Franzisca Weder hat Journalistik studiert und eine Assoc.-Professur für Kommunikations- und Medienwissenschaften an der Universität Klagenfurt inne. Sie lehrt, forscht und publiziert in den Bereichen Organisations-Kommunikation, PR, Nachhaltigkeits- und Umweltkommunikation. Sie war unter anderem Gastprofessorin in Alabama, Waikato (Neuseeland), Eichstätt-Ingolstadt und Ilmenau. Sie ist Vorsitzende der Österreichischen Gesellschaft für Kommunikationswissenschaft (ÖGK) und Vize-Präsidentin der International Environmental Communication Association (IECA). Im Herbst 2019 zog Weder mit ihrem Mann und vier Kindern nach Australien, um an der University of Queensland in Brisbane zu forschen und zu lehren.

 

Seit gut anderthalb Jahren leben wir jetzt in Australien – mein Mann, vier Jungs und ich. Aufgewachsen in einem gemäßigten, mitteleuropäischen Klima, verwöhnt durch das grüne und wasserreiche Süddeutschland und Österreich, war die Natur und unser Verhältnis zu ihr, das heißt unsere kulturelle oder ‚öko-kulturelle‘ Identität, bisher kaum ein Thema für uns. Doch hier sind gezwungen, mit trockener Hitze wie auch enormer Luftfeuchtigkeit umzugehen. Als vor einem Jahr die verheerenden Waldbrände wüteten und Rauchschwaden über den Kontinent zogen, sind wir mit der Nase direkt auf schlechte Luftqualität gestoßen. Wegen des strengen fire ban waren nicht einmal auf unserer Terrasse Kerzen erlaubt. Zeitweise war der Wassermangel so schlimm, dass sogar das gewohnte Eier- oder Nudeln-Abschrecken entfiel.

Wir Menschen reagieren auf die Natur, auf den Zustand der Luft, des Bodens aber auch auf offensichtlich knappe Ressourcen wie Wasser; wir reagieren auf die Natur mehr als dass wir sie nutzen, benutzen oder sogar ausnutzen. So entstehen zwei Sichtweisen: Aus der einen Perspektive sind wir Menschen ein Opfer der Natur, in diesem Falle der Hitze, Trockenheit und der Brände als Naturkatastrophe; aus der anderen Perspektive ist die Natur das Opfer unseres menschlichen Handelns. Doch welches Narrativ dominiert die Medienberichterstattung? Und welches Narrativ leitet uns innerlich in der Begegnung und im Umgang mit der Natur?

Januar 2020: Großfeuer im Orroral Valley in Australien, gesehen von Tuggeranong; Foto: Nick D./Wikimedia Commons

In der medialen Berichterstattung über die Buschbrände fanden sich sowohl national wie international beide Perspektiven – mit jeweils starken Bildern: das verkohlte Känguru, gefangen im Weidezaun steht für die Tierwelt und Natur als Opfer, der Feuerwehrmann vor der Flammenwand als Zeichen für den Kampf Mensch gegen Natur, und der zuvor zumindest im Rest der Welt wenig bekannte Premier Scott Morrison ist die Personifizierung der kapitalistischen Ausbeutung der Natur. Hier ist dann wiederum die Natur das Opfer. Groß sind die Bilder, groß und global auch die Diskurse und Argumente.

Diskursverästelungen oder tatsächliche Meinungsvielfalt?

Doch handelt es sich hier wirklich um einen öffentlichen Diskurs, eine mit dem wenig bekannten Wort agonistisch beschriebene Auseinandersetzung – also ein gleichberechtigtes Neben- und Miteinander unterschiedlicher Sichtweisen? Um einen sinnstiftenden Kommunikationsprozess? Wie viel Raum bekommt der Diskurs um die Natur als Opfer menschlichen Handelns in den Medien? Wer sind hier die dominanten, lauten und wer die leisen Stimmen? Wer bietet uns mögliche alternative Perspektiven?

