Im September 2019 mobilisierte die #FridaysForFuture-Bewegung rund 6000 Demonstrationen in 185 Ländern und brachte schätzungsweise 7,6 Millionen Menschen auf die Straße. Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler vom Berliner Institut für Protest- und Bewegungsforschung analysierten gemeinsam mit internationalen Kollegen die Teilnehmenden in 19 Städten (in Deutschland dabei: Berlin, Bremen und Chemnitz). Insgesamt wurden 2.271 Personen direkt befragt, weitere 3.155 über eine Online-Umfrage erreicht. Diese Ergebnisse verglichen die Forscher mit denen einer internationalen Umfrage, die im März 2019 in 13 europäischen Städten durchgeführt worden war.

Wegen der Corona-Pandemie ist die Zeit der großen Klimademonstrationen vorerst vorbei - doch wer war da eigentlich auf die Straße gegangen? Und was bleibt von dem Protest? Foto: Carel Mohn

Die Studie "Protest for a future II" umfasst aggregierte Ergebnisse über die Soziodemographie der Bewegung. Außerdem thematisiert sie die Art und Weise, wie die Bewegung kommuniziert und mobilisiert. Schließlich geht sie den Emotionen und Ansichten nach, die von den Demonstrierenden geteilt werden. Die Ergebnisse wurden zudem nach Ländern aufgeschlüsselt, darunter auch für Deutschland und Österreich (jedoch nicht bei allen Fragen, weshalb im folgenden Text an einigen Stellen nur deutsche Zahlen genannt werden können).

Wer mobilisiert? Und was motiviert?

Viele der Befragten waren am 15. März 2019 zum ersten Mal demonstrieren gegangen. Dieser Tag war von den #FridaysForFuture-Organisatoren als der erste globale Protesttag der Bewegung ausgerufen worden. Damals waren weltweit 220 Protestzüge angekündigt. Obgleich im September ausdrücklich auch ältere Menschen zur Teilnahme an den Protesten aufgerufen waren, war im Herbst ein Drittel der Teilnehmer 19 Jahre alt und jünger. Die meisten jungen Demonstrierenden wurden von Freunden und Schulkameraden mobilisiert.

Die Befragten gaben an, dass Online-Netzwerke wie Twitter, Facebook oder Instagram für sie die wichtigste Informationsquelle zum globalen Klimastreik darstellten. Während dies im März für 33 Prozent der Befragten der Fall war, gaben dies im September bereits 41 Prozent an. 45 Prozent der Jugendlichen (25 Jahre und jünger) und 39 Prozent der Erwachsenen erfuhren von den Demonstrationen auf diesem Wege, 44 Prozent der Jugendlichen sowie 33 Prozent der Erwachsenen hingegen über persönliche Kontakte. Tageszeitungen, Magazine, Anzeigen, Radio oder Fernsehen spielten lediglich für 28 Prozent der Erwachsenen und elf Prozent der Jugendlichen eine Rolle.

Soziale Medien waren für Jugendliche wie Erwachsene beim globalen Klimastreik im September 2019 die mit Abstand wichtigste Informationsquelle.

Frauen geben in der Bewegung nicht nur den Ton an, mit 58 Prozent stellen sie weltweit auch die Mehrheit der Teilnehmenden. Greta Thunberg wirke hier als Vorbild, so die Wissenschaftler, indem sie "vor allem auf Mädchen und junge Frauen inspirierend und motivierend" wirke. Nur in Deutschland (47 Prozent) und in Belgien (46 Prozent) nahmen im September 2019 weniger Frauen als Männer teil. In Österreich hingegen beteiligten sich im Mai, als sich Greta Thunberg persönlich der Demonstration in Wien anschloss, 62 Prozent Mädchen und Frauen. Im September waren es dann 52 Prozent. Dabei war der Anteil der Frauen vor allem bei Jugendlichen wie auch bei Frauen über 65 Jahre besonders hoch.

"Greta-Effekt" wird schwächer

Den größten "Greta-Effekt" konnten die Wissenschaftler in Schweden feststellen: Mehr als die Hälfte der Teilnehmenden verwies auf die Schülerin als Vorbild ihres Engagements - weltweit waren es im Schnitt 40 Prozent der Jugendlichen. Bei den Erwachsenen war der Effekt etwas schwächer. Im Vergleich zum März schwächte sich der "Greta-Effekt" dann im September 2019 in allen Ländern deutlich ab; lediglich Schweden bildete hierbei eine Ausnahme.

Am globalen Klimastreik im September 2019 nahmen zwar mehr Menschen teil, aber weniger zeigten sich vom Vorbild Greta Thunbergs "ziemlich" oder "sehr" inspiriert.

