Prof. Hans-Peter Hutter ist stellvertretender Leiter der Abteilung für Umweltmedizin am Zentrum für Public Health der Medizinischen Universität Wien. Der studierte Mediziner und Landschaftsökologie ist zudem Vorstand der österreichischen Sektion der International Society of Doctors for the Environment (ISDE).
Mit seinen Kollegen Hanns Moshammer und Peter Wallner verfasste er den Band "Klimawandel und Gesundheit – Auswirkungen. Risiken. Perspektiven" (Wien 2017)

 

Herr Professor Hutter, gibt es Symptome, derentwegen Ärzte mit ihren Patienten über den Klimawandel und dessen Folgen zu sprechen hätten?

Hans-Peter Hutter: Ja, ganz klar. Hitzewellen etwa sind vor allem in den Städten ein Anlass, den Klimawandel zum Thema zu machen und schon vor der Hitze über die erforderlichen Anpassungen bei den Medikamenten zu sprechen. Für Patienten, die etwa Antihypertensiva [Mittel gegen Bluthochdruck] einnehmen müssen, kann es bei nicht angepasster Medikation durch die Hitze zu einem unerwünscht verstärkten Absinken des Blutdruckes kommen. Die Folgen sind Schwindelattacken, Schwäche bis schlimmstenfalls Kollaps bzw. Ohnmacht. Ein anderes Beispiel: Bei Herzinsuffizienz [umgangssprachlich: Herzschwäche] werden u.a. Diuretika verordnet, also harntreibende Mittel zur Entwässerung. Auch hier ist aber eine Abstimmung notwendig, da bei Hitze bereits wegen des vermehrten Schwitzens beträchtlich Flüssigkeit abgegeben wird. Zusammen mit dem Flüssigkeitsverlust durch Diuretika kann es so einem erheblichen Flüssigkeitsdefizit bei den Betroffenen kommen, meist gemeinsam mit einer Störung des Elektrolythaushaltes. All das lässt sich durch Anpassung etwa der Dosierungen vermeiden.

Daher sind insbesondere Allgemeinmediziner und Internisten aufgerufen, vor Hitzewellen die Medikation ihrer Patienten zu überprüfen. Derartige Umstellungen können auch bei einer Reihe anderer Arzneimittel wie etwa Psychopharmaka erforderlich sein. Die Weltgesundheitsorganisation hat dazu Empfehlungen veröffentlich, ebenso wie etliche nationale Gesundheitsbehörden.

Es besteht also eine Verbindung zwischen dem Klimawandel einerseits, dem Wohl- oder Unwohlbefinden andererseits, sowohl gesunder als auch erkrankter Personen?

Diese Zusammenhänge stehen völlig außer Frage. Nur muss man darüber sprechen und diese erklären. Hitzeperioden, die infolge des Klimawandels künftig häufiger auftreten und intensiver werden, belasten das Kreislaufsystem, sie vermindern die geistige sowie körperliche Leistungsfähigkeit zuweilen drastisch, können Atemwegsprobleme verstärken und leider auch zum Tod führen.

"Der Klimawandel und seine Folgen
sind konkret und spürbar,
das müssen wir viel mehr als bisher
der Bevölkerung bewusst machen."

Ärztinnen und Ärzte haben eine klassisch "erzieherische" Aufgabe. Sie sollten mehr als bisher ihre Patienten aufklären, um das Wissen rund um traditionelles, vernünftiges Verhalten bei Hitze wiederzubeleben – viele habe das schlicht vergessen. Es sind zumeist einfache Tipps, wie man sich wirksam schützen kann. Das betrifft die Ernährung genauso wie den Schutz des Wohnklimas vor Überhitzung: Offene Fenster um die Mittagszeit etwa sind völliger Unsinn. In den überwiegenden Fällen ist es nicht nötig, sich eine Klimaanlage anzuschaffen - auch das muss man ansprechen.

Worauf sind Allergiker im Zusammenhang mit dem Klimawandel aufmerksam zu machen?

Zumindest auf zwei Umstände: dass sich die Pollensaison ausdehnen kann und dass manche Pollen aggressiver wirken als früher. Der Zeitraum des Pollenflugs beginnt früher und dauert länger, weil sich die Temperaturen klimawandelbedingt jahreszeitlich erheblich verändern. Zudem bilden manche Pollen durch Einwirkung von Luftschadstoffen wie Ozon und Feinstaub neuartige Allergene, die aggressiver und so für Allergiker belastender sind. Der Klimawandel und seine Folgen sind konkret und spürbar, das müssen wir viel mehr als bisher der Bevölkerung bewusst machen...

