Wissenschaft und Journalismus sind normalerweise zwei unterschiedliche Paar Schuhe. Dass es auch anders geht, macht das US-amerikanische Projekt Climate Central vor. Die Website ist weder ein klassisches Online-Magazin, noch eine Fachzeitschrift oder eine NGO. Die Macher des Portals haben sich genau zwischen den eingesessenen Stühlen platziert. Sie haben einen Wissenschaftsjournalismus für alle entwickelt, der selbst aktiv ist und weit über klassische Magazinformate hinausgeht.

Der innovative Ansatz von Climate Central (CC) zeigt sich schon am Personal: In der Redaktion arbeiten ehemalige Journalistinnen und Journalisten großer Medienhäuser eng mit renommierten Klimaforscherinnen und -forschern zusammen. Gemeinsam entscheiden sie, welche Nachrichten über Wetterereignisse, Klimafolgen oder Energiepolitik sie auf ihrer Internetseite zum Thema machen – ein Miteinander, kein Nebeneinander. Ein Pool von Wissenschaftlern aus der ganzen Welt hilft, die wichtigsten Neuigkeiten aus der Forschung nicht zu verpassen. Vorteile davon haben alle: Die Wissenschaftler profitieren vom Zugang zur Öffentlichkeit, die Journalisten vom Zugang zu Daten und Forschungsergebnissen. Und das Publikum bekommt eine wirklich fundierte Berichterstattung.

Das US-amerikanische Projekt Climate Central ist eine innovative Mischung aus Journalismus und Wissenschaft; Screenshot: Climate Central

Aber das Portal veröffentlicht nicht nur Artikel, sondern versteht sich auch als eigenständiger Akteur, fast im Stil einer NGO. So erklärt der französische Klimaforscher Robert Vautard auf Climate Central, welche direkte Verbindung es zwischen Überschwemmungen in Frankreich und dem Klimawandel gibt – und das Projekt gibt dazu eine Pressemitteilung heraus. Seine Berechnungen sind ein spezieller Service von Climate Central – initiiert im Jahr 2014 unter dem Titel "World Weather Attribution" von der Leiterin des CC-Forscherteams, Heidi Cullen

Climate Central will Aussagen zu Wetterextremen so aktuell wie möglich treffen

Zusammen mit Wetter-und Klimainstituten sowie Universitäten, darunter die University of Oxford und das Meteorologische Institut der Niederlande, versuchen Wetter- und Klimaexperten bei der "World Weather Attribution" anhand von Klimamodellen zu simulieren, wie stark bzw. wie wahrscheinlich aktuelle Überschwemmungen, Dürren oder Wirbelstürme mit dem Klimawandel zusammenhängen  - also ob es diese Ereignisse in dieser Form auch ohne die globale Erwärmung gegeben hätte. Das Ziel dabei: Möglichst schon während Extremwetterereignissen oder sehr kurz danach der Öffentlichkeit fundierte Informationen darüber zu liefern, wieviel das jeweilige Ereignis mit dem Klimawandel zu tun hat – und nicht, wie bisher, erst Monate oder Jahre später in kaum gelesenen Aufsätzen in Fachjournalen.

Im Falle der jüngsten Überschwemmungen in Frankreich sprachen viele französische Medienvertreter noch vorsichtig von einem "eventuellen Zusammenhang", während CC-Autor Vautard aktuelle Kalkulationen von Klimamodellen auswerten konnte, die auf eine 40-prozentig höhere Wahrscheinlichkeit von Starkregen bei höheren Durchschnittstemperaturen hinweisen. Unter dem Pressetext gab es dann zudem eine Liste von Ansprechpartnern – ein Service für Redaktionen, die schnell auf brisante Ereignisse reagieren müssen.

Mit Extremwetterereignissen den Klimawandel "vor die Haustür" bringen

Derzeit wird Climate Central von neun Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern beraten, deren wichtigster Kopf Heidi Cullen ist, Klimaforscherin und ehemalige Moderatorin des US-amerikanischen Weather Channel. Extremwetterereignisse haben sie und ihr Team als Schlüsselthema identifiziert. „Die Erforschung von Extremwetter bringt den Klimawandel direkt vor unsere Haustür“, erklärt Cullen in ihrer Kolumne in der New York Times. Dass ein veränderndes Klima direkte Folgen für den Alltag vieler Menschen hat, müsse kommuniziert werden – denn nur so könne man auf lange Sicht Leben retten, wenn es um den Schutz und die Prävention vor Extremwettern geht, warnt Cullen. Klimawandel als Realität und konkrete Bedrohung zu kommunizieren, ist für das Team um die Klimaforscherin eine Art Leitmotiv geworden.

