Dr. Fritz Heidorn studierte Erziehungswissenschaften in Hannover und Oldenburg. Danach hat er unter anderem als Schulbuchredakteur und als Fachbereichsleiter Umweltbildung und Jugendarbeit beim WWF Deutschland gearbeitet. Lange Jahre war er geschäftsführender Gesellschafter der Bildungsagentur „econtur“ in Bremen und beim Freiwilligendienst „weltwärts-Bremen“ tätig. Seit 2016 schreibt Heidorn schwerpunktmäßig über Fragen von Interkultureller Kommunikation, Raumfahrt, Klimazukünften und Science Fiction, mehrere Bücher erschienen im Dieter-von-Reeken-Verlag, unter anderem "Demnächst oder Nie. Reisen zu fremden Welten" (2018). Daneben ist er Berater des Klimahauses Bremerhaven.

 

Im Jahre 2021 sehen wir uns gesellschaftlichen Ausnahmezuständen ausgesetzt: der durch ein neuartiges Corona-Virus verursachten Covid-19-Pandemie und, bereits seit längerem, dem fortschreitenden Klimawandel. Die Virus-Pandemie wird nicht die letzte sein, die die Menschheit bedroht, und der vom Menschen ausgelöste Klimawandel wird die Erde noch Jahrtausende im Griff haben.

Corona-Virus und Klimawandel legen der Menschheit ähnliche Reaktionsmuster auf, die zunächst als verwirrend oder gar hilflos erscheinen, die zwischen Leugnen, Ignorieren und Agieren viele konträre Meinungen erzeugen und erst nach langen Erfahrungen zu konstruktiven Verhaltensmustern der Menschen führen.

Die Menschheit verfügt über mindestens zwei Mittel zum Verständnis solcher potenzieller Katastrophen: die Naturwissenschaften und die Literatur, und hier vor allem die Gattung der Science Fiction, kurz SF. Die Naturwissenschaften liefern das rationale Fundament sowie die Fakten, um die Wirkungen, die Folgen und mögliche Abwehrmechanismen solcher Ausnahmezustände zu begreifen. Science Fiction wiederum kann die sachliche Analyse der Wissenschaft ergänzen und erweitern, indem sie die Wirkungsmechanismen und die Zeithorizonte solcher Ereignisse weit über die normalen Erfahrungsmöglichkeiten von Menschen in ihrem Alltagsleben hinaus beschreibt. Science Fiction kann aber noch viel mehr: Sie liefert Ideen für Mögliches und Unmögliches, regt die Fantasie an und hilft bei der Bewältigung der Krisen.

Womit wir es zu tun haben: Umgang mit Unsicherheiten in der Risikogesellschaft

Das Alltagsleben in der Covid-19-Zeit lässt sich soziologisch nicht mehr als fraglose Gegebenheitkennzeichnen, mit der die Soziologen Alfred Schütz und Thomas Luckmann in ihrem gleichnamigen Buch die „Strukturen der Lebenswelt“ in den Industriegesellschaften des zwanzigsten Jahrhunderts beschrieben hatten. In den damaligen Alltagsstrukturen fand der gesunde Menschenverstand einen routinemäßigen Lebensprozess vor, den man verstehen und bewerten konnte und in dem man sich durch sachgemäßes Handeln den Gefahrenpotenzialen weitgehend entziehen konnte.

Spätestens seit dem Super-GAU des Atomkraftwerks Tschernobyl am 26. April 1986 leben wir hingegen in einer Risikogesellschaft, wie sie der Soziologen Ulrich Beck in seinem wegweisenden Buch Risikogesellschaft. Auf dem Weg in eine andere Moderne (1986) beschrieben hat. Damals stand das Thema der unsichtbaren radioaktiven Verstrahlung ganzer Regionen und die Bedrohung des Lebens durch weitere unsichtbare Gefahren wie Chemieunfälle, zum Beispiel in Seveso am 10. Juli 1976 oder in Bhopal, Indien, am 3. Dezember 1984 oder ganz generell die Vergiftung von Lebensmitteln im Vordergrund der soziologischen Untersuchungen.

