Wenn Klimawissenschaftler, Umweltaktivisten oder Fachpolitiker mehr Klimaschutz fordern, stehen sie regelmäßig vor einem Dilemma: Sie fordern politisch das eine, tun selbst aber häufig etwas anderes. Sie verlangen beispielsweise eine drastische Senkung von Verkehrsemissionen, steigen jedoch - mehr oder weniger häufig - selbst in Flugzeuge oder Autos. Dabei haben sie vielleicht ein schlechtes Gewissen. Die grundsätzliche Schwierigkeit aber , dass in den bestehenden gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen und mit den heutigen Infrastrukturen ein wirklich klimaschonendes Leben häufig sehr schwierig oder gar unmöglich ist, können sie selbst nicht auflösen. Schließlich ist kaum jemand so konsequent wie der Oldenburger Umweltökonom Nico Paech, der in kein Auto steigt und in seinem Leben erst einmal geflogen ist...

Wer also über Klimaschutz oder auch nur allgemein über Klimawandel redet, hat oft ein kommunikatives Problem: Er wird vielfach als Heuchler empfunden oder gar ausdrücklich als scheinheiliger "Gutmensch" diffamiert. Wie genau die starke Ablehnung von Heuchelei zustande kommt, hat ein Forscherteam um die Psychologin Jillian Jordan von der US-amerikanischen Yale University in einer Reihe experimenteller Studien untersucht. Die Ergebnisse sind im Fachjournal Psychological Science erschienen - und geben auch Hinweise darauf, wie man als Klimakommunikator dem Vorwurf der Heuchelei entkommen könnte.

Wieso reagieren Menschen so sensibel auf (vermeintliche) Heuchler?

Stellen Sie sich einen Arbeitskollegen vor, der ununterbrochen alle ermahnt, das Licht auszuschalten. Vielleicht wird er als etwas nervig empfunden, aber eigentlich hat er ja recht. Stellen Sie sich nun vor, Sie bekommen zufällig mit, dass dieser Kollege in seinem Privathaus ständig das Licht brennen lässt. In einer solchen Situation empfinden Menschen die nächsten Ermahnungen dieses Kollegen als heuchlerisch und scheinheilig - sein Verhalten wird moralisch negativ bewertet. Aber warum eigentlich? Denn bei Lichte betrachtet hat er mit seinen Ermahnungen ja in jedem Fall recht, und zwar ganz unabhängig von seinem individuellen Verhalten. Und bewirkt er mit ihnen einen auch nur etwas geringeren Energieverbrauch im Büro, ist der Umwelt immer noch geholfen, ganz egal was der Kollege daheim tut. Dennoch würde in diesem Fall der Heuchelei-Vorwurf erhoben und die Bürokollegen würden  den Ermahnungen zum Lichtausschalten trotz aller Berechtigung in der Sache vermutlich nicht folgen.

Unter Psychologen gibt es verschiedene Theorien, weshalb genau Heuchelei moralisch so negativ bewertet wird. Manche meinen, abgelehnt werde die schlichte Inkonsistenz zwischen Worten und Taten. Laut anderer Theorien werden Heuchler deshalb so negativ gesehen, weil sie offenkundig wider besseren Wissens handeln (der Arbeitskollege lässt zu Hause das Licht brennen, obwohl er ausweislich seiner ständigen Ermahnungen genau weiß, dass dies schlecht ist). Das vierköpfige Yale-Team um Jillian Jordan hat nun eine differenziertere Erklärung vorgelegt, die sie als "Theory of False Signalling" bezeichnen: Demnach senden Heuchler "falsche Signale" über ihr eigenes Verhalten aus, und von diesen fühlen sich andere Menschen betrogen.

