Georg Nüßlein, 49, hat in Augsburg Wirtschafts- und Sozialwissenschaften studiert und dort 1998 zum Doktor der Rechtswissenschaften promoviert. Fast 15 Jahre hat er in der Bank- und Finanzbranche gearbeitet, daneben war er in der Kommunalpolitik und der Jungen Union aktiv. Seit 2002 vertritt er den Wahlkreis Neu-Ulm im Bundestag; dort war er unter anderem energiepolitischer Sprecher der CSU-Landesgruppe, seit 2014 ist er Stellvertretender Vorsitzender der CDU/CSU-Fraktion mit der Zuständigkeit für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit.

Wir bewahren die Schöpfung für die Zukunft. Umwelt-, Tier-, Arten- und Ressourcenschutz sind globale Aufgaben, die vor der eigenen Haustüre beginnen. Wir schützen die natürlichen Lebensgrundlagen und erhalten sie für die nachfolgenden Generationen. Das ist unsere gemeinsame Verantwortung." – Dieser Leitgedanke aus dem vor zwei Jahren beschlossenen neuen Grundsatzprogramm der Christlich-Sozialen Union (CSU) bringt auch meine grundsätzliche Haltung beim Klimaschutz zum Ausdruck. Der Auftrag zur Bewahrung der Schöpfung folgt unmittelbar aus dem christlichen Menschenbild. Das Ziel, mit begrenzten natürlichen Ressourcen und fragilen ökologischen Systemen so umzugehen, dass dies auch vor künftigen Generationen zu rechtfertigen ist, leitet auch mich. Es geht im Kern um Verantwortung: hierzulande, aber gerade auch global. Denn die Folgen des Klimawandels treffen vor allem Schwellen- und Entwicklungsländer.

Das Grundsatzprogramm der CSU trägt den Titel "Die Ordnung". Zu einer guten Ordnung gehört zwangsläufig, umwelt- und klimapolitische Herausforderungen niemals isoliert zu betrachten, sondern so, dass auch ökonomischen und sozialen Zielen Rechnung getragen wird. Ökologisch nachhaltig, ökonomisch tragfähig und sozial verantwortbar – nur in diesem Dreiklang kann nach meiner festen Überzeugung gute Klimapolitik gelingen. In diesem Spannungsfeld muss sich Klimapolitik bewähren – und nach einem Ausgleich streben, dem zwangsläufig weniger einfache Lösungen zu Grunde liegen als manchem Angebot der politischen Konkurrenz.

"Ökologisch nachhaltig, ökonomisch tragfähig und sozial verantwortbar – nur in diesem Dreiklang kann nach meiner festen Überzeugung gute Klimapolitik gelingen"

Ich trete dafür ein, dass sich diese Position der Mitte, der rechten Ordnung, des Ausgleichs oftmals widerstreitender Interessen gegen all diejenigen durchsetzt, deren Botschaft und Instrumente verkürzt sind und deren Lehre eine Schlagseite hat, weil sie die Herausforderung Klimaschutz nicht umfassend genug begreifen. Deutschland läuft nämlich Gefahr, sich zwischen den extremen Polen in der Klimapolitik aufzureiben. Deren Botschaften mögen prägnanter sein – ihre Folgen sind aber keineswegs nachhaltig. Ich möchte diese Positionen beschreiben, um so herauszuarbeiten, was die Klimapolitik der CSU in Abgrenzung dazu ausmacht.

Plakat der CSU von 2011, dem Jahr des Reaktorunglücks von Fukushima; Abb.: Archiv für Christlich-Soziale Politik der Hanns-Seidel-Stiftung