Ulrich Beck beschreibt die Risikogesellschaft derart präzise, dass seine Analyse noch in der Covid-19-Zeit zutreffend ist:

"Die Risikogesellschaft ist eine katastrophale Gesellschaft. In ihr droht der Ausnahmezustand zum Normalzustand zu werden. (…) Gefahren werden zu blinden Passagieren des Normalkonsums. Sie reisen mit dem Wind und mit dem Wasser, stecken in allem und in jedem und passieren mit dem Lebensnotwendigsten – der Atemluft, der Nahrung, der Kleidung, der Wohnungseinrichtung – alle sonst so streng kontrollierten Schutzzonen der Moderne. Wo nach dem Unfall Abwehr und Vermeidungshandeln so gut wie ausgeschlossen sind, bleibt als (scheinbar) einzige Aktivität: Leugnen…" (Beck 1986, Seiten 31 und 10).

Der Zustand in der Risikogesellschaft der Covid-19-Zeit ist sehr ähnlich dem Zustand der Risikogesellschaft in der Zeit der Atomunfälle und Chemiekatastrophen Ende des 20. Jahrhunderts: Bei den Versuchen, die Wahrheit zu verstecken, zu beschönigen und zu leugnen, was passieren könnte – und dann auch tatsächlich passiert. Dann folgen die Erfindung und die Verbreitung von Gerüchten und Schuldzuschreibungen im Alltagsleben. Die Menschen arbeiten sich an irrelevanten Fragestellungen ab, weil sie ihre Angst nicht beherrschen können. Der Literaturnobelpreisträger Orhan Pamuk schreibt in seinem Essay Als die Pest die Welt teilte über frühere Seuchen:

"Die erste Reaktion auf den Ausbruch einer Pandemie ist stets das Leugnen gewesen. Nationale und lokale Behörden haben immer mit Verzögerungen reagiert. Sie haben die Fakten verzerrt und die Zahlen geschönt, um einen Ausbruch zu verschleiern."

Eines dagegen unterscheidet die Covid-19-Zeit vom bisherigen Leben in der Risikogesellschaft: die Menschen selbst sind zur Gefahr geworden (denn sie sind die Überträger der lebensbedrohlichen Krankheit), nicht mehr technologische Verfahren oder Chemikalien, die der Mensch zuvor geschaffen hatte. Wir verfangen uns jetzt also nicht mehr nur in unseren eigenen künstlichen Produkten, die wir in unserer Hybris der Natur abgerungen und ihr überstülpt haben, sondern wir sind uns selbst zur Bedrohung geworden.

Was wir in Krisenzeiten lesen sollten: Zeit für Science Fiction

Vor genau einem Jahr, am 28. April 2020, erschien der Roman zur Covid-19-Zeit. Lawrence Wright, der das Drehbuch für den visionären Kino-Thriller Ausnahmezustand (1998) schrieb und darin die Situation in New York nach den Terroranschlägen des 9. September 2001 vorwegnahm, legte seinen zweiten Roman vor: The End of October (2020). Darin schildert er den Ausbruch einer Pandemie durch ein erfundenes Virus namens „Kongoli-Grippe“ und erzählt, wie drei Millionen Menschen in Mekka in Quarantäne sitzen. In einem Interview in der Süddeutschen Zeitung sagt er über sein Buch:

"Das Buch sollte ein Warnruf sein, denn ich war davon überzeugt, dass wir eine Pandemie eines Tages erleben würden. Eines Tages, aber eben nicht heute. Ich versuche zu beschreiben, was dies für die Politik, die Wirtschaft, die Welt bedeuten könnte."

Es gibt zahlreiche Klassiker in der Science-Fiction-Literatur, die uns gewarnt haben, was da kommen könnte. Ich meine nicht nur die Horrorvisionen der Seuchen-Endzeit-Thriller, sondern insbesondere die Erzählungen über andere Zukünfte für die Menschheit auf dem Planeten Erde. Hier nur einige Beispiele:

Carl Amery: Der Untergang der Stadt Passau (1975). In diesem bekanntesten Buch Amerys schildert er das Leben in einem Doomsday-Szenario im Deutschland des Jahres 2013. Eine Seuche hat fast die gesamte Menschheit ausgerottet – man weiß nicht, ob es eine Strafe Gottes war oder das Werk verrückter Wissenschaftler. Das Land ist wüst und leer, und kleine Gruppen von Nachgeborenen versuchen, ihr karges Leben neu zu organisieren. Konflikte zwischen autark in Subsistenzwirtschaft lebenden Bauern und Städtern in Passau und Rosenheim entstehen. Am Schluss kulminieren die Auseinandersetzungen und Kämpfe bis zum Untergang der Stadt Passau.

