Seit rund einem Jahr versucht die US-amerikanische Initiative "Pro-Truth Pledge", mit einer Kombination aus Verhaltensforschung und Bürgerengagement gegen die Verbreitung von Falschinformationen und rüder Kommunikation zu kämpfen. Jede und jeder Einzelne, aber auch Prominente, Politiker, Institutionen etc. sind dazu aufgerufen, sich zu zwölf Regeln zu bekennen, die laut Erkenntnissen der Verhaltensforschung mit Wahrhaftigkeit korrelieren. Professor Gleb Tsipursky von der Ohio State University hat das Projekt gemeinsam mit weiteren Verhaltensforschern angeregt, um Menschen zu ermutigen, entsprechende Verhaltensweisen zu pflegen.

Kern der Initiative ist ein Gelöbnis (engl. "pledge"), mit dem man sich in aller Öffentlichkeit zu ehrlichem Verhalten verpflichtet. Die zwölf Einzelregeln gruppieren sich um drei Hauptideen: Es geht darum, erstens das eigene Verhalten zu beobachten und zu steuern, zweitens die Wahrheit wertzuschätzen sowie drittens andere zu wahrhaftigem Verhalten zu ermutigen:

1. Wahrheit teilen

Konkret bedeutet dies für alle Unterzeichner, dass sie vor der Weiterverbreitung von Nachrichten deren Wahrheitsgehalt überprüfen. Sie verpflichten sich ausdrücklich, stets "die ganze Wahrheit" zu verbreiten, also auch Aspekte einer Information zu erwähnen, die nicht die eigene Meinung stützen. Dabei muss zwischen Meinung und Tatsachen unterschieden werden. Und Quellen müssen genannt werden, damit andere eine Informationen überprüfen können.

2. Wahrheit ehren

Unterzeichner des Gelöbnisses verpflichten sich weiterhin, Personen Anerkennung zu geben, die wahre Informationen verbreiten - auch wenn man selbst anderer Meinung sein sollte als sie. Die Unterzeichner sichern zu, eigene Informationen zu überprüfen, falls sie von anderen Menschen in Frage gestellt werden - und sie zurückziehen, falls sie sich nicht verifizieren lassen. Wird jemand allein für die Verbreitung wahrer Informationen angegriffen, verpflichten sich die Unterzeichner, ihm beizustehen (egal ob man selbst anderer Meinung ist). Im Grunde geht es also darum, die eigene Meinung und die eigenen Handlungen nach wahren Informationen auszurichten.

3. Zur Wahrheit ermutigen

Nicht zuletzt verpflichten sich Unterzeichner des Gelöbnisses, andere zum Zurückziehen falscher Informationen aufzufordern, selbst wenn es sich dabei um (politische) Verbündete handelt. Überdies sollte das eigene Umfeld "leidenschaftlich" davon abgehalten werden, unzuverlässige Quellen zu verwenden - selbst wenn diese Quellen die eigene Meinung stützen. Unterzeichner sichern zu, bei strittigen Themen eher auf ausgewiesene Experten zu hören als auf beliebige andere Leute (wie zum Beispiel Bekannte oder Gleichgesinnte). Schließlich sollten Leute, die falsche Stellungnahmen zurücknehmen und ihre Überzeugungen auf den Stand des wahren Sachverhalts bringen, "gefeiert" werden.

Zu jeder einzelnen empfohlenen Verhaltensweise liefert die Initiative auf ihrer Webseite umfangreiche Tipps und weist auf eine Fülle weiterführender Informationen hin. Gleb Tsipursky setzt darauf, dass immer mehr Personen des öffentlichen Lebens aus Reputationsgründen das Gelöbnis ablegen werden, je mehr Privatpersonen hinter dem Projekt stehen. Sie würden, so die Hoffnung, ihre Glaubwürdigkeit erhöhen, wenn sie sich auf ihrer Website mit dem Gelöbnis-Logo öffentlich dazu bekennen und damit für eventuelle Verstöße auch zur Verantwortung gezogen werden können.

Die Initiatoren wollen einen "Tugendkreis" in Gang setzen

Tipursky und seine Mitstreiter hoffen, mit dem Projekt das Gegenteil eines Teufelskreises in Gang zu setzen: einen "Tugendkreis". Nach gut einem Jahr zählt die Initiative knapp 9.000 Unterzeichnerinnen und Unterzeichner, darunter etwa 900 Personen des öffentlichen Lebens. Mehr als 600 Behördenmitarbeiter und 86 Organisationen haben den Eid abgelegt. Darunter befinden sich bisher jedoch nur wenige Medien, etwa die alternative Nachrichtenseite "Media with Conscience" oder die Lokalmagazine "This is Reno" und "Columbus Free Press". Mit dabei sind aber zahlreiche US-amerikanische Intellektuelle wie etwa Psychologieprofessor Steven Pinker, der Philosoph Peter Singer und Michael Shermer, Herausgeber des Skeptic Magazine. Auch das George Mason University Center for Climate Change Communication hat das Gelöbnis abgelegt und seine Gründe ausführlich dargelegt.

