In Anthony Leiserowitz’ Büro unter dem Dach eines Backsteingebäudes in New Haven im US-Bundesstaat Connecticut passt gleich ein halbes Dutzend seiner Heimatländer. "Global Warming’s Six Americas" sind das vielleicht bekannteste Produkt seiner Arbeitsgruppe, des Program on Climate Change Communication an der renommierten Yale University (YCCC).

Das Team um den Umweltwissenschaftler hat in seinen regelmäßigen Umfragen über Wissen und Einstellungen zum Klimawandel in den USA sechs Untergruppen der Gesellschaft mit jeweils typischem Verhalten und politischen Meinungen ausgemacht: Die Yale-Forscher unterscheiden Amerikaner, die alarmiert, besorgt, vorsichtig-unentschlossen, unbeteiligt, zweifelnd oder ablehnend ("alarmed", "concerned", "cautious", "disengaged", "doubtful", "dismissive") auf Informationen über die globale Erwärmung und ihre Folgen reagieren. Die Methodik wurde übrigens bereits auf andere Länder übertragen, Züricher Forscher fanden etwa in Deutschland fünf ähnliche Gruppen.

Die ersten beiden dieser Gruppen, die sich am meisten engagieren, machten im November 2016 etwa 52 Prozent der US-Bürger aus. 28 Prozent in der Mitte haben noch wenig über die Frage nachgedacht. Rund 20 Prozent in den beiden Gruppen "doubtful" (zweifelnd) und "dismissive" (abweisend) lehnen Klimaschutzpolitik meist ab. Doch obwohl sie nur ein Fünftel der Gesellschaft ausmachen, bestimmen die Zweifler und Gegner die öffentliche Debatte. Vor allem tragen sie dazu bei, dass etwa 70 Prozent der Amerikaner praktisch nicht mit Freunden oder Familie über den Klimawandel sprechen – auch das ein Ergebnis der YCCC-Umfragen.

Das traditionelle Sender-Empfänger-Schema funktioniert in der Klima-Kommunikation nicht

Dieses Schweigen zu brechen, hat sich das Yale-Team mit seinen zwei Dutzend Mitgliedern zur Aufgabe gesetzt. Laut seiner Webseite sieht es seine Mission unter anderem darin, "das Verständnis der Öffentlichkeit von den Risiken und Chancen zu verbessern, die vom Klima ausgehen". Die dafür nötige Kommunikation, stellen die Wissenschaftler fest, dürfe sich aber nicht auf das überholte Prinzip von aktivem Sender und passiven Empfängern beschränken. Stattdessen müssten auch die Kommunikatoren etwas verstehen - nämlich dass ihr Publikum "eigene Überzeugungen, Standpunkte und Werte hat und die Botschaften aktiv interpretiert, ihre eigene Bedeutung daraus gewinnt und diese dann in den eigenen Netzwerken weiterverbreitet".

Der Umweltwissenschaftler Anthony Leiserowitz leitet das Yale Program on Climate Change Communication; Foto: YCCC

Die Worte fassen zusammen, was die Wissenschaft inzwischen an psychologischen Erkenntnissen darüber gesammelt hat, warum Menschen so zögerlich auf die Bedrohung durch die globale Erwärmung reagieren. Viele davon kamen schon vor mehr als einem Jahrzehnt während einer Konferenz zu Sprache, die die Yale School on Forestry and Environmental Sciences 2005 in Aspen (Colorado) organisierte. Sie behandelte die zentrale Frage, warum die Erkenntnisse der Wissenschaft über den Klimawandel so wenig Resonanz im Land fanden.

Mit dabei waren unter anderen Al Gore und der spätere Außenminister John Kerry, viele Psychologen, Theologen, Journalisten, Museumsleute, Umweltschützer und Unternehmer. Anthony Leiserowitz allerdings nicht; er wurde später an die Yale-Universität in New Haven berufen, um ein Programm basierend auf den Ideen der Tagung aufzubauen. Seine Gruppe wird heute unter anderem von der National Science Foundation und der US-Ozean- und Atmosphärenbehörde (Noaa) finanziert, erhält aber auch Geld von einigen Familienstiftungen wie der MacArthur-Foundation.