Auf der einen Seite steht die AfD. Sie hat sich auf der Suche nach oppositionellen Alternativthemen der wissenschaftlichen Mindermeinung angeschlossen: "Es gibt keinen menschlichen Anteil am Klimawandel." Wissend, dass sich wohl nie beweisen lässt, wie groß dieser menschengemachte Part tatsächlich ist, fordert sie den Verzicht auf klimapolitisch motivierte Veränderungen in Deutschland. Gleichzeitig verweist man auf den marginalen Anteil Deutschlands am globalen CO2-Ausstoß. Dabei wird verdrängt, dass auch ohne Klimaeifer Ressourcenschonung und Emissionsabbau sinnvoll und notwendig sind. Das Kalkül der AfD ist so einfach wie perfide: Das bisherige Elitenthema Klimaschutz wird demnächst politisch konkret – und die Menschen Geld kosten. Das könnte also Wählerstimmen bringen. Und die Bundesumweltministerin läuft mit ihrer alten Idee, fossile Brennstoffe durch eine nationale CO2-Steuer zu verteuern und Strom zu verbilligen, geradewegs in diese Falle. Der ohnehin gebeutelte Fahrer eines alten Diesels, der sich keinen Tesla leisten kann, hat nichts von der "Aufkommensneutralität", die zwar in der Staatskasse gelten mag, aber nicht im individuellen Geldbeutel.

Dem Gegenpol auf der anderen Seite, angeführt von den Grünen und hinterhertrottenden Genossen, ist der heiße Sommer zu Kopf gestiegen. Absichtlich verwechseln diese Protagonisten Klima und Wetter. Schließlich geht es ihnen um Symbolpolitik und nationale Statistik. Sie waren mal die Alternative, was sich mit dem unbestreitbaren Erfolg, ihre Themen zu etablieren, erledigt hat. Das Aussteigertum ist ihnen geblieben: Aussteigen aus der Kohleverstromung, aus der Nutzung des Verbrennungsmotors … Der Aussteiger macht das radikal. Ziel wie Maßnahmen werden als immanente Bestandteile der grünen Hochmoral für unantastbar erklärt. Der Begriff "Klimaleugner" ist beredter Beleg dafür – und mit Blick auf die Anleihe der Wortschöpfung unsäglich!

"Das Kalkül der AfD ist so einfach wie perfide: Das bisherige Elitenthema Klimaschutz wird demnächst politisch konkret – und die Menschen Geld kosten. Das könnte also Wählerstimmen bringen"

Beide Positionen, die der Grünen wie der AfD, haben eine bemerkenswerte Gemeinsamkeit: Sie sind komplett national. Das liegt bei der AfD am nationalistischen Horizont, bei den Grünen am Wunsch, den Ausstiegserfolg national statistisch belegen zu können. Dabei gibt es kaum ein Politikfeld, bei denen Erfolg und Wettbewerbsgleichheit so international bestimmt sind.

Als Politiker der CSU sehe ich es als Chance und die Pflicht, zwischen diesen Polen eine Stimme der Vernunft zu sein. Christlich-soziale Klimapolitik muss sich 2019, wenn es um entsprechende Gesetze zum Erreichen der Klimaziele 2030 geht, ganz besonders bewähren. Denn die CSU ist auch Partei der sozialen Marktwirtschaft. Wir setzen auf wettbewerbliche Ordnung und Leistungsfreude, die sie anregt – und gleichzeitig auf eine diese Ordnung auch sozial absichernde staatliche Rahmensetzung. Wenn es die Wahl gibt, werden wir deshalb immer kooperative Instrumente denen der Konfrontation vorziehen. Wir setzen, wo immer es geht, auf Freiwilligkeit, Anreiz und Eigenverantwortung. Diesem Credo müssen wir treu bleiben – auch unter dem immensen Druck europäischer Klimaplanwirtschaft.

Plakat der Hamburger CDU zur Bürgerschaftswahl 2008 (mit dem Spitzenkandidaten Ole von Beust); Abb.: Archiv für Christlich-Demokratische Politik der Konrad-Adenauer-Stiftung

Klimapolitik muss deshalb zuallererst technologieneutral, ja technologieoffen sein. Lassen Sie mich dafür ein paar konkrete Beispiele nennen: Wenn Elektroautos die gleiche Mobilität preiswerter oder wenigstens umweltfreundlicher bieten, dann treffen die Menschen schon die richtige Entscheidung. In Deutschland zumindest ist das wahrscheinlich. Macht es aber nicht gleichzeitig Sinn, dünn besiedelte Staaten mit großen Distanzen oder solche, in denen dem Klimaschutz nicht der notwendige Stellenwert eingeräumt wird, mit verbrauchsarmen Verbrennungsmotoren zu beliefern? Macht es nicht Sinn, synthetische Kraftstoffe weiterzuentwickeln, statt sie zu bekämpfen, weil sie nicht in die Ausstiegsideologie passen? Wir müssen in der Klimapolitik weg von der universellen perfekten, idealtypischen Lösung hin zu mehr Pragmatismus. Entscheidend sind nicht ideologische Systemfragen, sondern die Emissions-Einsparung unter dem Strich.

