Direkt zum Inhalt
Kann man sich auf die Klimaforschung verlassen?

Behauptung: Mit der berühmten Hockeystick-Kurve versuchen Klimaforscher zu zeigen, dass es heute wärmer ist als in den vergangenen eintausend Jahren. Die Kanadier Ross McKitrick und Steve McIntyre haben sie als Fälschung entlarvt.

Fakt ist: Die Aussage der oft kritisierten „Hockeyschläger“-Kurve wird durch viele unabhängige Studien bestätigt

Antwort: Die ursprüngliche sogenannte „Hockeyschläger“-Studie aus dem Jahr 1998 war tatsächlich nicht fehlerfrei. Doch eine verbesserte Neuauflage sowie etliche ähnliche Untersuchungen mit historischen Klimadaten aus Korallen, Stalagmiten, Baumringen, Bohr- und Eiskernen bestätigen die ursprüngliche Schlussfolgerung: dass das 20. Jahrhundert das wärmste seit mindestens zweitausend Jahren war und der Temperaturanstieg beispiellos schnell.

Der „Hockeyschläger“ (Abbildung 1) ist die grafische Darstellung einer Rekonstruktion von Temperaturen über die letzten ein- bis zweitausend Jahre, für die sogenannte Proxydaten verwendet wurden. Solche Proxy-Daten (engl. für „Stellvertreter-Daten“) gewinnen Klimaforscher aus natürlichen Archiven, beispielsweise aus Baumringen. Das ist nötig, weil direkte Temperaturmessungen, sogenannte instrumentelle Daten, in genügender Menge nur für die vergangenen gut 150 Jahre vorliegen.

Die US-Forscher Michael Mann, Raymond S. Bradley und Malcolm K. Hughes veröffentlichten 1999 eine Studie (Mann et al. 1999) für die Baumringe, Eisbohrkerne, Korallen und andere Aufzeichnungen von der Nordhalbkugel der Erde verwendet wurden. Ihre Rekonstruktion ergab, dass die globale Temperatur über die letzten zweitausend Jahre erst allmählich abgenommen hatte, im 20. Jahrhundert aber in einen scharfen Aufwärtstrend gewechselt ist. Oder in den Worten der Autoren:

„Obwohl größere Unsicherheiten eine entschiedene Aussage für die Zeit vor 1400 nicht zulassen, deuten unsere Ergebnisse darauf hin, dass das späte 20. Jahrhundert ungewöhnlich ist für zumindest das zurückliegende Millennium. Die 1990er waren (mit moderater Unsicherheit) die wärmste Dekade und 1998 das wärmste Jahr. Das 20. Jahrhundert kehrt damit einen tausendjährigen Abkühlungstrend um, der mit astronomischen Langzeiteinflüssen konsistent ist.“

Als „Hockeyschläger“ (engl. hockeystick) wurde die Grafik bezeichnet, weil die flache Temperaturlinie der letzten Jahrhunderte wie der Schaft eines liegenden Hockeyschlägers wirkt, das steil ansteigende Ende wie dessen aufragende Kelle. Die Grafik erlangte große Aufmerksamkeit, weil sie 2001 in den Dritten Sachstandsbericht des IPCC (Teil 1, Kapitel 2.3.2.2.) aufgenommen wurde und später auch in Al Gores Film „Eine unbequeme Wahrheit“an prominenter Stelle auftauchte.

Abbildung 1: Temperaturveränderungen der Nordhalbkugel aus verschiedenen Proxy-Reihen geschätzt (blau), instrumentelle, also direkt gemessene Daten aus den letzten anderthalb Jahrhunderten (orange) sowie der Langzeittrend (rot gestrichelt); grau eingezeichnet sind die zur Vergangenheit hin größer werdenden Unsicherheits-Margen; Quelle: Mann et al. 1999

Es folgte eine Kontroverse um die Verlässlichkeit der Mann-Studie. Im Jahr 2005 veröffentlichten etwa der Bergbauingenieur Stephen McIntyre und der Ökonom Ross McKitrick eine Kritik der Arbeit (McIntyre/McKitrick 2005). Darin behaupteten sie, der „Hockeyschläger“ sei lediglich Ergebnis der angewendeten statistischen Methode (der sogenannten Hauptkomponentenanalyse). Außerdem würden die Temperaturen für das 15. Jahrhundert nur auf einer einzigen Datenreihe aus den Baumringen von Borstenkiefern basieren, auch deshalb seien die Grundlagen für Kernaussagen der Studie statistisch nicht signifikant. Andere Autoren, etwa der deutsche Klimaforscher Hans von Storch, veröffentlichten ebenfalls Kritiken (von Storch et al. 2004).

