Der öffentliche Raum ist weit mehr als nur eine Ansammlung von Straßen und Plätzen – er ist ein Ort der Begegnung und des Austauschs. Architektur und Stadtplanung prägen, wie Menschen sich begegnen und kommunizieren können, während Kunstinstallationen, Demonstrationen oder Versammlungen den Raum beleben. Doch neben diesen sozialen und kulturellen Nutzungen ist der öffentliche Raum auch Bühne für Werbung: Plakatwände, Litfaßsäulen und LED-Screens sind im Stadtbild allgegenwärtig. Denn in der Aufmerksamkeitsökonomie gilt: Wo Menschen sind, wird geworben. Nicht nur an ikonischen Orten wie dem Times Square in New York oder dem Piccadilly Circus in London ist Werbung längst zum kulturellen Merkmal geworden. 

Wir haben uns daran gewöhnt, täglich in Modelgesichter zu blicken und emotionale Botschaften auf Werbetafeln zu lesen – ohne die Kontraste zwischen Natur, Architektur und Werbung bewusst wahrzunehmen. „Wir kennen das nur so, weil es für die letzten zwei Generationen einfach dazugehört, überall Werbung zu sehen“, sagt Leonhard Rabensteiner, freier Kulturarbeiter und Gründer des Grazer Vereins Werbefrei. Das Problem: Der öffentliche Raum ist auch Schauplatz fossiler Werbung, die (klimaschädliche) gesellschaftliche Normen und Konventionen maßgeblich mitbestimmt. Rabensteiner will das mit seinem Aktivismus ändern.

Was genau ist „fossile Werbung“?

Der Begriff "fossile Werbung" umfasst jede Werbung, die für Produkte oder Dienstleistungen wirbt, die auf fossilen Energieträgern basieren. Dazu gehören insbesondere Autos mit Verbrennungsmotoren, Flugreisen, Kreuzfahrten oder Verträge für fossile Haushaltsenergie. Auch Sponsoring und Imagekampagnen von Unternehmen, die stark auf fossile Brennstoffe setzen, fallen darunter. Doch die Abgrenzung ist teils schwierig. Was zum Beispiel ist mit Werbung für Elektroautos, deren Hersteller ihren Gewinn aber (noch) vor allem mit Diesel- oder Benzinfahrzeugen erzielen?

Aktivisten wie Rabensteiner plädieren dafür, den Begriff eng zu fassen, um die gesellschaftliche Akzeptanz zu erhöhen: „Oft wäre es einfacher, von ‚klimaschädlicher Werbung‘ zu sprechen. Doch egal wie man es nennt, es geht darum, die Normalisierung klimaschädlicher Verhaltensweisen zu durchbrechen."

Warum Werbung klimaschädlich sein kann

Werbung prägt Konsumverhalten – oft subtil und unbewusst. Plakatwände, Leuchtreklamen und Bildschirme im öffentlichen Raum vermitteln, dass Lebensstile, welche die Klimakrise verschärfen, Teil des Alltags und gesellschaftlich weithin akzeptiert sind. So zeigen Studienergebnisse unter anderem (zum Beispiel Stubenvoll/Neureiter 2021), dass Werbung für Flugreisen nicht nur den Wunsch nach Mobilität stärkt, sondern auch die Wahrnehmung der Klimaschädlichkeit von Flügen mindern kann: Besonders Menschen, die weniger über den Klimawandel besorgt sind, neigen durch die Reklame eher dazu, die Verantwortung für Emissionen auf andere abzuwälzen.

Foto: Valerie Keller
Aktivisten protestieren am Flughafen Wien gegen Image-Werbung des Flughafenbetreibers (Foto: Valerie Keller)

„Auch aufgrund jahrzehntelanger Werbung sind Produkte und Dienstleistungen mit hohen Emissionen (etwa das Fahren von SUVs und das Fliegen zu Urlaubszielen) tief in gesellschaftliche Normen und Konventionen sowie in Produktions- und Konsummustern eingebettet (‚Carbon Lock-ins‘)“, fasste im März 2025 ein Autorenteam um den Psychologen Thijs Bouman von der Universität Groningen im Fachjournal Nature Climate Change den Stand der Forschung zusammen (Bouman et al. 2025) – und folgerte: „Zwar ist unwahrscheinlich, dass solche Normen, Konventionen und ‚Lock-ins‘ durch ein Verbot schnell aufgegeben werden. Langfristig jedoch dürften sich Emissionssenkungen bemerkbar machen, wenn ein Werbeverbot für fossile Brennstoffe kanalübergreifend und in großem Umfang umgesetzt wird.“ Werberestriktionen würden die Möglichkeiten für Unternehmen einschränken, eine positive Imagebildung zu betreiben und fossilintensive Konsumnormen zu verstärken. Außerdem würden Greenwashing und die Verharmlosung der negativen Auswirkungen von verbranntem CO2 auf das Klima weiter eingeschränkt. Allmählich könne sich so ein Konsumwandel einstellen – besonders bei Kindern, die daduch weniger klimaschädliche Verhaltensweisen erlernen. 