In ihrer Veröffentlichung beschreiben die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler fünf Einzelexperimente mit jeweils 450 bis 800 Personen. In Online-Befragungen wurden den Probanden verschiedene Anekdoten vorgelegt, in denen es um unmoralisches Verhalten und dessen verbale Verurteilung ging. Die Anekdoten schilderten beispielsweise Gespräche, in denen zwei Menschen Doping ablehnten oder das illegale Herunterladen von Musikdateien aus dem Internet. Die Anekdoten variierten zum Beispiel darin, welche der auftretenden Personen die Verfehlungen verurteilte, wie diese Person sich selbst verhielt, ob sie über ihr Verhalten log und so weiter. Im Anschluss wurden die Probanden befragt, wie sie die geschilderten Personen moralisch bewerteten.

Das Musik-Download-Experiment belegte zum Beispiel, dass Heuchler tatsächlich extrem negativ gesehen werden: So wurde den Probanden eine Person geschildert, die illegal Musik aus dem Internet herunterlädt. Die Probanden missbilligten das Verhalten. Deutlich stärker missbilligten sie es, wenn die Person dazu auch log - sie also behauptete, sie lade keine Musik illegal herunter. Noch negativer als diese Lüge wurde es empfunden, wenn eine Person illegal Musik herunterlud, nachdem sie ein solches Verhalten verurteilt hatte (ohne explizit etwas über ihr eigenes Tun zu sagen). Zu heucheln wird demnach deutlich stärker abgelehnt als zu lügen oder auch nur schweigend eine Regelverletzung zu begehen.

Ein weiteres Experiment ergab, dass die Missbilligung unmoralischen Handelns einen besonders starken Prestigezuwachs bringt: Probanden bewerteten einen Sportler, der Doping verurteilte, moralisch positiver als einen Sportler, der "nur" sagte, dass er selbst keine Dopingmitteln nimmt.

Aus Moralaussagen wird oft auf das Verhalten einer Person geschlossen

Ein Schlüsselergebnis der Experimente war, dass moralische Aussagen offenbar oft fehlgedeutet werden: Hören wir beispielsweise, dass jemand eine Handlung verurteilt, so leiten wir daraus unbewusst Annahmen darüber ab, was diese Person auch tatsächlich tut. Bekundet jemand etwa - um in den Beispielen der Experimente zu bleiben -, dass er Doping falsch findet, so schließen Zuhörer daraus, dass  diese Person selbst nicht dopt (obwohl sie dies strenggenommen ja gar nicht gesagt hat).

Es ist dieses Missverständnis, das Aussagen zu Klimawandel und Klimaschutz so anfällig für den Heucheleivorwurf macht: Wenn jemand beispielsweise hohe Verkehrsemissionen missbilligt, schließen Zuhörer daraus paradoxerweise oft, dass er oder sie nur niedrige Emissionen verursacht. Diese Fehlwahrnehmung ist ein offenbar sehr starker Mechanismus: "Laut unserer Ergebnisse wird eine Person, die sagt 'Energieverschwendung ist falsch' sogar mit größerer Wahrscheinlichkeit für sparsam gehalten als eine Person, die ausdrücklich sagt 'Ich verschwende keine Energie'", erläutern Jillian Jordan und ihre Kollegen in der New York Times.

Der Rat der Forscher: eigene Unzulänglichkeit explizit kommunizieren

In ihren Experimenten zeigen die Psychologen aber auch einen kommunikativen Ausweg aus dieser Falle auf: Gezielt untersuchten sie, was passiert, wenn ein Sprecher bei einer moralischen Aussage explizit das "falsche Signal" korrigiert. Dafür wurden den Probanden Anekdoten vorgelegt, in denen eine Person offen sagt, dass sie das als unmoralisch verurteilte Verhalten bisweilen selbst zeigt. Und siehe da: Von den Probanden wurden diese "ehrlichen Heuchler" ("honest hypocrites") deutlich positiver beurteilt - die Ablehnung, die sie anderen Heuchlern gegenüber zeigten, verschwand. "Das Ausmaß, in dem Menschen einem 'ehrlichen Heuchler' vergeben, hat uns verblüfft", so Jordan.

Vorläufiges Fazit für die Praxis: Wer über Klimawandel spricht und mehr Klimaschutz fordert, sollte demnach vorsichtshalber erwähnen, dass er selbst noch nicht rundum klimaschonend handelt.

Toralf Staud