... und daher möchten wir gern wissen: Wozu raten Ärzte, um die Ursachen des Klimawandels zu bekämpfen?

Zugegeben, was Ärzte machen, ist meist adaptiv und reaktiv; das liegt in der Natur der Sache. Aber wir können und müssen darüber informieren, dass jeder und jede Einzelne zumindest an zwei persönlichen Stellschrauben drehen kann, wenn es um Klimaschutz geht: Das betrifft unser Mobilitäts- und Ernährungsverhalten. Weniger mit dem Auto zu fahren, senkt den Ausstoß an Treibhausgasen und anderen Verkehrsemissionen wie Ultrafeinstaub – gleichzeitig erhöht es die persönliche Fitness, zu Fuß zu gehen. Bewegungsmangel hingegen erhöht das Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen wie Herzinfarkt oder Schlaganfall. Etwas weniger Fleisch zu essen, verbessert ebenfalls die Bilanz an Treibhausgasen und kann überdies die Risiken teils äußerst schwerer Erkrankungen vermindern. Das gilt beispielsweise für bestimmte Karzinome – vor allem, wenn man bedenkt, dass der Fleischkonsum hierzulande weit über den empfohlenen Werten liegt.

"Die Debatten etwa über Tonnen Kohlendioxid pro Kopf
sind viel zu abstrakt. Wir müssen es vereinfachen
und auf den Punkt bringen, dass jeder etwas
für den Klimaschutz tun kann - und zugleich für sich selbst."

Mediziner müssen also auf den doppelten Nutzen aufmerksam machen: Die skizzierten positiven Änderungen in der Mobilität und in der Ernährung können die Ursachen des Klimawandels vermindern und zugleich dabei helfen, persönliche Erkrankungsrisiken deutlich zu reduzieren. Das ist ein doppelter Nutzen. Die Botschaft aus ärztlicher Sicht lautet daher: Klimaschutz ist Gesundheitsschutz. Das ist belegt. Jeder kann dazu beitragen.

Als eine der Folgen des Klimawandels kommt es vermehrt zu Starkregen und dann zu Hochwasser und Überschwemmungen ...

... womit Ärzte insbesondere in ländlichen Regionen besonders gefordert sind. In Gebieten, die von solchen Katastrophen heimgesucht wurden, kann es bei den Betroffenen aufgrund der dramatischen Erlebnisse zu posttraumatischen Belastungsstörungen kommen, denn die traumatischen Verluste der Lebensgrundlagen wirken nach. Wo es mehrfach zu Katastrophen kam, etwa mehreren dramatischen Überschwemmungen, wurde auch fallweise ein Anstieg von Suiziden beobachtet. Sollten sich diese Extremereignisse weiter häufen, sind das Gesundheitssystem und die Allgemeinmedizin dafür nicht optimal aufgestellt. In Deutschland wie in Österreich ist bekanntlich ein Mangel an Hausärzten festzustellen.

Sollten die Medizinerinnen und Mediziner auch selbst Leit- und Vorbilder sein?

In der Tat. Ärzte sind eine angesehene Berufsgruppe, die nahe bei den Menschen ist und deren Vertrauen genießt. Wir haben einen Auftrag für die öffentliche Gesundheit, und angesichts des Klimawandels eine Verpflichtung, uns damit zu befassen und Probleme sowie Lösungen anzusprechen. Wir müssen daran mitwirken, ein Bewusstsein für den Klimawandel und dessen Folgen zu schaffen. Die Debatten etwa über die Anzahl an Tonnen Kohlendioxid pro Kopf sind viel zu abstrakt und verhallen oft wirkungslos. Wir müssen es vereinfachen und auf den Punkt bringen, dass jeder etwas für den Klimaschutz tun kann und zugleich für sich selbst.

Am besten belegt ist das, wenn es um das Mobilitäts- und das Ernährungsverhalten geht. Diese beiden großen Lebensaspekte können wir zu einem Großteil selbst steuern. Genau darin sollten auch Ärzte Vorbilder sein.

Direkt an Ärzte und andere Beschäftigte im Gesundheitswesen richtet sich das Projekt "Klimaretter-Lebensretter" der Stiftung Viamedica

Interview: Claus Reitan; Foto: Dujmic