Am interessantesten an diesem SF-Klassiker sind die Erzählungen vom Leben in der Subsistenzwirtschaft und die Auseinandersetzungen um eine Stadt mit funktionierenden Verwaltungssystemen und zivilisatorischer Grundversorgung durch Elektrizität, Maschinen und Lebensmittel. Es geht um die Frage, wer die wichtigen Ressourcen herstellt, die die Organisationseinheit „Stadt“ benötigt. Landbevölkerung und Stadtbevölkerung hängen voneinander ab und versuchen, ihren Wohlstand neu zu bestimmen.

Der Roman Leben ohne Ende (1949, wiederveröffentlicht bei Heyne 2016) von George R. Stewart ist ein gelungenes und sehr eindringliches frühes Beispiel für einen dystopischen Seuchen-Thriller, der die Leser in seinen Bann zieht und schildert, wie der Protagonist versucht, mit dem plötzlichen Alleinsein und der Auslieferung an eine von Menschen scheinbar entvölkerte Welt klarzukommen. Der Protagonist wird von einer Schlange gebissen und überlebt deshalb irgendwie die Seuche. Nach der mehrtägigen Genesung von dem Biss geht er nach draußen und findet die Reste der menschlichen Zivilisation, beispielsweise eine Zeitung, in der er das Folgende liest:

"Ärzte und Krankenpflegerinnen waren auf ihren Posten geblieben, und Tausende hatten sich als Helfer zur Verfügung gestellt. Ganze Stadtgebiete waren zu Lazarettlagern und Sammelstellen erklärt worden. Das gesamte Geschäftsleben hatte aufgehört, aber Lebensmittel wurden aufgrund von Notstandsmaßnahmen weiterverkauft."

Die Geschichte von Stewart aus dem Jahre 1949 ist spannend und gut und genauso verstörend wie das von ihm seinem Buch vorangestellte Motto aus dem Jahre 1947:

"Wenn plötzlich durch Mutation ein todbringender Virus-Typ entstehen sollte, könnte er infolge der schnellen Übertragungsmöglichkeiten, wie sie die heutige Zeit mit sich bringt, in die fernsten Winkel der Erde gelangen und den Tod von Millionen von Menschen verursachen."
W.M. Stanley in: Chemical and Engineering News, 22. Dezember 1947

Dieses Zitat ist umso brisanter, als es damals eine erst ansatzweise globalisierte Welt gab. Das Reisen geschah noch langsam und mühevoll mit Interkontinentaldampfern. Die schnelllebige Welt des 21. Jahrhunderts mit Billigflügen rund um den Globus, einem kulturübergreifenden Tourismus, internationalen Handelsströmen und Warengeschäften war Utopie. Was damals Zeitgenossen bereits als „schnelle Übertragungsmöglichkeiten“ bezeichneten, ist bis heute tatsächlich rasend schnell und exponentiell gewachsen, genauso wie die Informationen darüber.

Neuordnung der Welt – Ordnung einer neuen Welt

Aber auch die klassischen Themen der Science Fiction enthalten lesenswerte Erzählungen. Science Fiction beschäftigt sich mit Ordnungen einer neuen Welt und beschreibt mögliche oder absurde Szenarien von alternativen menschlichen Gesellschaftsmodellen oder von fiktiven Kulturen Außerirdischer, deren Beschreibung immer aus der menschlichen Vorstellungskraft kommt und deshalb begrenzt ist. Aus der Vielzahl an Romanen über Außerirdische möchte ich zwei Klassiker hervorheben, die gewissermaßen den Rahmen für Erzählungen der Verheerung und des Wiederaufbaus abstecken.

In H.G. Wells‘ Klassiker Krieg der Welten (1898) werden die technisch überlegenen Marsianer, die die Erde verwüsten, schließlich von unscheinbaren irdischen Mikroben besiegt, also durch Bakterien oder Viren aus den Biokreisläufen der Erde getötet. Die technische und militärische Überlegenheit der Außerirdischen geht plötzlich und still zu Ende, ohne dass die Menschen etwas dafür getan hätten, sozusagen als Reinigungsprozess von Gaia gegen die Eindringlinge gewendet.

