schuss. Unter Putin hat Russland seit vielen Jahren und wie wohl kein anderer Staat gezielt Desinformation für (außen-)politische Ziele eingesetzt. Beispiele sind dokumentiert aus dem US-Präsidentschaftswahlkampf 2016 oder der Corona-Pandemie in Europa, ein entsprechender Verdacht kursiert auch zu den jüngsten Trucker-Protesten in Kanada. Für seine Propaganda insbesondere in Social Media-Netzwerken wie Facebook oder Twitter unterhält Moskau sogenannte „Trollfabriken“, außerdem ein Netz von Auslandsmedien wie den Fernsehsender RT.

Desinformation gilt unter Politikwissenschaftlern längst als wichtiges „Element hybrider Kriegsführung“ durch die momentane Regierung Russland. Es ist deshalb beim Ukraine-Krieg noch wichtiger als sonst, wachsam und vorsichtig zu sein gegenüber möglichen Falschinformationen und Manipulationsversuchen. Als einzelner Mediennutzer:in ist man in der Regel überfordert mit dem Prüfen und Einordnen von Informationen. So wie man bei medizinischen Entscheidungen einem Arzt vertraut oder bei der Reparatur eines Autos der Kfz-Monteurin, so ist es auch bei der Suche nach verlässlichen Fakten eine sinnvolle Strategie, sich auf ausgebildete Fachleute zu verlassen: in diesem Falle Journalist:innen mit Erfahrung auf dem jeweiligen Themenfeld (das kann man in der Regel durch eine einfache Internetsuche klären). In professionellen Medien arbeiten Menschen, die geschult und erfahren sind im Quellencheck. Wenn man ergänzend auf Social Media nach Informationen sucht, sollte man dort unbedingt prüfen, wer sie jeweils publiziert. Vorsicht ist geboten, wenn es sich nicht um einen verifizierten Twitter-Account handelt (erkennbar an einem blauen Häkchen hinter dem Namen) und/oder einer Person, die in der Account-Beschreibung nachprüfbare Informationen über ihren Arbeitsort oder ihre Funktion mitliefert.

Wie soll man schließlich umgehen mit Menschen, vielleicht im direkten, privaten Umfeld, die auf Desinformation hereingefallen sind. Die ganz pauschal „dem Westen“ die Schuld geben an Putins Verhalten? Auch hier lassen sich einige Parallelen ziehen zur Klimakommunikation bzw. zum Umgang mit Irreführungsversuchen bei wissenschaftlichen Themen. Man sollte (sofern man eine persönliche Beziehung zum Gegenüber hat oder aufbauen kann) nicht sofort zurückargumentieren oder sagen: Wie kannst Du nur! Sondern erst einmal zuhören und dann zurückfragen, rät etwa Sebastian Herrmann, Wissensredakteur bei der Süddeutschen Zeitung in einem Gastbeitrag für klimafakten.de. Man könne zum Beispiel zurückfragen, was denn die Quellen sind oder warum man ihnen glaube – aber oft, so Herrmann, gehe es gar nicht um Fakten, sondern um Gefühle, Werte, Einstellungen.

Hilfreich ist auch, Menschen grundsätzlich (und im Idealfall vorab) über typische Methoden von Desinformation aufzuklären; als „Inokulation“ bzw. „Impfung“ wird dieses Vorgehen in der Forschung bezeichnet. Unser PLURV-Poster ist ein Beispiel hierfür. Viele weitere und tiefergehende Informationen zum Thema enthält auch Kapitel 19 unseres Klimakommunikations-Handbuchs.

Konkrete und aktuelle Faktenchecks direkt zum Krieg in der Ukraine liefert zum Beispiel das gemeinnützige Journalismusportal corretiv.org oder dasösterreichische Projekt mimikama.de.

Carel Mohn, Christopher Schrader, Toralf Staud