Die Werbebranche hingegen sieht das Aus naturgemäß kritisch. „Eine Ablehnung beziehungsweise Einschränkung fossiler Werbung nur bei uns würde lediglich zu einer Verschiebung zu einem anderen Medium führen und nicht dazu beitragen, dass keine Werbung mehr gemacht wird“, meint beispielsweise Claudia Stern, Assistentin der Geschäftsführung des Grazer Werbeanbieters Ankünder. „Irgendwo muss man anfangen,“ kontert Rabensteiner und schlägt einen schrittweisen Wandel in der Bespielung der Werbeflächen vor. Außerdem gebe es bereits historische Vorbilder, die den Effekt von Werbebeschränkungen unterstreichen.

Vorbild Tabakwerbung

Ein oft genanntes Beispiel ist die Tabakwerbung. Seit 2003 ist in der gesamten EU öffentliche Reklame für Tabakprodukte untersagt. Verschiedene wissenschaftliche Studien (etwa Saffer/Chaloupka 2000 oder Quentin et al. 2007) kamen zu dem Schluss, dass umfassende Verbote der Tabakwerbung den Konsum verringert – begrenzte Verbote hingegen hätten kaum Auswirkungen. Besonders effektiv sei eine stärkere internationale Zusammenarbeit bei Anti-Tabak-Maßnahmen, dies könne die Zahl der Rauchenden drastisch reduzieren (Flor et al. 2021). Ähnlich könnte eine großflächige Untersagung  fossiler Werbung dazu beitragen, klimaschädliche Lebensstile infragezustellen und neue Normen zu verankern. Doch: „Auch beim Tabakverbot hat es viele Gegenstimmen gegeben, wie, ‚Das bringt nichts!‘ oder ‚Das bringt was, ist aber der falsche Weg!‘. Das sind sehr ähnliche Debatten, wie jetzt bei ​​klimaschädlicher Werbung“, erklärt Rabensteiner.

Zigarettenplakat im öffentlichen Raum
Zigarettenwerbung im öffentlichen Raum – wie hier einst in Dresden – ist seit 2003 in der EU nicht mehr erlaubt (Foto: WikimediaCommons/Dell)

 

Werbeplakate mit Klimabezug – aber in ganz anderer Hinsicht – sorgten jüngst für eine Kontroverse in Österreich: Im März 2025 wollte die Klimaorganisation Protect our Winters mit einer Kampagne auf die Bedeutung der bevorstehenden Wirtschaftskammerwahl hinweisen. Die Wirtschaftskammer ist als Vertreter der österreichischen Unternehmen einer der vier Sozialpartner im Land und gilt Kritikern als Bremser einer ambitionierten Klimapolitik; ihre Funktionäre werden alle fünf Jahre von Unternehmerinnen und Unternehmern gewählt.. Protect our Winters wollte die Wahl zur ‚Klimawahl‘ erklären und versuchen umweltfreundlich eingestellte Unternehmerinnen und Unternehmer zur Teilnahme motivieren. Doch die Kampagne wurde seitens des Werbeunternehmens Gewista kurzfristig abgesagt, was  die Tageszeitung Der Standard fragen ließ: .  „Knicken Werbefirmen bei kritischer Werbung ein, weil sie sich vor den Folgen fürchten?“ Möglicherweise, so die Vermutung, hätte die kammerkritische Kampagne langfristig viel lukrativere Aufträge der Wirtschaftskammer selbst gefährdet.

Ist der Wirbel um diese Plakatkampagne ein unglücklich verlaufener Einzelfall oder Teil eines größeren Problems der Werbebranche?

Auf Anfrage verweist Claudia Stern vom Grazer Werbeanbieter Ankünder auf die eigenen Werberichtlinien: „Unsere Werbeflächen stehen prinzipiell allen Werbetreibenden zur Verfügung, die sich an bestimmte ethische und moralische Richtlinien halten.“ Man halte sich zudem an gesetzliche Werbeeinschränkungen wie zum Beispiel bei Tabak oder Glücksspiel und an die Richtlinien des österreichischen Werberates. Weiters würden keine diskriminierenden Botschaften verbreitet, sowie die Auflagen der Stadt Graz im Sinne ihres Status als „Menschenrechtsstadt“ befolgt. Ob man beim Ankünder für ‚Protect our Winters‘ geworben hätte, bleibt offen.