Bewegungen wie #FridaysForFuture und vor allem Extinction Rebellion (die in Australien bedeutender sind als FFF oder gar die Scientists-for-Future) spielen in öffentlichen Diskursen hier nach wie vor eine eher untergeordnete Rolle. Und wenn ihre Stimmen in den Medien zu hören sind, dann werden sie durch den übergeordneten Antagonismus ‚Klimaforscher versus Klimawandel-Leugner‘ absorbiert. Die Debatte dreht sich also vielmehr darum, dass der Klimawandel angeblich ‚umstritten‘ ist, um „Alarmismus“ (ein in Australien viel benutzter Begriff) und um „Klimahysterie“ (das „Unwort des Jahres“ 2019 in Deutschland), – eine Diskussion, die sich insbesondere in den Medien des Murdoch-Konzerns fort- und festsetzt.

In der australischen Medienwelt ist tatsächlich nur wenig Raum für das konstruktive Potenzial von Konflikten. Wenig Raum für Bezüge zu individuellen Lebenswelten oder für die Möglichkeiten von Handlungsänderungen. Wenig Raum für verschiedene Beispiele des individuellen Verhältnisses zur Natur, die persönliche ökokulturelle Identität.

Transformation durch Problematisierung im eigenen Wohnzimmer

Als Soziologin und Kommunikationswissenschaftlerin vertrete ich Theorien, die gerade Dissens und unterschiedliche Meinungen als notwendig beschreiben, um gesellschaftliche Transformationsprozesse zu stimulieren. Dazu gehören die Arbeiten von Chantal Mouffe (2005), oder auch Ernesto Laclau (2005). Davon abgeleitet heißt agonistische Kommunikation, dass eine tatsächliche öffentliche Debatte stattfindet, dass die Differenz zwischen unterschiedlichen Perspektiven von beiden Seiten der Debatte verstanden und respektiert wird. Eine tiefgreifende und verständliche öffentliche Problematisierung sehe ich deshalb als notwendigen Prozess der Anfechtung, der Auseinandersetzung mit unterschiedlichen Argumenten, als Stimulation neuer und gegenläufiger Meinungen. Dies schließt ein ständiges Testen aber auch Legitimieren bestimmter – insbesondere hegemonialer – Argumente und Sichtweisen ausdrücklich ein.

In einer solchen Konstellation wäre der Konflikt Extinction Rebellion gegen Klimawandel-Leugner ja ein konstruktiver Diskurs. Doch wo ist der Bezug zum individuellen Handeln, zu meiner individuellen Lebenswelt, zu meinen Kämpfen um weniger Fleischkonsum im – mich einmal ausgenommen – reinen Männerhaushalt, meiner halben Stunde Stahl-Strohhalme-Putzen nach einer Runde Erdbeer-Bananenmilch?

Problematisierung ist auch ein Kernbegriff in Foucaults Arbeiten und bedeutet, in Frage zu stellen, also etablierte Strukturen und kulturelle Muster, das bisher ‚Normale‘ zu hinterfragen und herauszufordern, einem prüfenden Blick zu unterziehen. Damit wird Problematisierung zu einem performativen Prozess, einem Prozess, der Veränderungen und Transformation zugrundeliegt. Aus einer kommunikationswissenschaftlichen Perspektive geschieht diese Problematisierung bereits in kleinsten Konversationen, in den Geschichten des Alltags.

Nachhaltigkeit verstehen im Schwatz mit der Nachbarin

Und ja: Ein neues Verhältnis zur Natur und ein Verständnis von dem, was Nachhaltigkeit gerade in Australien sein kann, das entsteht für uns vor allem in den alltäglichen Gesprächen beim Abliefern der Jungs im Kindergarten, an der Supermarkt-Kasse oder im Gespräch über den Zaun mit der Nachbarin, deren Bruder vor den Buschbränden an den Strand in Mallacoota flüchtete.

Es entsteht auf der Party bei den Nachbarn aus Schottland und Wales, mit denen wir ganz einfache Zusammenhänge besprechen: So schön sechs Wochen Ferien im australischen Sommer sind – größere Unternehmungen sind kaum möglich, es ist einfach zu heiß. Campen geht erst wieder im März oder April; auch unser Rotschopf kann dann wieder länger als zwei Stunden am Strand bleiben.

Junges Känguru, das vor den Buschfeuern in Australien 2020 gerettet wurde; Foto: Marcio Waismann/iStock

Gerade die kleinen Geschichten, die Narrative, mit denen wir der Welt und unserem eigenen Leben Sinn geben, haben in Australien also irgendwie immer einen Bezug zur Umwelt, zum Umgang mit der Natur. Damit kann aber auch gerade in diesen Geschichten, in diesen Narrativen, Nachhaltigkeit zum moralischen Kompass werden.

