Willkommen in der zweiten Ausgabe des Manometer!, dem Format von Klimafakten und DER STANDARD. So wie das namensgebende Gerät den Druck von Gasen und Flüssigkeiten misst, zeigen wir den gesellschaftlichen Druck in der Klimadebatte im November an.
Unser Manometer! ist dabei so aufgebaut:
- Im "Durchblick" sortieren wir aktuelle politische Entwicklungen und Debatten aus der Perspektive ein, was daraus für die Kommunikation zu Klimathemen folgt.
- Im zweiten Abschnitt namens "Überblick" sammeln wir beispielhafte Ansätze, wie man Druck aus der klimapolitischen Debatte nehmen kann, um Lösungen zu erleichtern.
"Manometer!"-Durchblick
Vor zehn Jahren entstand bei der Pariser Klimakonferenz nach hartem Ringen das 1,5-Grad-Ziel. Seitdem spitzt sich die Klimakrise trotz Errungenschaften – etwa des weltweiten Ausbaus der Erneuerbaren Energien – zu. Am 22. November ging mit leichter Verlängerung die COP30 im brasilianischen Belém zu Ende. Zum Abschluss der Konferenz einigten sich Vertreterinnen und Vertreter aus mehr als 190 Staaten auf einen Minimalkonsens, die USA nahmen dieses Jahr übrigens nicht teil.
Die wichtigsten Ergebnisse der Abschlusserklärung im Überblick:
- Tropical Forest Forever Facility: Die Errichtung eines Fonds, der Länder belohnen soll, ihre Regenwaldflächen zu erhalten.
- Die Zusagen für Klimaanpassungshilfen für ärmere Länder sollen bis 2035 verdreifacht werden.
- Just Transition: Der Übergang zu einer klimafreundlichen Wirtschaft soll sozial verträglich umgesetzt werden – durch Beratung, Wissensvermittlung und internationale Koordinierung.
Als freiwillige Initiative wurde auf der COP30 eine Plattform für ambitionierte Staaten ins Leben gerufen, die Klimaschutz-Anstrengungen beschleunigen und über ihre Aktivitäten berichten wollen.
Ein klarer Fahrplan für den weltweiten Ausstieg aus fossilen Energien konnte nicht beschlossen werden, ebenso wenig wie ambitionierte Ziele zur Beendigung der Entwaldung im Amazonasgebiet. Zwar gab es für den Ausstieg aus fossiler Energie eine starke Allianz aus 83 Ländern, darunter Deutschland, Österreich und ihre EU-Partner (und die Brasilianische Präsidentschaft startete den Prozess für eine „Transition Away From Fossil Fuels Roadmap“) – aber es fehlte eben ein Konsens der insgesamt 194 anwesenden Staaten, die für UN-Gipfelbeschlüsse nötig ist. Die Befürworter konnten sich gegen Öl- und Gasländer wie Saudi-Arabien und Russland sowie wichtige Schwellenländer wie Indien und Nigeria nicht durchsetzen. China unterstützt zwar eine Transformation von fossilen Brennstoffen hin zu erneuerbaren Energien, lehnte aber verbindliche Fristen ab.
Stimmen zu Belém
Die Bewertung der Gesamtbilanz der COP30 fällt in Deutschland und Österreich deswegen gemischt aus. Viele Stimmen äußern sich kritisch gegenüber den Ergebnissen, erkennen aber auch einzelne Fortschritte an. Bundesumweltminister Carsten Schneider (SPD) zeigte sich enttäuscht. Die alte, fossile Welt habe die angespannte geopolitische Situation ausgenutzt. „Aber wir geben nicht auf.“ Schneider betonte den Wert internationaler Kooperation: „Wir müssen jetzt Allianzen organisieren für eine neue Weltordnung.“
Österreichs Umwelt- und Klimaminister Norbert Totschnig (ÖVP) sagte, einmal mehr sei klargeworden, dass Klimapolitik einen langen Atem brauche: „In Sachen Klimaschutz bleibt dieses Paket weit hinter dem zurück, was wir gefordert haben.“ Er rechne außerdem mit schwierigen Verhandlungen bei der COP31, wenn es um die Ausgestaltung der konkreten Rahmenbedingungen eines sozial verträglichen Übergangs zu einer klimafreundlichen Wirtschaft gehen werde ("Just Transition").