Daraufhin wurde der „Hockeyschläger“ von unabhängiger Seite überprüft. Auf Bitten des Wissenschaftsausschusses des US-Repräsentantenhauses berief der Nationale Forschungsrat (National Research Council) ein zwölfköpfiges Expertenkomitee, das 2006 seinen Abschlussbericht vorlegte. Ergebnis:

„Basierend auf den Analysen, die in der Original-Studie von Mann u.a. vorgelegt wurden sowie auf neueren Belegen, erscheint dem Komitee deren Schlussfolgerung plausibel, dass die Nordhalbkugel während der letzten Jahrzehnte des 20. Jahrhunderts wärmer war als während aller vergleichbaren Zeitabschnitte des vorherigen Millenniums.“

In dem Bericht wurde lediglich auf kleinere Defizite der statistischen Methodik hingewiesen.

Speziell auf diesen Punkt konzentrierte sich eine Untersuchung, die der damalige Vorsitzende des Energie- und Wirtschaftsausschusses des US-Repräsentantenhauses, der Republikaner Joe Barton, veranlasste. Der Auftrag für diese separate Untersuchung stieß sowohl im Kongress als auch in der Wissenschaft auf Kritik. Der Schlussbericht (nach dem Leiter der Untersuchung „Wegman-Report“ genannt) ging mit den statistischen Schwächen der Mann-Studie scharf ins Gericht. Allerdings unterwarf sich der Report keinem formellen Peer Review, wurde also nicht vor der Veröffentlichung von unabhängigen Fachleuten begutachtet; seine Schlussfolgerungen wurden denn auch von anderen Forscher:innen zurückgewiesen, zudem sah er sich mit Plagiats-Vorwürfen konfrontiert.

Eine weitere, von der Überprüfung durch den Nationalen Forschungsrat unabhängige Untersuchung erfolgte durch das US-Atmosphären-Forschungszentrum (National Center for Atmospheric Research, NCAR). Unter Verwendung einer Vielzahl statistischer Techniken (mit und ohne Hauptkomponentenanalyse, an der sich die Kritik entzündet hatte) wurden Temperaturen rekonstruiert, die Ergebnisse erschienen 2007 in der Fachzeitschrift Climatic Change (Wahl/Ammann 2007). Die hierbei für das frühe 15. Jahrhundert ermittelten Temperaturen wichen zwar etwas von denen im „Hockeyschläger“ ab; die Hauptaussage wurde aber erneut bestätigt und Kritiker:innen in die Schranken gewiesen:

„Jüngste ‚Berichtigungen’ der Mann-Studie, die nahelegen, dass die Temperaturen im 15. Jahrhundert genauso hoch gewesen sein könnten wie die des späten 20. Jahrhunderts, erweisen sich als statistisch und klimatologisch wertlos. Unsere Untersuchung lässt darauf schließen, dass eine leichte Modifikation der ursprünglichen Rekonstruktion für die erste Hälfte des 15. Jahrhunderts gerechtfertigt ist (etwa +0,05 bis +0,1 Grad Celsius), was aber die Hauptschlussfolgerung der Mann-Studie (wie auch die vieler anderer Temperaturrekonstruktionen) unverändert lässt: dass sowohl der Aufwärtstrend der Oberflächentemperaturen im 20. Jahrhundert als auch die Höchststände zum Ende des 20. Jahrhunderts anomal sind im Vergleich zu mindestens den vorherigen 600 Jahren.“

Abbildung 2: Vergleich der Rekonstruktion des „Hockeyschlägers“ (Wahl 2007, rot) mit der ursprünglichen Fassung (Mann 1998, blau, ohne die im Original enthaltene Darstellung der Fehlermargen) und instrumentelle Temperaturmessungen (schwarz); Quelle: Wahl/Ammann 2007skepticalscience.com

Bis heute fixieren sich viele Debatten auf die frühe Arbeit von Mann et al. – und übersehen, dass sich die Paläoklimatologie längst weiterentwickelt hat. Seit 1999 gab es viele weitere und voneinander unabhängige Rekonstruktionen historischer Temperaturen. Dabei wurden eine Vielzahl an Proxydaten und unterschiedlichen Analysemethoden verwendet. Und alle kommen zum gleichen Ergebnis: dass die letzten paar Jahrzehnte die heißesten der vergangenen 500 bis 2.000 Jahre sind (abhängig von der Datenbasis und davon, wie weit die Rekonstruktionen zurückreichen).

