Wie die mehr als 20.000 Teilnehmerinnen und Teilnehmer der 23. UN-Klimakonferenz (COP23) das Bonner Herbstwetter empfinden, ist unbekannt. Den einen mag es unangenehm kalt erscheinen, anderen ziemlich mild, wieder anderen erfreulich feucht. Klar ist allerdings: Keiner von ihnen kann sich dem Wetter entziehen. Jeder spürt es am eigenen Leibe. Und niemand kann sagen: "Is' mir egal!"

Völlig anders verhält es sich mit dem Klima. Als durchschnittliches Wetter über einen Zeitraum von mindestens 30 Jahren entzieht es sich der unmittelbaren Wahrnehmung. Mehr noch, die statistische Messgröße "Klima" verleitet Menschen zu falschen Erinnerungen an früheres Wetter. Und fast mit Händen zu greifen ist die Abstraktheit des Klimathemas, wenn sich Zehntausende Menschen zu Verhandlungen versammeln, die selbst in stark vereinfachter grafischer Darstellung noch wie der Inbegriff eines Wimmelbildes wirken.

Nur wenige Schritte vom Tagungsort der COP23 sind es zur Bonner Bundeskunsthalle, wo noch bis 4. März die Ausstellung "Wetterbericht" zu sehen ist; Foto: Carel Mohn

Angesichts dessen erscheint "Wetterbericht" gut gewählt als Titel der Ausstellung, die seit Anfang Oktober in der Bonner Bundeskunsthalle und damit nur wenige Schritte von der COP23 zu sehen ist. Denn das Wetter als universales Phänomen hat den Menschen Zeit seiner Geschichte begleitet, hat Politik, Kultur- und Wissenschaftsgeschichte beeinflusst. Und so wie der Wetterbericht ein Anlass sein kann, um überhaupt über das sperrige Thema Klimawandel ins Gespräch zu kommen, öffnet auch die Bonner Ausstellung einen neuen Zugang zum Unfassbaren des Klimawandels.

Sie tut das, in dem sie gleich drei Erzählsträngen folgt: Der elementarste ist der Tageslauf der Sonne. Die Ausstellung begleitet ihn von der Stille der Morgendämmerung bis zum Hereinbrechen der Nacht durch einen meteorologisch überaus ereignisreichen Tag: Die jeweils mit Tageszeiten verknüpften Wetterzutaten Regen, Sonne, Wind, Nebel, Gewitter und Eis dienen sozusagen als Kapitelstruktur auf dem Weg durch die Ausstellungsräume der Bundeskunsthalle. Bildende Kunst und Wissenschaft stehen dort direkt nebeneinander: wissenschaftlichen Apparaturen zur Niederschlagsmessung zum Beispiel neben künstlerische Darstellungen von Regen oder Alltagsgegenständen wie den ersten wasserdichten Schuhen aus Gummi.

Erste Vorboten des Klimawandels auf den Gemälden William Turners

Dass Kunst, Wissenschaft und Realgeschichte dabei nicht nur parallel nebeneinander verlaufen, dass das Wetter-, und im 21. Jahrhundert auch das Klimageschehen, nicht nur Stichwortgeber der Kunst werden, zeigt besonders eindrücklich das Beispiel William Turner. Wenige andere Maler der europäischen Kulturgeschichte stehen so sehr wie der Brite Turner für beeindruckende Himmels- und Wolkenlandschaften, für die dramatische Wucht von Wind und Wasser und Sonne.

Dass Turner diese Wucht "sehen" und in künstlerische Form bringen konnte, mag indes nicht nur mit dem Talent und der Kreativität des Malers zu tun haben. Zu besichtigen sind in seinem Werk in gemalter Form eben auch erste Vorboten des Klimawandels. Turner, der insbesondere die Sonne über stürmisch bewegtem Wasser immer wieder dramatisch in Szene setzte, lebte im England der industriellen Revolution. Die kohlegetriebene Industrialisierung führte dort auch zu einer starken Luftverschmutzung und zur Anreicherung von Aerosolen in der Luft, kleinsten Ruß- und Staubpartikeln. Trifft die schräg stehende Sonne nun auf eine mit Aerosolen angereicherte Luft, führt dies wiederum zu einer besonders farbenprächtigen Brechung des Lichts – die Folge sind pittoreske Sonnenauf- und Untergänge. Mag es derartig spektakuläre Dämmerungen auch schon vorher gegeben haben: Bei Turner sehen wir sie mit anderen Augen. Und mit dem wissenschaftlichen Wissen unseres Jahrhunderts über den Zusammenhang von Luftverschmutzung und Treibhausgasen erscheinen sie wiederum in einem anderen Licht.