Auf der COP in Belém waren so viele indigene Führungspersonen aus allen Teilen der Welt zusammengekommen wie nie zuvor. Dennoch äußerten viele das Gefühl, trotz ihrer Präsenz kaum Gehör zu finden. Die wichtigste Forderung an die Vertreter der Staaten: die Abgrenzung („demarcation“) indigener Gebiete in den Katalog von Klimamaßnahmen einzubeziehen. Diese Anerkennung der Landrechte indigener Gemeinschaften zum Schutz des Waldes wichtig, so Toya Manchineri, der Vorsitzende der Koordination der indigenen Organisationen des brasilianischen Amazonas.
Lichtblicke: Zusammenarbeit
So ernüchternd viele die Ergebnisse der COP30 bewerten – für zahlreiche Beobachterinnen und Beobachter bleibt entscheidend, dass sie überhaupt stattgefunden hat. In einer Zeit, in der Klimapolitik vielerorts unter Druck steht und sich politische Führungen vom Versprechen des 20. Jahrhunderts verabschieden, dass es nicht nur ums Überleben geht, sondern um ein gutes Leben für alle (wie Maja Göpel es nennt), war Belém ein Ort, an dem dieses Versprechen spürbar verteidigt wurde.
Mehr als 190 Staaten arbeiteten, trotz (oder gerade wegen?) der Abwesenheit der USA und trotz geopolitischer Spannungen, konstruktiv zusammen. Für den deutschen Umweltminister Schneider zeigt genau das, dass Multilateralismus noch funktioniert – auch wenn er anstrengend und mühsam bleibt. Oder, wie es ein afrikanisches Sprichwort formuliert: „Wenn du schnell gehen willst, geh allein. Wenn du weit gehen willst, geh mit anderen.“ So endet auch der SZ-Experte für Energie- und Umweltpolitik Michael Bauchmüller mit seinem Kommentar zur COP30 in der Süddeutschen Zeitung.
UN-Generalsekretär António Guterres würdigte ebenfalls, dass die Staatengemeinschaft trotz geopolitischer Spannungen einen Konsens erreicht habe. Und COP-Präsident André Corrêa do Lago beschrieb die COP als „Global Mutirão“ – eine kollektive Anstrengung. Auf dem Abschlussplenum kündigte er zudem zwei Roadmaps an: eine für den Ausstieg aus fossilen Brennstoffen, eine für das Ende der globalen Entwaldung. Im November 2026 trifft sich die Welt erneut – dann zur COP31 im türkischen Antalya, mit Australien als Vorsitz.
Eva-Maria McCormack, Journalistin und Gründerin der Organisation "Talking Hope" sieht in Belém eine "neue Phase" im internationalen Klimaschutz beginnen: jene des "Plurilateralismus", wie sie in einer Analyse schreibt. Statt weiter auf einen Konsens zu warten, gingen jetzt "Koalitionen williger Regierungen und andere Akteure" voran, was eine große Dynamik entfalten könne. Was heißt das für die Zivilgesellschaft? "Ihr Druck, schriebt McCormick, "wird nun mehr — nicht weniger — wichtig".
"Manometer!"-Überblick
Dies sind unsere Empfehlungen des Monats. Und weil die Weltklimakonferenz den Klimadiskurs im November so stark bestimmte, wollen wir sie diesmal auch damit beginnen lassen:
Staaten wollen verlässliche Klima-Informationen fördern
Während das Abschlussdokument der Klimakonferenz eher enttäuschte, hat die COP für die Klimakommunikation doch einen Erfolg gebracht. Deutschland und der Gastgeber Brasilien starteten mit weiteren zehn Ländern die „Deklaration zur Informationsintegrität“. Mit ihr wollen die Staaten der Desinformation in der Klimadebatte entschieden entgegentreten. Mit ihrer Unterschrift haben sie sich unter anderem dazu verpflichtet, unabhängige und resiliente Medien-Ökosysteme zu stärken, um verlässliche Berichterstattung über Klima- und Umweltfragen zu ermöglichen. Außerdem wollen sie den Zugang zu evidenzbasierten, verständlichen Klimainformationen verbessern und die Zusammenarbeit fördern. Damit wollen sie auch Klimaforscher:innen und Klimajournalist:innen schützen. Bis Redaktionsschluss haben insgesamt 20 Staaten die Deklaration unterzeichnet, darunter auch Österreich.
