Gut ein Jahr ist es her, dass eine kleine Klimagrafik für großes Aufsehen sorgte: Ed Hawkins, Meteorologe an der britischen University of Reading, hatte die Erdmitteltemperatur zwischen 1850 und 2016 in einer bewegten Spirale dargestellt - der altbekannte Datensatz erhielt dadurch eine neue, visuelle Sogwirkung. Aus Anlass des ersten Geburtstag hat Hawkins vor ein paar Tagen in einem Blogbeitrag auf diese "viral spiral" zurückgeblickt.

Nun hat Hawkins eine neue Grafik veröffentlicht, die ähnlich eindrucksvoll ist. Auch sie ist animiert, ihre Wirkung entfaltet sich also im Zeitverlauf. Auch sie visualisiert die Temperaturentwicklung an der Erdoberfläche seit Mitte des 19. Jahrhhunderts. Doch zum einen vermittelt sie eine Ahnung davon, wie unterschiedlich auf der Welt die Erderwärmung verteilt ist. Dass die hohen nördlichen Breiten (also die Arktis) sich viel stärker erhitzt als der Rest der Welt, ist bekannt - aber in Hawkins neuer Grafik ist es deutlich zu erkennen. Am Anfang und bis in die 1930er Jahre zappelt die Temperaturlinie rund um die unterste gestrichelte Linie, den Durchschnitt der Jahre 1861-1900, was Ausdruck natürlicher Klimaschwankungen ist. Doch zum Ende der Animation schießen die Temperaturlinien am jeweils rechten Rand schon heute weit über die oberste gestrichelte Linie, das Zwei-Grad-Limit bei der Erderwärmung, hinaus.

Temperaturveränderung an der Erdoberfläche seit 1861 nach geografischer Breite - die linke Teilgrafik zeigt die tatsächlich beobachteten Temperaturen, die rechte Teilgrafik das gemittelte Ergebnis zahlreicher Klimamodelle für die Vergangheit und für die Zukunft (hier bei ungebremstem Ausstoß an Treibhausgasen). Am linken Rand jeder Teilgrafik sind jeweils die Daten für den Südpol zu sehen, am rechten Rand für den Nordpol, ganz in der Mitte jene für den Äquator; Quelle: climate-lab-book.ac.uk

Zum anderen vermittelt Hawkins neue Animation einen Eindruck davon, wie die Entwicklung bei ungebremstem Treibhausgasausstoß weitergeht. Die rechte Teilgrafik zeigt nämlich nicht tatsächliche Beobachtungsdaten, sondern die gemittelten Ergebnisse einer großen Zahl von Klimamodell-Durchläufen. Für den Zeitraum von 1861 bis 2016 laufen beide Fenster parallel - sehr eindrucksvoll zu erkennen ist dabei, dass die Modelle (rechts) ziemlich genau die tatsächlich gemessene Erwärmung (links) reproduzieren. (Durch das Nachrechnen zurückliegender Jahre und den Vergleich mit realen Beobachtungsdaten prüfen Klimaforscher, wie akkurat ihre Computermodelle sind.) Dass die Linien in der rechten Teilgrafik insgesamt flacher sind, liegt daran, dass hier ein Mittelwert gezeigt ist; Ausschläge der Kurve nach oben und unten, wie sie sich in der Realität und ebenso in Einzeldurchläufen der Klimamodelle zeigen, werden dadurch geglättet.

Die Grafik zeigt auch: Die Erderwärmung ließe sich noch deutlich bremsen

Ab dem Jahr 2016 läuft dann lediglich in der rechten Teilgrafik die Entwicklung weiter. Und sehr schnell klettert die zappelnde Linie höher und höher bis sie fast vollständig den Skalenbereich verlassen hat. Im Jahr 2100 also wird die Erderwärmung fast überall auf der Welt weit über 2 °C liegen - die Spitzenwerte für die Temperaturen in der Arktis kann man als Betrachter nur ahnen.

Hawkins hat mehrere Versionen dieser Grafik produziert - die hier gezeigte gibt die Ergebnisse der Klimamodelle für das sogenannte "Szenario RCP8.5" wieder. In diesem Szenario simulieren Klimaforscher die Entwicklung bei ungebremstem Ausstoß an Treibhausgasen. In zwei anderen Versionen führt Hawkins vor Augen, dass diese Entwicklung nicht alternativlos ist: Bei der Grafik für das "Szenario RCP4.5" - deutliche Emissionsminderungen - steigt die Temperaturlinie bis 2100 viel weniger und erreicht im weltweiten Durchschnitt etwa 2,5 °C (in der Arktis aber viel höhere Werte). Wenn aber große Klimaschutzbemühungen unternommen werden und die Emissionen sehr stark gesenkt werden - also das sogenannte "Szenario RCP2.6" greift - dann steigen die weltweiten Temperaturen nur noch wenige Jahre und bleiben in weiten Teilen der Welt deutlich unter dem Zwei-Grad-Limit.

Toralf Staud