Das "Sunrise Bike" des isländischen Konzeptkünstlers Ólafur Elíasson; Foto: Carel Mohn

Der im wahrsten Sinne erhellende Ansatz, das Ineinandergreifen von künstlerischer und wissenschaftlicher Auseinandersetzung mit Wetter und Klima offenzulegen und sichtbar zu machen, gelingt der Ausstellung gleich an mehreren Stellen. Zu nennen ist da das "Sunrise Bike" des isländischen Konzeptkünstlers Ólafur Elíasson, ein wie zufällig an die Wand gelehntes und zugleich als Kultobjekt inszeniertes Rennrad. Als CO2-neutrales Verkehrsmittel verweist es auf die Potenziale des Klimaschutzes ebenso wie es rückverweist auf seine eigene, möglicherweise  meteorologisch bedingte Erfindung. Geschah die Erfindung des Fahrrads als "Laufmaschine" durch Karl von Drais doch ein Jahr nach jenem "Jahr ohne Sommer" 1816, in dem es – ausgelöst durch eine weltweite Verdunkelung der Sonne nach dem gewaltigen Ausbruch des indonesischen Vulkans Tambora – zu Hungersnöten und einer Verknappung des Getreides in Europa gekommen war. Der Getreidemangel wiederum übersetzte sich in einen Mangel von Futtergetreide für Pferde, was wiederum zu einer Verteuerung der Transportpreise führte: ein guter Grund also, ein Fahrrad zu erfinden.

Vielleicht am anschaulichsten gelingt der Bonner Ausstellung die narrative Verschränkung der meteorologisch-wissenschaftlichen und der künstlerischen Sphäre beim wenig greifbaren Thema Wolken. Rembrandt und Ruysdael, Constable und Spitzweg, Courbet, der Dramatiker August Strindberg, Otto Moderssohn oder Gerhard Richter – sie alle sind in der Bundeskunsthalle zu sehen, sie alle haben sich als Maler intensiv mit Wolken auseinandergesetzt.

Wenn sächsische Minister Wissenschaft und Kunst zum Klimawandel verschmelzen

Am intensivsten tat dies wohl Luke Howard, dessen originale Skizzen zur Wolkenklassifikation aus dem frühen 19. Jahrhundert ausgestellt sind. Seine Einteilung der Wolken in Cumulus-, Cirrus- und Stratus-Wolken hat bis heute Bestand, ist Grundlage des Wolkenatlas der Weltmeteorologieorganisation WMO. Und sie beeinflusste wiederum, wie Maler wie Turner und Constable Wolken zu sehen und darzustellen vermochten. Angetan von Howards Wolkensystematik war auch ein sächsischer, unter anderem für den Bergbau zuständiger Minister namens Johann Wolfgang von Goethe, der dem Londoner Wolkenkundler (und Begründer der Stadtklimatologie) ein Gedicht mit dem Titel "Howards Ehrengedächtnis" widmete.

Es mag schwerfallen, sich heutige, für Bergbau zuständige Minister in einer Auseinandersetzung mit Wetter- und Klimaphänomen vorzustellen, die künstlerische und wissenschaftliche Lesarten des Themas zusammenbringt. Der Ausstellung "Wetterbericht" kommt der Verdienst zu, diese Verschränkungen und wechselseitigen Befruchtungen auf geradezu leichtfüßige Weise sichtbar und nachvollziehbar zu machen. Und sie zeigt, dass Klimawandelkunst keine kommunikative Sahne ist, die man zwecks gefälliger Dekorierung auf das wenig schmackhafte Klimathema oder eine spröde Veranstaltung wie die COP23 sprühen muss. Dazu, das ist in Bonn eindrucksvoll zu sehen, kennen sich Kunst und Klimawandel schon viel zu lange.

Die Ausstellung läuft bis zum 4. März 2018.

Carel Mohn