Hier der vollständige Text der Deklaration auf der Unesco-Website
Good-Practice Klimakommunikation
Filmemacher Daniel Harrich hat in der ARD kurz vor der Weltklimakonferenz einen neuen Dreh gefunden, die Thematik emotional zu verpacken – ohne mit „Klima“ zu titeln. Sein investigativer Thriller „Verschollen“ wurde in der ARD-Mediathek bis Redaktionsschluss mehr als fünf Millionen Mal aufgerufen. Der Plot: Ein junger deutscher Umweltwissenschaftler verschwindet in Brasilien spurlos, als er auf Forschungsreise ist.
Dem Spielfilm liegt eine investigative Recherche zugrunde: Unter dem Label „Klimaschutz“ entstehen in Brasilien industrielle Monokulturen von Eukalyptus, die in Wahrheit soziale Konflikte verschärfen und ein einzigartiges Ökosystem zerstören – den Cerrado, eine riesige Savanne, fast sechsmal so groß wie Deutschland. Anreiz für die Eukalyptus-Plantagen ist der Handel mit CO2-Zertifikaten. Studien zeigen jedoch, dass die Vegetation des Cerrado ökologisch weit wertvoller ist als die künstlichen Monokulturen, die ihn ersetzen.
Hier gibts den Klima-Krimi "Verschollen" in der ARD-Mediathek
Vernetzung für Klimaaktive
Wen die Klimakrise zum Grübeln bringt, wer sich mit anderen über seine Gefühle und Gedanken austauschen will, aber nicht genau weiß, an wen er sich wenden soll: Es gibt Anlaufstellen. Die Psychologists und Psychotherapists for Future haben die so genannten “Klimatreffs” etabliert: “Wir schaffen mit Dir die Möglichkeit für gemeinsame Gespräche auf Augenhöhe, in denen wir unsere Gefühle zur Klimakrise teilen, Wissen austauschen und Menschen miteinander vernetzen.” Es gibt zwei Arten von Klimatreffs – einerseits die Klima-Gesprächsrunden, wo sich die Interessierten regelmäßig oder an festgelegten Terminen zu einem intensiven Austausch zusammenfinden. Und die Klima-Cafés, offene Räume für Austausch, zu denen man jederzeit dazustoßen kann. Wo die Treffen stattfinden – online wie offline – und wie man selbst eine Klima-Gruppe vor Ort etabliert, verrät eine eigene Webseite zur Koordinierung.
Mehr Informationen: https://klimatreffs.de
Kunst und Kultur
Die österreichische Regisseurin Gloria Benedikt hat am Internationalen Institut für Angewandte Systemanalyse (IIASA) erforscht, wie man die Klimakrise mithilfe der darstellenden Kunst erfolgreich vermitteln kann. Als Leitautorin erstellte sie federführend den Bericht „Science and Art for Life's Sake“, über den der frühere UN-Generalsekretär Ban Ki-moon im Vorwort schrieb: „Die in diesem Bericht dargestellten Pionierarbeiten zeigen, wie Wissenschaftler und Künstler gemeinsam zu kulturellen und Verhaltensänderungen beitragen können, die entscheidend sind, wenn wir Wissen erfolgreich in Maßnahmen auf unserem Weg zur Nachhaltigkeit umsetzen wollen.“
Mit ihrem Theaterstück „End to begin“ liefert Benedikt nun selbst ein Best-Practice-Beispiel für wissenschaftsbasierte Kunst, die unter die Haut geht. Die Aufführung kombiniert Tanz, Schauspiel, Expert:innengespräche und Interaktion mit dem Publikum, liefert wissenschaftliche Fakten und Lösungsoptionen. Der Handlungsstrang: Ein Wissenschaftler, eine Diplomatin, eine Philosophin und ein Aktivist reisen aus dem Jahr 2075 ins Heute. Sie wollen herausfinden, ob den Menschen vor 50 Jahren bewusst war, welche Welt sie künftigen Generationen hinterlassen. Zu den Gesprächspartner:innen zählt unter anderem der langjährige Chef des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung (PIK) und jetzige Generaldirektor des IIASA, Hans Joachim Schellnhuber. Zu sehen ist das Stück von 26. bis 29. Jänner 2026 im Wiener Odeon Theater.
