Lorenz Gösta Beutin, 40, hat Geschichte, Politikwissenschaften und Germanistik in Hamburg studiert. Schon früh engagierte er sich in einer Jugendgruppe des Umweltverbandes BUND und - bis 1999 - in der Jugendorganisation von Bündnis 90/Die Grünen. Ab 2007 war er Mitglied im Landesvorstand der Partei Die Linke in Schleswig-Holstein, seit 2015 ist er Landessprecher, seit 2017 Bundestagsabgeordneter und in der Linken-Fraktion Klima- und energiepolitischer Sprecher.

Wer über linke Klimapolitik nachdenkt, der muss sich zunächst die alte Frage gefallen lassen: Was ist eigentlich links? Hier ein Versuch: "Die Linke" als sozialistische Partei steht für Alternativen, für eine bessere Zukunft." Nun gut, eine bessere Zukunft, diesen Blick nach vorn haben sich alle Parteien auf die Fahnen geschrieben. Die Weltverbesserungsfahne der Linken weht bekanntermaßen in roter Farbe. Rot steht für grundlegende Kritik, echte Veränderung, eine andere, solidarische Gesellschaft.

Welche Alternativen zum Bestehenden wir für richtig halten, wohin mit uns die Reise gehen soll, dazu spricht das Programm meiner Partei eine klare Sprache: "Wir verfolgen ein konkretes Ziel: Wir kämpfen für eine Gesellschaft, in der kein Kind in Armut aufwachsen muss, in der alle Menschen selbstbestimmt in Frieden, Würde und sozialer Sicherheit leben und die gesellschaftlichen Verhältnisse demokratisch gestalten können." Dieser Anspruch, diese Wirklichkeit ist heute nicht gegeben - weder in Berlin, noch in Bangladesch oder Botswana. Um diese bessere Welt für Alle - und das muss ein linker Anspruch sein - zu erreichen, brauchen wir unserer Überzeugung folgend nicht weniger als ein anderes Wirtschafts- und Gesellschaftssystem: den demokratischen Sozialismus.

"Die Ausbeutung von Mensch und Natur will die Linke nicht lediglich umweltschädlich auf ökologisch umstellen. Wir stehen für Ökologie und Klimagerechtigkeit - und das geht im Kapitalismus nicht"

Eine linke Klimapolitik will den Kapitalismus nicht grün machen. Die Ausbeutung von Mensch und Natur will eine linke (Klima)Politik nicht von umweltschädlich auf Öko umstellen. Die Linke steht für Ökologie und Klimagerechtigkeit. Ökologie und Klimagerechtigkeit, darüber sind wir uns Genossinnen und Genossen einig, gehen im Kapitalismus nicht. Bis zum heutigen Tag hat der Kapitalismus als Wirtschafts- und Gesellschaftsform nicht nur sein glänzendes Versprechen nach Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit nicht eingelöst. Durch die ihm eigene Art des Produzierens, die die ganze Welt zur Ware macht, zu Verschleiß statt Dauerhaftigkeit, zu brutalem Wettbewerb statt Kooperation verdammt ist, werden Millionen von Menschen in Armut, Abhängigkeit und Ausbeutung gestürzt.

Plakat der Linkspartei zur bayerischen Landtagswahl 2018; Quelle: Die Linke Bayern

Kriege um Öl, um Land, um Handelswege und Absatzmärke werden aus Wirtschaftsinteressen vom Zaun gebrochen, sei es zwischen Ethnien, politischen und religiösen Gruppierungen oder zwischen Staaten. Atomkraftwerke, Fracking-Gas und Kohlemeiler werden gebaut, weil die Konzern-Renditen mit diesen schädlichen Energieformen am fettesten sind. Die Folge: Gletscher schmelzen, Wüsten breiten sich aus, Millionen Menschen verlieren ihre Lebensgrundlagen, Tier- und Pflanzenarten sterben aus. Für uns heißt das: Nur ein Systemwechsel kann die Klima- und Umweltkrise zusammen mit der sozialen und ökonomischen Krise des neoliberalen Kapitalismus lösen, die Zukunft der Menschheit retten.    

Die Linke steht für globale Gerechtigkeit, für globale Klimagerechtigkeit. Wir leben in einer Welt, die als globales Dorf bezeichnet wird. Doch in diesem Dorf wird nicht zusammen-, in diesem Dorf der Ungleichen wird gegeneinander gearbeitet. In diesem Dorf wohnen einige Wenige in guten Häusern, haben genug zu Essen und Trinken auf dem Tisch, leben in Frieden und Sicherheit, bestimmen über die Geschicke der Dorf-Schicksalsgemeinschaft. Die große Mehrheit im Dorf aber bekommt vom Wohlstandkuchen nicht nur zu wenig ab, lebt im Slum, in trostlosen Wohntürmen aus Beton, auf der Straße. Der Reichtum der westlichen Industrieländer und zunehmend auch der Schwellenländern speist sich aus der schreienden Ungerechtigkeit zwischen Arm und Reich. Der menschengemachte Klimawandel ist vor allem ein von den Industrienationen gemachter Klimawandel. Die Klimakrise hat der reiche Norden entfacht. Ginge es gerecht zu, müsste er auch die Hauptlast tragen, um das Klima zu bändigen. 