Nicht der Klimawandel erscheint als Bedrohung, sondern der Klimaschutz 

Das Yale-Team hat aus den Erkenntnissen der Sozialwissenschaften fünf Punkte destilliert und in einer Tabelle zusammengefasst: Der Klimawandel ist den Amerikanern zum Beispiel zu lange als räumlich und zeitlich weit entferntes Problem präsentiert worden. Die möglichen Lösungen erscheinen ihnen als Verlust von Lebensqualität. Und beim Rundblick in der eigenen Umgebung, bei Kollegen, Freunden und Verwandten stellen sie fest, dass auch sonst kaum jemand die Bedrohung sonderlich ernstnimmt und jedenfalls seinen Lebenstil nicht ändert. Übrigens ist dies ein Befund, der so ähnlich auch für die Öffentlichkeiten in anderen westlichen Industrieländern stimmen dürfte.

"Der Klimawandel ist ein Politikproblem aus der Hölle", kommentiert Tony Leiserowitz. "Selbst wenn man sich anstrengt, könnte man sich kaum eine Frage ausdenken, auf die das menschliche Gehirn und das politische System dieses Landes schwieriger eine Antwort finden könnte." Die üblichen Berichte über die globale Erwärmung lassen im Gegensatz zu Nachrichten über den internationalen Terrorismus eben bei vielen Menschen keine Alarmglocken schrillen. Und gleichzeitig gehören zu den besonders lauten Stimmen in den USA gerade diejenigen aus der ablehnenden Dismissive-Gruppe, die Berichte über den Klimawandel zum Beispiel als Verschwörung der Vereinten Nationen wahrnehmen, um Amerika seine Souveränität und Freiheit zu nehmen.

In kurzen Radiospots werden positive Vorbilder präsentiert

Doch Leiserowitz sagt das fröhlich. Denn seine Arbeitsgruppe hat einige gute Ansätze gefunden, Landsleute zu erreichen, die nicht ganz so radikal eingestellt sind. Aus den Erkenntnissen über die psychologischen Hindernisse lassen sich schließlich auch Strategien gewinnen, sie zu überwinden. So berichtet der von seiner Arbeitsgruppe bereitgestellte Service Yale Climate Connections mit einem täglichen kurzen Radiobeitrag über Teile des eigenen Landes, wo der Klimawandel schon zu spüren ist - und was dagegen getan wird. Die gefühlte Distanz wird so reduziert, Vorbilder bieten soziale Orientierung. Ein Spot stellt zum Beispiel einen Künstler vor, der Frauengesichter auf schmelzende Eisschollen malt. Ein anderer berichtet, Anhänger der demokratischen und republikanischen Partei würden in gleichem Maße Solarzellen auf ihren Häusern installieren.

Die repräsentativen Umfragen, die das Yale-Programm regelmäßig machen lässt, werten die Wissenschaftler bis auf die Ebene einzelner Landkreise aus. "Opinion Maps" heißt das Feature: Jeder Amerikaner kann hier erkennen, ob eine Mehrheit seiner direkten Nachbarn den Klimawandel als menschengemachtes Problem ansieht und zustimmt, dass das Treibhausgas Kohlendioxid als Luftschadstoff behandelt werden soll. In jedem einzelnen Staat, berichtete die Arbeitsgruppe kürzlich, finde sich eine Mehrheit von Bürgern, die am Pariser Klima-Abkommen festhalten will.

In interaktiven Grafiken lässt sich bis auf Landkreisebene hinab nachschauen, was die US-Bevölkerung über den Klimawandel denkt; Grafik: Screenshot YCCC

Und selbst unter Trump-Anhängern finde sich keine Mehrheit für dessen Idee, die Mitarbeit im internationalen Klimaschutz aufzukündigen. "Die Hälfte seiner Wähler ist dagegen, ein Viertel unentschlossen, nur ein Viertel dafür", sagt Ed Maibach von der George Mason University in Fairfax, einem Vorort von Washington DC. Er arbeitet mit dem Yale-Team bei vielen Projekten eng zusammen, unter anderem bei den Umfragen. Eine Mehrheit stimmt den Daten zufolge auch zu, dass der CO2-Ausstoß vom Staat reguliert oder besteuert werden sollte – ein Gedanke, der für das Weiße Haus und die Parteiführung der Republikaner wie Häresie klingt. "Wir können also den Anhängern des Präsidenten und der Regierungspartei, die etwas gegen den Klimawandel tun möchten, zeigen, dass sie gar keine Minderheit mit abweichenden Meinungen sind, die sie besser verschweigen sollten - sondern dass sie zur Mehrheit gehören!" Mit solchen Informationen versorgt das Team auch Fernsehsender von ABC bis CNN genauso wie Zeitungen von der New York Times bis zum britischen Guardian.

