Das Setting ist das eines klassischen Stücks Science Fiction: Wir schreiben das Jahr 2393, und aus Anlass des 300. Jahrestages des Endes der westlichen Zivilisation (1540-2093) fasst ein Historiker noch einmal die Ereignisse zusammen. An dieser Stelle findet sich bereits der erste sarkastische Gag: Der fiktive Autor des Buches ist Chinese. Sein Land ist in der Zukunft höherentwickelt als der Westen, weil es besser über die Klimakatastrophe gekommen ist – das autoritäre Regime hat sich, in der Fiktion zumindest, als überlegen erwiesen gegenüber dem Kapitalismus der „freien Welt“.

Naomi Oreskes und Erik M. Conway, die tatsächlichen Autoren des Buches Vom Ende der Welt sind ebenfalls Historiker, genauer gesagt Wissenschaftshistoriker. Bekanntgeworden sind sie vor allem durch ihr Buch Merchants of Doubt, in dem sie das jahrezehntelange, zielgerichtete und professionelle Schüren von Zweifeln an der Klimaforschung analysieren. Im Geleitwort ihres neues Buches schreiben sie: „ Die Frage, der wir uns hier widmen, lautet, warum wir – die Kinder der Aufklärung – damals nicht entsprechend der unbezweifelbaren Fakten über den Klimawandel und die negativen Ereignisse, die sich anbahnten, gehandelt haben.“

Ein Rückblick auf das "Zeitalter des Halbschattens"

Das Büchlein, gerade 120 Seiten stark, ist nüchtern geschrieben, sicher keine große Literatur – aber es soll ja auch nur die Abhandlung eines Historikers sein. Unsere Gegenwart ist als „Penumbrisches Zeitalter“ benannt, das „Zeitalter des Halbschattens“: Es reicht von der Gründung des IPCC im Jahr 1988 bis zum (noch fiktiven) Kollaps des Eisschildes der Antarktis 2093. Oreskes und Conway umreißen ein Szenario, wie die nächsten 80 Jahre ablaufen könnten, und zeigen dabei Sinn für Paradoxien. Der gegenwärtige Boom der Erdgasförderung aus unkonventionellen Vorkommen steht bei ihnen am Anfang eines „Fossilrausches“. Der sinkende Preis hat einen steigenden Verbrauch zur Folge, und dadurch führt die angebliche Brückentechnologie letztlich ins Verderben: Sie verdrängt nicht Kohle, sondern bremst die Erneuerbaren Energien aus. Zusammen mit den unterschätzten Methan-Leckagen aus Bohrlöchern führt der Boom zu einer Verdoppelung des CO2-Gehalts in der Atmosphäre schon 2042, die resultierende Erwärmung liegt mit 3,9 Grad am (oft ausgeblendeten) oberen Ende der heutigen wissenschaftlichen Schätzungen.

Dann geht es Schlag auf Schlag: Hitzewellen und Dürren sind fortan „an der Tagesordnung“, die Politik reagiert weltweit mit Wasserrationierungen und einer Ein-Kind-Politik. Nach einer großen Missernte auf der Nordhalbkugel kommt es zu Hungerrevolten. Unter der Führung zweier Länder – Schweiz und Indien – (Die UN waren nach dem Versagen ihrer Klimagipfel in Verruf geraten und aufgelöst worden) starteten schließlich hektische Versuche von Geoengineering, Sulfatpartikel wurden in die Atmosphäre gepumpt, bremsten tatsächlich die Temperatur, aber auch den indischen Monsun, weshalb das Vorhaben abgebrochen wird, woraufhin die Temperatur noch rasanter stieg als je zuvor, das arktische Meereis schmilzt, das Westantarktische Eisschild kollabiert, zwanzig Prozent der Weltbevölkerung auf der Flucht sind und so weiter. Durch welche Züchtung aus einem japanischen Labor der CO2-Anstieg schließlich gebremst und die Menschheit (jedenfalls halbwegs) gerettet wird, soll hier nicht verraten werden.

Scharfe Kritik an einer traditionellen Prämisse der Wissenschaft

Vieles an diesem Szenario ist plausibel, gar wahrscheinlich, anderes überzogen, etwa die Geschwindigkeit, mit der die Meeresspiegel um fünf Meter ansteigen. Egal. Das Wichtigste am Buch sind zwei Dinge, die Oreskes und Conway präzise herausarbeiten: Erstens die manchmal absurd hohen Anforderungen an wissenschaftliche Belege. Denn tatsächlich hat die Forschung in den letzten Jahrzehnten ja viele, viele Erkenntnisse produziert – etliche davon allerdings nicht restlos bewiesen oder bis auf Nachkommastellen exakt berechnet. Angesichts der möglichen Folgen des Klimawandels erscheint es als lächerlich (jedenfalls aus der Zukunft betrachtet), wie bohrend Wissenschaftler danach gefragt werden, ob diese oder jene Überschwemmung, das Aussterben dieser oder jenen Art  wirklich und wasserdicht beweisbar dem Klimawandel zuzuschreiben ist. Oreskes und Conway weisen hier darauf hin, dass eine traditionelle Prämisse der westlichen empirischen Wissenschaft angesichts des Klimawandels vielleicht unzweckmäßig ist: Nämlich dass es für Forscher schlimmer sei, sich vorzumachen, dass etwas existiere (ein sogenannter „Fehler 1. Art“) als nicht zu glauben, dass etwas existiere („Fehler 2.Art“).

Als zweites Kernproblem nennen Oreskes und Conways den „Marktfundamentalismus“, der sich in der Wirtschaftspolitik seit dem Ende des Sozialismus weltweit durchgesetzt habe – fatalerweise in just jenem Moment, in der die Klimakrise sich zuspitzte. Und sie machen auf eine mögliche, böse Ironie aufmerksam: Wenn heute aus grundsätzlichen/ideologischen Gründen auf leichte Staatseingriffe verzichtet wird (Emissionsvorschriften für Kohlekraftwerke, CO2-Steuern usw.), kann dies später umso schwerere Eingriffe erfordern (Massenumsiedlungen, Verbote emissionsintensiven Verhaltens).  

Das Buch sei „angefüllt mit hervorragender Wissenschaft, kluger Spekulation und beißendem Sarkasmus“, urteilte die Rezensentin des Magazins Nature.

 

Naomi Oreskes und Erik M. Conway: Vom Ende der Welt. Chronik eines angekündigten Untergangs (Originaltitel: The Collapse of Western Zivilisation. A View from the Future), Oekom Verlag 2015, 121 Seiten, € 9,95

tst