Die meisten Menschen in Deutschland und Österreich sind offenbar bereit, ihr Alltagsverhalten angesichts der Klimakrise deutlich zu ändern. Das zeigen die Ergebnisse einer großangelegten Umfrage zum Klimawandel, die von der Europäischen Investitionsbank (EIB) zusammen mit dem Marktforschungsunternehmen BVA bereits zum zweiten Mal aufgelegt wurde. Doch die Erhebung zeigt auch: Die Kluft zwischen Absicht und alltäglichem Handeln ist groß.

Die EIB-Ergebnisse basiert auf Auskünften von Menschen in der Europäischen Union, den USA und in China. Für die Erhebung wurde zwischen dem 27. September und dem 21. Oktober 2019 in jedem der 30 teilnehmenden Länder eine repräsentative Stichprobe der Bevölkerung befragt. In Deutschland waren dies 2000 Menschen, in Österreich 1000. Die Schweiz ist in der Befragung nicht erfasst. Insgesamt nahmen 30.000 Personen an der Umfrage teil.

Zu allen Themen wurde die Bereitschaft zur Veränderung des eigenen Verhaltens erkundet. (Zu den Fragen – etwa ob man bevorzugt lokale Lebensmittel einkaufe – gab es verschiedene, abgestufte Antwortmöglichkeiten. In der folgenden Auswertung wurde durchgängig die Antwortoption "Ja bzw. ich habe es vor" berücksichtigt):

Ernährung: In Deutschland kaufen 94 Prozent der Befragten lokale und saisonale Produkte bereits ein bzw. haben es vor – damit liegen sie im europäischen Schnitt (Österreich: 97 Prozent). Auf die Frage, ob sie dies konsequent täten, antworteten jedoch in Deutschland lediglich 26 Prozent mit "Ja", in Österreich immerhin 39 Prozent.

Konsum: 75 Prozent der Befragten in Deutschland boykottieren Unternehmen oder Marken bzw. haben es vor, die stark zur Erderhitzung beitragen – in Österreich sind es 77 Prozent (beides liegt ziemlich genau im EU-Schnitt).  45 Prozent der Befragten in Deutschland investieren in grüne Fonds bzw. haben es vor, in Österreich sind es 43 Prozent (EU-Durchschnitt: 52 Prozent).

Verkehr:  80 Prozent der Befragten in Deutschland und Österreich legen täglich Wege aus Klimaschutzgründen zu Fuß oder mit dem Rad zurück bzw. haben es vor (EU-Schnitt: 82 Prozent). Doch bei der Entscheidung zwischen Privatauto und Öffentlichem Nahverkehr liegen beide Länder unter dem Durchschnitt der gesamten Europäischen Union: Nur 62 Prozent der in Deutschland Befragten bevorzugen den öffentlichen Nahverkehr statt das Auto, in Österreich sind es 65 Prozent – europaweit 70 Prozent.

Grafik: EIB

Politik: 51 Prozent der Befragten in Deutschland und 43 Prozent in Österreich haben bereits für das Klima demonstriert oder sind bereit, es zu tun. Im europäischen Schnitt sind es 56 Prozent, Spitzenreiter hier ist übrigens Spanien mit 75 Prozent.

Auch weltweit sind die Menschen – nach eigener Auskunft – bereit, mehr für die Umwelt zu tun. Große Zustimmung erhält die Maßnahme, den Plastikverbrauch einzuschränken: 81 Prozent der Menschen in den USA, 93 Prozent in Europa und sogar 98 Prozent in China wollen der EIB-Umfrage privat weniger Plastikprodukte kaufen.

Kluft zwischen Wollen und Tun ist nicht automatisch Heuchelei

Bei zahlreichen Fragen (bzw. Antworten) zeigte sich aber auch, dass die bekundete Absicht zu klimaschonendem Verhalten weit entfernt liegt vom tatsächlichen Tun. Zum Beispiel erklärten 35 Prozent der befragten Deutschen, sie seien bereit, zu einem Ökostrom-Versorger zu wechseln – zusätzlich zu den 30 Prozent, die nach eigenen Angaben bereits gewechselt haben. In Österreich sind es 36 bzw. 32 Prozent. Ähnlich ist das Tendenz beim Reisen: In beiden Ländern geben 69 Prozent der Befragten an, für Reisen von fünf Stunden und weniger den Zug zu nehmen – zusätzliche zwölf Prozent beabsichtigen dies "bald" tun zu wollen.