Zusammenhänge und Folgen des Klimawandels versucht die Redaktion aber nicht nur über Texte und eigene Simulationen darzustellen, sondern auch über Infografiken – mit dem Ziel, komplexe Zusammenhänge auch für Laien verständlich zu machen. Beispielsweise visualisiert eine Karte der USA den Temperaturanstieg in den jeweiligen Bundesstaaten – jeder einzelne ist anklickbar, und es erscheint eine Temperaturkurve von 1970 bis heute. Viele Staaten im Westen der USA erwärmten sich in den 46 Jahren im Schnitt um über 0,7 Grad – eine beeindruckende Übersicht.

Erwärmung in den USA seit dem 1. "Tag der Erde" 1970 - mit dieser interaktiven Grafik (jeder Bundesstaat ist einzeln anklickbar) bringt Climate Central den Klimawandel nah an ihr Publikum in den USA; Screenshot: Climate Central

Mit dieser Professionalität in Sachen Kommunikation sind die Klimajournalisten und Forscher in den acht Jahren seit der Gründung von Climate Central zu einem der wichtigsten Akteur in Sachen Klimakommunikation in den USA geworden. Die enorme Verbreitung der Inhalte von Climate Central – das Portal verweist stolz auf Erwähnungen unter anderen in der Washington Post, im Guardian, im Economist bis hin zur Japan Times – ist sicher auch seinen einflussreichen Mitarbeitern aus der Forschung zu verdanken.  

Mitgegründet wurde das Portal von einer der "meistzitierten" Klimawissenschaftlerinnen, Jane Lubchenco. Ihre veröffentlichten Papers werden von anderen Forschern anerkennend als "Blockbuster" bezeichnet. Die Meeresbiologin leitete bis 2013 die Nationale Ozean- und Atmosphärenbehörde der USA (NOAA) und war schon unter Bill Clinton und später unter Barack Obama Mitglied im Wissenschaftlichen Beitrat der US-Regierung zu Klimafragen. Ebenso wie der jetzige Chef von Climate Central, Paul Hanle, hat sich Lubchenco neben ihrem wissenschaftlichen Renommee auch einen Ruf als Kommunikatorin erarbeitet. Kurz vor ihrer Ernennung zur ersten NOAA-Chefin im Jahr 2009 titelte die New York Times, Lubchenco glaube an die Wissenschaft als "Gesellschaftsvertrag". In höchsten Tönen lobte das Blatt den Versuch der Forscherin, aus der isolierten wissenschaftlichen Welt auszubrechen und einen Dialog mit der amerikanischen Öffentlichkeit zu wagen. "Es ist nicht mehr genug zu wissen, wie die Windverhältnisse in den letzten hundert Jahren waren", sagte sie damals. "Wir wollen wissen, wie sie den nächsten hundert Jahren sein werden."

"Ich glaube, Climate Central ist die Zukunft von Wissenschaftsjournalismus"

Climate Central will man kein beliebiges Fach- oder Nischenmagazin blieben, sondern eine möglichst breite Öffentlichkeit erreichen. Dazu nutzt die Redaktion "bewährte sozialwissenschaftliche Methoden", um die Resonanz bei den Lesern zu messen und mit qualitativ guten aber möglichst verständlichen Texten möglichst viele Menschen zu erreichen. In seiner Satzung betont Climate Central ausdrücklich, keine kommerziellen Interessen zu vertreten. Gefördert wird das als gemeinnützig anerkannte Newsportal jedoch auch von großen Unternehmen wie Google, der Rockefeller Foundation sowie auch von der Nasa und dem United States Army Corps of Engineers (USACE), dem Ingenieurskommando der US-Armee.

Die Anerkennung der Portals haben sich dessen Macher vermutlich auch durch die Werte und Regeln verdient, an die sich Climate Central gebunden sieht: Ausdrücklich geht es nicht um aktivistischen Journalismus, sondern es werde berichtet "was die wissenschaftlichen Fakten belegen". Zudem versteht sich Climate Central als "strikt überparteilich" und bezieht keine Position in der politischen Debatte über die besten Wege zum Klimaschutz.

"Ich glaube, dass Climate Central die Zukunft von Wissenschaftsjournalismus ist: gemeinnützige Kooperationen, die unabhängige Berichterstattung über Forschung ermöglicht", urteilt der Kommunikationsforscher Matthew Nisbet schon 2008 in der Columbia Journalism Review.

 sg