Kooperationspartner der Yale-Forscher sitzen zum Beispiel in China

Zu den internationalen Partner gehören neben Forschern von zwei englischen Universitäten und einem Wissenschaftler in Singapur auch das Zentrum für die Kommunikation des Klimawandels an der Renmin-Universität in Beijing. Von dort sei zuerst eine Doktorandin nach New Haven gekommen, dann ihre Doktormutter, Zheng Baowei, erzählt Leiserowitz. Seither kooperieren die beiden Universitäten. Der Yale-Forscher ist sichtlich beeindruckt vom Umgang der Chinesen mit dem Klimawandel. "Früher sah ihn das Land als Thema der Außenpolitik, aber inzwischen wissen sie, dass sie ihn internalisieren müssen. Und sie tun es mit solcher Macht, dass die Programme zum Ausbau erneuerbarer Energien in anderen Ländern lächerlich klein wirken."

Sein eigenes Land muss im Vergleich noch viel lernen. Als besonders hilfreich für ihre Landsleute haben die Experten um Leiserowitz die Botschaft erkannt, dass unter Klimaforschern ein überwältigender Konsens herrscht: 97 Prozent von ihnen stimmen zu, dass die globale Erwärmung ein gefährliches Problem und von der Menschheit verursacht worden ist. Diese - von vielen Konservativen bestrittene Tatsache - ist nach Erkenntnissen der Yale-Forscher ein "Gateway-Belief": Wisse das Publikum um den Konsens, öffne dies das Tor zu einem größeren Verständnis des Klimawandels und zu mehr Unterstützung für Klimaschutz-Maßnahmen.

Über die vergangenen 15 Jahre habe es deutliche Fortschritte in seinem Land gegeben, sagt Leiserowitz. "Die Klimadebatte wird inzwischen in jedem Bereich der Gesellschaft geführt. Viele neue Stimmen melden sich zu Wort: Generäle und Admiräle, Vorstandsvorsitzende und Firmeninhaber, Ärzte und Krankenschwestern, Bundesstaaten und einzelne Gemeinden." Dennoch sei noch viel zu tun. "Der Klimawandel ist für die Amerikaner eine Umwelt- oder Wissenschaftsfrage. Sie existiert in einer staubigen Ecke auf dem Dachboden. Aber sie beeinflusst nicht die Identität, hat nichts mit Moral, Gerechtigkeit oder Religion zu tun." Darum schwärmt der Yale-Forscher geradezu für Papst Franziskus, der mit seiner Enzyklika „Laudato Si“ und seinem Besuch der USA im Herbst 2015 der Klimadiskussion - gerade beim konservativen Publikum - einen großen Schub gegeben habe.

Leiserowitz setzt auf kleine Schritte statt auf große Befreiungsschläge

Unter Präsident Trump aber sieht der Yale-Forscher höchstens langsamen Fortschritt voraus. Seine Kristallkugel sei vernebelt, witzelt er. Doch ewig könne die Gesellschaft unmöglich die Fakten ignorieren, ist er überzeugt - und greift zu einer der in den USA beliebten Baseball-Metaphern: "Nature bats last." Sinngemäß: Die Natur ist der letzte Schlagmann. "Dem Klimawandel ist es egal, ob jemand Demokrat oder Republikaner ist, und eine Überflutung zerstört die Lebensgrundlage von Liberalen wie Konservativen."

Und wolle seine Arbeitsgruppe (wie alle Klimaschutz-Befürworter) vorankommen, so Leiserowitz, müsse dies durch "Singles" geschehen statt durch "Home Runs". Eine weitere Baseball-Metapher: "Single" nennt man es, wenn ein Spieler ein Feld vorankommt; bei einem "Home Run" schlägt er den Ball mit großem Schwung aus dem Stadion, um in einem Lauf um das gesamte Spielfeld ins Ziel zu traben. Übertragen heißt das: kleine Schritte statt großer Befreiungsschläge.

Christopher Schrader