Mehr zum Report "Science and Art for Life's Sake" und zum Stück "End to begin"
Neuigkeiten aus der Forschung
Gibt es ein Thema, das Klimakommunikator:innen trommeln sollten, damit mehr Menschen Klimaschutzmaßnahmen unterstützen? Ja, das Thema Gesundheit. Zumindest legt das die neue Überblicksstudie „Public Engagement with Climate Change and Health: A Global Literature Review” nahe, die das Fachjournal Eco Health veröffentlicht hat. Sri Saahitya Uppalapati vom Center for Climate Change Communication an der US-amerikanischen George Mason University wertete dazu mit ihrem Team 93 entsprechende Studien aus, die zwischen 2000 und 2023 veröffentlicht wurden. Die Überblicksstudie macht deutlich, wie verschiedene Bevölkerungsgruppen gesundheitsbezogene Klimainformationen wahrnehmen und darauf reagieren. “Unsere Ergebnisse deuten darauf hin, dass die Vermittlung der gesundheitlichen Relevanz des Klimawandels ein erhebliches Potenzial zur Stärkung des öffentlichen Engagements und zur Gewinnung von Unterstützung für Klimaschutzmaßnahmen birgt”, schreiben die Studien-Autor:innen. Sie machen klar, wie wichtig gezielte Kommunikation mit unterschiedlichen Zielgruppen ist, um die Klimakrise bewältigen zu können.
Link zur Studie hier –
und mehr zum Thema in der nächsten Ausgabe unserer Rubrik "Studie des Monats"
Tipps und Ratgeber
Weihnachtsfeier, Punschstand, Familienessen, Christmette: Zur Weihnachtsfeier kommen viele Menschen mit vielen Menschen ins Gespräch. In einer Zeit der zunehmenden Polarisierung, können auch Gespräche übers Klima zum Balanceakt werden. Wie kann man übers Klima reden, ohne zu polarisieren? Wie geht man damit um, wenn das Gegenüber das Thema kleinredet, obwohl es für einen selbst so groß ist? Und wie kommuniziert man wirkungsvoll? Diese Fragen beantwortet der Online-Workshop “Klimagespräche in der Vorweihnachtszeit” von Klimaaktiv, der österreichischen Klimaschutzinitiative. Das Ziel: “Gespräche so zu gestalten, dass Verständnis, Motivation und Handlungsspielräume entstehen.”
Termin: 04.12.2025 | 18:30 - 21:00 Uhr – weitere Infos zum zum Workshop hier
Mehr zum Thema auf Klimafakten in diesem Gastbeitrag
des SZ-Wissenschaftsredakteurs Sebastian Hermann von 2020:
An der Kaffeetafel mit Wissenschaftsleugnern:
Sieben praktische Tipps, um Fakten erfolgreich zu verteidigen
Dieser Text ist Teil unseres Projekts #DebattenKLIMA. Es will – möglichst praxisnah – der Frage nachgehen, wie gesellschaftliche und politische Debatten über Klimaschutz und Klimaanpassung so geführt werden können, dass sie möglichst viel dazu beitragen, die Emissionen auf Null herunterzubringen. Eine der besonders spannenden Fragen hierbei ist, wie dies auch dann gelingen kann, wenn sich wichtige gesellschaftliche Akteure (seien es politische Parteien, seien es reichweitenstarke Medien, seien es einzelne Interessengruppen) einem solchen Diskurs entziehen oder verweigern oder ihn gar aktiv torpedieren – aus welchen Motiven auch immer.
Im Rahmen des Projekts erscheint unter anderem die monatliche Rubrik Manometer! – hier beobachten und analysieren wir die klimapolitischen Debatten im deutschsprachigen Raum und gehen der Frage nach, wie man Druck aus der klimapolitischen Debatte nehmen kann, um Lösungen zu erleichtern. Eine weitere Rubrik ist die „Studie des Monats“, in der wir monatlich besonders wegweisende Ergebnisse der Sozialforschung zur Klimakommunikation vor – und beschreiben, was sich daraus ganz praktisch ableiten lässt für die tagtägliche Kommunikationsarbeit rund ums Klima. Hierbei arbeiten wir zusammen mit einem Forschungsteam um Michael Brüggemann, Professor für Kommunikationswissenschaft, Klima- und Wissenschaftskommunikation an der Universität Hamburg und langjähriger wissenschaftlicher Berater von Klimafakten.
Gefördert wird das Projekt #DebattenKLIMA von der Marga und Kurt-Möllgaard-Stiftung sowie der Naturstromstiftung.
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