Gibt es Lehren aus der Corona-Krise, die für die Klima-Krise nutzbar sind? Diese Frage ist in den vergangenen Monaten vielfach gestellt worden. Die Antwort von Christoph Hofinger, einer der Gründer des Wiener Sozialforschungsinstituts SORA und langjähriger Wahlanalytiker für den öffentlich-rechtlichen ORF, lautet eindeutig: Ja. Deutschland und Österreich seien Länder, die sich in der Bekämpfung der Corona-Pandemie "als selbstwirksam erlebt haben", erklärt Hofinger im Interview mit klimafakten.de. "Die Öffentlichkeit hat erkannt, welche enormen Ressourcen mobilisierbar sind - sowohl an finanziellen Mitteln als auch an Expertise, an Entscheidungsfähigkeit der Politik und an Vertrauen in der Zivilgesellschaft, bei Bürgerinnen und Bürgern."

Die Regierungen in Wien wie auch in Berlin hätten früh und schnell zahlreiche Gesetze und Maßnahmen auf den Weg gebracht, um die Pandemie einzudämmen und zudem hohe Milliardenbeträge eingesetzt, um die Wirtschaft zu stützen. Waren also die Entschluss- und Tatkraft der Regierungen ein zwar non-verbales, aber wesentliches kommunikatives Signal, das eine Botschaft transportierte? "So ist es", meint Hofinger. "Bisher hieß es in der öffentlichen Debatte immer wieder, die Politik würde nichts zustandebringen, alles zerreden - und wenn überhaupt, dann ließe sich lediglich an kleinen Schrauben drehen. Das widerspricht jedoch den aktuellen Erfahrungen unserer Gesellschaften. Diese zeigen: Wir können gestalten, wir können Milliardenbeträge mobilisieren." Was bedeutet diese Erfahrung für die Kommunikation zum Thema Klimawandel? Es gebe keine Ausreden mehr fürs Nichthandeln, so Hofinger: "no more excuses".

Die Öffentlichkeit habe zudem eine für die Bekämpfung der Erderhitzung und Milderung ihrer Folgen wesentliche Erkenntnis aus der Corona-Krise gewonnen. "In den Debatten um die Grenzen des Wachstums und um den zunehmenden Klimawandel wurde betont, die Menschheit müsse wegen des exponentiellen Wachstums und des Erreichens von tipping points rasch handeln. Doch das war stets etwas abstrakt", erklärt Hofinger. "In der Corona-Pandemie waren wir jedoch mit dem gleichen Phänomen konfrontiert, und es wurde allgemein verstanden: Wir müssen den steilen Anstieg an Infektionen bremsen, bevor Kipppunkte erreicht, etwa Spitäler überfüllt sind. Wenn wir aber die Kurve eines Anstiegs abflachen wollen, müssen wir erstens rasch und zweitens wirksam handeln. In der Pandemie hieß es, flatten the curve – und es hat funktioniert. Das war ein tiefes emotionales Erlebnis. Dazu muss man nichts mehr erklären."

Der Klimawandel bleibt zudem, so Hofinger auf Basis empirischer Daten für Österreich, ein für die Öffentlichkeit bedeutsames Thema. So gaben bei einer Sora-Umfrage unter 400 Personen im Mai 2020 genau drei Viertel der Befragten an, der Erhalt von sauberer Luft, Wasser und Boden würden sie "bewegen", 39 Prozent sogar "sehr bewegen". Die wirtschaftliche Lage des Landes bewegte hingegen 68 Prozent der befragten Österreicherinnen und Österreicher - die Corona-Pandemie lediglich 48 Prozent (Auftraggeberin der Befragung war die Schwarzenegger Climate Initiative). Nur 18 Prozent der Befragten vertraten die Ansicht, der Kampf gegen die Erderhitzung solle wegen der Covid19-Pandemie verschoben werden.