Doch solche Diskrepanzen sind nach Ansicht von Expertinnen normal – und kein Indiz für Heuchelei. Laut Ellen Matthies, Professorin für Umweltpsychologie an der Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg, ist es geradezu erwartbar, dass Menschen ihre persönlichen Normen nicht perfekt umsetzen – denn beim konkreten Handeln gebe es vielfältige Barrieren, konkurrierende Motive, mangelnde Ressourcen oder blockierende Gewohnheiten.

Angelika Gellrich, Expertin zum Thema beim Umweltbundesamt (UBA), sagt dazu: "Das Auftreten von Bewusstseins-Verhaltens-Lücken ist ein Phänomen, das nicht nur im Umweltbereich, sondern auch in anderen Bereichen wie etwa der Gesundheit zu beobachten ist." Gellrich kennt das Phänomen auch aus anderen Umfragen, dass Aussagen etwa zur Nutzung von Ökostrom im Widerspruch stehen zu Marktdaten über die Zahl der tatsächlichen Ökostrom-Kunden in einem Land. Sie sagt: "Möglicherweise wollen die Befragten damit ausdrücken, dass sie eine grundsätzliche Präferenz für umweltfreundlichere Alternative haben."

Grafik: EIB

"Das Konzept von Heucheln unterstellt, dass es schlecht ist, mehr zu wollen als tatsächlich zu tun", sagt Matthies und fügt hinzu: "Unter einer funktionalen Perspektive ist es aber gut, denn psychisch gesunde Menschen nehmen sich mehr vor, als sie können." Dies sei ein Zeichen starker Ambition – und beim Thema Nachhaltige Entwicklung auch angemessen. Matthies verweist außerdem darauf: Menschen unterscheiden zwischen ihrem Realselbst, das sich im Alltagshandeln ausdrückt, und dem Idealselbst oder der persönlichen Norm, als dem, was basierend auf dem eigenen Wertesystem getan werden sollte. Dies sei aber kein Betrug, sondern eine Ressource für Veränderung.

Politik und Wirtschaft hinken der Veränderungsbereitschaft hinterher

Eine kürzlich vorgestellte internationale Studie zu "sozialen Kippelementen" wies darauf hin, wie wichtig die Änderungen von Normen und Werten sind, um gesellschaftliche Veränderungen hin zu mehr Klimaschutz zu bewirken. Auf solche Verschiebungen weisen die hohen Zustimmungswerten für Verhaltensänderungen in der EIB-Studie hin.

Doch sind diese (hypothetischen) Zustimmungswerte nicht schon seit Jahrzehnten hoch?

"Wenn ich mir die Umweltbewusstseinsstudien der Umweltbundesamts aus den 1990er Jahren ansehe, erkenne ich bereits eine hohe Bereitschaft, sich umweltbewusst zu verhalten", sagt Angelika Gellrich. Doch in den vergangenen Jahren sei diese zunehmend "zu einer gesellschaftlichen Norm geworden – man kann sie jetzt in sehr vielen Bereichen beobachten".

Gellrich hat sich auch die Umweltbewusstseinsstudien des Umweltbundesamts von 2016 und 2018 näher angesehen und kommt zu dem Schluss: "Die Lücke zwischen der Einsicht in die Notwendigkeit zu handeln und dem tatsächlichen Handeln ist zwischen 2016 und 2018 tendenziell etwas größer geworden – auch, weil sich strukturell zu wenig getan hat." Es gebe Defizite, die nicht von einzelnen Menschen beseitigt, sondern nur systematisch seitens Politik oder Wirtschaft angegangen werden können. "Wir hinken strukturell hinterher, was sich an der wachsenden Lücke abzeichnet."

Christiane Schulzki-Haddouti