"Der menschengemachte Klimawandel ist vor allem von den Industrienationen gemacht. Die Klimakrise hat der reiche Norden entfacht. Ginge es gerecht zu, müsste er auch die Hauptlast beim Klimaschutz"

So wie es heute läuft, kann es nicht weiter gehen - das gebietet auch die Vernunft. Machen wir so weiter wie bisher, werden Ausgegrenzte, Arme, Erniedrigte auf die Barrikaden gehen - mit ungewissem Ausgang. Neue Diktaturen und Barbarei drohen. Der Bau neuer Mauern wird nicht helfen. Machen wir einfach weiter, wird uns die Erde um die Ohren fliegen. Im Kapitalismus mit Massenproduktion, Massenkonsum und Massenverbräuchen ist nicht nur der Mensch zu oft ein ausgebeutetes Wesen. Wo Näherinnen, Paketauslieferer und Bauern für immer mehr Profite der Wenigen ausgenutzt werden, da wird auch auf die Natur, auf Tiere und Pflanzen, auf Meere und das Klima erst recht keine Rücksicht genommen.

Wir müssen daher über den Tellerrand des Kapitalismus hinausblicken. Zu unseren grundlegenden Werten gehören Demokratie (von unten), Freiheit (für alle, auch die Schwachen), Gleichheit (keine Gleichmacherei), Gerechtigkeit (sozial und global), Internationalismus und Solidarität (gelebt, nicht als Pflichtübung). Nur unter Berücksichtigung dieser Werte sind Frieden, Emanzipation des Einzelnen und der Vielen und eben die Bewahrung der Natur zu schaffen. Ja, wir kämpfen für einen Systemwechsel. Weil der Kapitalismus, der auf Ungleichheit, Ausbeutung, Expansion, Konkurrenz und Wachstum beruht, mit diesen Zielen unvereinbar ist. Das zeigt die Geschichte, das zeigt die Gegenwart. Gedeckt ist unser Ziel vom Grundgesetz, das keine unmittelbare Festlegung und Gewährleistung einer bestimmten Wirtschaftsordnung vorschreibt. Eigentum verpflichtet, für die Gewährleistung des Allgemeinwohls sind Enteignungen mit Entschädigungen von der Verfassung gewünscht. Das gilt für Wohnraum, Land und Verkehrsmittel genauso wie für Windkraftanlagen, Solarparks und Kraftwerke.

"Die unsichtbare Hand des Marktes wird das Klimaschlamassel nicht lösen. Klimapolitik muss mächtigen Unternehmen Vorgaben machen - statt das Gesetz des Dschungels walten zu lassen, das immer den Starken über den Schwachen obsiegen lässt"

Die Energiewende soll eine demokratische Energieversorgung der Vielen, der Bürgerinnen und Bürger sein, nicht der Energiekonzerne, die sich gerade daran machen, das Geschäft mit den Öko-Energien zu kapern. Das Grundrecht auf Energie darf nicht durch Stromsperren ausgehebelt werden. Eine Klimapolitik, die der Freiheit verpflichtet ist, macht mächtigen Unternehmen Vorgaben, statt das Gesetz des Dschungels walten zu lassen, das immer den Starken über den Schwachen obsiegen lässt. Nichts anderes nämlich bedeutet die neoliberale Logik von Deregulierung, Verzicht auf Ordnungsrecht und Steuersenkungen, Energieprivilegien und Millionensubventionen für große Konzerne im Energiesektor, für Autowirtschaft, Airlines, Reedereien, Schwerindustrie, Immobilien und Landwirtschaft. Nichts anderes bedeutet das Kalkül der Marktgläubigen in allen Parteien, die glauben oder glauben machen wollen, die kapitalistische Wirtschaft könne sich mit der unsichtbaren Hand des Marktes von selbst aus dem Klimaschlamassel ziehen, während der Reichtum sich auf nie dagewesene Weise in den Händen einiger Wenigen konzentriert.

Das Gebot der Gleichheit heißt, dass der Zugang zu Energie auch für die Millionen Menschen ohne Strom und elektrisches Licht in Afrika, Asien und Lateinamerika möglich gemacht werden muss. Gerechtigkeit in der Klimapolitik bedeutet, dass der reiche Norden für die Schäden der fossilen Industrialisierung aufkommt und entschädigt. Dass RWE für das vom Klimawandel zerstörte Haus des peruanischen Kleinbauern bezahlt. Internationalismus meint, dass wir vor dem Kauf eines SUV daran denken, dass der Untergang ganzer Inselstaaten direkte Folge von Bequemlichkeit und Statussucht ist. Und Solidarität heißt, dass wir Klimaflüchtlingen die Hand reichen, und ihnen im Fall der Fälle in Deutschland und Europa eine neue Heimat bieten.  

Bisher erschienen in dieser Serie:
Teil 1 - Lukas Köhler (FDP)
Teil 2 - Lisa Badum (Bündnis 90/Die Grünen)
Teil 3 - Georg Nüßlein (CDU/CSU)
Teil 4 - Carsten Träger (SPD)
Teil 5 - Anja Weisgerber (CDU/CSU)