Leonhard Rabensteiner jedenfalls sieht in einer möglichen Anpassung der Werberegularien eine echte Chance für den Klimaschutz: „Wenn ein Verbot für klimaschädliche Werbung  zum Beispiel vom Klimabeirat der Stadt Graz oder vom österreichischen Werberat empfohlen wird, kann das weitreichende Konsequenzen haben.“ So würde man einfacher von Einzelmaßnahmen zu flächendeckenderen Verboten kommen.

Vorreiter Niederlande

Die niederländische Metropole Den Haag hat jüngst, allen kritischen Stimmen zum Trotz, einen rechtlichen Rahmen gegen fossile Werbung gesetzt. Nach einzelnen Einschränkungen in anderen Städten des Landes sind ab Januar 2025 in Den Haag sämtliche Werbeflächen der Stadt – von Bahnhöfen bis zu öffentlichen Verkehrsmitteln –von fossiler Werbung freizuhalten. Robert Barker, Stadtrat für Werbepolitik, begründet den Schritt mit dem klaren Widerspruch zwischen Klimaschutzzielen und der Normalisierung klimaschädlicher Verhaltensweisen. "Rauchen schadet der Lunge, und fossile Brennstoffe schaden den Lungen des Planeten“, wird er auf der städtischen Website zitiert.

Aktivistinnen der Gruppe Reclame Fossielvrij sehen in der Den Haager Entscheidung einen wichtigen Etappensieg. Femke Sleegers, Leiterin der Initiative: „Es ist nicht in Ordnung, von Werbung zu profitieren, welche die planetare Gesundheit ruiniert.“ Hingegen lobbyierten Betreiber der örtlichen Werbeflächen heftig gegen das Verbot. Vertreter der Reisebranche zogen sogar vor Gericht - scheiterten damit bislang jedoch.

 

„Ich fordere jedes Land auf, die Werbung für fossile Brennstoffe zu verbieten. Und ich fordere Nachrichtenmedien und Technologieunternehmen auf, keine Werbung für fossile Brennstoffe mehr anzunehmen.“
UN-Generalsekretär António Guterres

 

Auch international wird die Forderung nach einem Werbeverbot lauter. Selbst UN-Generalsekretär António Guterres sprach sich im Juni 2024 deutlich gegen fossile Werbung aus. Er sagte in einer Rede in New York: „Ich fordere jedes Land auf, die Werbung für fossile Brennstoffe zu verbieten. Und ich fordere Nachrichtenmedien und Technologieunternehmen auf, keine Werbung für fossile Brennstoffe mehr anzunehmen.“

Keine Werbung, kein Problem?

 „Wir sind noch Einzelkämpfer“, sagt Leonhard Rabensteiner vom Grazer Verein Werbefrei über die Situation in Österreich. Er kooperiert mit den niederländischen Gruppen und nennt als Vorbild die Organisation Résistance à l'agression publicitaire, die sich seit mehr als 30 Jahren für Werbebeschränkungen im öffentlichen Raum einsetzt. Auch in Deutschland sammelt das internationale NGO-Bündnis "Ban Fossil Fuel Ads" Unterschriften für eine Petition an die EU.

Vor allem die Fortschritte in den Niederlanden geben ihm Mut: Bereits 17 Gemeinden, darunter eine ganze Provinz, haben sich für Einschränkungen fossiler Werbung entschieden. Außerhalb der Niederlande haben 28 Kommunen Werbeverbote für fossile Brennstoffe beschlossen, und in fünf Kommunen wurde sogar jegliche Werbung aus dem öffentlichen Raum verbannt. „Nachdem es nun doch schon einige Städte und Länder vorantreiben, ist es denke ich eine Zeitfrage bis Verbote auf europäischer Ebene thematisiert und auch beschlossen werden."

Und was wäre eigentlich, wenn im öffentlichen Raum die Werbung ganz verschwände? Versuche in Lanzarote und São Paulo zeigen, dass eine Raumgestaltung ganz ohne Werbung möglich ist und dabei sogar eine besondere ästhetische Qualität gewinnt. Aber: „Ich würde lieber in einer Stadt wohnen, in der es wenig, schön gestaltete und sinnvolle Werbung gibt, als in einer, in der es gar keine gibt. Konzerte oder Kulturveranstaltungen profitieren ja auch davon“, meint Aktivist Rabensteiner. Ob fossile Werbung abgeschafft wird, scheint für ihn weniger eine Frage des ob, sondern des wann: „Werbeverbote sind jedenfalls leichter umzusetzen als viele andere Klimaschutz-Maßnahmen.“