55 Prozent der Befragten sind davon überzeugt, dass die Bewegung etwas verändern kann. Die meisten zeigten sich besorgt, frustriert und verärgert – hoffnungslos hingegen äußerte sich kaum jemand.  Dabei ist das Vertrauen in klassische Akteure sehr gering: Die meisten Befragten glauben nicht, dass die Lösungen für die Klimakrise zum Beispiel von Unternehmen oder dem Markt kommen werden, nur ein Prozent der Befragten in Deutschland antwortete mit "Ja" (in Österreich: sechs Prozent der Jugendlichen, ein Prozent der Erwachsenen). Auch der Politik trauen nur wenige Befragte etwas zu. In Deutschland äußerte sich ebenfalls nur ein Prozent der Befragten zuversichtlich, dass die (Bundes-)Regierung zur Lösung von Umweltproblemen beitragen könne (Österreich: vier Prozent der Jugendlichen, ein Prozent der Erwachsenen). Ungleich größer ist das Vertrauen in die Wissenschaft (Deutschland: 80 Prozent der Jugendlichen und 81 Prozent der Erwachsenen, Österreich: Jugendliche 61 Prozent, Erwachsene 66 Prozent).

Großes Vertrauen in die Wissenschaft

53 Prozent der Jugendlichen und 32 Prozent der Erwachsenen in Deutschland zeigten sich überzeugt, dass eine freiwillige Änderung des individuellen Lebensstils ein entscheidender Lösungsfaktor sein könnte. Obwohl die Teilnehmer der Regierung stark misstrauen und auf eine Änderung des Lebenswandels setzen, priorisieren sie einen Kurswechsel auf politischer Ebene: So stimmten in Deutschland 69 Prozent der Jugendlichen und 78 Prozent der Erwachsenen folgender Aussage zu: „Die Regierung muss ihr Handeln an den Aussagen der Klimawissenschaftler ausrichten, auch wenn die Mehrheit der Bevölkerung dagegen ist“ (Österreich: 70 Prozent der Jugendlichen bzw. 77 Prozent der Erwachsenen).

Die meisten Teilnehmer sprechen sich für ein Primat der Wissenschaft aus, auch wenn deren Handlungsempfehlungen nicht die Zustimmung der Bevölkerungsmehrheit finden.

Die meisten Befragten in Deutschland würden es auch hinnehmen, wenn Klimaschutz gewisse Einbußen beim Wirtschaftswachstum und sogar Arbeitsplatzverluste bedeuten würde. Die Zustimmung dafür wuchs im Laufe des Jahres 2019 noch an, besonders bei Erwachsenen: Während im März 97 Prozent der Erwachsenen und 88 Prozent der Jugendlichen dieser Ansicht waren, waren es im September sogar 96 Prozent der Erwachsenen und Jugendlichen.

Wer protestiert?

Weltweit hatten die 70 Prozent der September-Demonstrierenden einen Universitätsabschluss. Die meisten jungen Teilnehmer hatten zudem auch Eltern, die über eine universitäre Ausbildung verfügten. Das Bildungsniveau der Befragten ist in Deutschland hoch: Im März wiesen 63 Prozent, im September sogar 71 Prozent eine universitäre Ausbildung auf. 84 Prozent der befragten Erwachsenen in Berlin hatten einen Universitätsabschluss – unter den Befragten in Chemnitz waren es 60 Prozent. In Österreich gaben 59 Prozent der Befragten in Wien an, über einen universitären Abschluss zu verfügen. Zum Vergleich: Unter den Erwerbstätigen in Deutschland liegt der Anteil der Akademiker nach Zahlen des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) nur bei rund 21 Prozent.

In Deutschland gehörten im März rund acht Prozent der Teilnehmenden einer Partei an, im September waren es 14 Prozent. Der Anteil derjenigen, die einem Umweltverband zugehören, schwankte je nach Stadt und Alter stark zwischen neun und 39 Prozent. Im Schnitt ordneten sich 35 Prozent der Teilnehmer einer NGO außerhalb des Umweltbereichs zu.

Mobilisierung in Österreich "außergewöhnlich"

Die Zusammensetzung und Struktur der Protestierenden sahen in Österreich ähnlich aus. Die Forscher betonen aber besonders, dass die Mobilisierung der #FridaysForFuture-Bewegung in Österreich über das Jahr 2019 hinweg „außergewöhnlich“ sei, da zivilgesellschaftliche Gruppierungen dort in der Regel in enger Beziehung zur Regierung stünden und Demonstrationen daher in dem Land eher selten seien. Die hohe Mobilisierung habe auch mit dem politischen Umfeld zu tun, da zwei Tage nach dem globalen Klimastreik im September die nationale Parlamentswahlen stattfanden.

Christiane Schulzki-Haddouti