Womöglich habe die Corona-Krise "den Blick aufs Wesentliche geschärft"

Zu ähnlichen Ergebnissen kam im Juni 2020 eine weitere Sora-Umfrage unter 700 Personen in Oberösterreich, dem am stärksten industrialisierten österreichischen Bundesland: Demnach bereitet die Klimakrise der Bevölkerung mehr Sorge als die Corona-Pandemie, so die im Auftrag des Klimaschutzressorts der Landesregierung vorgenommene Befragung: 57 Prozent äußerten sich besorgt über die Trockenheit der Böden, 56 Prozent über den Rückgang der Artenvielfalt und 52 Prozent über die Folgen der Klimakrise. Zum Vergleich: Lediglich 37 Prozent zeigten sich besorgt über die gesellschaftlichen Folgen der Corona-Pandemie. Die Bewältigung sowohl der Corona- als auch der Klimakrise ist jeweils für neun von zehn Befragten dringlich, erhob Sora.

Das sei neu, so Hofinger, denn bisher seien Umweltthemen in Krisen stets von Wirtschaftsthemen verdrängt oder überlagert worden: "Es ist überraschend, zu sehen, dass das Klimathema heute sogar als noch bedeutsamer eingeschätzt wird als vor der Corona-Krise." Die Ursachen dafür lägen darin, dass die Corona-Krise "den Blick auf das Wesentliche geschärft haben könnte" - und der Schutz des Lebens und der Gesundheit nun mal als eine der wichtigsten Aufgaben von Staat und Politik gilt.

Mehrheit für Corona-Wirtschaftsprogramme, die auch dem Klima nützen

Die Befunde der Demoskopie und Befragungen in Unternehmen hatten zudem gezeigt, dass sich den Vorstellungen der Befragten zufolge die Wiederbelebung der Wirtschaft weniger an der alten Normalität als vielmehr an neuen, dem Klimawandel entsprechenden Herausforderungen orientieren sollte. So meinten bei der Untersuchung in Oberösterreich 42 Prozent der Befragten, eine entschlossene Umstellung des Verhaltens wie in der Corona-Krise wäre auch zur Bewältigung der Klimakrise "sehr sinnvoll", weitere 34 Prozent hielten dies für "ziemlich sinnvoll". Auch in der Befragung für die Schwarzenegger Climate Initiative sagte die Mehrheit, die Veränderungen durch die Corona-Krise sollte dazu genutzt werden, das Klima besser zu schützen.

Bereits bei einer online abgehaltenen Konferenz der CIPRA zu Klimakommunikation im Juli hatte Hofinger für eine Klima-Erzählung durch die politischen Eliten und die Akteure im Energiesystem plädiert, die von Empathie getragen sei, Lösungen aufzeige und den Weg dorthin in einer bildhaften, emotionalen und verständlichen Sprache beschreibe. Das sei derzeit oft nicht der Fall. Die wissenschaftlich-technischen Begriffe wie Dekarbonisierung oder Sektorkopplung würden von der breiteren Öffentlichkeit kaum verstanden werden. Viele Verfechter der Energiewende hingegen würden noch zu sehr auf Untergangsszenarien fokussieren und dadurch nicht – oder für das Publikum zu spät – zu mobilisierenden, handlungsanleitenden Erzählungen kommen.

"Politik und Wirtschaft können viel von #FridaysForFuture lernen"

Das politische Framing, also die Einordnung und Bewertung des Klimawandels und anderer Themen in einen politischen Rahmen, entscheide darüber, ob die Klima-Krise auch eine Kommunikations-Krise ist, so Hofinger. Das jeweilige Framing der Generationen sei stark unterschiedlich: Für die Generation der 68er sei die Freiheit im Zentrum ihrer Ansprüche an die Politik gestanden, für die Fridays-For-Future-Generation hingegen der Wunsch nach Leben und Überleben.

Die Chancen für gelingende Klimakommunikation stünden gegenwärtig jedenfalls gut, denn für den Aufbruch aus dem fossilen Zeitalter bestehe breiter Konsens. Erforderlich seien jedoch seitens der für die Energiezukunft verantwortlichen Personen  "ein motivierendes Narrativ, eine gemeinsame Vision und eine Sprache, die den Funken überspringen lässt". Warum? Hofinger: "Fakten sind enorm bedeutsam. Aber die Energiedebatte zeigte, dass Fakten ohne begleitende Emotionen wenig Chancen auf Verständnis und auf Zustimmung haben. Die Fridays-for-Future Bewegung hat hier vieles richtig gemacht. Die politischen Verantwortungsträger und die Energieversorger können von ihnen viel lernen, um eine neue Energiezukunft zu einem nachhaltigen allgemeinen Anliegen zu machen."

Claus Reitan