Hingegen haben die „Overlords“ aus Arthur C. Clarkes berühmtem Roman Die letzte Generation (1953) die Erdbevölkerung besiegt und unterjocht, allerdings zu deren Vorteil, denn sie verordnen den Weltfrieden, besiegen den Hunger und die Krankheiten und führen die medizinische Versorgung für alle Menschen ein. Das Leben auf der Erde scheint in einem Paradies neuer Prägung stattzufinden, allerdings ohne die Selbstbestimmung des Homo sapiens. Die Menschheit findet schließlich heraus, wer ihnen das neue Paradies beschert hat. Ein Leben ohne Mitgestaltungsmöglichkeiten ist auch in Zukunft nicht wünschenswert – vor allem dann nicht, wenn der Wohltäter der Menschheit die vermeintliche Personifizierung des Bösen ist, jedenfalls so aussieht wie der leibhaftige Teufel mit dem Pferdefuß.

Man hätte es wissen können, und man hätte sich vorbereiten können

Gute Science Fiction gründet auf guter Wissenschaft – und manchmal enthält auch gute Wissenschaft eine Anmutung von Zukunftsliteratur. Im Jahr 2012 hat das staatliche Robert-Koch-Institut (RKI) gemeinsam mit anderen Bundesbehörden in Deutschland ein Virus-Verbreitungsszenario durchgespielt, das dem realen Verlauf der Covid-19 Pandemie 2020/21 verblüffend ähnelt. Als Szenario wird in dieser Risikoanalyse Pandemie durch Virus Modi-SARS angenommen, Deutschland werde durch ein modifiziertes, von Asien ausgehendes Sars-Virus von einer schlimmen Epidemie getroffen.

Auf dem Höhepunkt der ersten Erkrankungswelle sind nach etwa 300 Tagen ungefähr sechs Millionen Menschen erkrankt, das Gesundheitssystem bricht schrittweise zusammen. Es folgen zwei weitere, schwächere Wellen, bis nach drei Jahren ein Impfstoff vorhanden ist. Ganz Deutschland und alle Bevölkerungsgruppen sind nach diesem Szenario von der Epidemie betroffen und zwar über einen langen Zeitraum. Am Ende sind allein hierzulande mehr als sieben Millionen Menschen durch die Krankheit gestorben.

Die Verfasser der Studie sprechen von einem „reasonable worst case“, also einem plausibel annehmbaren schlimmsten Fall. Die Eintrittswahrscheinlichkeit wird angegeben mit „Klasse C: bedingt wahrscheinlich: ein Ereignis, das statistisch in der Regel einmal in einem Zeitraum von 100 bis 1.000 Jahren eintritt“. Das Krankheitsbild entspricht ziemlich genau dem realen Krankheitsbild von heutigen Covid-19 Patienten. Die epidemiologischen Verläufe werden als dramatisch geschildert:

"Über den Zeitraum der ersten Welle (Tag 1 bis 411) erkranken insgesamt 29 Millionen, im Verlauf der zweiten Welle (Tag 412 bis 692) insgesamt 23 Millionen und während der dritten Welle (Tag 693 bis 1052) insgesamt 26 Millionen Menschen in Deutschland. Für den gesamten zugrundegelegten Zeitraum von drei Jahren ist mit mindestens 7,5 Millionen Toten als direkte Folge der Infektion zu rechnen. Zusätzlich erhöht sich die Sterblichkeit sowohl von an Modi-SARS Erkrankten als auch anders Erkrankter sowie von Pflegebedürftigen, da sie aufgrund der Überlastung des medizinischen und des Pflegebereiches keine adäquate medizinische Versorgung bzw. Pflege mehr erhalten können." (S. 64)

Das Ausmaß der Schäden für die Gesundheit der Menschen, die Volkswirtschaft und immaterielle Güter wie die öffentliche Sicherheit und Ordnung sowie die politischen, psychologischen und kulturellen Ressourcen sind erheblich. „Die zuständigen Behörden, zunächst die Gesundheitsämter und dort vornehmlich die Amtsärzte, haben Maßnahmen zur Verhütung übertragbarer Krankheiten zu ergreifen“, heißt es in dem Bericht, doch er schließt mit der pessimistischen Einschätzung, dass „die zuständigen Behörden im Verlauf des hier geschilderten Ereignisses vor große und mitunter nicht mehr zu bewältigende Herausforderungen“gestellt wären.

Man hätte es also wissen können und man hätte sich besser vorbereiten können, wobei mit „man“ in erster Linie die Politik auf Bundes- und auf Länderebene, die Gesundheitsbehörden und die Krankenhäuser gemeint sind. Sie hätten sich auf einen solchen Katastrophenfall durch die ausreichende Bereitstellung und Lagerung von Schutzmaterialien und die Ausarbeitung und das Einüben von Notfallplänen vorbereiten müssen.