Zu den bisher wenigen Unterzeichnerinnen und Unterzeichnern aus Deutschland gehört Bärbel Winkler, ehrenamtliche Mitarbeiterin des Webportals SkepticalScience.com (einer Partnerseite von klimafakten.de). Sie sagt: "Fakten und Wahrheit sind wichtig, deshalb habe mich zu dem Gelöbnis entschlossen." Bisher kommen die allermeisten Personen, die den Eid abgelegt haben, aus den USA, nur wenige aus Europa.

In welchen europäischen Ländern besonderer Bedarf für das Bekenntnis zur Wahrhaftigkeit gesehen wird, lassen die Übersetzungen vermuten: Eine polnische Übersetzung wurde vor wenigen Tagen veröffentlicht, eine deutsche oder auch eine ungarische bereits vor knapp einem Jahr.

Für europäische Ohren klingt die Begrifflichkeit oft sonderbar

Christian Schicha, Professor für Medienethik an der Friedrich-Alexander Universität Erlangen-Nürnberg, kennt die Pro-Truth-Initiative nicht genauer, sagt mit Blick auf die Zunahme sogenannter Fake News, er könne ihre Ziele "komplett befürworten". Dass die Initiative in Europa bislang wenig bekannt ist, führt Schicha darauf zurück, dass sie mit Begrifflichkeiten operiert, die hier kulturell einen etwas anderen Klang haben. "Die Wahrheit 'zu ehren' ist ausgesprochen schwierig, weil es sich um einen abstrakten normativen Begriff handelt", meint er. "Man kann sich jedoch für die Wahrheit 'einsetzen‘." Journalisten und Medien zum Beispiel könnten dies tun, indem sie etwa gründliche Recherche unterstützen, Informationen auf zwei Quellen stützen oder Gründlichkeit wichtiger nehmen als Schnelligkeit.

Statt des Begriffs der Wahrheit würde Christian Schicha eher den Begriff der Wahrhaftigkeit verwenden - denn dieser beinhalte, dass man glaubt, was man sagt und dass man sich entsprechend seiner Fähigkeiten mit etwas auseinandergesetzt hat. Aber auch der Gelöbnis-Begriff stößt bei Schicha auf Vorbehalte, sie werden üblicherweise für Treuebekenntnisse gegenüber religiösen und staatlichen Autoritäten genutzt. Möglicherweise, meint er, müsste das Projekt seine Begrifflichkeiten für Europa modifizieren, um auch hier breiter akzeptiert zu werden - aber sicherlich nicht seine Grundidee.

Wer den Eid ablegt, ist danach offenbar tatsächlich wahrhaftiger

Mit-Initiator Gleb Tsipursky verbindet mit dem Projekt den wissenschaftlichen Ehrgeiz, auch die Wirkung nachweisen zu können. Knapp ein Jahr nach Gründung kann er auf zwei Studien verweisen, die unter seiner Ägide durchgeführt wurden. (Weitere unabhängige Studien zur Wirksamkeit des Pro-Truth Pledge gibt es bislang nicht.) Die erste Untersuchung ergab, dass Privatpersonen sich nach Ablage des Eides auf Social-Media-Plattformen wie Facebook ihrer eigenen Einschätzung zufolge "wahrheitsgemäßer" äußern. Auf einer Skala von 1 bis 5 verbesserte sich der Wahrheitsgehalt signifikant um etwa einen Punkt. Die zweite Studie beobachtete das tatsächliche Verhalten der Leute auf ihren eigenen Profilen und kam zu einem ähnlichen Ergebnis.Tsipursky: "Wir können daher annehmen, dass die Leute sich ebenso [in persönlichen Gesprächen] bei Freunden und in Gruppen wahrheitsgetreuer verhalten, auch wenn wir über keinen machbaren Weg verfügen, dies zu beobachten."

Als weiteren Hinweis auf die Wirksamkeit des Gelöbnisses sieht der Verhaltenswissenschaftler den Umstand, dass einige Politiker nach Ablegen des Eides von einzelnen Medien angegriffen wurden. Offenbar löse der Eid Widerstand bei jenen aus, die "die Wahrheit nicht wollen". Der Kritik kann er jedenfalls etwas Positives abgewinnen: Allein durch die Debatte über das Gelöbnis würden der öffentliche Diskurs sowie die daraus resultierenden politische Entscheidungen beeinflusst.

Hinweis: In einer früheren Version dieses Textes war in der Überschrift von "Fake News" die Rede. Wir vermeiden diesen Begriff, weil er unpräzise ist und häufig verwendet wird, um eine bewusste Verbreitung falscher Nachrichten durch Medien und Journalisten zu suggerieren.

Christiane Schulzki Haddouti