Professor Gert G. Wagner ist Max-Planck-Fellow am MPI für Bildungsforschung, er war von 1989 bis 2011 Mitarbeiter und 2011 bis 2017 Vorstandsmitglied des DIW Berlin. Wagner ist Mitglied des Sachverständigenrats für Verbraucherfragen und Mitglied des Statistischen Beirats.

 

Was sagt uns der Befund, dass die Menschen in Deutschland sich laut der repräsentativen Erhebung des European Social Surveys (ESS) mehrheitlich – wenn auch nur knapp mit 53 Prozent – "viel" oder "sehr viel" über den Klimawandel nachdenken. Und es insgesamt eine relative Mehrheit gibt, die nach eigenen Angaben im ESS politische Maßnahmen gegen den Klimawandel für richtig hält.

Klimawandel ist laut ESS in Deutschland ein öffentlich bedeutsameres Thema als in anderen europäischen Ländern.  Dass es ihn gibt, bestreitet kaum jemand. Das heißt aber nicht, dass Klimawandel ein wirklich bedeutsames aktuelles politisches Thema wäre. Die ESS-Zahlen zeigen im Grunde nur, dass die Menschen in Deutschland das Thema Klimawandel nicht für Fake News halten. Eigentlich nicht bemerkenswert – aber angesichts der Entwicklung in den USA, wo "alternative Fakten" sich in den Vordergrund schieben, vielleicht doch?

Gegen andere, aktuell drängende Probleme hat es der Klimawandel schwer

Fragt man leicht anders, kommt man zu anderen Ergebnissen als der ESS und es zeigt sich auch, dass das Thema Klimawandel bzw. Umwelt in den letzten Jahren gewaltig an Bedeutung verloren hat. Bei der Frage, ob man sich Sorgen um die Umwelt macht, antworten beispielsweise in der großen Erhebung des Sozio-oekonomischen Panels (SOEP), für das aktuell ca. 30.000 Erwachsene befragt werden, weniger als 30 Prozent sich große Sorgen zu machen. Direkt nach der Wiedervereinigung Anfang der 90er Jahre waren es über 50 Prozent. Und das nicht nur in Ostdeutschland, wo die Umweltprobleme aufgrund der in der DDR praktizierten Ausbeutung der Natur massiv waren.

Was kann man aus der Struktur und Entwicklung der Umweltsorgen lernen? Auf jeden Fall, dass sie nicht in der ganzen Gesellschaft gleichermaßen verbreitet sind – und dass geäußerte Umweltsorgen extrem von anderen Sorgen, über die öffentlich berichtet wird (etwa Zuwanderung und Immigration), abhängen. Sorge um die Umwelt (und damit auch den Klimawandel) sind eine Art von Luxussorgen. Wenn Arbeitslosigkeit droht oder die Zeitungen von nach ihrer Einschätzung steigenden öffentlichen Armutsquoten berichten, wird es schwer für nicht jeden Tag unmittelbar spürbare Probleme wie den  Klimawandel, sich im öffentlichen Bewusstsein durchsetzen. Und Umwelt und Klima sind in Europa – von Ausnahmen wie Stürmen und Hochwasser – derzeit noch keine Probleme, die im Alltag wehtun.

Schockierende Worst-Case-Szenarien führen zu intuitiver Abwehr

Wenn man Klimawandel ins öffentliche Bewusstsein heben will, sodass das Thema handlungsrelevant wird, ist es wahrscheinlich auch sinnlos, dass man vor allem die Gefahren und Risiken stark hervorhebt – wie es Umweltaktivisten tendenziell tun. Heutzutage muss man klare Signale setzen, um sich öffentlich Gehör zu verschaffen. Aber schockierende Worst-Case-Szenarien, wie sie manche Umweltaktivisten an die Wand malen, können Gefühle der Ohnmacht wecken und zu intuitiver Abwehr führen, da Worst Cases als eine Art Fake News bewertet werden Die Mehrheit der Wähler glaubt Präsident Trump ja auch nicht. Er gewann nur wegen der Merkwürdigkeiten des US-amerikanischen Wahlsystems.

Was kann man für mehr und besseren Klimaschutz tun? Der ESS zeigt, dass in Europa und insbesondere in Deutschland der Klimawandel von einer knappen Mehrheit der Erwachsenen als aktuell relevantes Problem angesehen wird. Sozialstrukturelle Unterschiede sind eher gering. Insofern kommt es darauf an, überzeugende Argumente zu präsentieren, um noch mehr Menschen und Wählerinnen und Wählerinnen zu überzeugen, dass sie die Kosten, die mit der Bekämpfung des Klimawandels verbunden sind, hinzunehmen bereit sind. Die bereits jetzt unmittelbar spürbaren Kosten des Klimawandels – etwa Überschwemmungen – sollten immer wieder als solche benannt werden.

Unwetterversicherungen machen die Kosten des Klimawandels spürbar

Und die Einführung einer Versicherungspflicht gegen "Elementarschäden", die von Stürmen, Starkregen und Hochwasser verursacht werden, würden allen Immobilienbesitzern und auch Mietern, auf die die Vermieter die Versicherungsprämien abwälzen würden, Jahr für Jahr die Kosten des Klimawandels beispielhaft deutlich machen. Die Kosten für Ein- oder Zweifamilienhäuser wären nicht hoch (einige hundert Euro pro Jahr!), aber sichtbar und würden sicherlich immer wieder zu Diskussionen über Klimaschutz führen. Und Hausbesitzer wären zudem viel besser und vor allem verlässlicher gegen Schäden abgesichert als gegenwärtig. Man darf gespannt sein, ob die neue Bundesregierung in diese Richtung marschieren wird.

Das nächste Hochwasser wird bestimmt kommen. Eine Elementarschaden-Versicherungspflicht wird es nicht verhindern. Sie würde aber die Auswirkungen abmildern, da die verursachten Schäden besser reguliert würden als durch Ad-hoc-Hilfen. Was aber noch wichtiger wäre: durch die Versicherungsprämien würden die Menschen gewissermaßen jeden Tag im Portemonnaie spüren, dass der Klimawandel keine Fake News ist.

Foto: DIW Berlin