Auch gute Wissenschaft kann unwahrscheinliche Ereignisse beschreiben

Es muss also nicht immer Science Fiction sein, um unwahrscheinliche Ereignisse zu beschreiben, die so oder ähnlich Realität werden können. Es kann auch eine gute Wissenschaft sein, die denkbare Prognosen ausrechnet oder wahrscheinliche Eintritte von Ereignissen vorstellt, die man ernstnehmen muss. Risikoanalyse, Risikobewertung, Vulnerabilitätsstudien und Resilienz-Maßnahmen sind in den heutigen Gesellschaften dringend notwendig und müssen Gegenstand einer neuen Politik werden – und zwar auf allen Entscheidungsebenen, die in die Zukunft reichen.

Es gibt einen Forschungsbereich, der dazu Aussagen macht, die Zukunftsforschung“ oder Futurologie“. Sie ist macht mit sehr verschiedenen Methoden Aussagen über künftige Entwicklungen. Zwar sind diese mit Unsicherheiten verbunden, sie können aber dennoch helfen, die Vorstellungen über das Kommende zu schärfen. Robert Jungk hatte gemeinsam mit Norbert R. Müller bereits in seinem Buch Zukunftswerkstätten. Mit Phantasie gegen Routine und Resignation (1981) eine Methode zur Entfaltung von Fantasie beschrieben, nicht nur für Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, sondern auch für Laien, die in gesellschaftlichen Kontroversen aktiv sind, wie beispielsweise in der gesellschaftlichen Auseinandersetzung um die Nutzung der Atomenergie in den 1970er und 1980er Jahren. Deren Risikopotenzial sowie die gesellschaftlichen Auswirkungen hatte Jungk bereits in seinem Buch Der Atomstaat. Vom Fortschritt in die Unmenschlichkeit (1977) analysiert.

Literatur zum Zustand von Gesundheitssystemen

In der Literatur finden sich zahlreiche Beschreibungen von Zusammenbrüchen des Gesundheitssystems von Gesellschaften, als Katastrophenroman, als Science Fiction, also der an wissenschaftlicher Plausibilität orientierten Beschreibung eines denkbaren Veränderungszustands von gesellschaftlichen oder sozialen Strukturen. Juli Zeh schildert in ihrem Roman Corpus Delicti (2009) eine Gesundheitsdiktatur, die die Freiheitsrechte ihrer Mitglieder radikal eingeschränkt hat und diese durch einen in den Körper implantierten Chip kontrolliert. Das Ziel des Staates ist es, seine Bürgerinnen und Bürger zu einer gesunden Lebensweise zu zwingen und sie dabei einer totalen Kontrolle zu unterwerfen.

Die Viren der Gegenwart sind in dem Roman „infektiöse Gedanken“, die vom Staat bekämpft werden. Wer gegen die herrschende Gesundheitsordnung verstößt, läuft Gefahr, umerzogen zu werden oder im schlimmsten Fall zum „Einfrieren auf unbestimmte Zeit“ verurteilt zu werden. Die realen staatlichen Überwachungszustände in Wuhan, China, in den drei Monaten der ersten Welle der Covid-19-Epedemie im Jahre 2020, sind so weit nicht entfernt von der Dystopie, die Juli Zeh in ihrem Roman beschreibt.

Die neue Covid-19-Realität kommt den Science-Fiction-Fans mithin seltsam vertraut vor, kennen wir es doch aus den Dystopien in der Literatur und im Kino seit den 1970er Jahren. Kann der Mensch mit diesen frühen Erzählungen etwas zum Verständnis oder zur Linderung der aktuellen Situation anfangen? Und was bedeutet dies für andere, parallel durch Wissenschaft und Wissenschafts-Fiktion beschriebene Globalkrisen wie die Erderhitzung?

Der Virologe Christian Drosten nannte die Gesundheitssituation in Deutschland im Frühjahr 2020 eine „Naturkatastrophe in Zeitlupe“. Niemand weiß, wie lange die angespannte Situation dauert, wohin sie führt und welche Nachwehen unsere Gesellschaft und unsere Beziehungen untereinander erschüttern werden. Sicher ist aber wohl eines: Das Zusammenleben der Menschen auf dem Planeten Erde wird sich nach dem Ende der Krise anders gestalten als bisher.