Markus Rindt, 52, (auf dem Foto zu sehen neben ARD-Wettermann Karsten Schwanke, der den K3-Kongress moderierte) stammt aus musikalischem Elternhaus und studierte Horn, erst in Dresden, später in Köln. 1997 war er einer der Gründer der Dresdner Sinfoniker, das inzwischen als eines der profiliertesten Orchester Europas für zeitgenössische Musik gilt. Er wurde mehrfach ausgezeichnet, unter anderem 2018 mit dem Erich-Kästner-Preis. Unter dem Titel "Antárctica" bereitet er derzeit mit seinem Orchester ein Musikprojekt vor, bei dem Musikerinnen und Musiker an ökologisch zerstörten Orten überall auf der Erde simultan und gemeinsam eine Komposition aufführen sollen.

 

"Als würden Aliens Gregorianik singen" hieß eine musikalische Intervention, Dienstagabend eingebracht von den Dresdner Sinfonikern auf dem K3-Klimakongress. Das klingt experimentell ...

Markus Rindt: Wir hatten einige phantastische Instrumente eingeladen, die man selten hört: drei selbstgebaute Stahl-Celli, eine Sub-Kontrabass-Flöte, ein E-Cello, Keybords mit einer Drum und die Posaune. Diese Instrumente haben wir sozusagen aufeinander losgelassen. Die Musiker hatten sich am Vortag zum ersten Mal getroffen. Es gab einen groben Plan, wie das Stück aufgebaut ist, es sollte 30 Minuten lang improvisiert werden. Am Vormittag hatten die Musiker zwar gemeinsam geprobt - aber es hieß dann bald: Reicht jetzt, lass uns das nicht tot proben! Wir wollten ja die Inspiration für den Abend erhalten.

Gregorianischer Gesang ist ja alles andere als improvisiert: Wieso also gregorianische Aliens?  

Die Gregorianik ist insofern schon da, weil man sich diese sphärischen Klänge auch gut in einer Kirche vorstellen könnte. Der Konzertort, das Foyer des Karlsruher Zentrums für Kunst und Medien (ZKM), ist ein großer, wohlklingender Raum, die drei großen Stahlcelli erzeugen Interferenzen, die sehr langsam einschwingen. Das ist schon sehr gregorianisch: Man hört gar nicht genau, wo der Klang eigentlich entsteht.

Am Abend des ersten K3-Tages ließen die Dresdner Sinfoniker Instrumente erklingen, die man sonst nie hört; alle Fotos: DKK/Stephan Röhl

Ihnen geht es um Kommunikation? 

Unbedingt! Mich treibt an, Menschen mit den Mitteln, die uns Musikern zur Verfügung stehen, zu interessieren. 

Was kann Musik, was Wort nicht kann? 

Musik kann Türen öffnen, die zum Beispiel Politikern oder Wissenschaftlern verborgen bleiben. Musik kann die Seele auf einer ganz anderen Ebene für ein Problem sensibilisieren als das Wort. Musik schärft die Sinne anders.

Ihre Musik soll provozieren? 

Tradition der Dresdner Sinfoniker ist, uns immer wieder Themen herauszusuchen, die aktuell und für uns interessant sind. Zum Beispiel haben wir zum hundertsten Jahrestag des Genozids an den Armeniern ein Projekt mit türkischen und armenischen Musikern gemacht. Das war damals sehr stark in den Medien, weil uns die türkische Regierung den Gefallen getan hat, dieses Projekt verhindern zu wollen.

 

"Musik kann Türen öffnen, die zum Beispiel Politikern oder Wissenschaftlern verborgen bleiben. Musik kann die Seele auf einer ganz anderen Ebene für ein Problem sensibilisieren als das Wort"

 

Oder unser Projekt "Tear down this wall!": Als US-Präsident Trump mit seiner wunderschönen Mauer an der Grenze zwischen Mexiko und den Vereinigten Staaten prahlte, da sind wir an die Grenze gefahren und haben musiziert. Ein musikalischer Protest - denn ich bin in der DDR aufgewachsen, und wir haben damals eine Mauer überwunden.  

Und jetzt also der Klimawandel?

Das ist sehr aktuell, wir möchten die Umweltzerstörung auf der Erde und den Klimawandel musikalisch hörbar machen.

Wie soll das gehen? 

Wir wollen Musiker von allen Kontinenten miteinander verschalten: Lokale Musiker sollen mit ihren ortsspezifischen Instrumenten das ortsspezifische Leid zum Klingen bringen. Und Teams vor Ort sollen das dokumentieren und die Verschaltung bewerkstelligen. Aber es soll nicht nur um Zerstörung gehen, sondern auch um einen Appell, das Bewahrenswerte zu bewahren.

Das Projekt nennt sich "Antarktika". Wie wollen Sie denn die unbewohnten Pole in die weltumspannende Musik einbinden?

Das Alfred-Wegener-Institut für Polar- und Meeresforschung AWI) hat in der Antarktis phantastische Geräusche aufgenommen: Walgesänge etwa, Robben, knirschende, abbrechende Eisberge. Wir binden diese Klänge akustisch in das Projekt ein - als Mahnung, denn noch ist die Antarktis nicht zerstört.

Welche Orte werden mit den Klängen vernetzt?

Solche, die zerstört worden sind: der Aralsee zum Beispiel, abgebrannter Regenwald, ein ständig überflutetes Eiland oder ein abgeschmolzener Gletscher. Wir wollen neben der Musik in kleinen Porträts aber auch die Geschichte dieser Orte erzählen, es soll nicht nur um die Zusammenschaltung aller Musiker gehen, sondern auch um eine Dokumentation der menschlichen Zerstörungskraft.

Das Foyer des Karlsruher ZKM während des Konzerts

Das Konzert in Karlsruhe im Rahmen der K3 sollte ein Startpunkt sein. Inwiefern?

Als ein kleiner Vorgeschmack. Der Konzertraum im ZKM ist riesig mit vielen Ebenen und Galerien, man könnte die Musiker überall positionieren. Die Musiker spielten also über eine große Distanz zusammen, was schwierig ist, weil es durch die Schallgeschwindigkeit Verzögerungen gibt, rhythmische Präzision ist sehr schwierig. Aber das ist ja Ziel des Projektes "Antarktika": über große Entfernungen hinweg gemeinsam musizieren! Insofern haben wir schonmal gelernt.

Wann werden wir "Antarktika" hören können? Was fehlt Ihnen noch zur Uraufführung?

Die Finanzierung! Es reicht ja nicht, die Musiker zusammenzuschalten, man muss das Ganze ja auch bewerben. Um die Musik weltweit wahrnehmen zu können, ist eine ordentliche Kampagne nötig.

Interview: Nick Reimer