Doch was sind eigentlich diese Proxies, die zur Bestimmung weit zurückliegender Temperaturen genutzt werden? Und wie verlässlich sind sie?

Bohrlöcher, Tropfsteine, Gletscher und andere Temperaturarchive

Änderungen in der Oberflächentemperatur führen zu Temperaturanomalien im Untergrund, d.h. sie kühlen oder erwärmen das Gestein. Für die Ermittlung von Temperaturen früherer Zeiten nutzt man den Umstand, dass sich Veränderungen der Oberflächentemperatur nicht auf einen Schlag im Untergrund bemerkbar machen, sondern sich erst nach und nach immer tiefer unterirdisch fortsetzen. Der Grund für die Trägheit dieses Prozesses liegt darin, dass die molekulare Diffusion, die für den Wärmetransport im Boden maßgeblich verantwortlich ist, vergleichsweise ineffizient ist (Turbulenzen im Ozean und in der Atmosphäre sind deutlich effizienter im Hinblick auf Wärmetransporte). Mit Messungen in Bohrlöchern lassen sich somit frühere Temperaturen ermitteln – je weiter zurück man blicken will, desto tiefer muss das Bohrloch sein. Rekonstruktionen mit dieser Methode sind nicht in der Lage, kurzfristige Temperaturänderungen abzubilden, sondern erbringen nur Ergebnisse im Jahrhundert-Maßstab. Abbildung 3 zeigt die Ergebnisse von Messungen in mehr als 600 Bohrlöchern vor allem in Nordamerika, Europa, Südafrika und Australien (Huang et al. 2000). Sie ergaben, dass das 20. Jahrhundert das wärmste der letzten fünf Jahrhunderte ist und das mit dem stärksten Erwärmungstrend.

Abbildung 3: Änderung der globalen Oberflächentemperatur über die letzten fünf Jahrhunderte, ermittelt durch Messungen in Bohrlöchern (rote Linie), die Schattierung zeigt die Unsicherheitsmarge, blau eingezeichnet ist der gleitende Fünf-Jahres-Mittelwert der Temperatur auf der Basis instrumenteller Messungen (HadCRUT-Datensatz der University of East Anglia); Quelle: Huang et al. 2000

Eine andere Methode zur Ermittlung der Durchschnittstemperaturen früherer Zeiten nutzt Stalagmiten. Diese mineralischen Ausformungen werden von Grundwasser innerhalb unterirdischer Höhlen gebildet. Da sie temperaturabhängig jährlich unterschiedlich starke Schichten ausbilden, kann die Dicke dieser Schichten als Klimaproxy genutzt werden. Eine Rekonstruktion der Temperaturen der Nordhalbkugel aus Stalagmiten zeigt – auch wenn die Unsicherheitsmargen (graue Flächen) groß sind –, dass die Temperaturen im späten 20. Jahrhundert die maximalen Schätzungen der letzten 500 Jahre übersteigen (Smith et al. 2006).

Abbildung 4: Temperatur-Rekonstruktion der Nordhalbkugel aus Höhlenmineralen (dicke schwarze Linie), gezeigt mit 2-facher Standardabweichung (schattierter Bereich) im Vergleich zu anderen Proxy-Rekonstruktionen und instrumentellen Messungen; Quelle: Smith et al. 2006

Auch historische Aufzeichnungen der Ausmaße von Gletschern können als Temperatur-Archiv verwendet werden. Da die Anzahl der beobachteten Gletscherzur Vergangenheit hin abnimmt, wächst entsprechend die Unsicherheit. Nichtsdestotrotz übertreffen, wie Abbildung 5 zeigt, die mit dieser Methode ermittelten Temperaturen in den letzten Dekaden nicht nur die rekonstruierten Temperaturen der vergangenen 400 Jahre, sondern auch den oberen Rand des Unsicherheitsbereichs.

Abbildung 5: Globale Durchschnittstemperatur aus Gletscherlängen berechnet. Die roten vertikalen Linien zeigen die Unsicherheit. Quelle: Oerlemans 2005

Die genannten Beispiele gehen nur rund 500 Jahre zurück, betrachten zum Teil nur die Nordhalbkugel und decken dabei die sogenannte Mittelalterliche Warmzeitnicht vollständig ab.