Unter diesem Strich werden die Rechnungen im Industriestaat Deutschland auch nicht aufgehen, wenn wir den Einstieg in die CO2-Kreislaufwirtschaft nicht schaffen. Der Diskussion darüber steht das dilettantisch verursachte Desaster bei der CO2-Speicherung im Wege. Der Grundsatz, kein Carbon Leakage zu provozieren, also keine Unternehmen vom Standort zu vertreiben, ist besonders wichtig. Nirgends wird Aluminium so energieeffizient recycelt, nirgends werden Nichteisenmetalle so energieeffizient verarbeitet wie in Deutschland, um nur zwei Beispiele zu nennen. Wenn wir nicht anfangen, Grenzkosten zu betrachten, werden wir künftig nicht energieeffiziente Technologien, sondern ganze Industrien exportieren. Ein Blick auf die Re-investition der Abschreibungen zeigt, wie real dieses Risiko bereits heute ist. Die Union muss dies umtreiben, gerade auch aus sozialen Erwägungen. Ein mit Arbeitsplatzverlusten erkaufter nationaler Bilanzerfolg beim Klimaschutz gefährdet den sozialen Frieden in unserem Land – und bringt dem globalen Klima reichlich wenig, vor allem dann nicht, wenn die Produktion dann andernorts auf der Welt mit weniger strengen Umweltauflagen erfolgt.

"Wir setzen, wo immer es geht, auf Freiwilligkeit, Anreiz und Eigenverantwortung. Diesem Credo müssen wir treu bleiben – auch unter dem immensen Druck europäischer Klimaplanwirtschaft"

Während grüne Umweltpolitik aus dem Dreiklang Zwang, Zwang und Zwang besteht, muss freiheitliche Politik auf Anreize setzen. Bis heute scheitert eine steuerliche Förderung der energetischen Gebäudesanierung an Unwillen und (begründeter) Sorge um Mieterhöhungen, die nicht von der Heizkostenersparnis ausgeglichen werden. Eine bessere Idee, den riesigen Bereich der Bestandsgebäude anzugehen, ist bislang nicht in Sicht. Die Union muss hier hartnäckig dranbleiben.

Last not least muss Klimapolitik vorrangig international betrieben werden – und nicht national verengt. Die CO2-Bepreisung funktioniert konjunkturreagibel und wettbewerbsneutral über den Europäischen Emissionshandel. Den Verkehr könnte man integrieren. Ein Ausgleich der Schwankungen regenerativer Energieversorgung klappt nur, wenn man Solarthermie aus Nordafrika mit ins System einbaut. Das gibt übrigens Afrika eine Entwicklungsperspektive. Deutschland hat längst verdrängt, wie klar Energieversorgung und Wohlstand zusammenhängen. Und natürlich sollte sich die Union keine Denkverbote auferlegen lassen: Wenn man mit einer gegebenen Menge Geld international – zum Beispiel durch den Schutz von Regenwald – mehr CO2 einsparen kann, dient das der Sache sowie den Entwicklungs- und Schwellenländern. Es geht nicht um Freikaufen, sondern um Vernunft. Die ist gerade in der Klimapolitik dringend gefragt. Es geht im Kern um eine gute Ordnung.

Bisher erschienen in dieser Serie:
Teil 1 - Lukas Köhler (FDP)
Teil 2 - Lisa Badum (Bündnis 90/Die Grünen)
Teil 4 - Carsten Träger (SPD)
Teil 5 - Anja Weisgerber (CDU/CSU)

Porträtfoto: Marta Ifrim