Ungenutztes Potenzial der Lokal- und Gratisblätter

Deshalb haben auch Lokalmedien sowie Gratis- bzw. Stadtteilzeitungen ein Potenzial, das sie meinem ersten Eindruck nach noch zu wenig nutzen. In keiner der mir in den Briefkasten gespülten Community- bzw. Bezirkszeitungen habe ich bisher auch nur ein Wort über Nachhaltigkeit, Environmental Care oder Strategien im Umgang mit dem Klimawandel gelesen. Doch gerade bei dem komplexen, unhandlichen und inzwischen ‚übermoralisierten‘ Wort Nachhaltigkeit braucht es den ‚Kaninchenzüchter‘, der mir seine Sichtweise auf klimatische Veränderungen, auf ‚Bio-Futter‘ und die Wertschätzung von Lebewesen vermittelt. Braucht es mehr subjektiv geprägte Erzählungen, ein Puzzle aus kleinteiligen Geschichten, das Nachhaltigkeit von einem abstrakten soziopolitischen Konzept zu einem Leitwert für individuelles und vor allem kritisches Denken macht. Dafür aber bräuchte es einen kritischen und durchaus einmal anderen, revolutionären Journalismus, einen starken Lokaljournalismus.

Das bestätigen nicht zuletzt Studien eines Teams an meiner ehemaligen Heimatuniversität in Klagenfurt, die die Potenziale des Lokaljournalismus besonders in der Themenfindung und der Überwindung der großen, globalen Narrative und Antagonismen sehen. Die Auseinandersetzung zwischen Nachbarn, die sich nicht an die Bewässerungs-Richtlinien der Stadt halten, ist für die meisten spannender, als die meist unbegreiflich komplexe Zusammenhänge zwischen Klimazielen, einer entsprechenden politischen Strategie und unternehmerischen Interessen. Besonderes Potenzial haben auch die Social-media Auftritte einer Lokalzeitung. „Aus dem Digitalen Lernen“, das bedeutet vor allem Beteiligung, Leser:innen einzubinden, sich Themen-Wünsche zuschicken zu lassen, sich auf Missstände, lokale Probleme, Fälle und Beispiele aufmerksam machen zu lassen und denen dann hartnäckig nachzugehen.

Australien – ein perfektes Forschungslabor zur Klimakommunikation

Was früher durch den Leserbrief passierte, hat heute beispielsweise über Facebook eine neue Dimension. So wendet sich das Publikum der Sunraysia Daily, einer Lokal-Zeitung im australischen Bundesstaat Victoria, direkt über Facebook an die Zeitung und berichtet von kleinen Beispielen der klimatischen Veränderungen, dem Umgang mit behördlichen Einschränkungen beim Wasserverbrauch, den Buschbränden – doch genauso sind Erfolgsmeldungen aus dem Community Garden ein Thema. Journalisten fragen nach, Leser:innen beteiligen sich so direkt an der journalistischen Arbeit. Und damit anders als in einem lokalen oder hyper-lokalen Blog. Auf diese Weise wird die Lokalzeitung zu einem Teil der Community und die Community Teil der Themensetzungs- aber auch Sinnstiftungsprozesse im Alltag der Menschen. Publikumsbindung eben, oder Nachbarschafts-Kommunikation.

Wochenlange Hitzewellen, infernalische Brände, direkt anschließend heftiger Regen, Überschwemmungen, hier bei uns in Brisbane eine unglaublich hohe Luftfeuchtigkeit – das apokalyptische Australien – und wir mittendrin. Aus meiner persönlichen Perspektive erlebe ich nun die Klimakrise ganz persönlich, direkt, ‚in your face‘. Aus einer kommunikationswissenschaftlichen Perspektive ist damit Australien zu einem perfekten ‚Forschungslabor‘ für die Grenzen aber auch Möglichkeiten neuer Formen der Klimawandel-Berichterstattung und Nachhaltigkeitskommunikation geworden. Und auch für ein neues Bewusstsein für die eigene, individuelle Begegnung und den Umgang mit der Natur. Australien ist das Land im Klimanotstand. Umso wichtiger wäre gerade hier die Kommunikation der zahlreichen Möglichkeiten, Verhalten zu verändern.