Doch seit der ersten Darstellung des „Hockeyschlägers“ wurden sehr viele weitere Proben für die Klimaarchive gesammelt und ausgewertet. Und mit einer Zusammenschau aller Proxies aus Eisbohrkernen, Korallen, Seesedimenten, Gletschern, Bohrlöchern und Stalagmiten ist es inzwischen möglich, die weltweiten Temperaturen relativ verlässlich über die vergangenen 2.000 Jahre zu rekonstruieren (IPCC 2021, AR6, Band 1, Kapitel 2.3.1) - also etwa doppelt so weit, wie es Mann et al. Ende der 1990er Jahre möglich war. Das Ergebnis zeigt Abbildung 6Die Temperaturen der letzten Dekaden übersteigen die maximalen Schätzungen auf der Basis von Proxies (einschließlich der Unsicherheiten), und dies für mindestens die vergangenen 2.000 Jahre. 

Werden Daten aus den vorherigen Jahrtausenden einbezogen, nimmt die Unsicherheit zu, es sind also nur Aussagen mit geringerer Gewissheit möglich. Doch es lässt sich sagen, dass die Erde im Moment wahrscheinlich sogar wärmer ist, als sie es in jeder längeren Periode der vergangenen 6.000 bis 7.000 Jahre war; womöglich liegt die Zeit, in der zuletzt höhere Temperaturen geherrscht haben, sogar mehr als 100.000 Jahre zurück.

Abbildung 6: Zusammengesetzte Darstellung von Rekonstruktionen der weltweiten Oberflächentemperatur (graue Linie) für die vergangenen rund 2000 Jahre, die schattierten Flächen zeigen die mit 95-prozentiger Sicherheit korrekten Werte. Die schwarze Linie am rechten Ende der Grafik zeigt direkte Temperaturmessungen seit 1850; Quelle: IPCC 2021, AR6, Band 1, Summary for Policymakers, Figure SPM.1a

Die Paläoklimatologie nutzt also eine große Bandbreite an Proxies und Methoden, um historische Temperaturen zu berechnen. Dies erlaubt eine unabhängige Bestätigung der ursprünglichen Mann-Studie: Auch wenn – wie die Wissenschaft heute weiß – der „Schaft“ des „Hockeyschlägers“ weniger glatt ist als anfangs gedacht, ragt doch seine Kelle deutlich darüber hinaus. Die jüngsten Jahrzehnte sind also mit hoher Sicherheit die wärmsten der letzten Jahrtausende. Oder in den zusammenfassenden Worten des Sechsten Sachstandsberichts (IPCC 2021, AR6, Band 1, Kapitel 2.3.1.1.2):

„Rund 6.000 Jahre lang ging die Erdmitteltemperatur generell zurück, und über mehrere Jahrhunderte lag sie nie so niedrig wie von etwa 1450 bis 1850. Der jahrtausendelange Abkühlungstrend wurde Mitte des 19. Jahrhunderts umgekehrt. Seit etwa 1950 hat die Erdmitteltemperatur in einem Tempo zugenommen, wie es seit mindestens 2.000 Jahren für keine andere 50-Jahres-Periode beobachtet wurde.“

John Cook/klimafakten.de, Juli 2010;
zuletzt aktualisiert: Mai 2022

Klimawissen

Klimawissen

Das Fundament einer konstruktiven Debatte sind gesicherte Fakten. Hier finden Sie Informationen zum Stand der Klimaforschung, Faktenchecks zu populären Mythen und Antworten auf die Frage, welche Klimaschutzmaßnahmen wirklich nützen

Kommunikation

Kommunikation

Es braucht mehr als Wissen und Fakten, damit Menschen ins Handeln kommen. Kommunikation entscheidet. Hier finden Sie zum Beispiel unser Handbuch "Über Klima sprechen" und aktuelle Nachrichten aus Forschung und Praxis rund um Klimakommunikation

 

Akademie

Akademie

Sie wollen ganz praktisch lernen, wie aktivierende Kommunikation gelingt? Mit einem Netz von Trainer:innen aus Deutschland, Österreich und der Schweiz bieten wir maßgeschneiderte Vorträge, Fortbildungen und Workshops für Einzelpersonen und Organisationen

Community

Community

In Politik und Behörden, Wirtschaft und Wissenschaft, Verbänden und Medien gibt es viele tausend Menschen, die zum Klima kommunizieren. Wir vernetzen sie, etwa auf dem K3-Kongress – oder zeichnen vorbildhafte Projekte mit dem K3-Preis aus